Lafarge Holcim: Das Beste aus der arrangierten

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Hummler
Wiedersehen
mit den USA
Umständehalber unterliess ich während einiger
Zeit das Reisen in die USA; nun überwand ich
meine innere Abwehrhaltung, um alte Freunde
und Bekannte zu besuchen und neue Beziehungen aufzubauen. Das Intervall mehrerer Jahre
machte die Rückkehr spannend. Wer alle paar
Monate in den USA weilt, merkt die Unterschiede vermutlich weniger. Erste, hoch erfreuliche
Feststellung: Die Einreise ist einfacher geworden.
Das doofe grüne Formular, auf dem man unter
anderem hochnotpeinliche Fragen zu Geschlechtskrankheiten und zu finsteren kommunistischen Absichten beantworten musste und
bei dessen Ausfüllen während des Flugs man
gerne eine Zeile verrutschte, gibt es nicht mehr.
Dafür muss man nun mehrfach die Fingerabdrücke in einem System hinterlegen und sich
ausserdem fotografieren lassen. Aber die doofen
Fragen gibts immer noch; man hinterlegt sie nun
beim Ausfüllen der Einreiseformalitäten – online.
Was solls – wir haben uns ja an den Datenfriedhof in den nicht mehr so geheimen Computern
der Geheimdienste gewöhnt und leisten gerne
unseren Beitrag gegen den internationalen
Terrorismus und zum Wohle der Menschheit.
Zweite Feststellung: Der Grenzbeamte ist ausserordentlich freundlich. Welcome to Chicago!
Wer hätte das gedacht? Offenbar weiss man
neuerdings Touristen zu schätzen. Übrigens nicht
nur an der Grenze, sondern überall, auch im
Fahrzeug von Uber. Wir
werden von einem zuvorkommenden, gebildeten,
kultivierten jungen Herrn
mit tadellos sauberem
Auto chauffiert. Was
doch Konkurrenz ausmacht – die Taxis sind
jetzt auch viel anmächeliger geworden. Die Finanzkrise von 2008/09
scheint überwunden.
Überall wird munter gebaut, «For Sale»-Schilder
sind rar geworden, in der Innenstadt haben die
Stadtentwicklungsprogramme Tritt gefasst.
«Neuerdings weiss
man die
Touristen
zu schätzen,
auch im
Uber-Taxi»
Selbstverständlich entdeckt der notorisch
skeptische Besucher aber auch die zu erwartenden dunkleren Spots, so zum Beispiel eine
erschreckende Anzahl Obdachloser an den üblichen Orten, nämlich genau dort, wo man sie am
wenigsten schätzt. Völlig schleierhaft bleibt für
uns die Tatsache, dass es unter den Bettlern eine
satte Anzahl von Kriegsveteranen gibt – kann
man Weltmacht sein und bleiben wollen, wenn
man für die zurückkehrenden Soldaten keine
bessere Lösung bereithält? Besonders bedenklich
ist, dass diese Leute zum Teil noch sehr jung
sind. Welch ein Leben steht ihnen noch bevor?
Der augenöffnende Höhepunkt der Reise kam
dann etwas später, beim Besuch bei einem
meiner früheren Volkswirtschaftsprofessoren auf
dem Campus. Ich werde von dem Akademiker
mit schlohweisser Mähne überschwänglich empfangen. Ob er immer noch arbeite und welches
Alter er mittlerweile habe. Ja, zu hundert Prozent,
er werde dieses Jahr 70. Kürzlich habe er beim
Dekan der Uni um eine Reduktion des Pensums
ersucht. Höchstens 10 bis 15 Prozent, habe der
Bescheid gelautet. Man brauche ihn dringend.
Auf dem Flug hatte ich in einer Schweizer
Zeitung gelesen, dass in unserem Land in dem
kommenden paar Jahren über 300 000 Arbeitskräfte pensioniert würden und «nicht mehr
ersetzt» werden könnten. Die Episode gab mir zu
denken und war allein schon die Reise in das
Land – nicht der unbeschränkten, aber dennoch
weit unverkrampfteren Möglichkeiten – wert.
Man stelle sich einmal vor, wir würden unseren
so sorgsam gepflegten Frankenschock mit einer
längeren Lebensarbeitszeit kompensieren?
Konrad Hummler ist Verfasser der «Bergsicht»
und Strategieberater mehrerer Firmen.
Standpunkte
3. Mai 2015 | sonntagszeitung.ch
Die andere Sicht von Peter Schneider
Was macht die SVP
am 1.-Mai-Umzug?
Ich bin auch
eine MohammedKarikatur.
Roger Köppel am Sechseläuten-Umzug in Zürich
Foto: Keystone
Lafarge Holcim: Das Beste aus der
arrangierten Mischehe machen
Für Victor Weber müssen jetzt die Mitarbeiter beweisen,
dass sie einen zukunftsfähigen neuen Konzern schaffen können
Vieles hatte Rolf Soiron erreicht,
doch die Krönung einer unternehmerischen Karriere fehlte ihm: eine
Grossfusion. Kurz bevor er altershalber als Verwaltungsratspräsident des Zementkonzerns Holcim
zurücktrat, hat er es dann doch hingekriegt. Am 8. Mai werden die
Aktionäre an der Generalversammlung den Schulterschluss mit
Lafarge bewilligen. Aus der von
Soiron arrangierten französischschweizerischen Mischehe muss
und will sein Nachfolger Wolfgang
Reitzle das Beste herausholen.
Auch wenn er in seinem Innersten
das Gefühl hat, Soiron habe ihm
«das eingebrockt», wie er im
vertrauten Kreise sagt.
Victor Weber,
Wirtschaftschef
Der bayrische Schwabe ist zu sehr
Machtmensch und Macher, um
sich die historische Chance entgehen zu lassen, die ihm sein Vorgänger eröffnet hat. Auch wenn es
keine Liebesheirat ist, wird Reitzle die nötige Leidenschaft entwickeln, um aus Lafarge Holcim eine
Erfolgsgeschichte zu machen.
Die Mitarbeiter werden dabei
auf dem harten Betonboden der
Realität landen. Und das ist von
Reitzle gewollt. Grosskonzerne
neigen dazu, bürokratisch zu verkrusten, vor allem, wenn sie wie
Lafarge und Holcim auf eine über
100-jährige Historie zurückblicken
können. Im Betonmischer der Integration werden Strukturen und
Menschen durchgeschüttelt werden. Packen es die Mitarbeiter,
kann ein zukunftsfähiger neuer
Konzern gegossen werden.
Wir von den Medien haben das
Projekt kritisch verfolgt. Für die hiesigen Baumeister der Fusion wars
unangenehm. Doch das hat ihnen
geholfen, bessere Fusionsbedingungen auszuhandeln als ursprünglich
vereinbart. Matchentscheidend war
zwar der bessere Jahresabschluss
von Holcim. Ein redlicher Mann
wie Soiron räumt aber ein, dass die
Journalisten mitgewirkt haben, in
der öffentlichen Wahrnehmung
eine «neue Wirklichkeit zu schaffen», von der die Holcim-Aktionäre
profitiert haben. Wirtschaft — 36
Keine Fouls gegenüber
armen Ländern
Die Schweizer Entwicklungshilfe macht Fortschritte, anerkennt Armin Müller.
Aber es gibt noch viel zu tun, und Fairness bemisst sich nicht allein an Hilfsgeldern
Es ist noch nicht lange her, da war
die Direktion für Entwicklung und
Zusammenarbeit (Deza) ein Staat
im Staat. Sein Herrscher Walter
Fust liess sich von niemandem,
auch nicht von Bundesrat oder
Parlament, dreinreden, wie er
mit den Steuergeldern für die Entwicklungshilfe umzugehen habe.
Es gab keine Kontrolle und Leistungsnachweise, es herrschte null
Transparenz betreffend Projekten,
und die Aufträge wurden unter der
Hand vergeben.
Doch die Zeiten ändern sich.
Seit 2012 werden zunehmend Aufträge öffentlich ausgeschrieben.
Die Deza trat dem internationalen
Standard der Berichterstattung bei,
Armin Müller,
Autor und Textchef
der International Aid Transparency Initiative (IATI). Gemäss ihrem
Rating hat sie sich 2014 stark verbessert, vom 44. auf den 18. Rang
von knapp 70 Ländern und
Organisationen.
In der Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich die Deza
auf 20 Schwerpunktländer und
-regionen. Das ist ein Fortschritt.
Aber nach wie vor verzettelt sich
die Schweizer Hilfe auf zu viele
Länder und Themen. Die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der
Entwicklungshilfe muss deutlich
steigen. Transparenz wird den
Druck aufrechterhalten.
Das grösste Problem der
Schweizer Entwicklungspolitik
kann die Deza jedoch nicht lösen.
Für deren Wirksamkeit in Bezug
auf die armen Länder sind nämlich andere Bereiche wichtiger.
Die Entwicklungshilfe vermag
Schäden nicht zu kompensieren,
die entstehen, wenn Rohstoffhändler den korrupten afrikanischen
Eliten lukrative Deals auf Kosten
der Bürger ermöglichen und diese
dann die Gelder auf Schweizer
Bankkonten bunkern. Ein grobes
Foul leistet sich die Schweiz auch
durch die totale Abschottung
gegenüber Landwirtschaftsprodukten.
Fairness gegenüber den Armen
bemisst sich nicht allein an
Hilfsgeldern.
Ressort — 16