18 Hummler Wiedersehen mit den USA Umständehalber unterliess ich während einiger Zeit das Reisen in die USA; nun überwand ich meine innere Abwehrhaltung, um alte Freunde und Bekannte zu besuchen und neue Beziehungen aufzubauen. Das Intervall mehrerer Jahre machte die Rückkehr spannend. Wer alle paar Monate in den USA weilt, merkt die Unterschiede vermutlich weniger. Erste, hoch erfreuliche Feststellung: Die Einreise ist einfacher geworden. Das doofe grüne Formular, auf dem man unter anderem hochnotpeinliche Fragen zu Geschlechtskrankheiten und zu finsteren kommunistischen Absichten beantworten musste und bei dessen Ausfüllen während des Flugs man gerne eine Zeile verrutschte, gibt es nicht mehr. Dafür muss man nun mehrfach die Fingerabdrücke in einem System hinterlegen und sich ausserdem fotografieren lassen. Aber die doofen Fragen gibts immer noch; man hinterlegt sie nun beim Ausfüllen der Einreiseformalitäten – online. Was solls – wir haben uns ja an den Datenfriedhof in den nicht mehr so geheimen Computern der Geheimdienste gewöhnt und leisten gerne unseren Beitrag gegen den internationalen Terrorismus und zum Wohle der Menschheit. Zweite Feststellung: Der Grenzbeamte ist ausserordentlich freundlich. Welcome to Chicago! Wer hätte das gedacht? Offenbar weiss man neuerdings Touristen zu schätzen. Übrigens nicht nur an der Grenze, sondern überall, auch im Fahrzeug von Uber. Wir werden von einem zuvorkommenden, gebildeten, kultivierten jungen Herrn mit tadellos sauberem Auto chauffiert. Was doch Konkurrenz ausmacht – die Taxis sind jetzt auch viel anmächeliger geworden. Die Finanzkrise von 2008/09 scheint überwunden. Überall wird munter gebaut, «For Sale»-Schilder sind rar geworden, in der Innenstadt haben die Stadtentwicklungsprogramme Tritt gefasst. «Neuerdings weiss man die Touristen zu schätzen, auch im Uber-Taxi» Selbstverständlich entdeckt der notorisch skeptische Besucher aber auch die zu erwartenden dunkleren Spots, so zum Beispiel eine erschreckende Anzahl Obdachloser an den üblichen Orten, nämlich genau dort, wo man sie am wenigsten schätzt. Völlig schleierhaft bleibt für uns die Tatsache, dass es unter den Bettlern eine satte Anzahl von Kriegsveteranen gibt – kann man Weltmacht sein und bleiben wollen, wenn man für die zurückkehrenden Soldaten keine bessere Lösung bereithält? Besonders bedenklich ist, dass diese Leute zum Teil noch sehr jung sind. Welch ein Leben steht ihnen noch bevor? Der augenöffnende Höhepunkt der Reise kam dann etwas später, beim Besuch bei einem meiner früheren Volkswirtschaftsprofessoren auf dem Campus. Ich werde von dem Akademiker mit schlohweisser Mähne überschwänglich empfangen. Ob er immer noch arbeite und welches Alter er mittlerweile habe. Ja, zu hundert Prozent, er werde dieses Jahr 70. Kürzlich habe er beim Dekan der Uni um eine Reduktion des Pensums ersucht. Höchstens 10 bis 15 Prozent, habe der Bescheid gelautet. Man brauche ihn dringend. Auf dem Flug hatte ich in einer Schweizer Zeitung gelesen, dass in unserem Land in dem kommenden paar Jahren über 300 000 Arbeitskräfte pensioniert würden und «nicht mehr ersetzt» werden könnten. Die Episode gab mir zu denken und war allein schon die Reise in das Land – nicht der unbeschränkten, aber dennoch weit unverkrampfteren Möglichkeiten – wert. Man stelle sich einmal vor, wir würden unseren so sorgsam gepflegten Frankenschock mit einer längeren Lebensarbeitszeit kompensieren? Konrad Hummler ist Verfasser der «Bergsicht» und Strategieberater mehrerer Firmen. Standpunkte 3. Mai 2015 | sonntagszeitung.ch Die andere Sicht von Peter Schneider Was macht die SVP am 1.-Mai-Umzug? Ich bin auch eine MohammedKarikatur. Roger Köppel am Sechseläuten-Umzug in Zürich Foto: Keystone Lafarge Holcim: Das Beste aus der arrangierten Mischehe machen Für Victor Weber müssen jetzt die Mitarbeiter beweisen, dass sie einen zukunftsfähigen neuen Konzern schaffen können Vieles hatte Rolf Soiron erreicht, doch die Krönung einer unternehmerischen Karriere fehlte ihm: eine Grossfusion. Kurz bevor er altershalber als Verwaltungsratspräsident des Zementkonzerns Holcim zurücktrat, hat er es dann doch hingekriegt. Am 8. Mai werden die Aktionäre an der Generalversammlung den Schulterschluss mit Lafarge bewilligen. Aus der von Soiron arrangierten französischschweizerischen Mischehe muss und will sein Nachfolger Wolfgang Reitzle das Beste herausholen. Auch wenn er in seinem Innersten das Gefühl hat, Soiron habe ihm «das eingebrockt», wie er im vertrauten Kreise sagt. Victor Weber, Wirtschaftschef Der bayrische Schwabe ist zu sehr Machtmensch und Macher, um sich die historische Chance entgehen zu lassen, die ihm sein Vorgänger eröffnet hat. Auch wenn es keine Liebesheirat ist, wird Reitzle die nötige Leidenschaft entwickeln, um aus Lafarge Holcim eine Erfolgsgeschichte zu machen. Die Mitarbeiter werden dabei auf dem harten Betonboden der Realität landen. Und das ist von Reitzle gewollt. Grosskonzerne neigen dazu, bürokratisch zu verkrusten, vor allem, wenn sie wie Lafarge und Holcim auf eine über 100-jährige Historie zurückblicken können. Im Betonmischer der Integration werden Strukturen und Menschen durchgeschüttelt werden. Packen es die Mitarbeiter, kann ein zukunftsfähiger neuer Konzern gegossen werden. Wir von den Medien haben das Projekt kritisch verfolgt. Für die hiesigen Baumeister der Fusion wars unangenehm. Doch das hat ihnen geholfen, bessere Fusionsbedingungen auszuhandeln als ursprünglich vereinbart. Matchentscheidend war zwar der bessere Jahresabschluss von Holcim. Ein redlicher Mann wie Soiron räumt aber ein, dass die Journalisten mitgewirkt haben, in der öffentlichen Wahrnehmung eine «neue Wirklichkeit zu schaffen», von der die Holcim-Aktionäre profitiert haben. Wirtschaft — 36 Keine Fouls gegenüber armen Ländern Die Schweizer Entwicklungshilfe macht Fortschritte, anerkennt Armin Müller. Aber es gibt noch viel zu tun, und Fairness bemisst sich nicht allein an Hilfsgeldern Es ist noch nicht lange her, da war die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ein Staat im Staat. Sein Herrscher Walter Fust liess sich von niemandem, auch nicht von Bundesrat oder Parlament, dreinreden, wie er mit den Steuergeldern für die Entwicklungshilfe umzugehen habe. Es gab keine Kontrolle und Leistungsnachweise, es herrschte null Transparenz betreffend Projekten, und die Aufträge wurden unter der Hand vergeben. Doch die Zeiten ändern sich. Seit 2012 werden zunehmend Aufträge öffentlich ausgeschrieben. Die Deza trat dem internationalen Standard der Berichterstattung bei, Armin Müller, Autor und Textchef der International Aid Transparency Initiative (IATI). Gemäss ihrem Rating hat sie sich 2014 stark verbessert, vom 44. auf den 18. Rang von knapp 70 Ländern und Organisationen. In der Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich die Deza auf 20 Schwerpunktländer und -regionen. Das ist ein Fortschritt. Aber nach wie vor verzettelt sich die Schweizer Hilfe auf zu viele Länder und Themen. Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Entwicklungshilfe muss deutlich steigen. Transparenz wird den Druck aufrechterhalten. Das grösste Problem der Schweizer Entwicklungspolitik kann die Deza jedoch nicht lösen. Für deren Wirksamkeit in Bezug auf die armen Länder sind nämlich andere Bereiche wichtiger. Die Entwicklungshilfe vermag Schäden nicht zu kompensieren, die entstehen, wenn Rohstoffhändler den korrupten afrikanischen Eliten lukrative Deals auf Kosten der Bürger ermöglichen und diese dann die Gelder auf Schweizer Bankkonten bunkern. Ein grobes Foul leistet sich die Schweiz auch durch die totale Abschottung gegenüber Landwirtschaftsprodukten. Fairness gegenüber den Armen bemisst sich nicht allein an Hilfsgeldern. Ressort — 16
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