weiterlesen - Jan Philipp Albrecht

Brüssel, 1. April 2015
4. Grüner Polizeikongress von Jan Philipp Albrecht:
Fazit zum Austausch über "Polizeiarbeit ohne Generalverdacht"
"Wir sollten weniger auf Generalverdacht setzen, sondern mehr in die Menschen
investieren" - in seiner Begrüßung zum 4. Grünen Polizeikongress formulierte Jan
Philipp Albrecht den Anspruch an gute Polizeiarbeit. Über 150 Gäste waren in die
Räume der Universität Hamburg gekommen, um mit 24 Referentinnen und Referenten einen ganzen Tag lang über Vorratsdatenspeicherung, gute Polizeiarbeit vor Ort
und Ermittlungsmethoden abseits von Überwachung und Generalverdacht und die
Anforderungen an eine Grüne Sicherheitspolitik zu diskutieren.
"Polizeiarbeit ohne Generalverdacht"
Der Titel des Kongresses setzte den Standard für die Diskussion, in der es um die
Fragen ging: Wie sieht eigentlich gute Polizeiarbeit vor Ort aus? Auf welche Daten
will die Polizei zugreifen? Was spricht für, was gegen die Vorratsdatenspeicherung
und welche Alternativen gibt es zur anlasslosen Überwachung? Wie lässt sich eine
Grüne Polizei- und Sicherheitspolitik formulieren? Darüber diskutierten unter anderem Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft, Prof. Bernd Belina, Professor für Humangeographie an der GoetheUniversität Frankfurt am Main, Holger Münch, seit Dezember 2014 Präsident des
Bundeskriminalamts, und viele weitere Gäste aus Wissenschaft, Praxis und Politik.
"Sicherheitspolitische Schnellschüsse"?
In ihren Grußworten warnten Katharina Fegebank, Landesvorsitzende der Grünen in
Hamburg, und Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Grünen Fraktion im Bundestag, dass nach den Terroranschlägen von Paris und Dänemark die Rufe nach schärferen Gesetzen die Diskussion über sinnvolle Ermittlungsmaßnahmen übertönt hätten. "Die Forderung nach einer Überwachung von Fluggastdaten ist ein Beispiel für
sicherheitspolitische Schnellschüsse", so Katharina Fegebank. "Die Grünen und die
Polizei - das war nicht unbedingt eine Liebegeschichte von Anfang an", leitete Katrin
Göring-Eckardt ein und betonte: "Manche Forderungen sind eher Symbolpolitik, als
sinnvolle Argumente, wie zum Beispiel mehr in die Polizei zu investieren."
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"Wege in den Generalverdacht - und wieder hinaus?"
In ihren Eröffnungsreden setzten die Redner durchaus unterschiedliche Akzente.
Prof. Bernd Belina, Professor für Humangeographie an der Goethe-Universität
Frankfurt am Main und Verfasser zahlreicher Publikationen über die Kriminalisierung
von „Randgruppen“ in Städten, sprach in seiner Eröffnungsrede "Wege in den Generalverdacht - und wieder hinaus?" über Kontrolle im öffentlichen Raum.
Viele Menschen hätten das Gefühl, dass sie unter Generalverdacht stehen, weil sie
zum Beispiel aus bestimmten Gegenden des öffentlichen Raums verdrängt werden.
Damit verkehre der Generalverdacht die Unschuldsvermutung ins Gegenteil. Im
Speziellen ging Prof. Belina auf die Gefahrengebiete in Hamburg ein. Die Polizei
richtet Gefahrengebiete nach eigenem Ermessen ein und darf in diesen Gebieten
dann anlasslos Menschen kontrollieren, weil sie sich im Gefahrengebiet aufhalten.
Das sei ein Weg in den Generalverdacht, so Prof. Belina.
Er zitierte die Kampagne für Grundrechte und Angaben des Innenministeriums in
Hamburg: In St. Georg gebe es aufgrund der Lageerkenntnis "Drogenkriminalität"
5.600 Identitätsfeststellungen, also Kontrollen von Personen, pro Jahr, in St. Pauli
1.025 Aufenthaltsverbote pro Jahr. Dabei würden immer wieder bestimmte Personen kontrolliert, Grundlage sei der abstrakte Hinweis darauf, dass sie in eine bestimmte Kategorie fallen. Diese Kategorien seien zum Beispiel sichtbare Armut und
Hautfarbe. Wer in diese Kategorie falle, werde als potenziell kriminell oder als Gefahr für Recht und Ordnung angesprochen. Die Verbindung der Wahrnehmung gefährlicher Orte, abstrakter Gefahren und sozial selektiver Kategorisierung, auch
zum Beispiel aufgrund der Hautfarbe, führe zum Generalverdacht. Aufgabe der Polizei sei aber vornehmlich Prävention und Strafverfolgung, nicht die anlasslose Sanktionierung.
"Kriminalitätsbekämpfung 2.0"
Im Anschluss stieg Holger Münch, seit Dezember 2014 Präsident des Bundeskriminalamts, mit der Frage in seine Eröffnungsrede ein: "Wie muss sich eigentlich Polizeiarbeit und Kriminalitätsbekämpfung in der digitalen Zeit entwickeln?" Bürgerinnen und Bürger erwarteten von der Polizei schnelle Hilfe und objektive Sicherheit
und hätten großes Vertrauen in die Polizei. Dafür müsse die Polizei drei Erwartungen erfüllen: Kompetenz, Integrität und Wohlwollen. Polizeiliches Handeln müsse
immer rechtsstaatliche Grundsätze beachten.
Dass die Polizei mehrheitlich als kompetent und wohlwollend wahrgenommen werde, liege auch daran, dass bei der polizeilichen Aus- und Fortbildung die Deeskalation im Mittelpunkt stehe. Wie können wir jedoch die Kompetenz der Polizei und
gleichzeitig ihre Integrität gewährleisten? Eine große Aufgabe polizeilicher Arbeit
seien neue Phänomene wie zum Beispiel Cyberkriminalität. Dies sei eine wachsende
Industrie, allein im Jahr 2013 seien Daten von 16 Millionen Menschen gestohlen
worden, was in Deutschland 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmache. Die
Polizei stehe vor drei Herausforderungen:
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Erstens müsse die Polizei ihre Cyberfähigkeit ausbauen und zum Beispiel in den
Staatsanwaltschaften Schwerpunktstaatsanwaltschaften schaffen. Zweitens müsse
sich die Polizei stärker vernetzen, sowohl innerhalb Deutschlands, als auch europaweit und international und drittens müssten Know-how und Ressourcen gebündelt
werden, die zersplitterte Struktur des Föderalismus sei nicht mehr zeitgemäß.
Entgegen dem verbreiteten Eindruck, die Polizei sei zunehmend allwissend, sei sie
tatsächlich immer häufiger blind und taub, wenn es darum gehe, Straftäter zielgerichtet zu verfolgen. Der Heuhaufen, in dem die Polizei nach der Stecknadel suche,
werde immer größer. Dafür seien intelligente Auswertesysteme gefragt. Neben der
Masse der Daten stellten auch Verschlüsselung, Anonymisierung und die Flüchtigkeit von Daten, also Probleme bei der Rückverfolgung von IP-Adressen, die Polizei
vor Probleme. Wenn sie jedoch bei der Strafverfolgung erfolgreich sein solle, müsse
sie schnell sein.
Was den polizeilichen Zugriff auf Daten angehe, spioniere die Polizei nicht und wolle
auch keine Daten speichern, müsse aber mit richterlichem Beschluss auf Daten zugreifen dürfen. Solche Daten seien polizeilich nur nutzbar, wenn sie in rechtsstaatlichen Verfahren erlangt wurden. Misstrauen, das sich auch in Vorwürfen wie "Datensammelwut" zeige, sei unangebracht. Die Polizei gehe gegen Cyberkriminalität vor,
insofern sei die Polizei auch Datenschützer.
"Wann ist die Grenze zwischen anlasslos und anlassbezogen überschritten?"
Die anschließende kritische Diskussion eröffnete Jan Philipp Albrecht mit der Frage
an die beiden Redner: "Inwiefern sehen Sie Möglichkeiten, anlassbezogene Ermittlungen an objektive Kriterien zu binden?" Prof. Belina plädierte für, zum Beispiel bei
der Bekämpfung der Drogenkriminalität mit Man- und Womanpower gezielt zu ermitteln und Geldströme zurückzuverfolgen, statt auf anlasslose und stigmatisierende Kontrolle zu setzen. BKA-Präsident Holger Münch wies darauf hin, dass Grundlage erfolgreicher Strafverfolgung sei, erstmal Informationen zu gewinnen.
Inhalt der Diskussion mit dem Publikum waren die Fragen: Wo genau liegt die
Grenze zwischen anlasslos und anlassbezogen und wann sind anlasslose Kontrollen
zu rechtfertigen? Seien in die Umfragen zum Vertrauen in die Polizei auch Menschen einbezogen, die selbst Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben und wenn
ja, positive oder negative?
Mit Blick auf die Perspektive vor allem junger Fußballfans auf die Polizei wurde kritisch angemerkt, dass es beim Kontakt der Polizei zu den Fans noch Verbesserungspotenzial gebe. Das oft ausgeprägte Feindbild junger Menschen gegenüber
der Polizei sei auch darauf zurückzuführen, dass die Polizei generalisierend mit
ihnen umgehe.
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"Wie soll eine moderne Polizei eigentlich aussehen?"
In drei Workshops diskutierten die rund 150 Teilnehmenden mit den Referentinnen
und Referenten über "Polizei und Rechtsstaatlichkeit", "Alternativen zum Generalverdacht" und die "Beziehung zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern".
Themen der Workshops waren unter anderem die rechtstaatlichen Grenzen der Terrorabwehr, Versammlungsfreiheit, Stigmatisierung und Kriminalisierung und Alternativen zu anlasslosen Kontrollen. Beim Abschlusspodium stellten die Ergebnisse
der Workshops vor: Dr. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag und Koordinator des Arbeitskreises Innen- und Rechtspolitik, Antje Möller, innenpolitischer Sprecherin der
Hamburgischen Bürgerschaftsfraktion der Grünen und Irene Mihalic, Sprecherin für
innere Sicherheit der Fraktion von Bündis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag
und Obfrau im Innenausschuss. Jan Philipp Albrecht moderierte die Diskussion und
eröffnete die Debatte mit der Feststellung, dass die Vielfalt der Themen so breit sei,
dass jedes der Themenfelder einen eigenen Kongress abdecken könne und fragte,
welche Themen bei Grüner Polizeipolitik besonders eine Rolle spielen sollte.
Konstantin von Notz stellte die Debatte im Workshop "Polizei und Rechtsstaatlichkeit" vor. Die spannende und konfrontative Diskussion habe sich auch um die Frage
gedreht, inwiefern die Polizei von der Politik instrumentalisiert werde und inwiefern
sich die Polizei an das Recht halte. Einigkeit bestünde darin, dass sich die Polizei
nicht immer an das Recht halte, jedoch seien Polizistinnen und Polizisten auch nur
Menschen, die sich häufig Extremsituationen ausgesetzt sähen. Aber gibt es auch
bewusste Grenzüberschreitungen?
Die Diskussion über "Alternativen zum Generalverdacht" stellte Antje Möller vor.
Schwerpunkte des Workshops waren die Fragen, welchen Einfluss die Politik auf
polizeiliche Maßnahmen nehme, die Anknüpfung an den Vortrag von Prof. Belina
und die These, dass Exekutive immer mehr die Sanktionsrolle übernehme sowie
Fragen nach Datensammlungen und Datenkontrolle. Ebenso diskutiert wurden Fragen nach Ausbildung, Selbstverständnis und Führungskultur der Polizei. Eine der
großen Fragen für die Grünen sei: Wie soll eine moderne Polizei eigentlich aussehen?
Die Debatte im Workshop "Beziehung zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern" stellte Irene Mihalic vor. Sehr konkret war über beiderseitige Erwartungshaltungen diskutiert worden und über interkulturelle Kompetenzen. Der Begriff "interkulturell" sei weit zu fassen und decke auch das Verständnis und Problembewusstsein in bestimmten Situationen ab. Wichtig seien Transparenz und Vertrauen, um
dem Generalverdacht entgegenzuwirken. Auf die Frage, wer eine Kontrollfunktion
übernehmen könne, stehe der Vorschlag einer Polizeikommission im Raum, ein weiterer Vorschlag sei parlamentarische Kontrolle durch einen Polizeibeauftragten oder
eine Polizeibeauftragte, der oder die beim Bundestag angesiedelt sei und so einen
unverstellten und ungefilterten Einblick in die polizeiliche Arbeit gewähren könne.
Zur Vorratsdatenspeicherung erklärte Konstantin von Notz abschließend, dass sie
nicht das halten könne, was sie verspricht. Nur eine gute und gut ausgestatte Poli-
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zei könne den Anforderungen gerecht werden und das bedeute auch, Geld in die
Hand zu nehmen.
In seinem Abschlussstatement bedankte sich Jan Philipp Albrecht bei allen Rednerinnen, Rednern und Gästen und wies darauf hin, dass die Beiträge in den nächsten
Monaten in einem Tagungsband veröffentlich werden.
Audiomitschnitte des Kongresses können hier angesehen werden.
Anna Lena Schiller hat die Diskussion mitgezeichnet, das Ergebnis des Graphic Recording lässt sich hier ansehen
Unter dem Hashtag #gpk15 wurde fleißig getwittert. Fotos der Veranstaltung gibt
es hier.
Pressemitteilung vom 22. März 2015
Grüner Polizeikongress: Polizeiarbeit ohne Generalverdacht, Heise online, 23. März
2015
Gastbeitrag "Die Polizei stärken statt Daten speichern" von Jan Philipp Albrecht,
Hamburger Abendblatt, 28. März 2015
PolizeiGrün e.V. ist ein Verein Grüner und Grünen-naher Polizeibediensteter, der
sich im November 2013 gegründet hat und der sich der Förderung einer modernen
und bürgerfreundlichen Polizei verschrieben hat
Studie zur Vorratsdatenspeicherung (auf Englisch)
Jan Philipp Albrecht ist Abgeordneter für Hamburg im Europäischen Parlament, innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament und stellvertretender Vorsitzende des Innen- und Justizausschusses.
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