Für die perfekte Show packen alle mit an

R E P O R TA G E
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Für die perfekte Show packen alle mit an
Was Zirkusbesucher nicht sehen: Auch außerhalb der Manege geht es bei Roncalli rund – Vor dem Vorhang muss alles glattgehen
Harte Arbeit, jede Menge Logistik,
Erfahrung, Technik, Know-how
und Leidenschaft stecken hinter
einer guten Zirkusshow. Was die
Zuschauer bei den Vorstellungen
bestaunen, ist die Summe der
Leistung von 120 Künstlern, Technikern, Requisiteuren, Platzwarten, von Zeltmeister, Schneiderin
und Orchester.
Von unserer Redakteurin
Christiane Wolff
Luxemburg. 900 Kilo traben
durch die Sägespäne, in denen
noch die Konfetti-Schnipsel vom
großen Finale der Vorabendshow
liegen. Gut 1,80 Meter hoch ist
der Rücken des gewaltigen Kaltbluts. Stellt Sunny sich auf seine
Hinterbeine, reichen seine Vorderhufe leicht vier Meter hoch.
Jeden Morgen übt Karl Trunk
mit seinen zehn Pferden als Erster in der Manege.
Besonders viel üben muss der
kleine Prinz. Erst seit eineinhalb
Monaten gehört der nur 80 Zentimeter große, schwarz-weiß gefleckte Shetland-Hengst zur Roncalli-Familie. In der Vorstellung
auftreten darf er noch nicht. Ein
Jahr dauert allein die Grundausbildung zum Zirkuspferd normalerweise. „Aber Prinz ist intelligent, es kann sein, dass er es
schneller schafft”, sagt Karl
Trunk, der mit Pferden arbeitet,
seit er zehn Jahre alt ist.
Karl Trunk kümmert sich um eins seiner Pferde.
Peitsche hoch heißt Stopp. Ein
sanftes „Hoho“ beruhigt die Tiere. Nach einer Stunde Training
geht’s für die Hengste zurück in
ihre großen, hellen Boxen. Rund
60 Ballen Heu und etliche Zentner Hafer und Müsli braucht
Trunk während des dreiwöchigen Gastspiels in Luxemburg. Geliefert wird das Futter von Bauern der Umgebung. Den großen
roten Container voll Mist nehmen die Landwirte dann mit, um
ihre Felder zu düngen.
Auf die Terrasse des Restaurant-Zirkuswagens scheint am
Vormittag die Sonne. Zeit für einen Kaffee hat Johanna Marstaller trotzdem nicht. „Bin in Eile”,
ruft die Zirkuslehrerin. Sie muss
noch Unterrichtsunterlagen vorbereiten für ihre Schülerin Lili.
Und die muss wiederum schon
um 11.30 Uhr beim Artistik-Training sein. Bis dahin steht Mathe
auf dem Stundenplan der 16-Jährigen. Die Tochter von RoncalliGründer Bernhard Paul will Abitur machen. Das Westfalen-Kolleg bietet Zirkusjugendlichen dafür spezielle Kurse an.
Weil an Montagen die meisten
Zirkusse spielfrei haben, gibt’s an
diesem Wochentag in Dortmund
Präsenzunterricht von morgens
bis abends. Zirkuskinder aus ganz
Deutschland reisen dann an. Den
Rest der Woche wird zu Hause im
Wohnwagen gelernt. Geraldine
Philadelphia hat’s geschafft:
Während des Gastspiels in Luxemburg hat die 20-jährige Artistin ihr schriftliches Abitur abge-
und gleichzeitig zarte Melodie.
Gesang, Violine und Theaterwissenschaften hat der Weißclown
in Barcelona studiert. „Warum
ich ein Weißclown bin? Weil ich
weiß geschminkt bin!”, scherzt
der Katalane und pudert sich
noch einmal den kalkweißen
Kopf ab.
Tontechnikerin Liz Barak
platzt herein, um frische Batterien in die Mikrofone der beiden
zu stecken, die irgendwo auf den
Tischen zwischen Spiegeln, Bärten, Farbdosen, Pinseln und Make-up-Schwämmchen
liegen.
„Weißclowns gehören in die Welt
der Erwachsenen. Da geht es
nicht nur ums Lachen, sondern
um die Kontraste des Lebens,
Musik”, sagt Gensi. Der Dummer-August-Clown lebt dagegen
eher in der Welt der Kinder. „Es
ist fantastisch, Clown zu sein”,
schwärmt Oriol, während er sich
die Nase rot schminkt. „Du
kannst jeden Tag genau die Dinge
tun, die du dich als Kind nicht getraut hast!“
legt. Dienstagabend Vorstellung,
Mittwochmorgen Abiprüfung in
Dortmund. Eine harte Zeit für die
junge Frau, die gerade eine neue
Trapeznummer einstudiert. Weg
vom Zirkus will sie aber auch mit
dem Abitur in der Tasche erst mal
nicht.
Michele Rossi ist der Zeltmeister. Der gelernte Schlosser ist dafür verantwortlich, dass das riesige blau-weiße Zirkuszelt auch bei
Wind sicher steht. Mehr als 100
Eisenanker wurden dafür in den
Place de Glacis eingeschlagen.
Reist der Zirkus ab, werden die
Löcher im Asphalt wieder verfüllt. Dicke Seile halten die Zeltplanen und die vier Masten bis
dahin auf Spannung. „Mehr als
800 Kilo Zug sind das bei den
Haupttauen”, sagt Rossi.
45 Stunden, 50 Mann
Bis zu 45 Stunden dauert es, das
Zelt aufzubauen, 50 Mann sind
damit beschäftigt. Regelmäßig
müssen die Abspannungen kontrolliert und nachgezogen werden. Bei den Drahtseilen passiert
das über große Winschen. Die
kleineren Seile ziehen Rossi und
seine Männer schon mal per
Hand nach. Dem Italiener liegt
das Zirkusleben im Blut: „Seit
sieben Generationen reist meine
Familie mit Zirkussen”, sagt der
37-Jährige. Nicht als Künstler,
sondern für alles, was drumherum anfällt.
Verheiratet ist Rossi allerdings
mit einer Artistin. Sprössling Michele junior ist zwei Monate alt.
Der einzige Rossi-Nachfahre, der
die Familientradition aufrechterhalten könnte. Und wenn der
Kleine sich später gegen das Zirkusleben entscheidet? „Selbstverständlich kann mein Sohn mit
seinem Leben anfangen, was er
möchte”, sagt Papa Michele und
blickt in den Kinderwagen. „Aber
schön wär’s schon, wenn er dabei
bliebe.”
Mittagszeit. Mit Tellern und
Besteck in Händen schlendern
aus allen Ecken des rund 10 000
Quadratmeter großen Zirkusgeländes Mitarbeiter und Artisten
zum Café des Artistes. Denn in
der Küche von Koch Mutapha Niasse findet sich zwar alles, was
man zum Kochen für die 120köpfige Truppe braucht. Aber für
eine Spülmaschine war in dem
umgebauten historischen Zirkuswagen kein Platz mehr. So muss
jeder, der mitessen will, danach
in seinem Wohnwagen sein Geschirr selbst abwaschen.
Für Niasse ist es die erste Saison bei Roncalli. „Aber seit ich als
kleiner Junge eine Zirkusvorstellung besucht habe, ist mir die Sache nicht mehr aus dem Kopf gegangen”, sagt der 20-jährige Senegalese, der in Italien aufgewachsen ist. Küchenchef für die
Roncalli-Truppe zu sein, ist seine
erste Stelle nach der Kochlehre.
Heute gibt es Rosenkohl, dazu
Buletten und Baguette. Den Artisten, Requisiteuren, Musikern,
Technikern und Clowns aus 18
verschiedenen
Nationen
schmeckt’s.
Am frühen Nachmittag klingen
aus dem Zelt die ersten Trompetentöne. Auch das neunköpfige
Zirkusorchester probt regelmäßig. Für die Shownummern, die
live begleitet werden, bleibt die
Musik gleich. Was das Orchester
dazwischen und beim Einlass des
Publikums spielt, wird allerdings
ständig erneuert. „Damit es im-
Zerrissene Hosen, abgesprungene Knöpfe: Zirkusschneiderin Anna Heinz
macht auf zwölf Quadratmetern alles wieder ganz.
Im Rhythmus des Publikums
Hunderte Taue halten das Zirkuszelt auf Spannung. Zeltmeister Michele Rossi, Borislav Georgiev, Sascha Müller und
TV-FOTOS (6): FRIEDEMANN VETTER (5), CHRISTIANE WOLFF
Marco Goliash (von vorne nach hinten) ziehen nach.
mer frisch klingt und sich keine
Routine in den Sound einschleicht”, sagt Orchesterleiter
Georg Pommer.
Eng an eng stehen die Zirkuswagen auf dem Place de Glacis.
Einige Artisten und Mitarbeiter
wohnen in historischen Waggons,
die aufwendig und liebevoll restauriert sind. Andere sind mit
modernen Wohnwagen auf Tour.
Überall stehen Fahrräder, Autos
gibt es nur wenige. Die RoncalliZirkuswagen werden per Sonderzug von Stadt zu Stadt gebracht.
Es muss schnell gehen
Dass der Zirkuswagen von Anna
Heinz direkt am hinteren Manegeneingang steht, hat einen guten
Grund: „Denn wenn während der
Vorstellung eine Kostümhose
reißt oder einem Künstler ein
Knopf vom Jackett fliegt, muss es
schnell gehen”, sagt die 31-jährige Kostümschneiderin. Jetzt, gut
zwei Stunden vor der ersten
Show des Tages, hat die junge
Frau allerdings Zeit. So viel, dass
sie in mühsamer Handarbeit
gleich mehrere Löcher in der
Netzstrumpfhose der Rollschuhartistin Vivian Paul flicken kann.
Die gesamte Zirkusschneiderei
ist auf etwa zwölf Quadratmetern
untergebracht, inklusive alter
Pfaff-Tischnähmaschine. Im hin-
teren Wagenteil stehen Waschmaschine und Trockner. Aus
Schubfächern und kleinen Kästen quillen Stoffe, Bordüren, goldene Kordeln. Tausende Pailletten und Knöpfe gehören zum
Vorrat.
Anna Heinz hat vorher als
Schneiderin bei der Frankfurter
Oper gearbeitet, bei einem Marionettentheater und an der
Schaubühne Berlin. „Aber die
Zirkusleute sind mir die Liebsten”, schwärmt sie. Viel unprätentiöser seien die Artisten als
zum Beispiel Opernsänger oder
allürenhafte Schauspieler. „Es ist
hier wirklich so, wie man sich in
seinen romantischen Vorstellungen das Zirkusleben ausmalt. Alle
sind gelassen und freundlich, es
gibt keine Hektik und kaum Eitelkeiten”, sagt die gebürtige
Wuppertalerin.
Fällt einem Jongleur eine Keule herunter, hebt er sie auf, und es
geht weiter. Auch wenn ein Salto
am Reck einfach statt wie geplant
zweifach ausfällt, nimmt die
Nummer keinen Schaden – und
dem Publikum fällt es wahrscheinlich gar nicht auf. Bei Andreis Jacob Rigolos ist das anders: Der New Yorker baut aus einem guten Dutzend Palmästen,
die ohne feste Verbindung aufeinanderliegen, ein fragiles Mobile.
Jetzt bloß kein Windstoß: Andreis Jacob Rigolos beim Konzentrationstraining
zwei Stunden vor der Vorstellung.
Ganze zwölf Minuten dauert es,
bis das zarte Gebilde fertig in der
Luft schwebt. Patzt Andreis etwa
bei Palmast Nummer sieben, und
das Mobile zerfällt, ist die Magie
der Nummer im Eimer. Von vorne anfangen geht nicht. Gefragt
ist also höchste Konzentration.
„Aber selbst, wenn ich völlig fokussiert bin, kann ein einziger
Luftzug reichen – etwa, wenn jemand aus dem Zelt rausläuft –
um die Palmäste aus dem Gleichgewicht zu bringen.” Gut zwei
Stunden vor Showbeginn fängt
Andreis an, die Welt außerhalb
eines Radius von fünf Metern
auszuschalten. Auf jede Bewegung, die in diesem inneren Kreis
stattfindet, muss er notfalls reagieren können. Etwa, wenn durch
ein laufendes Kind der Holzboden des Zelts zu schwingen beginnt. Geprobt wird mit kleineren Palmästen als in der Show.
Sein Atem verlangsamt sich. Andreis scheint wie in Trance. Die
Probe läuft perfekt. Das Risiko
für die Show bleibt.
Vier rote Stufen sind es bis zur
Tür des Zirkuswagens, in dem die
Clowns ihre Garderobe haben.
Eineinhalb Stunden vor Showbeginn ziehen sich Gensi und Oriol
dorthin zurück. Klopft es an die
Tür, singt Weißclown Gensi „Hereinhereinherein” auf eine wilde
Den Rhythmus ihres Auftritts
macht das Duo vom Publikum abhängig. „Und das ist jedes Mal anders”, sagt Oriol. Sonntagsnachmittags zum Beispiel oft träge
vom Essen, und in den Abendvorstellungen am Wochenende gespannt und voller Energie.
„Wenn’s optimal läuft, finden wir
und die Besucher den gleichen
Rhythmus – dann gibt’s die perfekte Harmonie!”
Von Hektik ist selbst wenige
Minuten vor Vorstellungsbeginn
hinter den Kulissen nichts zu
spüren. Die Requisiten werden
zurechtgerückt. Über dem Artisteneingang zur Manege hängt ein
großer Flachbildschirm, auf dem
das Innere des Zelts zu sehen ist.
Nach und nach füllen sich die
mehr als 1200 Plätze. Das Licht
geht an. Das Orchester spielt einen Marsch. Die Show, hinter der
so viel Logistik, Training, Lebensfreude, Tradition und Alltagsgeschichten stecken, beginnt.
Sich selbst schminken ist für die
Clowns Gensi und Oriol Ehrensache.
쐌 Roncalli gastiert noch bis
Sonntag, 3. Mai, auf dem Place
de Glacis in Luxemburg. Karten
gibt es im TV-Service-Center
Trier oder an der Abendkasse. Infos: www.roncalli.de
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Kochen gelernt hat er in Italien, heute gibt’s bei Roncalli-Küchenchef Mutapha Niasse trotzdem Buletten und Rosenkohl.