Flüchtlinge vor Gericht

Dossier Flüchtlinge
Aus der WAIBLINGER KREISZEITUNG vom 16. August 2012
Flüchtlinge vor Gericht
Serie Was geschieht mit Flüchtlingen, die hier ankommen? Eine Redakteurin zeigt den Weg von der
Aufnahmestelle über das Wohnheim bis hin zu Gerichtssälen, wo ihre Anträge verhandelt werden.
Drehbuch
Zeitung Waiblinger Kreiszeitung
Auflage 41.400
Kontakt Michaela Kölbl
E-Mail [email protected]
Idee Die Beschwerde eines Lesers über die Zustände in der Umgebung eines Asylbewerberheims
hatte ungeahnte Folgen. „Solche Beschwerden bekommen wir öfter“, sagt Michaela Kölbl, Redakteurin
der Schorndorfer Nachrichten, einer Lokalausgabe
der Waiblinger Kreiszeitung. „Ich wollte mir das
Heim daher selbst anschauen und mir ein eigenes
Bild machen.“ Als sie vor Ort mit zwei Flüchtlingen
ins Gespräch kam, wurde ihr schnell klar, dass das
eigentliche Thema nicht die Zustände des Heimes,
sondern die Situation der Menschen war. Kölbl plante daraufhin eine ganze Serie von Artikeln, in denen
der Weg der Flüchtlinge in Deutschland gezeigt werden sollte: von der Ankunft in der Landesaufnahmestelle über das Leben im Übergangswohnheim
bis zur Arbeit mit regionalen Hilfsgruppen. Die Serie „Auf der Suche nach Heimat“ umfasste sieben
Folgen. Eine der Episoden widmete sich der Arbeit
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eines Richters am Verwaltungsgericht, der Klagen
gegen abgelehnte Asylverfahren verhandelt.
Recherche Kölbl kontaktierte den Richter
telefonisch und bat darum, bei Verhandlungen dabei sein zu dürfen. Um sich mit der Thematik der
Flucht vertraut zu machen, griff sie auf Angaben
des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen
(UNHCR) und von Amnesty International zurück.
Umsetzung Die Redakteurin besuchte insgesamt drei Verhandlungen. Im Anschluss befragte
sie den Richter zu seiner Vorgehensweise. In Ihrem
Artikel beschränkte sie sich auf den Fall eines afghanischen Paares, das aufgrund religiös motivierter Verfolgung aus der Heimat geflohen war. Kölbls
Artikel bestand aus drei Teilen: einer detaillierten
Schilderung der Verhandlung, damit „die Leser verstehen, wie diese Gespräche überhaupt ablaufen“;
den Angaben des Richters zu seinem Vorgehen bei
der Entscheidungsfindung und der Geschichte des
Paares. „Es war mir wichtig, alle Aspekte dieses
komplexen Themas aufzugreifen“, sagt die Redakteurin.
Aufwand Die Verhandlungen dauerten etwa
zwei Stunden. Generell sei das Thema Asylbewerber
aber mit einem hohen Rechercheaufwand verbunden. „Es ist wichtig, erst einmal Vertrauen zu den
Menschen aufzubauen, bevor man sie befragt“, sagt
die Redakteurin. Um den Ausgang der Asylverfahren nicht zu gefährden, achte sie in ihren Beiträgen
immer auf die Anonymität der Befragten.
Reaktionen Die Serie wurde zwei Mal ausgezeichnet: mit dem Diakonie-Journalistenpreis und
dem Deutschen Sozialpreis. Zudem hätten regionale Sprachförder- und Hilfegruppen einen regen
Zulauf verzeichnet. „Für die meisten Menschen war
das Thema vorher ein blinder Fleck“, sagt die Redakteurin.
Michaela Kölbl ist Redakteurin der Schorndorfer Nachrichten,
einer Lokalausgabe der
Waiblinger Kreiszeitung.
drehscheibetipp
Langzeitbeobachtung: Die Redaktion begleitet eine
Flüchtlingsfamilie bei ihrer Ankunft in Deutschland
und bei ihrem Gang durch den Behördendschungel.
Bei wichtigen Terminen sind die Reporter mit einer
Kamera dabei.
drehscheibe
Schorndorf
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EXTRA:
B
1
Nummer 70 – SHS1
Freitag, 23. März 2012
Auf der Suche nach Heimat : Teil 4 von 7
Jegliche Zweifel müssen ausgeräumt werden
Kurt Bräuchle ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart: Er entscheidet, welcher Flüchtling bleiben darf und welcher ausreisen muss
Von unserem Redaktionsmitglied
Michaela Kölbl
Stuttgart.
Für Kurt Bräuchle ist’s ein Arbeitstag
wie jeder andere. Für die junge Familie,
die auf der Klägerbank vor ihm sitzt,
entscheidet sich in dieser knappen Dreiviertelstunde ihr weiteres Leben. Das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ihren Asylantrag abgewiesen,
die Familie hat dagegen Klage vor dem
Verwaltungsgericht erhoben. Bräuchle ist hier Vorsitzender Richter. Solche
Klagen sind sein täglich Brot.
Verwaltungsgericht Stuttgart, Sitzungssaal
2: Die Wände schmückt kein Bild. An einem
langgezogenen hölzernen Pult hat Kurt
Bräuchle Platz genommen. Darauf: die Unterlagen des aktuellen Falles, der SartoriusBand I, Verfassungs- und Verwaltungsgesetze, weiter nichts. Es gilt das gesprochene,
übersetzte Wort, und nur das. Unterlagen
zur Beweisaufnahme gibt es nicht. Auch
Schorndorfer Fälle werden hier verhandelt.
In einigem Abstand stehen längliche Tische. An einem von ihnen sitzen Ava und
Said Airz (Namen geändert) mit einem
Übersetzer und ihrem Verteidiger. Neben
Ava steht ein Kinderwagen, das Baby ist
vor einem Monat auf die Welt gekommen.
Ab und zu – wenn’s aus dem Wagen wimmert – schiebt die Mutter ihn ein kleines
Stück vor und zurück. Die harten Stuhlreihen an der Rückseite des Raumes dienen
Zuschauern als Sitzgelegenheit. Vor dem
Fenster regnet es in Strömen. Es ist kalt.
Der Richter muss
Überzeugungsgewissheit erlangen
Der Mann in der schwarzen Robe ruft den
Fall auf, steigt in die Verhandlung ein. Auf
der Grundlage des Interviews, das schon im
Bundesamt für Migration in Karlsruhe
stattgefunden hat, stellt er Fragen an das
junge Paar, dessen größere Kinder gerade in
der Schule sind. Er guckt ihnen aufmerksam ins Gesicht, während sie berichten, beobachtet Handbewegungen, hakt nach,
wenn etwas unklar ist. Geduldig lauscht er
den Ausführungen des Übersetzers, die
nicht immer eindeutig sind und oft weiterer
Nachfragen bedürfen. Woran er festmacht,
ob er einem Kläger Glauben schenkt?
„Grundsätzlich muss der Kläger, das ist in
diesem Fall der Asylsuchende, seine Geschichte so plausibel vorbringen, dass ich
Überzeugungsgewissheit erhalte“, berichtet der Richter am Rande der Verhandlung.
Natürlich ist es nicht so einfach, jemanden zu durchschauen, wenn sein Vortrag
nur mittelbar über die Ausführungen des
Übersetzers an Bräuchles Ohr dringt.
Schon hier fallen viele Möglichkeiten der
Wahrheitsfindung unter den Tisch: Redet
jemand laut und hektisch, passt die Tonhöhe, die Sprachmelodie zum Inhalt? „Außerdem haben die Leute oft andere Mentalitäten, fremde Körpersprachen. Manche sind
Analphabeten und haben ein eigenes Zeitempfinden, das sich auch in ihren Schilderungen niederschlägt.“
Zahlreiche Gutachten und
Lageberichte helfen bei Urteil
Also achtet Bräuchle auf gravierende Widersprüche und auf den Detailreichtum des
Vortrags. „Wenn jemand etwas erklärt, als
würde er gerade noch einmal erleben, klingt
das schon recht glaubwürdig.“ Allerdings:
Auf Tränen gibt der Richter nicht viel. „Die
Leute können vor Gericht wegen aller möglichen Dinge in Tränen ausbrechen.“ Mit
dem eigentlichen Thema der Verhandlung
muss das nicht immer etwas zu tun haben.
Außerdem hilft ihm seine Erfahrung. Seit
1980 verhandelt der Jurist Fälle, in denen
das Bundesamt für Migration den Asylantrag zunächst abgelehnt hatte. Speziell
Kläger mit afghanischer Herkunft sitzen
vor seinem Richtertisch – das ist sein Fachgebiet. So kann er inzwischen die individuellen Geschichten in den großen Zusammenhang einordnen.
„Und wir haben etliche weitere Erkenntnisquellen“: Das Auswärtige Amt verfasst jedes Jahr zu relevanten Ländern einen Lagebericht. Es gibt Gutachten von Amnesty International und der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe. Auch Privatgutachter helfen weiter, wenn die gesammelten Unterlagen Fragen offenlassen. Allerdings helfen
Letztere meist schon sehr weit, immerhin
gibt’s von ihnen unzählbar viele. Jedes Gutachten, jede Information, die in Deutschland zu einer vergleichbaren Verhandlung
herangezogen wurde, wird archiviert. „Wir
haben in der Bibliothek unendliche viele
Ordner, voller Dokumentationen.“
Bei aller Einordnung in Zusammenhänge
Kurt Bräuchle zeigt das Archiv des Verwaltungsgerichtes, in dem unzählbar viele Dokumentationen untergebracht sind. Sie helfen bei der Einordnung der
individuellen Flüchtlingsgeschichte in den jeweiligen Zusammenhang.
Bild: Bernhardt
ist es am Ende auch eine Bauchsache, ob der
Richter dem Kläger Glauben schenken
kann oder nicht. Immerhin – schriftliche
Beweise oder gar Zeugen gibt es keine. „Jeder Mensch hat gewisse Restzweifel, die
müssen aber durch die Argumentation zum
Schweigen gebracht werden.“ Er ist froh
darüber, dass seine Entscheidungen im Gegensatz zu jenen vor dem Amtsgericht nicht
sofort verkündet werden. „So kann ich mir
ein bis zwei Tage Zeit lassen, bevor ich zu
einem Urteil komme“, berichtet er. „Das
Gehirn beschäftigt sich immer weiter mit
dem jeweiligen Fall.“ Dann – beim erneuten
Aktenstudium klärt sich’s endlich.
Gelingt es Kurt Bräuchle nicht, seine
Restzweifel zum Schweigen zu bringen, ist
er dazu gezwungen, die Klage abzuweisen
und im Urteil dazu eine ausführliche Begründung abzugeben. Dann erhält der
Asylsuchende ein paar Wochen später die
Ausreiseaufforderung.
Häufig sitzen Flüchtlinge vor Bräuchle,
deren Fluchtgründe kein politisches Asyl
rechtfertigen. Trotzdem kann es sein, dass
sie zumindest ein vorläufiges Aufenthaltsrecht erhalten. Grund dafür sind die Abschiebungsschutz-Bestimmungen.
Diese
greifen, wenn ausgeschlossen werden kann,
dass der betroffene Flüchtling nach seiner
Rückkehr im Herkunftsland wieder Fuß
fassen kann. „Oft kann man ohne Familie,
Geld, Beruf und Wohnung gar nicht mehr
an ein dortiges Leben anknüpfen.“ Sprich:
Im Heimatland muss der Asylsuchende einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt sein,
so dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert sein würde“. So steht’s in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes.
Weiterhin ist es nicht erforderlich, dass
diese genannten Folgen sofort, also noch am
Tag der Ankunft im Abschiebestaat, eintreten. Die Gefahr besteht auch dann, wenn
der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen Hungertod ausgeliefert würde. Rund 18 Prozent aller Asylsuchenden verhilft die Klausel im Aufenthaltsgesetz zu einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, die verlängert werden kann.
Lokaler Machthaber droht: Rückkehr unmöglich
Eine afghanische Familie in der Zwickmühle: Weder in Afghanistan noch im Iran noch in Deutschland gibt’s für sie ein echtes Zuhause
Afghanistan/Iran/Stuttgart.
Ava und Said Ariz (Namen geändert) sind
seit knapp neun Jahren verheiratet. Das
afghanische Paar hat sich im Iran kennengelernt und dort geheiratet. Aber
Fuß fassen konnten sie weder im Iran
noch in Afghanistan. Stattdessen wurden sie bedroht und verfolgt.
Ava hat keine Schule besucht, keine Ausbildung gemacht. Said konnte den Traum, sich
selbstständig zu machen, nie verwirklichen.
Zwar hatte sein Vater ihn einst in die Kunst
des Goldschmiedens eingeführt, aber Ausbildungspapiere gibt es nicht. Und damit
war es ebenso unmöglich, einen eigenen Laden zu eröffnen, wie einen Arbeitsplatz als
Angestellter zu finden. Immerhin: Die Familie Saids hatte Landbesitz, und so wollte
das junge Ehepaar auf einem kleinen
Grundstück ein Haus bauen.
Allerdings kam es nie dazu, wie sie vor
dem Stuttgarter Verwaltungsgericht berichten: Ein gewisser Suleyman Khan, ein
lokaler Machthaber der Region, bekam von
ihrem Bauvorhaben Wind, besuchte Said
Ariz auf dem Grundstück, als dieser dabei
war, das Land für den Neubau vorzubereiten. Khan meldete Besitzansprüche an. Das
wollte das junge Paar nicht auf sich sitzenlassen, gehörte das Land doch der Familie.
Eine Anzeige bei der Polizei brachte die
junge Familie aber nicht weiter, sondern
verstärkte das Problem: Khan entpuppte
sich als Polizeichef. Er kreuzte wieder auf
dem Grundstück auf, diesmal in Begleitung
bewaffneter Männer. Man misshandelte
Said Ariz bis zu dessen Bewusstlosigkeit,
man drohte, seine Frau zu vergewaltigen.
Nur dank des benachbarten Bäckers
wachte Said am nächsten Tag im Krankhaus wieder auf. Und die Nachstellungen
gingen weiter. Ava war auf dem Basar unterwegs, da versuchten zwei Männer, sie in
ein Auto hineinzuzerren, in dem sie Suleyman Khan sitzen sah. Er habe gesagt, er
werde sie entführen, wenn sie nicht einsteige. Er würde ihren Mann töten und sie mit-
Iran und Afghanistan können Ava und Said Ariz keine Sicherheit geben.
Bild: weltkarte.com
nehmen. Sie seien Schiiten und sie müssten
alle sterben. Die junge Frau rettete sich, indem sie zu einer Menschengruppe rannte
und um Hilfe flehte. Die potenziellen Entführer fuhren wutentbrannt weg.
Für all das hatte die Schwiegermutter
Ava die Schuld gegeben. Immerhin habe sie
nur ein Kopftuch und keine Burka getragen. Sie hätte keine Rechte gehabt als Frau,
berichtet sie vor Gericht. Sie durfte keinen
Beruf erlernen, obwohl sie es sich so gewünscht hätte, dazu die Drohungen von Suleyman Khan. Das war zu viel für die junge
Mutter. Sie schnitt sich die Pulsadern auf.
Die Kinder fanden sie bewusstlos im Badezimmer. Rechtzeitig. Doch nach dem Krankenhausaufenthalt weigerte sie sich, ins
Haus der Schwiegereltern zurückzukehren.
Also fand die junge Familie entgegen aller
afghanischen Traditionen Unterschlupf bei
Avas Eltern. Bald darauf flohen sie über
Griechenland nach Deutschland. 10 000
US-Dollar hatte die Reise gekostet, beide
Elternteile hatten ihr Geld zusammengekratzt. Avas Vater verkaufte für ihre Flucht
sein Haus.
Dennoch: Das Bundesamt lehnte ihren
Asylantrag im Juli 2010 ab. Die Gründe:
keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften (auch innerhalb Afghanistans
könnte sich die Familie dem Zugriff Khans
entziehen, Said könnte als Goldschmied arbeiten), keine Abschiebungsverbote, kein
Asylanspruch, weil die Einreise nach
Deutschland über einen sicheren Drittstaat
(Griechenland) erfolgt war.
Das Paar legte Klage gegen das Urteil ein.
Heute tragen die Eheleute ihre Sorgen vor
Gericht vor: Kehrten sie nach Afghanistan
zurück, würde Khan sie entführen und ihren Mann töten, er würde sie überall finden.
Schließlich sei es unmöglich, ohne Verwandte und Hilfe in einem anderen Teil Afghanistans Fuß fassen zu können. Sie müss-
Afghanistan – Land der Gefahren
Um die potenziellen Gefahren einer
Rückkehr einzuschätzen, zieht das Gericht
Berichte der Unicef, des Auswärtiges Amtes,
der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und
von Amnesty International heran. Folgende
Punkte werden in allen Quellen als Gefahrenquellen für Rückkehrer erwähnt:
Minengefahr: In Städten weniger gegeben als in ländlichen Gebieten, aber dennoch beständig existent.
Sicherheitslage: Im Raum Kabul immer
noch fragil, aber wegen Anwesenheit von
Isaf-Truppen zufriedenstellend.
Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt: Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Nach einem Lagebericht des Auswärtigen
Amtes vom Februar 2011 ist in den Städten
die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen unzureichend. Für sehr einfache Pensionen, die als Unterkunft dienen
könnten, seien in Kabul pro Tag mindestens
fünf US-Dollar zu zahlen. (Gutachterin Dr.
Karin Lutze)
Die medizinische Versorgung ist unzu-
reichend: Es fehlt an Medikamenten, Geräten, Ärzten sowie Assistenzpersonal. Afghanistan hat die weltweit höchste Kinder- und
Müttersterblichkeitsrate. Die Lebenserwartung liegt bei nur 44 Jahren.
Grundversorgung: Die verbreitete Armut in Afghanistan führt landesweit vielfach
zu Mangelernährungen.
Staatliche Sicherungssysteme: praktisch keine Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Die soziale Absicherung
liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb
des Stammesverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten
Ausland zurückkehren, stoßen oft auf
Schwierigkeiten, weil das nötige soziale und
familiäre Netzwerk fehlt. Sie werden von den
Zurückgebliebenen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert.
Wer sich über Herkunftsländer von
Flüchtlingen informieren möchte, wird
fündig unter: www.fluechtlingshilfe.ch,
www.amnesty.de/laenderbericht und unter
www.auswaertiges-amt.de
ten dorthin zurückkehren, wo sie herkamen. Aber jetzt lebten nur noch solche Angehörige in dem Land, die selbst nicht
wüssten, wie sie sich ernähren sollen. Selbst
Saids Vater, der Goldschmied, hat kein
Auskommen, gab er doch alles Geld, das für
die Eröffnung eines neuen Ladens gedacht
war, für die Flucht der Kinder aus. Kehrten
sie in einen anderen Teil Afghanistans zurück, wären sie sofort als Tadschiken, die
Dari sprechen, erkennbar und hätten es alleine deshalb schwer.
Individuelle Prüfung als Rettung
Das Urteil kommt Wochen später. Sie können erleichtert sein. Sie dürfen bleiben. Es
gilt ein nationales Abschiebungsverbot,
auch nach Griechenland wird derzeit nicht
mehr abgeschoben. Die Begründung: Kehren sie zurück, sind sie der Willkür des lokalen Machthabers ausgesetzt, es drohe Gefahr für Leib und Leben. Die katastrophale
Versorgungslage mache zudem ein Ausweichen in einen anderen Teil Afghanistans
unmöglich. Zudem sind die Preise für Lebensmittel und Mietwohnungen ohne regelmäßiges Einkommen nicht bezahlbar. Diese
individuelle Betrachtung der Situation ermöglichte es dem Gericht, ein Abschiebungsverbot zu verhängen. Schließlich
könne den Klägern Glauben geschenkt werden, die Ausführungen seien widerspruchsfrei, diverse Lageberichte des Auswärtigen
Amtes, der Schweizer Flüchtlingshilfe und
von Unicef verliehen den Erzählungen
Glaubwürdigkeit. Und am Ende ist’s ein
Satz, der der Familie Sicherheit schenkt:
„Infolge des Abschiebungsverbotes war die
Abschiebeandrohung [...] aufzuheben.“
Nächste Folge
Zuletzt erschien in der Serie „Auf der
Suche nach Heimat “ eine Folge über
Flüchtlingshilfen in Schorndorf.
Die nächste Folge erzählt die
Geschichten eines abgelehnten und
eines angenommenen Asylantrags. Sie
erscheint am Mittwoch, 28. März.
@ Die ganze Serie und weitere Bilder
im Internet unter www.zvw.de