Leseprobe aus: Corinne Maier No Kid Copyright © 2008 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek Vorwort Deutsche, macht es nicht wie eure französischen Nachbarn ! Herzlichen Glückwunsch, meine deutschen Freunde ! Ihr habt nicht viele Kinder : pro Frau durchschnittlich nur 1,4 ! Viel weniger als in Frankreich, wo man sich gern voller Arroganz schmückt, die höchste Geburtenrate in Europa zu haben, dank einer ganz bewusst so ausgerichteten Politik, die dem französischen Steuerzahler sehr (zu) teuer zu stehen kommt – Krippenplätze, Familienbeihilfen, streng verordnete Gehirnwäsche zum Thema : Nichts ist schöner als das Lächeln eines Kindes. Bei euch liegen die Dinge anders. Jegliche Ansätze zur Geburtenförderung waren im westlichen Nachkriegsdeutschland tabu : Sie hätten nur unnötig an finstere Zeiten erinnert, als die Nazis den gebärfreudigsten Frauen das Ehrenkreuz verliehen. Geburtenförderung ist ein typisches Merkmal von Diktaturen. So wie ihr sind deshalb auch die Spanier und Italiener beim Thema Fortpflanzung eher zurückhaltend, denn auch sie können sich noch gut an die Propaganda von einst erinnern. Ist es nicht allgemein eher im Sinne des Staates, eine möglichst kinderreiche Bevölkerung zu haben ? Kinder sind die beste Garantie für die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung (denn sie zwingen uns, immer noch mehr zu konsumieren) und den Fortbestand der nationalen Identität (nichts als die neue Fratze, hinter der sich der Nationalismus von einst verbirgt). 9 Aber leider weht auch in Deutschland allmählich ein anderer Wind. Eure Kanzlerin ist zwar kinderlos – ein in Frankreich völlig unbekannter Begriff –, doch eure Politiker setzen sich zunehmend für Geburtenförderung ein. Wurde bei euch nicht gerade ein bezahltes Elternjahr eingeführt ? Seid ja auf der Hut und denkt an all die Nachteile, die Kinder für uns in Frankreich so mit sich bringen : viel zu kleine und zu wenige Wohnungen ; die Frauen müssen sich mit kümmerlichen Bürojobs abfinden, kommen abends um sechs nach Hause, um dann mit der eigentlichen Arbeit zu beginnen. Viele Familien würden alles dafür geben, sich den Superluxusgegenstand Kind zu leisten. Es herrscht ein derartiger Überschuss an jungen Leuten, dass sie keine Arbeit finden und nirgends für sie Platz ist. Und wozu das alles ? Frankreich ist ein Land, das in den letzten zwanzig Jahren keine neuen Ideen hervorgebracht hat und in dem die Kultur in Agonie liegt : viele Kinder, aber null Innovationen. Ob das also noch stimmt, mit dem « Leben wie Gott in Frankreich » ? Spaß beiseite. Sofern man der World Database of Happiness Glauben schenken darf, gibt es mehr Deutsche als Franzosen, die von sich behaupten, dass sie mit ihrem Leben zufrieden sind. In dieser Kategorie belegt Deutschland weltweit den 19., Frankreich nur den 38. Platz. Da haben wir also den Beweis : Kinder machen nicht glücklich. Deutsche, trotzt dem Babywahn und sprecht mir alle die ketzerische und gewollt individualistische Devise nach : No Kid. Einleitung Wenn ich das gewusst hätte, wären mir Kinder nicht passiert An einem Tag im Dezember bereitete ich mich darauf vor, meinen vierzigsten Geburtstag zu feiern. Ich saß mit einer Freundin im Café, und als mir der Wein die Zunge gelöst hatte, zog ich zerknirscht Bilanz : « Ich hab auf den falschen Dampfer gesetzt, meine Psychoanalyse zehn Jahre zu spät gemacht, bei den Abendgesellschaften, mit all den Leuten, die es zu etwas gebracht haben, langweile ich mich zu Tode, ich selbst hab’s vergeigt, das Schicksal im richtigen Moment beim Schopf zu fassen (ja, inzwischen weiß ich es, es trägt einen Irokesenschnitt . . .), und meine Kinder gehen mir gehörig auf den Senkel . . . » « Aber ich bitte dich », warf meine Freundin ein, « du kannst ja meinetwegen in Frage stellen, was du willst, aber du wirst doch wohl nicht ernsthaft bereuen, dass du Kinder in die Welt gesetzt hast ? » « Doch. Wenn meine Kinder nicht wären, würde ich just in diesem Moment mit dem Geld, das ich mit meinen Büchern verdient habe, um die Welt segeln. Stattdessen bin ich dazu verdonnert, die ganze Zeit zu Hause abzuhängen, zu kochen, morgens um sieben aufzustehen, völlig schwachsinnige Übungen abzufragen und eine Waschmaschine nach der anderen laufen zu lassen. Und das für undankbare Blagen, die sich benehmen, als sei ich ihr Mädchen für alles. Ja, an manchen Tagen bereue ich das alles und gebe das auch offen zu. Damals, als ich Mutter geworden bin, war ich noch 11 jung und verliebt, da haben mir wohl meine Hormone einen üblen Streich gespielt. Wenn ich mich noch einmal entscheiden könnte, also ehrlich, ich bin mir nicht sicher, ob ich das ein zweites Mal mitmachen würde. » Meine Freundin war schockiert. Es gibt nun einmal bestimmte Dinge, die will man aus dem Mund einer gestandenen Mutter nicht hören, weil sie dann wirkt wie ein Monster. Der Standardsatz ist eben : « Ich bin stolz auf meine Kinder, und wenn es in meinem Leben etwas gibt, das ich nicht bereue, so ist es, sie in die Welt gesetzt zu haben. » Der Kinderkult Ein Kind zu haben, ist das Allerschönste auf der Welt, ein Traum, der für jeden Geldbeutel und jeden Bauch in Erfüllung gehen kann. Es ist das sichtbarste Zeichen einer gelungenen Beziehung, der Beweis für die gesellschaftliche Integration der Eltern in eine Welt, in der die größte Angst darin besteht, « ausgeschlossen » zu sein. Das Diktat der Mode schreibt derzeit Kinder vor, wer auch dazugehören will, muss einen Säugling auf der Hüfte tragen oder einen Kinderwagen vor sich herschieben. Schwangere Frauen lassen sich nackt für Zeitschriften ablichten : Die Schwangerschaft hat nicht länger den Blicken der Öffentlichkeit verborgen zu bleiben. Noch nie wurden Mutter- und Elternschaft derart öffentlich zur Schau getragen. Das große Abenteuer des 21. Jahrhunderts lautet selbstverständlich Fortpflanzung. Wie lässt sich das beweisen ? John de Mol, millionenschwerer Erfinder der « Star Academy » im Besonderen und Schöpfer der Reality-Show im Allgemeinen, ist gerade kürzlich auf eine neue Filmidee gekommen : eine Schwangerschaft vom ersten Tag an bis zur Entbindung mitzufilmen. Nichts sollte der Kamera verborgen bleiben, 12 die Übelkeitsanfälle, Ultraschallaufnahmen, Laboruntersuchungen, überzähligen Kilos, Gemütsschwankungen . . . Geballte, schier unerträgliche Spannung. Besser als « Der Bachelor », « Surviver » oder « Germany’s Next Top Model » zusammen. Kurzer Rückblick. Zu Beginn der Menschheit freute sich der Mann über eine reiche Ernte, üppige Brüste, über fette Bisons und eine besonders große Kinderschar. Es galt, die Welt zu bevölkern, zu jagen und sich gegen kriegerische Nachbarn zu behaupten. Daher rührt der religiöse Respekt, den die Fruchtbarkeit einflößt. Doch Kinder zu bekommen, bedeutete auch, sich in sein Schicksal zu ergeben. Später war plötzlich vom Kinderwunsch die Rede : ein neuartiger Gedanke in Europa. Seit es die Pille und den Schwangerschaftsabbruch gibt, wünscht man sich ein Kind. Es ist nicht mehr das Ergebnis eines Geschlechtsaktes, sondern das Produkt eines durch die Wissenschaft kanalisierten Willens. Schluss mit der Unvorhersehbarkeit, es lebe das feste Programm : das erste Kind mit dreißig Jahren, sobald man einen festen Arbeitsplatz hat ; das zweite ungefähr zeitgleich mit dem Hauskauf ; das dritte, um etwas weniger Steuern zu zahlen. Der « Kinderwunsch » verleiht den (zahlreichen) Erwachsenen, die verzweifelt nach einer Perspektive suchen, Flügel. Die Aufgabe der Eltern besteht darin, sich mit Leib und Seele dem Aufblühen dieser kleinen Wunderwesen zu widmen. Als ein absolut vergöttertes Geschöpf stellt das Kind für alle einfältigen oder naiven Zeitgenossen das fehlende Bindeglied zwischen dem Menschlichen und dem Überirdischen dar. Wir haben es hier nicht mit dem Science-Fiction-Erzählzyklus von Clifford D. Simak, Als es noch Menschen gab, zu tun, sondern mit Heute gibt es nur noch Kinder. Auch der Name von Thomas Malthus, der sich bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts für eine Begrenzung der Geburtenrate ausgespro- 13 chen hat, fällt heutzutage so gut wie nie : Die Anhänger der Theorie von Malthus, die einem fast gar nicht mehr über den Weg laufen, gelten als zynische Antipatrioten, gar als gefährliche Anarchisten. Frankreich oder « Geburtenfreudiger geht’s nicht » Frankreich war im Jahre 2006 mit 830 000 Geburten das fruchtbarste 1 europäische Land ; der Rekord wurde in der Presse nicht ohne unterschwelligen Triumph verkündet. Doch warum befassen sich Journalisten überhaupt damit ? Planen etwa auch die Geburtskliniken ihren Börsengang ? Warum gilt der Rekord als ein Sieg ? Vielleicht weil es das Einzige ist, womit sich Frankreich noch schmücken kann ? Wenn Geburten- und Familienförderung derart hochgehalten werden, warum soll dann nicht auch gleich Philippe de Villiers 2 an die Macht ? In Frankreich gilt der Kinderwunsch als « normal ». Das war durchaus nicht immer so. Lange Zeit hatten die Fran- 1 2006 war Frankreich, gemeinsam mit Irland, mit einer Geburtenrate von etwas über zwei Kindern pro Frau fruchtbarstes Land Europas. Die Geburtenrate Belgiens liegt bei 1,6 Kindern pro Frau, während unsere italienischen, deutschen oder spanischen Nachbarn es nicht über 1,4 Kinder pro Frau schaffen. Die osteuropäischen Länder durchleben derzeit eine schwere Krise, was sich auch in einem starken Geburtenrückgang zeigt. In den USA liegen die Geburtenraten mit 2,1 Kindern pro Frau höher als in Europa. Und weshalb ? Offensichtlich legen die Amerikaner mehr « Optimismus » an den Tag als wir, sie sind patriotischer, und ihr religiöser Glaube ist wesentlich stärker ausgeprägt. 2 Der konservative Politiker Philippe de Villiers trat 2007 als Kandidat bei den französischen Präsidentschaftswahlen an. Hauptthemen seiner Kampagne waren der Kampf gegen die Europäische Union und den starken Euro, seine Forderung nach einem Einwanderungsstopp und seine Warnung vor einer möglichen Islamisierung Frankreichs. 14 zosen sogar sehr stark etwas dagegen, sich fortzupflanzen. Seit dem 18. Jahrhundert bis hin in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wehrten sie sich standhaft gegen die Freuden des Elternseins, weshalb die französischen Geburtenraten eher niedrig waren. Und zwar so niedrig, dass es gar Leute gab, die sich um die Zukunft der nationalen Identität (die man damals noch nicht so nannte) große Sorgen machten. Heutzutage hingegen scheint ein eigenartiges Fieber um sich gegriffen zu haben. Jeder spricht von seinem Kinderwunsch, als handele es sich dabei um einen ganz besonders heftigen Drang, der tief aus dem Innersten hervorbricht, unwiderstehlich, fieberhaft, vollkommen unerklärlich, jedoch absolut gerechtfertigt. Zahlreiche Eltern sind fest davon überzeugt, eine Aufgabe von nationalem Interesse zu erfüllen, nahezu ein heiliges Amt, das einen dem Sakralen und Transzendenten ein kleines Stück näher bringt : Das Kind ist zur nächsthöheren Stufe über dem selbstbestimmten Erdendasein geworden. Alle träumen von einem Kind. Schwulenpärchen möchten gerne Kinder adoptieren, und lesbische Frauen möchten ebenfalls eine Frucht des Leibes und der Schreie austragen dürfen, auch wenn derzeit das französische Recht noch nicht so ganz mitspielt. Denn vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet, für den alles « Natürliche » stets Priorität hat, geht man davon aus, dass die « wahre » Abstammung an den Körper gebunden ist. Doch es zeichnet sich bereits ab, dass es schon bald einen geregelten Anspruch auf Kinder geben wird, ebenso wie das einklagbare Recht auf Unterkunft, auf Glück, auf Gesundheit, auf einen schlanken Körper. Dann hätten wir aber bitte schön auch gern ein Recht auf ewige Kindheit, damit wir für immer bei Alice im Wunderland bleiben dürfen. Sollten Sie heiraten, stellen Sie sich schon mal auf die Fragen Ihrer Kollegen und Kolleginnen ein : « Na, schon da- 15 bei ? Habt ihr das Erste schon angesetzt ? » Es soll Frauen geben, die haben sich extra gegen diese dummen Fragen im Büro ein Kind ausgedacht, nur damit man sie in Ruhe lässt, denn Andersdenkende sind eindeutig in der Minderheit. Gerade in Frankreich ist die Mutterschaft in besonderem Maße obligatorisch, da sie von einer sehr guten Familienpolitik (Beihilfen, Krippen- und Kindergartenplätze usw.) begleitet wird. Von den Französinnen, die jetzt in die Wechseljahre kommen, ist nur jede Zehnte kinderlos geblieben ; in Italien und in Spanien sind es 14 Prozent, in Großbritannien 20 Prozent, in Deutschland 30 Prozent (bei Akademikerinnen sogar 45 Prozent). Frankreich gilt zunehmend als ein Land, an dem sich die anderen europäischen Länder ein Beispiel nehmen sollten, und so hat Deutschland gerade einen einjährigen bezahlten Elternurlaub eingeführt. Los, Europäer, ran an die Wiege, wir haben es nur auf einen Kopf abgesehen, und zwar auf den von euren Babys. Obligatorischer Schnullerdienst Das Problem besteht darin, dass in der Geschichte der Unterdrückung der Völker (die oft mit der allgemeinen Geschichte gleichgesetzt wird) Familie und Kind(er) als kategorischer Imperativ gelten und zudem oftmals in einem Atemzug mit der Arbeit genannt werden. Man denke nur an den Ausspruch « Arbeit, Familie, Vaterland » des finsteren Marschalls Pétain. « Ran an die Arbeit und mehret euch, denn so kommt ihr nicht auf dumme Gedanken, und ich sorge derweil für Recht und Ordnung », lautet die ungeschriebene Aufforderung eines jeden Diktators. Dem Staat liegt etwas daran, dass Sie Kinder bekommen : Ist das nicht etwas suspekt ? Sollte man nicht eine solche Pflicht des Bürgers, seinen Beitrag zum Fortbestand der Generationen zu leisten, kritisch hinterfra- 16 gen ? Denn hier handelt es sich doch wohl ganz offenkundig um eine demographische Besessenheit, die darauf abzielt, eine bestimmte Sichtweise der Welt nicht ins Wanken zu bringen. Das abgedroschene Argument « Europa wird immer älter, das Nachwachsen der Generationen ist nicht gesichert » ist im Grunde genommen nicht haltbar. Man müsste nur Einwanderer ins Land lassen, damit einerseits die Arbeitsplätze, die die jungen Inländer nicht haben wollen (Maurer, Kellner, Krankenschwester), trotzdem besetzt würden und andererseits die Renten finanziert werden könnten. Es fehlt nicht an Freiwilligen, man müsste nur die Türen öffnen. Wir verbitten uns die gelehrten Vorträge, die Kinder von heute seien das «Wachstum » von morgen : Welches Wachstum ? Wozu eigentlich ? Ist wirtschaftliches Wachstum allein denn schon ein Ziel, das einer Gesellschaft, die demokratisch sein möchte, würdig ist ? Hat man denn keine anderen Träume, als sich Fernseher, Waschmaschinen und Handys zu kaufen, und zwar nur, um Arbeitsplätze zu schaffen, deren absolute Blödsinnigkeit für niemanden besonders löblich ist – weder für die Leute, die sie anbieten, noch für diejenigen, die sie akzeptieren ? Über die abgedroschenen Vorträge von Wirtschaftswissenschaftlern (oftmals geschwätzige und sehr von sich eingenommene Herren reifen Alters) zu diesem Thema muss ich oftmals schmunzeln. Die Volkswirtschaftslehre, die sich selbst als der Metadiskurs über eine Wirklichkeit ausgibt, die für niemanden richtig fassbar ist, ließ mich stets unbeeindruckt. Da auch ich mich jahrelang eine Wirtschaftswissenschaftlerin geschimpft habe, bin ich zudem mit all den Kniffen und Tricks dieser Nicht-Kunst vertraut. Man kann von Glück reden, dass es auch Nachwuchsverweigerer gibt. Damit meine ich all diejenigen Männer und Frauen, die keine Kinder haben wollen. Sie verhalten sich verständlicherweise sehr diskret. Frauen haben das Recht, 17 den Zeitpunkt des Mutterwerdens hinauszuzögern, aber ganz darauf zu verzichten, kommt nicht in Frage ; den Männern rutscht neuerdings schon mal raus, sie hätten ihr Leben verpasst, wären sie nicht Vater geworden. Die Toleranz in Bezug auf unterschiedliche Formen der privaten Lebensgestaltung nimmt zu, doch wer frei von der Seele weg gesteht, er wolle lieber keine Kinder in die Welt setzen, schafft sich keine Freunde. Wer sich mutig zu seinem Entschluss gegen Kinder bekennt, gilt in seinem Umfeld als Abtrünniger, denn die Familie ist nun einmal ein universaler Wert. Wer in Frankreich « kinderlos » geblieben ist, ist mit einem Makel behaftet ; er wird fortwährend allein nach diesem Kriterium beurteilt. Wer es gewagt hat, sich gegen Kinder zu entscheiden, erregt Mitleid : « Die Ärmste, wahrscheinlich hat sie keine kriegen können », « Nun hat er sich sein ganzes Leben versaut ». Diese « Egoisten », « Unreifen », « Pessimisten », « Labilen » bekommen durch ein ungerechtes, allein die Familien begünstigendes Steuersystem eine erdrückende Steuerlast aufgebürdet und werden an den Rand einer Gesellschaft gedrängt, in der alles auf das dominante Lebensmodell ausgerichtet ist. Wie, da gibt es auch noch Leute, die nach ganz anderen Dingen streben ? Das gibt ihnen doch jeder gerne schriftlich, dass all diese anderen Dinge neben den « Freuden » der Selbstreproduktion, der « Selbsterfüllung », die das Kinderkriegen verheißt, so gut wie nichts wert sind. Doch zumindest im Ausland braut sich eine gesunde Gegenoffensive zusammen. In den USA, in Kanada, Australien und England wurden gegen Mitte der achtziger Jahre « AntiEltern-Verbände » gegründet. Daraus sind regelrechte LobbyGruppen hervorgegangen, die durchgesetzt haben, dass statt des Wortes childless (kinderlos) eher childfree (kinderfrei) verwendet wird. Keine Kinder in die Welt zu setzen, ist eine freie Entscheidung und nicht etwa ein Handicap. Die Vereinsmitglieder leiden keine Not, sondern fühlen sich im Gegenteil 18 ausgesprochen glücklich, danke der Nachfrage. Einige der Verbände besitzen auch den Mut, offen auszusprechen, was viele heimlich denken : Kinder sind eine ganz furchtbare Form von Belästigung. Der Schauspieler Hugh Grant sagt über Kinder ganz offen : « Ich ertrage weder Unordnung noch Hässlichkeit. » Es ist nur schwer vorstellbar, dass Christian Clavier oder Jean Dujardin in Frankreich eine solche Aussage treffen würden . . . In Florida gibt es kinderfreie Zonen, private Wohnsiedlungen, zu denen Personen unter dreizehn Jahren der Zutritt versagt ist, und die Dreißigjährigen vorbehalten sind, die all die Nachteile, die Kinder mit sich bringen, nicht ertragen können. In den USA und inzwischen auch in Schottland werden kinderlose Dörfer für Rentner errichtet : Die Nachfrage ist immens. Das « Konzept » scheint zu gefallen. Bisher ist es jedoch nicht bis nach Frankreich vorgedrungen. Die Väter des Einfalls haben viel zu große Angst, dafür mit einem Steinhagel begrüßt zu werden. Demoralisierung potenzieller Eltern Ich habe mir vorgenommen, mit meinem Büchlein alle potenziellen Eltern, die mit der Frage ringen, ob Kinder in die Welt zu setzen sich überhaupt lohnt, zu demoralisieren (sie also nicht zu entmutigen, sondern von sämtlichen moralischen Zweifeln zu befreien). Denn selbstverständlich dürfen sie ihre Zweifel ja niemandem mitteilen : Es gehört sich nicht, eine solche Frage überhaupt zu stellen, denn Kinder zu bekommen ist gut. Dabei gibt es eine ganze Menge sehr guter Gründe dafür, besser keine Kinder zu bekommen, darunter auch durchaus solche, die sehr viel vernünftiger sind als all die Pro-Kinder-Gründe, die wir für gewöhnlich vorgesetzt bekommen. Mir fallen auf Anhieb mindestens vierzig ein, und ich werde sie nachfolgend aufschreiben. 19
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