Ausgabe | 12 27. März 2015 powered by Gesundheitssystem Gröhe will Krankenkassen stärker zur Verantwortung ziehen Die Krankenkassen müssen mehr für die Versorgung schwerkranker Menschen zahlen, Hospize erhalten einen Zuschuss E Spenden. Auch hier setzt der Gein neuer Gesetzentwurf des setzentwurf an. Krankenhäuser Bundesgesundheitsminisverhandeln künftig mit den Kasteriums will die Krankenkassen sen individuell über die Finanziebei der Finanzierung der Palliarung der Palliativabteilungen. Das tivmedizin stärker in die Veranträumt der Krankenhausverwalwortung ziehen. Sie sollen einen tung neuen Spielraum ein. Bisgrößeren Anteil der Kosten in lang gab es hier Fallpauschalen. Hospizen übernehmen. Statt 90 Nach der Umsetzung des Prozent sollen sie künftig 95 ProGesetzes werden die Kosten für zent der zuschussfähigen Kosdie Krankenkassen von 400 Milten in stationären Hospizen für lionen Euro auf 600 Millionen Erwachsene tragen. Euro steigen. Dennoch zeigen Die Leistungen der Pflegeversich die Krankenkassen zufrieden sicherungen werden auf diesen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe tue nicht genug für die Vermit dem Entwurf des GesundBetrag angerechnet. Der tägliche sorgung schwerkranker Patienten, glaubt die Stiftung Patientenschutz. heitsministers. Sie verfügen über Mindestzuschuss für Hospize Foto: Flickr/Michael Panse ausreichend Rücklagen, um die wird von 198 auf 255 Euro angehoben. Das soll regionale Vergütungsun- sicherten mit einem Anspruch auf Bera- neuen Kosten bewältigen zu können. Außerterschiede verringern. In ländlichen Regi- tungsleistungen zum Thema Palliativmedi- dem können sie die Beiträge seit Anfang des onen haben Hospize Schwierigkeiten, ihre zin auszustatten. Viele Menschen sind über Jahres wieder individuell erhöhen. Die Stiftung Patientenschutz bezeichFinanzierung auszugleichen, berichtet der die Angebote und Leistungen nicht ausreinet die Pläne aus dem Gesundheitsministechend informiert. Donaukurier. Palliativmedizin in den Kranken- rium jedoch als unzureichend. Man müsse Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) plant zudem, die Krankenver- häusern ist überwiegend abhängig von eine neue Pflegestufe einführen, die die Analyse Google investiert im großen Stil in Gesundheitsprojekte Der Internetkonzern Google hat großes Interesse, am Wachstum des Gesundheitssektors teilzunehmen. So wird ein Drittel der zwei Milliarden USDollar im Risikofonds des Konzerns für die Gesundheitsforschung verwendet. Hinzu kommen Investitionen in Google Genomics, einen Cloud-Dienst für die Speicherung von DNA-Daten von Forschern. Für den neuen Dienst Google Fit geht der Internetkonzern einen anderen Weg. Nun stehen nicht mehr ärztliche Gesundheitsdaten im Vordergrund der Datensammler. Google Fit sammelt Daten von Apps, die auf dem firmeneigenen Betriebssystem Andro- id installiert sind. Apps, die Daten für Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen sammeln, landen so auch auf den Servern von Google. Für das Start-up Calico hat Google ein 1,5 Milliarden Dollar teures Labor finanziert. Das Unternehmen konzentriert sich auf die Bekämpfung von altersbedingten Krankheiten in Zusammenarbeit mit dem Pharmaunternehmen AbbVie. Zu den weiteren Investitionen von Google gehört das Unternehmen 23andme. Es bietet Privatpersonen in den USA, Österreich und Deutschland eine Untersuchung ihrer genetischen Informationen gegen den Preis von 99 Dol- lar an. Im vergangenen Jahr analysierte das Unternehmen so Gene von über 750.000 Kunden in über 50 Ländern. Google legt Wert darauf, möglichst viele Dienste miteinander zu vernetzen und so viele Daten der Internetnutzer wie möglich zu sammeln. Der Suchmaschinenbetreiber will sich eine führende Position im Gesundheitsmarkt verschaffen. Mit dem 2008 gestarteten Dienst Google Health ist das Unternehmen jedoch vorerst gescheitert – der Dienst wurde vier Jahre später eingestellt. Regulierungen und Datenschutzbestimmungen haben das Projekt zum Scheitern gebracht. Thomas Gollmann 1 powered by Ausgabe | 12/15 Begleitung schwerkranker Menschen bis hin zum Tod verbessert. Jedes Jahr sterben in Pflegeheimen 340.000 Menschen. Um für alle Sterbenden eine angemessene Palliativbegleitung einzuführen, bräuchten die Einrichtungen noch einmal 600 Millionen Euro zusätzlich, schätzt die Stiftung. Eine aktive Kommunikation der von den Kassen angebotenen Leistungen für Schwerkranke findet nicht statt. Einer Umfrage der Schwenninger Krankenkasse zufolge fühlen sich 54 Prozent der Deutschen nur unzureichend über Betreuungs- und Versorgungsangebote vor dem Tod aufgeklärt. 82 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Beachtung für dieses Thema in der Gesellschaft. So wissen beispielsweise 25 Prozent der Männer nicht, was unter dem Begriff „Hospiz“ zu verstehen ist, bei Frauen liegt dieser Anteil lediglich bei 17 Prozent. Für jeden dritten ist das Thema tabu. Die Palliativmedizin ist mit der Diskussion um die Sterbehilfe verknüpft, die der Gesundheitsminister in jeder organisierten Form ablehnt. Beim Ausbau palliativer Angebote geht es darum, die Leiden der Menschen zu lindern, die unheilbar krank sind. Das geschieht zum einen durch psychosoziale Betreuung und zum anderen durch Schmerzbehandlung. In Deutschland gibt es eine große Lücke bei der Versorgung von Schmerzpatienten. 2,8 Millionen Menschen leiden unter schweren chronischen Schmerzen, doch nur 330.000 Menschen können entsprechend versorgt werden. Es gibt zu wenige ambulante Schmerzärzte. Sie fordern von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für die Versorgung der Patienten eine Vergütung zusätzlich zum normalen Honorarbudget. Die KBV lehnt dies ab. Für diesen Missstand liefert der Gesetzentwurf von Hermann Gröhe keinen Lösungsansatz. Bei Sterbehilfe geht es um die Frage, ob einem sterbensbereiten Menschen Beihilfe zum Suizid angeboten werden darf. Nach geltender Rechtslage ist weder Suizid selbst noch die Beihilfe dazu strafbar. Die aktive 27. März 2015 Sterbehilfe jedoch – also die Tötung eines Menschen auf dessen Wunsch – wird bestraft. Noch in diesem Jahr soll ein Entwurf für ein neues Gesetz zu dem Thema erstellt werden. Die Union hat angekündigt, die Suizidhilfe durch einzelne Ärzte strafbar machen zu wollen. Doch die große Mehrheit der Deutschen (über zwei Drittel der Bevölkerung) wünscht sich bei schwerster Erkrankung die Möglichkeit, auch mit ärztlicher Hilfe ihr Leiden abkürzen zu können. Tatsächlich finden sich aber heute kaum Mediziner, die darüber mit den Patienten sprechen wollen. Frankreich hat vergangene Woche ein neues Gesetz zur Sterbehilfe verabschiedet. Darin wurde festgeschrieben, dass Sterbende kurz vor ihrem Tod sehr stark sediert werden dürfen. Die Patienten bleiben in dem Zustand, bis der Tod eintritt. Das Gesetz soll das Leiden der Sterbenden lindern. Doch auch in Frankreich ist das Gesetz umstritten: Kritiker sehen darin den Einstieg in die aktive Sterbehilfe. Kosten Fehlende Vernetzung kostet Gesundheitssystem Milliarden Fehlender Datenschutz und die Angst vor dem Verlust der Privatsphäre verhindern die Vernetzung im Gesundheitssystem D as Internet der Dinge (IoT) verspricht große Einsparungen im Gesundheitssektor. Die Vernetzung des Gesundheitswesens soll weltweit laut einer Schätzung des US-Konzerns General Electric über einen Zeitraum von 15 Jahren um 63 Milliarden US-Dollar entlasten, die Ausrüstungskosten könnten sich um 15 bis 30 Prozent reduzieren. Doch Sicherheitsaspekte müssen bei vernetzten medizinischen Geräten von Anfang an berücksichtigt werden. Die sensiblen Geräte und Gesundheitsdaten werden durch die Netzanbindung auch zu attraktiven Zielen für CyberAttacken. Der Report „Internetfähige Geräte im Gesundheitswesen“ von Intel Security und Atlantic Council beleuchtet diesen Bereich des „Internets der Dinge“ und enthält Empfehlungen für Industrie, Regulierungsbehörden sowie Ärzte. In Krankenhäusern, Arztpraxen und Die industrielle und die digitale Welt verschmelzen miteinander. bei Krankenkassen werden immer mehr Daten erfasst und auch zwischen Geräten automatisch ausgetauscht. Dazu gehören sowohl stationäre als auch tragbare Grafik: General Electric/Evans/Annunziata und sogar zeitweise oder dauerhaft in den menschlichen Körper eingebettete Geräte. Ziel ist es, die Behandlung und Überwachung effektiver und kosten- 2 powered by Ausgabe | 12/15 günstiger zu gestalten sowie die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Patienten zu steigern. „Wenn ein vernetztes medizinisches Gerät wie eine Insulinpumpe mit einer Person verbunden ist, können die ausgetauschten Gesundheitsinformationen die Behandlung verbessern“, sagt HansPeter Bauer, Vizepräsident von Intel Security. „Genauso einschneidend können aber auch die Folgen von Einbrüchen in die Privatsphäre oder die Netzwerke sein. Die Sicherheit sollte von Anfang an in das gesamte Gesundheits-Ökosystem integriert werden: vom Gerät über das Netzwerk bis ins Rechenzentrum.“ Der Bericht zeigt mehrere Risiken auf, denen ein vernetztes Gesundheits- wesen ausgesetzt ist. Dazu gehören der Diebstahl von persönlichen Informationen, vorsätzliche Manipulation, Schädigung von Geräten, Netzzusammenbrüche und unvorhergesehenes Versagen. Um die Innovationen der Vernetzung nicht zu bremsen und dennoch Sicherheitsrisiken zu minimieren, sollten Sicherheitsfunktionen von Anfang an in Geräte und Netzwerke integriert werden. Die Zusammenarbeit zwischen privaten Einrichtungen untereinander sowie zwischen privaten und öffentlichen Institutionen muss weiter verbessert werden. Die Bundesregierung kündigte ein Forschungsprogramm für IT-Sicherheit an. Darin geht es um einen besseren Schutz persönlicher Gesundheitsda- 27. März 2015 ten im vernetzten Krankenhaus, bei der computergestützten Chirurgie oder für Fitness-Apps und andere Wearables. Die Zulassungsprozesse für Medizinprodukte müssen weiterentwickelt werden, um bessere Anreize für Innovationen zu entwickeln und es Organisationen im Gesundheitswesen zu ermöglichen, ordnungspolitische Ziele zu erreichen und den Schutz des öffentlichen Interesses zu gewährleisten. Es sollte eine unabhängige Vertretung für die Allgemeinheit geschaffen werden, die sich für die Belange der Patienten und ihrer Familien einsetzt. Deren Ziel sollte es sein, an einem guten Kompromiss aus Effizienz, Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit mitzuarbeiten. Erziehung Armut verzögert die Entwicklung von Kindern Schon bei der Einschulung sind Kinder aus armen Familien in der geistigen und körperlichen Entwicklung benachteiligt I staatlicher Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) leben, mehr als doppelt so häufig Defizite in der Entwicklung als bei Kindern, die in gesicherten Einkommensverhältnissen aufwachsen, belegt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Fünf- und Sechsjährigen aus SGB-II-Familien sprechen schlechter Deutsch, können schlechter zählen, leiden öfter unter Konzentrationsmängeln, sind häufiger übergewichtig und verfügen über geringere Koordinationsfähigkeiten. Das Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) an der Universität Bochum und die Stadt Mülheim an der Ruhr haben im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Daten von knapp 5.000 Schuleingangsuntersuchungen aus den Jahren 2010 bis 2013 ausgewertet. Während 43,2 Prozent Kinder aus armen Familien müssen zu Beginn der Schulzeit mehr aufholen. Foto: Flickr/AMD/CC BY-ND 2.0 der armutsgefährdeten Kinder mangelhaft Deutsch sprechen, Schuleingangsuntersuchungen er- wurde dies nur 14,3 Prozent der nichtleben. Das wirkt sich auf die Entwicklung der Kinder aus. Eine Analyse von Schu- kennen bei Kindern, deren Familien von armutsgefährdeten Kinder attestiert. n Deutschland wachsen mehr als 17 Prozent der unter Dreijährigen in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung leingangsuntersuchungen im Ruhrgebiet zeigt: Armutsgefährdete Kinder sind schon bei Schuleintritt benachteiligt. 3 powered by Ausgabe | 12/15 Probleme in der Körperkoordination haben 24,5 Prozent der Kinder aus SGB-IIFamilien (Übrige: 14,6 %). Ähnliches gilt für die Visuomotorik, also die Koordination von Auge und Hand (25 zu 11 Prozent). 29,1 Prozent der armutsgefährdeten Kinder haben Defizite in ihrer selektiven Wahrnehmung (Übrige: 17,5 %), Probleme beim Zählen haben 28 Prozent (Übrige: 12,4 %). Übergewichtig sind 8,8 Prozent der Kinder, die von staatlicher Grundsicherung leben (Übrige: 3,7 %). Diese Auffälligkeiten gehen einher mit einer geringeren Teilhabe der armutsgefährdeten Kinder an sozialen und kulturellen Angeboten. So erlernen lediglich 12 Prozent dieser Kinder ein Instrument (Übrige: 29 %). Vor Vollendung des dritten Lebensjahres gehen 31 Prozent der armutsgefährdeten Kinder in eine Kita (Übrige: 47,6 %). Und nur 46 Prozent der armutsgefährdeten Kinder sind vor Schuleintritt in einem Sportverein (Übrige: 77 %). Gerade die Mitgliedschaft in einem Sportverein wirke sich aber nicht nur auf die Entwicklung der Körperkoordination positiv aus, sondern auf alle Entwicklungsmerkmale, so die Studie. Auch ein früher Kita-Besuch kann negative Folgen von Kinderarmut verringern, allerdings ist das kein Automatismus. Positive Effekte für die Entwicklung der Kinder treten nur dann ein, wenn die Kita-Gruppen sozial gemischt sind. Weil aber Armut innerhalb einer Stadt höchst unterschiedlich verteilt ist, können Kitas in sozialen Brennpunkten genau diese Heterogenität oftmals nicht gewährleisten. In Mülheim etwa liegen in einigen Stadtvierteln die Armutsquoten über 50 Prozent. „Kitas in sozialen Brennpunkten brauchen mehr Geld, mehr Personal 27. März 2015 und andere Förderangebote“, sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. SGB-II-Familien werden in einem Projekt in NRW gezielt angesprochen und dazu motiviert, ihrem Kind einen Kita-Besuch zu ermöglichen. Außerdem sollen etwa Brennpunkt-Kitas stärker mit sozialen Diensten sowie Sport- und Kulturvereinen im jeweiligen Stadtteil zusammenarbeiten. Ein wichtiges Ziel ist, kommunale Gelder neu zu verteilen und sich dabei stärker an den Bedarfen der Kitas und Stadtviertel zu orientieren. Kinderarmut ist kein Randphänomen. In Nordrhein-Westfalen leben 20,7 Prozent der unter Dreijährigen in Familien, die auf Sozialgeld angewiesen sind, im Ruhrgebiet sogar 28,3 Prozent. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der SGB II beziehenden Sechsjährigen sind schon seit mindestens vier Jahren in der staatlichen Grundsicherung. Therapie Musiktherapie verändert Gehirn: „Summen“ hilft gegen Tinnitus Nach nur fünf Tagen Musiktherapie gegen Tinnitus entstehen bei Patienten erste Veränderungen am Gehirn B islang gibt es nicht viel, was Patienten gegen einen Tinnitus unternehmen können. Ärzte verschreiben oft Tabletten, die den Blutkreislauf anregen. Doch die Gefahr ist groß, dass der Tinnitus von Dauer ist. Neue Erkenntnisse aus der Musiktherapie versprechen nun aber Besserung. 80 Prozent der Patienten empfanden nach einer Musikbehandlung den Tinnitus nicht mehr als quälend, bei acht Prozent verschwand er ganz. Über Aufnahmen im Magnetresonanz-Tomographen (MRT) konnte der Hirnforscher Christoph Krick von der Universität des Saarlandes nachweisen, dass sich schon nach fünf Tagen die Gehirnstrukturen veränderten. Der Lernfortschritt während der Musiktherapie reorganisiert jenes Hirngewebe im Gehörkortex, das aufgrund der Tinnitus-Störung zunächst abgebaut wurde. Das aktive Hörtraining verändert damit außerordentlich rasch die „Platine“ des Gehirns. Die Forschungsergebnisse hat Christoph Krick jetzt gemein- sam mit Heidelberger Wissenschaftlern in dem Online-Journal „Frontiers of Neuroscience“ veröffentlicht. Die störenden Ohrgeräusche entstehen bei Tinnitus-Patienten, weil sie plötzlich bestimmte Frequenzen nicht mehr hören können. „Man kann sich das wie eine Klaviertastatur vorstellen, bei der eine Taste fehlt, denn das menschliche Gehör ist nach Frequenzen geordnet. Da das Gehirn den fehlenden Ton erwartet, aber nicht empfängt, versucht es diesen – analog zu einem Verstärker – lauter zu drehen. Die Folge kann eine Rückkopplung sein, die durch die Selbstanregung als Phantomgeräusch wahrgenommen wird“, erklärt Krick, der am Neurozentrum der Saar-Universität in Homburg forscht. Seit Jahren besteht eine interdisziplinäre Forschungskooperation mit dem Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung (DZM) in Heidelberg. Bei der Neuro-Musiktherapie, die am DZM entwickelt wurde, versucht man, diese Fehlsteuerung des Gehirns rückgängig zu machen. „Auch das lässt sich über ein Klavier erklären: Wenn Sie dort einen Ton anschlagen, schwingen automatisch die Ober- und Untertöne mit, das sind Töne in anderen Oktaven. Die Tinnitus-Patienten können über das Nachsummen und Singen von Grundtönen zur meist höheren Tinnitus-Frequenz den fehlenden Ton im Gehirn rekonstruieren“, so Krick. „Das Anstimmen der Untertöne des eigenen Phantomtons erscheint den Patienten anfangs eher schwierig, gelingt dann aber an jedem Therapietag besser.“ Zusätzlich werden in der Therapie verschiedene Entspannungstechniken vermittelt, da auch Tinnitus-bedingter Stress den Phantomton lauter werden lässt. Das therapeutische Verfahren wird ständig evaluiert und optimiert. In der aktuellen Studie kam eine intensive Kompaktversion der Therapie, die nur fünf Tage dauert, zur Anwendung. Die Heidelberger Forscher waren anfangs überrascht, dass die Patienten schon 4 powered by Ausgabe | 12/15 27. März 2015 nach wenigen Tagen die Hörgeräusche als weniger störend empfanden. Heike Argstatter, die am DZM die Studie begleitet hat, kann mittlerweile schon auf eine längere Erfahrung mit der therapeutischen Wirkung dieser kompakten Musiktherapie zurückblicken. „Erfreulich war, dass noch drei Jahre nach dem recht kurzen Therapieintervall der Therapieerfolg erhalten blieb. Zu Beginn der Studie war dennoch fraglich, ob dies womöglich auf einen Umbau im Gehirn unserer Patienten zurückzuführen sein könnte.“ Sie habe daher wissen wollen, was genau die Musiktherapie im Gehirn verändert. Tinnitus-Patienten können plötzlich bestimmt Frequenzen nicht mehr hören, ähnlich wie bei einem Zu dieser Fragestellung stell- Klaver, an dem eine Taste fehlt. Foto: Rainer Sturm / pixelio.de te Christoph Krick verschiedene Hypothesen auf, welche Gehirnareale nach wenigen Tagen die Denkzellen, die be in den Gehirnarealen nach, die für die betroffen sein könnten, und überprüfte den Höreindruck verarbeiten, nachge- Stressverarbeitung von Bedeutung sind dies mit Hilfe des modernen Forschungs- wachsen sind. Es wurde sozusagen die und dem Menschen dabei helfen, sich zu MRTs am Neurozentrum in Homburg. Festplatte des Gehirns umgebaut, und entspannen. Überraschend waren für die ForUm sicherzustellen, dass tatsächlich die zwar dauerhaft“, sagt Krick. In FrageböMusiktherapie und die dazu gehörigen gen konnten die Tinnitus-Kranken auch scher die Geschwindigkeit und das deutEntspannungsübungen zum Erfolg führ- angeben, wie stark sie von der Therapie liche Ausmaß des Gehirnumbaus. „Der Lernvorgang hatte sich offensichtlich in ten, wurde auch eine Vergleichsgruppe profitiert haben. „Bei den Patienten, die den Thera- das Gehirn ‚eingebrannt‘. Wir gehen davon gesunden Menschen untersucht, die dasselbe Lernprogramm absolvierten piefortschritt als besonders erfolgreich von aus, dass wir somit die Ursache des wahrgenommen haben, waren auch die nachhaltigen Therapieerfolgs gefunden wie die Tinnitus-Patienten. „Bisher war man davon ausgegan- stärksten Veränderungen im Gehirn zu haben“, betont Krick. Er glaubt, dass sich gen, dass Lernfortschritte nur die Akti- beobachten“, stellte der Hirnforscher diese Erkenntnisse auch auf andere Lervitäten im Gehirn verändern, also qua- fest. Auch bei den gesunden Vergleichs- nerfolge übertragen lassen. Sie ermögsi eine neue Software aufspielen. Wir personen konnten die Forscher neue lichten einen neuen Blick auf die Funktikonnten jedoch nachweisen, dass schon Strukturen erkennen. Dort wuchs Gewe- onsweise des lernenden Gehirns. Diagnose Multiresistente Tuberkulose wird im Schnelltest nicht erkannt Die Mutation von Tuberkulose-Stämmen bewirkt, dass die von der WHO empfohlenen Schnelltests den Erreger nicht mehr erkennen M ehr als ein Viertel der multiresistenten (MDR) Tuberkulosestämme, die im Rahmen einer nationalen Studie isoliert wurden, können durch die aktuell verwendeten molekularbiologischen Tests nicht erkannt werden. Grund dafür ist eine bestimmte resistenzvermittelnde Mutation des Erregerstammes, wie Ärzte ohne Grenzen und Wis- senschaftler vom Forschungszentrum Borstel und vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) in der aktuellen Ausgabe des New England Journals of Medicine aufzeigen konnten. Molekulardiagnostische Schnelltests, wie der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Xpert MTB/RIF-Test, gehören zu den wichtigs- ten Instrumenten bei der Identifizierung und Kontrolle von Tuberkuloseinfektionen in Swasiland – dem Land mit den höchsten Tuberkuloseraten weltweit. „Diese diagnostischen Tests sind unsere erste Waffe im Kampf gegen die multiresistente Tuberkulose. Zu erfahren, dass diese Tests nicht in allen Fällen greifen, bedeutet, dass wir diesen Ansatz 5 powered by Ausgabe | 12/15 Dorfbewohner im südafrikanischen Swasiland. dringend überarbeiten müssen“, so Alex Telnov, Referent bei Ärzte ohne Grenzen. Dank der modernen Gentests konnten Ärzte bislang schnell herausfinden, ob ein Patient mit einem multiresistenten Mycobacterium tuberculosis-Stamm infiziert ist. Je schneller die individuelle Behandlung beginnen kann, desto höher sind die Überlebenschancen des Patienten. Eine genetische Analyse zeigte, dass 30 Prozent der 125 MDR-Stämme eine spezifische Mutation aufweisen, die zuvor nur in einzelnen Stämmen aus Hongkong und Australien festgestellt wurde. Diese Mutation führt dazu, dass eines der wichtigsten Antibiotika (Rifampicin) bei der Tuberkulosebehandlung nicht mehr wirksam ist, ergab eine Analyse der Tuberkulosestämme aus den Jahren 2009-2010, die von Epicentre, einem Forschungszentrum von Ärzte ohne Grenzen, zusammen mit dem DZIF durchgeführt wurde. Viel schwerwiegender ist jedoch, dass Tuberkulosestämme mit dieser Variante nicht durch den Schnelltest Xpert MTB/RIF erkannt werden, der in Swasiland von der WHO als Standardtest für den Nachweis einer multiresistenten Tuberkulose empfohlen wurde. „Der hohe Anteil dieser Stammvariante stellt ein großes Risiko für die öffentliche Gesundheit dar und darf nicht ignoriert werden“ so Stefan Niemann vom Forschungszentrum Borstel. „Das Risiko ist groß, dass sich diese Tuberkulosestämme durch unwirksame Antibiotikatherapien unerkannt auch über nationale Grenzen hinweg ausbreiten.“ Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind besonders problematisch für ein Land, in dem 26 Prozent der Erwachsenen mit HIV infiziert sind und 80 Pro- 27. März 2015 Foto: H. Schulz/Pixelio.de zent der Tuberkulose-Patienten eine Koinfektion mit HIV aufweisen. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass die Patienten, die eine Koinfektion mit HIV hatten, häufiger mit MDR-TB infiziert waren als HIV-negative Patienten. Aufgrund dieser Ergebnisse empfiehlt die Organisation Ärzte ohne Grenzen, dass alle Patientenisolate in Swasiland, die positiv auf Tuberkulosebakterien getestet wurden, einer zusätzlichen Resistenzdiagnose unterzogen werden. Zudem sei es wichtig, ähnliche Studien in den Nachbarländern Südafrika und Mozambique durchzuführen, um die aktuelle Ausbreitung dieses multiresistenten und schwer zu detektierenden Keims nachzuvollziehen. „Sollte dies der Fall sein, ist es unerlässlich, dass der Schnelltest in der jetzigen Form anpasst werden muss“, sagt die Erstautorin der Studie Elisabeth Sanchez. Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Chefredakteurin: Jennifer Bendele. Redaktion: Thomas Gollmann, Anika Schwalbe, Gloria Veeser. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Elke Baumann. Copyright: Blogform Social Media GmbH, Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. 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