Freitag, 17. April 2015 Mit TTIP, dem Transatlantischen Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, soll ein riesiger Wirtschaftsraum mit 800 Millionen Verbrauchern entstehen. Dank TTIP sollen „Handelshemmnisse“ wie Zölle Seite 9 HZ - SERIE (TEIL 2) wegfallen, es sollen Standards beispielsweise bei Autoblinkern geschaffen werden. Das würde deutschen Autobauern bei Exporten in die USA eine Milliarde Euro an Zöllen sparen, der Chemie-Industrie nach Hochrechnun- gen rund 140 Millionen Euro. Außerdem verspricht TTIP, dessen Verhandlungen geheim in Brüssel geführt werden, neue Jobs, mehr Wachstum – und dass Asien die Europäer nicht abhängt. Aber: Verschiedenste Organisa- tionen laufen Sturm gegen die sogenannten „nichttarifären“ Handelshemmnisse. Denn es gilt bei TTIP der Grundsatz der Anpassungen von Standards. Die Kritiker haben Angst, dass zum Beispiel der Verbraucherschutz aufgeweicht wird, Fleisch von genmanipulierten Rindern auf den Tellern landen könnte. Die HZ zeigt in einer Serie, wie sich TTIP auf unser Leben auswirken könnte. Heute: Die heimische Industrie. „TTIP ist eine Chance“ So stehen heimische Unternehmen zum Transatlantischen Freihandelsabkommen Dr. Wolfgang Schütt (Eckart). HERSBRUCK / OFFENHAUSEN / HARTENSTEIN (ap) – Die Standpunkte in Sachen TTIP könnten unterschiedlicher nicht sein: Hoffnung auf Wohlstandsgewinn steht Misstrauen gegenüber. Als die Gewinner, die TTIP unterstützen, gilt die Industrie. Auch die heimische? „Für uns wird TTIP kaum spürbar sein“, sagt Alexander Fackelmann klipp und klar. Als Chef des gleichnamigen Hersbrucker Haushaltswaren- und Badmöbelunternehmens und Diplom-Volkswirt ist er wirtschaftlich sehr interessiert und ein „Fan des freien, aber fairen Handels“, der für ihn eine Wohlstandsmehrung bedeutet. TTIP bewertet Fackelmann wie ein bisschen Salz in der Suppe. „Es ist Chance. Auch für die Hersbrucker Schweiz“, pflichtet Dr. Wolfgang Schütt von Eckart in Hartenstein, dem weltweit führenden Hersteller von Metallic- und Perlglanz-Pigmenten, bei. Fast schon nüchtern wirkt dagegen Dauphin-Geschäftsführer Dr. Jochen Ihring: „Wir gehen hier von geringen Auswirkungen für unser Unternehmen aus.“ Der Bürostuhl-Hersteller aus Offenhausen ist seit 21 Jahren mit eigener Niederlassung und Produktionsstätte in New Jersey vertreten. Denn „der amerikanische Markt ist unabhängig von TTIP der größte Bürostuhlmarkt der Welt und entsprechend attraktiv für unser Unternehmen.“ Exportsteigerung Einig sind sich die Herren bei diesem Thema: TTIP wird sicher kein Hindernis für ein Exportplus sein, denn alle Firmen sind exportorien- tierte Unternehmen. Ihring rechnet aber nicht mit einem zu großen Effekt, da Dauphin ja bereits mit einem Werk in den USA, das nach amerikanischen Standards zertifiziert ist, vor Ort ist. Etwas anders sieht das Schütt, dessen Unternehmen – das zum Konzern Altana gehört – „signifikante Umsätze in der bereits existierenden Freihandelszone NAFTA zwischen Kanada, Mexiko und den USA“ erwirtschaftet. Der Abbau von Zöllen und bürokratischen Hürden sei daher nicht zu unterschätzen. In Zahlen kann er das aber noch nicht fassen. Vor allem aus einem Grund: Haben die Asiaten früher Standards aus dem Westen übernommen, droht diesem nun dieses Schicksal aufgrund der aufkommenden Freihandelszonen Asiens. „TTIP ist eine einmalige Chance, dass Europa und Nordamerika gemeinsame Standards setzen, die nach Asien exportiert werden könnten“, ist Schütt überzeugt. Europa sei heute aufgrund der Kaufkraft zwar ein wichtiger Markt – aber ein kleiner, verglichen mit mehreren Milliarden Menschen Asiens, die immer konsumfreudiger werden: „Wir müssen aufpassen, nicht an den Rand gedrängt zu werden.“ Zölle Generell hält Fackelmann Zölle für „volkswirtschaftlich schädlich“. Dennoch muss er im Falle TTIP eingestehen, dass die angeführte Senkung der Zölle als Argument nicht gezählt werden kann: Sie seien jetzt schon gering und für die Hersbrucker „sehr verträglich“. Hier widerspricht Schütt deutlich: „Auch wenn die Zollsätze niedrig erscheinen, so summieren sich die Zölle der deutschen und amerikanischen chemischen Industrie im Export in die jeweils andere Region auf über eine Milliarde Euro.“ Er hat zudem den bürokratischen Aufwand im Kopf und denkt dabei an die Abschaffung der Grenzkontrollen in den 70ern und 80ern in Europa: Der freie Warenverkehr führte zu einer enormen Sonderkonjunktur – auch in Deutschland. Qualitätsstandards Zugeben muss Fackelmann, dass mit TÜV und Verbraucherschutz die Bestimmungen „deutlich strenger“ sind als in den USA: „Das ist wie bei uns vor zehn Jahren“, erklärt er. Für den Hersbrucker Firmenchef neigt der Schutz hierzulande zur (teils teuren) Übertreibung: „Der Verbraucher ist mündig und kann doch selbst entscheiden“, ob er ein USoder EU-Produkt wähle. Fackelmann weiß, dass aufgrund verschiedener Zulassungsbestimmungen weltweit seine Produkte zehn bis 15 Prozent teurer werden können... – nur für mehr Verbraucherschutz: Alexander Fackelmann. „Nutzt das wirklich?“ Entscheidend für Ihring ist, dass die „Qualitätsstandards mit GS-Zeichen im Vergleich zum amerikanischen Herstellerverband BIFMA heute bereits sehr ähnlich“ sind. Für die EckartWerke jedoch, die Verpackungsteile für die Lebensmittelindustrie liefern, bietet TTIP laut Schütt die Chance, sich aus „dem nationalen, manchmal sogar regionalen Kleinklein“ der Regeln in der Nahrungsmittelindustrie zu befreien und für einheitliche, klare, verbindliche Regeln in der Nahrungsmittelbranche zu sorgen. Wettbewerbsfähigkeit „Wir haben vor den Amerikanern in Sachen Konkurrenz überhaupt keine Angst“, sagt Fackelmann selbstbewusst. Er sieht durch den Abbau tarifärer Handelshemmnisse nur Chancen für das Unternehmen. Auch Ihring macht sich da wenig Sorgen, fasst er doch eher Fernost ins Auge, wo „in der Regel nach amerikanischem Standard zertifiziert wird und es einfacher wird, nach Europa zu exportieren, ohne zusätzliche Zertifizierungen liefern zu müssen“. Blockbildung zu Asien In diesem Bereich sieht Schütt das größte Plus von TTIP, der meint, dass eine Wettbewerbsverbesserung Eckart auch in Asien helfen würde. Interner EU-Handel Ob TTIP positiv für Europa sein kann, weil sich Umwelt-, Sicherheits- und Qualitätszertifizierungen angleichen? „Ja, da stimme ich zu“, sagt Fackelmann ohne Umschweife. Kein Wunder, so kann er davon berichten, dass selbst in den Bundesländern verschieden geprüft wird: Eine Backform muss 220 Grad aushalten – doch wie lange, ist verschieden. „Diese Bürokratie behindert uns in Deutschland wie in der EU“ – und kostet Testreihen, Zeit und Geld. Ähnlich sieht es auch Ihring: „Wenn TTIP zu einer Vereinheitlichung führt, wäre das sicherlich ein Vorteil für uns.“ Dennoch ist ihm bewusst, dass trotz offiziell gleicher Regeln weiterhin landesspezifische Themen relevant bleiben werden. Unter diesen Regulierungen der Bundesländer leidet Eckart besonders im Bereich „Graphische Industrie“. „TTIP könnte in der Tat den Handlungsdruck erhöhen, sich auf gemeinsame Standards zu einigen. Wichtig ist aus meiner Sicht der Fakt, dass Standards der europäischen und amerikanischen Industrie in der Vergangenheit in vielen Ländern Asiens übernommen wurden, was uns deutliche Vorteile im Export brachte.“ Schütt denkt dabei vor allem an Maschinenbau, Elektro- und Automobilindustrie. Geostrategischen Aspekt nicht vergessen Interview mit Prof. Dr. Andreas Falke vom Lehrstuhl für Auslandswissenschaft an der Uni Erlangen HERSBRUCKER SCHWEIZ (ap) – Was TTIP für die heimische Wirtschaft bedeuten kann, weiß Prof. Dr. Andreas Falke (Foto) vom Lehrstuhl für Auslandswissenschaft an der Uni Erlangen-Nürnberg. der Einigung auf zukünftige Standards bei neuen Technologien (Stichwort Nanotechnik) und Verfahren. Das schließt durchaus auch Umwelt- und Verbraucherschutznormen mit ein. In Studien wird von einem Plus von 119 Mio. Euro im Export im Jahr gesprochen: Ist tatsächlich mit mehr Gewinn bzw. Verkaufschancen aufgrund des Abbaus „nicht-tarifärer Handelshemmnisse“ zu rechnen? Oder: kann uns das mit den Standards egal sein, weil viele deutsche Produkte mehr Qualität haben als amerikanische? Dr. Andreas Falke: Die Berechnungen zu den Exportzuwächsen beziehen ich auf einzelne nationale Volkswirtschaften bzw. auf die gesamte EU und lassen sich schwer auf die regionale Ebene herunterbrechen. Die größten Zugewinne sind für Firmen zu erwarten, die unter unterschiedlichen Zertifizierungs-, Test-, und Zulassungsverfahren zu leiden haben, das gilt insbesondere für kleinere und mittelständische Unternehmen, für die eine Verdopplung der Verfahren zu aufwändig ist. Die Öffnung des amerikanischen Beschaffungsmarktes auf Länder- und kommunaler Ebene bietet in der Tat große Marktchancen für europäische Anbieter, weil „Buy-American“-Bestimmungen den Zugang behindern. Die Metropolregion hat eine Exportquote von mehr als 45 Prozent – sie kann also von weiterer Liberalisierung nur profitieren. Der prognostizierte und erhoffte erleichterte Marktzugang führt zu mehr Konkurrenz. Natürlich geht es bei Freihandel immer um die Bestreitbarkeit von Märkten, d.h. auch in Europa wird man in geschützten Bereichen mit neuen Konkurrenten rechnen müssen. Aber das wird die Anbieter effizienter machen und den Verbrauchern neue Produkte zu günstigeren Preisen bieten. Auf absehbare Zeit dürfte übrigens der schwache Euro Anpassungsprozesse erleichtern. Kann TTIP zugleich eine Erleichterung für den Handel in Europa sein, weil sich hier Standards angleichen würden? Das ist eine interessante Frage, die in der Diskussion etwas untergegangen ist. In der Tat könnte TTIP einen Beitrag zur Vertiefung des Binnenmarktes leisten. Das dürfte vor allem im Dienstleistungsbereich der Fall sein. Allerdings kommt es dabei sehr auf die Umsetzung an, wobei die europäische Kommission darauf zu achten hat, dass die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten vertragsgerecht und konsequent erfolgt. Viele haben Angst vor der Reduktion deutscher Standards. Sie sagen dagegen, dass TTIP hohe Standards setzen möchte. TTIP wird bestehende Standards nicht unterminieren. Die Amerikaner werden ihre strengeren Bestimmungen, was nicht-pasteurisierten Käse betrifft, verteidigen wollen. Natürlich wäre es denkbar, dass man sich auf gemeinsame höhere Standards etwa beim Einsatz von Antibiotika in der Masttierhaltung einigt. Das wäre sicherlich ein positives Signal. Das wirkliche Potenzial in der Standardsetzung liegt in Man muss schon zwischen Produktqualität und Produktstandards unterscheiden, obwohl natürlich ein bestimmter Zusammenhang besteht. Die deutschen Hersteller von Getränkeabfüllmaschinen haben unter den sehr strengen Zertifizierungsvorschriften in den USA zu leiden, unabhängig von der Verlässlichkeit ihrer Produkte. In der EU gilt die Maschinenrichtlinie, die dazu dient, den Arbeits- und Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern zu sichern. Derartige Standards dürfen nicht zur Disposition stehen, da europäische Hersteller große Anstrengungen unternommen haben, um den Anforderungen der Richtlinie gerecht zu werden. Also können uns Standards nicht egal sein. Die Automobilbranche würde durch TTIP eine Menge Kosten aufgrund wegfallender Doppelarbeit wg. unterschiedlicher Zulassungsbestimmungen sparen. Gibt es Ähnliches auch in anderen Branchen? Ja, vor allem im Maschinenbau und bei Werkzeugmaschinen, aber besonders auch bei medizinischen Geräten. Wäre das vorstellbar: Eine Verlagerung der Produktion in die Staaten, weil dort billiger produziert werden könnte? Eigentlich soll TTIP ja mehr Arbeitsplätze schaffen… Zum Teil hat es ja diesen Prozess in jüngster Zeit gegeben – und ganz ohne TTIP – durch die Schiefergasrevolution (Fracking) in den USA, die viele energieintensive Industrien wie chemische Industrie zu Investitionen in den USA veranlasst hat. Nicht jede Produktionsverlagerung kostet nur Arbeitsplätze und geht auf Handelsliberalisierung zurück, siehe Energiekosten! Auch die geopolitischen Veränderungen in Europa lassen den gesamten Nordamerikanischen Markt (also unter Einschluss von Kanada und Mexiko) interessanter erscheinen. Mit TTIP soll ein transatlantischer Gegenpol zu Asien geschaffen werden. Deutschland ist in Asien gut aufgestellt, viele Probleme etwa im chinesischen Markt haben wenig mit TTIP zu tun. Probleme könnten durch den Abschluss der Transpacific Partnership Abkommen der USA mit asiatisch-pazifischen Nationen (darunter Vietnam, Malaysia, Japan) entstehen. Denn dann werden asiatische Produzenten besseren Zugang zum amerikanischen Markt haben und amerikanische zu den asiatischpazifischen Märkten. Kritisiert wird, dass die Verhandlungen über TTIP im Geheimen ablaufen. Die Geheimhaltung war nur am Anfang bei der Mandatserteilung durch die Mitgliedsstaaten festzustellen. Hier hat der Ministerrat eine wichtige Kehrtwende vollzogen. Mittlerweile sind die Verhandlungen die transparentesten, die es bisher gab. Die meisten Dokumente und Vorlagen der Kommission sind im Internet einsehbar. Dr. Jochen Ihring (Dauphin). Produktionsverlagerung Auch wenn Nordamerika in Sachen Personal- und Energiekosten Vorteile durch niedrige Löhne hat, Gedanken an eine Verlagerung in die Staaten verschwendet Schütt keine: „Eckart hat bereits drei Produktionsstandorte in den USA.“ Außerdem will das Unternehmen nahe am Kunden sein, um die Bedürfnisse besser zu verstehen und schnell umzusetzen. Dennoch verhehlt er nicht, dass die Personal- und Energiekosten bei Eckart entscheidende Positionen sind und bei Neuinvestitionen eine wichtige Rolle spielen, zumal der energieintensiven Firma in den letzten Jahren schrittweise die Befreiung von der EEG-Umlage entzogen wurde – „ein Kostennachteil, der unsere Profitabilität und damit Wirtschaftskraft massiv schwächt“. Chance oder Risiko? „Selbstverständlich sollte man immer Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen“, äußert sich Schütt diplomatisch. Er findet aber, dass die Deutschen oftmals zu sehr Bedenkenträger sind und das Glas halbleer und nicht halbvoll sehen – zwischen den Zeilen heißt das: pro TTIP. „Grundsätzlich ist der Abbau von Handelshemmnissen positiv zu werten, da wir, wie viele andere deutsche Unternehmen auch, stark im Export engagiert sind“, fasst Ihring zusammen. Auch für Fackelmann ist TTIP in erster Linie eine Chance, denn es gibt andere Szenarien, die ihm mehr Albträume bereiten: UkraineKrieg, Finanzcrash, Weltwirtschaftskrise. Wo genau? Unter http:// trade.ec.europa.eu. Vertrauensschutz, was die Strategie betrifft, muss jedoch bestehen bleiben. Natürlich darf der Verhandlungspartner nicht genau wissen, wo die Schmerzgrenze der anderen Seite liegt. Auch dürfen Klientele, die vielleicht mit geringen Einbußen zu rechnen haben, nicht Gelegenheit geboten werden, ein insgesamt vorteilhaftes Abkommen zu torpedieren. TTIP – Chance oder Risiko? Die Metropolregion ist ein äußerst exportorientierter Wirtschaftsraum, sie kann nur profitieren, wenn auch der Wettbewerb in einigen Bereichen intensiver werden wird. Ein richtig verhandeltes Abkommen, das offensive europäische Interessen vertritt und berechtigte europäische Standards verteidigt, ist zu begrüßen. Ein Scheitern würde die EU im Welthandelssystem diskreditieren. Auch darf man die geostrategische Dimension nicht übersehen. Angesichts der Herausforderungen Russlands stärkt das Abkommen die transatlantische Solidarität. Handelspolitisch wäre TTIP auch gegenüber China ein richtiger Akzent. Wie so häufig in Deutschland sieht man die angstbesetzten Risiken, nicht die Chancen. Und leider muss man sagen, hinter dem Widerstand steht eine gehörige Portion Antiamerikanismus, die sich aus anderen Quellen speist, aber wenig mit Handelsliberalisierung zu tun hat. Als Nächstes: Gentechnik & Klontiere
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