Peter Planyavsky 43. Sarganser Predigt 3. Mai 2015 Liebe Gemeinde!

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Peter Planyavsky
43. Sarganser Predigt 3. Mai 2015
Liebe Gemeinde!
Da haben wir gerade eine von den biblischen Geschichten gehört, die uns schon lange
sehr vertraut sind! Wir finden es gar nicht mehr ungewöhnlich, was da passiert. Schauen
wir einmal genauer hin: es beginnt mit einem
Alabastergefäss;
da drin ist echtes,
kostbares
Nardenöl ...
viermal wird hier gleich einmal signalisiert: hier wird nicht gespart.
Und dann wird dieses Alabastergefäß auch noch zerbrochen - vielleicht geht das
technisch nicht anders, vielleicht muß man sich das wie eine Phiole vorstellen . . . aber die
Hauptfrage ist ja doch zunächst: wieviel Öl ist das, wie groß ist der Luxus denn wirklich,
der hier getrieben wird?
„Die anderen gaben genau acht,“ heißt es in einem anderen Gleichnis im Neuen
Testament. Diese Anderen sind auch diesmal zugegen. Und sie haben das bereits
ausgerechnet: Dreihundert Denare ist das wert, was hier mit großer Geste ausgeschenkt
und verschenkt worden ist.
Was soll man sich unter so einem Denar vorstellen? Die Kantonalbank wird uns keinen
Wechselkurs Denar-Franken angeben können. Aber aus einer anderen biblischen Szene
wissen wir, daß 1 Denar der Tageslohn für einen Arbeiter im Weinberg war.
Die Lösung ist einfach und geradezu unglaublich: damals mußte man 10 Monate
Feldarbeit machen, um sich so eine Menge Öl leisten zu können.
Und dann habe ich noch „Nardenöl“ gegoogelt. Die Narde wächst nur oberhalb von 3000
m Seehöhe, und sie nur rund um den Himalaya. Kein Wunder, daß das ein bißchen
kostspielig ist! – 1 Milliliter Nardenöl wird heute für 3 Euro 90 angeboten. Einen Liter
bekommt man also für rund 4000 Franken.
Ein bißchen verstehen wir diese Anderen ja jetzt, wenn sie sagen: damit hätte man doch
etwas Vernünftiges machen können - oder nicht?
Da sind wir unversehens auf eine ganz grundsätzliche Polarität gestossen - auf der eine
Seite das Unverzichtbare, auf der anderen Seite das, was man sich leistet. Das was sein
muß, und das, was sein kann.
Jetzt nehme ich Sie in einem gewagten Sprung mit in den Bereich von Liturgie und
Kirchenmusik, wo man auch immer wieder auf diese unscharfe Grenze stößt. Über diese
Grenze zwischen dem Eigentlichen im Gottesdienst und der Verzierung wird vor allem im
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katholischen Bereich sehr viel diskutiert, und zwar seit über 1000 Jahren. Bei Ihnen in den
reformierten Kirchen ist das etwas einfacher; Ihre Liturgie ist flexibel und nicht so präzise
festgelegt und kodifiziert, und deshalb tut man sich auch mit der Koexistenz von Liturgie
und Musik leichter. Aber immerhin hat es ja einmal das Orgelverbot in der reformierten
Kirche gegeben, und es ist zumindest im Kanton Zürich bis heute nicht offiziell
aufgehoben worden. Auch hinter diesem Verbot steckte dieses Hin und Her zwischen dem
Unverzichtbaren und der Verzierung, die vom Wesentlichen ablenken könnte.
Das Verhältnis von Musik und Religion ist deswegen so kompliziert,
weil die beiden ständig zusammenstecken - wie bei zwei Menschen, die auf engem Raum
dasselbe wollen, aber auf verschiedene Weise.
Und weil sie fast gleich alt sind. . .
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Über den Beginn aller Musik habe ich einen Satz gefunden, der bei aller Kürze gleich eine
ganze Menge sagt über diese Beziehungsgeschichte „Lange bevor ein Mensch imstande
ist, sich der Sprache zu bedienen, besitzt er eine angeborene‚ vitale Vokalkapazität‘.“
Das klingt ein bißchen technisch und abstrakt; gemeint ist aber etwas ganz
einfaches, nämlich (so geht das Zitat weiter) : „Der Mensch drückt spontan sein
Wohlbefinden oder Unbehagen aus, und diese Laute werden vom Hörer ebenso spontan
erfaßt und gedeutet.“1 Geschrieben hat das Philipp Harnoncourt, der Bruder des
bekannten Dirigenten, und er gilt als einer der wesentlichen Liturgie-wissenschaftler
Europas gerade im Bezug auf die Schnittstelle mit der Musik.
Aber vielleicht muß man gar nicht so einen Guru bemühen, um draufzukommen, daß hier
von elementaren Äußerungen des Menschen die Rede ist. Und wenn einmal die ersten
Rufe nach dem Nachbarn zu Terzen geworden sind, und wenn sich die ersten Seufzer zu
fallenden Halbtönen entwickelt haben und die ersten Anfeuerungsschreie zu punktierten
Noten, dann haben wir es mit Urformen des Singens zu tun.
Elementar - so etwas wie Wasser, Erde, Luft und Feuer. Aber elementar ist auch
das andere. Sobald einmal der erste dagesessen ist und ein erstes Mal in den
Sternenhimmel geschaut hat, und sobald sich da zum ersten Mal irgendetwas in diesem
Gehirn bewegt hat, das viele Generationen später zum ersten Mal zu der Frage führt: wo
komme ich her ? wo gehe ich hin ? - in diesem Moment haben wir es mit einer Urform der
Religion zu tun. Das ist ebenfalls elementar; es ist da und braucht nicht erzeugt werden.
Auch wenn das hier natürlich kein Wettkampf werden soll - aber die erste Runde
Religion gegen Musik geht untentschieden aus. Sie sind praktisch gleich alt und gleich
verwachsen mit dem Menschsein an sich.
Versuchen wir es von einer anderen Seite. Der evangelische Theologe Michael Heymel
schreibt in seinem Buch Wie man mit Musik für die Seele sorgt : „Singen ist wirklich ein
Akt der Intimität; nirgendwo enthüllt sich ein Mensch so sehr wie dann, wenn er singt. Er
1
Philip Harnoncourt in GdK, S. 134
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gibt sein Innerstes, Geheimstes preis, er enthüllt sich als Person.“2 In diesem einen Fall
von Musikproduktion ist der Mensch selbst das Instrument. Es ist nichts dazwischen, keine
schwingende Saite, kein Hebel, keine Taste - die Distanz zwischen Erschaffen und
Hervorbringen tendiert gegen Null.
Was für ein entlarvendes Wort übrigens : Hervor-Bringen ! Zuerst muß also etwas
dahinter sein, sonst kann nichts hervor gebracht werden. Und bringen muß man es halt ...
so ist das mit der Musik. Nicht nur mit der Musik natürlich; auch beim Sprechen ist das so.
Beim Singen ist diese Unmittelbarkeit eben am deutlichsten zu spüren.
Schön sind solche Widersprüche! Das regt zum Nachdenken an: Musikmachen ist
etwas ganz und gar persönliches, und meistens hört jemand zu.
Es sieht seit ein paar Minuten nicht so aus, als wären wir noch beim Thema. Aber
Harnoncourts nächster Satz ist dann sehr beunruhigend und führt uns geradewegs ins
Zentrum unseres Themas zurück. „Die Musik gehört nicht zu den zweckhaft-nützlichen
Beschäftigungen.“ Nicht zweckhaft-nützlich? Unnütz, so wie 1 Liter Wellness-Öl für 4000
Franken?
Ja genau, Musik ist einfach nicht notwendig. Eine Not wenden oder ab-wenden kann man
mit Musik nicht, ganz allgemein nicht mit Kunst. Keines dieser vielen Extras ist not-wendig.
Zur Frage, wie wichtig das Unwichtige sein kann, habe ich eine extreme Äußerung
gefunden, bei der man fast die Gänsehaut bekommt, wenn man sich die Umstände
vorstellt.
13. Februar 1919. Österreich-Ungarn hat den Krieg verloren.
Unten den Reparationen, die Italien fordert, sind auch bedeutende Kunstwerke aus den
nationalen Museen in Wien. Schon fahren die Lastautos vor, da wird in aller Eile eine
Versammlung von Künstlern und Intellektuellen zusammengetrommelt. Der Name des
Redners ist nicht erhalten, aber in einer Mitschrift ist überliefert, was er dort gesagt hat, –
in jenem Februar, wo die Menschen Holz im Wald gesammelt haben, wo manche nur
mehr Kleider aus Papier gehabt haben, wo die meisten Menschen hungern und viele
krank sind. In diesem Februar ruft der Redner: Ich sage allen, die mich hören wollen: eine
Stadt, die hungert, ist bedauernswert; eine Stadt, in der die Grippe Tausende hinwegrafft,
ist ein Jammer. Doch ein Volk ohne Kunst ist eine Vieherde, und sein Leben und Sterben
gleichgültig.
Da wäre eine Menge Not gewesen, die gewendet werden hätte müssen - und doch hat
einer gesagt: das andere muß sein, gerade jetzt muß es sein.
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Aber immer wieder gibt es einige, die überzeugt sind, daß gerade dieses Bündel Franken
nicht auf diesem Orgelkonto landen soll, sondern dem HEKS überwiesen werden muß. Es
geht doch beim Christentum um die Nächstenliebe und nicht um Choralvorspiele! Wenn
2
Michael Heymel, Wie man mit Musik für die Seele sorgt. Ostfildern 2006., S. 111.
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jetzt hier die neue Orgel nicht so groß wird, dann wird irgendwo anders die Not kleiner.
Man hätte das Geld den Armen geben können, was soll doch diese Vergeudung des
Salböls?! Ja, das ist eine alte Geschichte; wir haben sie heute bereits gehört. Damals war
es nicht eine unnötige Orgel, sondern köstliches unnötiges Nardenöl. Kaum wittert man
bei jemand anderem ein wenig Luxus, denkt man selber schon an die Armen.
Vor fast 30 Jahren bin ich schon ein paar Mal an der Stelle gestanden, von wo aus
gepredigt wird - es war im Wiener Stephansdom. Es ist damals um den ersten
Spendenaufruf für die neue Orgel gegangen, und ich wollte das beim ersten Mal lieber
selber erklären. Ich war ehrlich und habe folgendes gesagt „Sie werden sich fragen : ist
das wirklich nötig ? Brauchen wir diese teure Orgel? Ich sage Ihnen ganz offen : Sie ist
nicht notwendig. Aber wir brauchen sie. Notwendig ist sie nicht - übrigens auch nicht die
Blumen hier, auch nicht der goldene Meßkelch, auch nicht die kunstvollen Gewänder, und
natürlich auch nicht die Denkmalpflege für diese Kirche. Und auch mein Job hier und was
ich tue, ist nicht wirklich notwendig. Aber wir brauchen das alles. Kultur - könnte man
sagen - ist ja gerade die Summe all des Unnötigen, über dessen Unverzichtbarkeit man
sich in einem Gemeinwesen geeinigt hat.“
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Ist die Musik nun unwichtig oder wichtig für die Religion ? Und wer wird das entscheiden
dürfen - ein Theologe oder ein Musiker ?
Vielleicht fragen wir einmal noch den Musik-Theologen Philip Harnoncourt; und der sagt :
„Allen verschiedenen Arten von kultischem Musizieren ist die Tendenz gemeinsam, die
Kultteilnehmer mit Hilfe von Musik in möglichst vollständige emotionale Übereinstimmung
zu bringen und ihnen dieselben Impulse zu geben.“ In emotionale Übereinstimmung
bringen - das möchte der Vorsteher eines Gottesdienstes natürlich schon ganz gerne.
Denn was kommt denn da auf ihn zu, wenn er die Kirchentüre aufgemacht hat ? Da
kommen 25 oder 125 Leute, und sie bringen unterschiedliche Erwartungen an den
Gottesdienst mit, und ihre verschiedenen Erlebnissen und Sorgen aus der letzten Woche,
und sie bringen 25 oder 125 verschiedene Gottesbilder mit, – und all das soll jetzt eine
doch irgendwie gleich gestimmte Gemeinde werden - und zwar möglichst sofort.... Ja, da
ist es schon gut, daß man die Musik hat. Zuerst das Orgelspiel, das beruhigt, alle setzen
sich und können eigentlich nicht mehr miteinander reden, das ist ganz praktisch. Und
dann das erste Lied – man kann sich äußern, man kann Dampf ablassen, und das Singen
baut auch gleich die ersten Fäden einer Gemeinsamkeit auf. Dieses erste Lied ist natürlich
nicht irgendein froher Gesang, sondern es ist mit Bedacht ausgewählt, es weist schon ein
wenig in eine gewisse Richtung, es enthält vielleicht schon einen Gedanken, der später
noch einmal kommt und womöglich das Motto des Gottesdienstes sein könnte.
Und das soll alles nur mit Musik möglich sein ? Der Pfarrer könnte doch einfach freundlich
um Ruhe und Einstimmung ersuchen, und dieses Motto - warum kann er es nicht einfach
an-sagen ?
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Das kann er schon - aber erinnern wir uns doch an das Wort elementar. Musik kommt aus
dem unkontrollierbaren Kern heraus, und dort hinein trifft sie auch wieder. Mit Musik
kommen Elemente des Emotionellen dazu. Es gibt Stücke, da wird dir kalt oder heiß, auch
wenn du gar nicht absichtlich zugehört hast. – Ein einziges Beispiel : Johann Sebastian
Bach, Kantate Nun komm der Heiden Heiland. Adventstimmung, Adventtexte. Vorletzter
Satz : eine Sopran-Arie. Sie schließt mit den Worten Jesus kömmt und ziehet ein. Und
plötzlich setzt ohne Vorwarnung der Chor ein mit dem Text : Amen, amen, komm, du
schöne Freudenkrone – und zwar mit einem Melodieabschnitt aus dem Lied Wie schön
leuchtet der Morgenstern. Es ist der Teil nach dem Wiederholungszeichen, die beiden
Terzen, jeder weiß sofort, welches Lied da gemeint ist, gerade haben wir es vorhin
gesungen. Und das ist ein Lied für Epiphanie. Den Gedankengang könnte man natürlich
auch in der Predigt zum besten geben, daß Christus nicht nur ein herziges Baby in der
Krippe ist, sondern schon kurze Zeit später von ein paar Prominenten besucht wird. Aber
bei Bach geht das viel unmittelbarer – er verwendet die Melodie als Signal - und schwupp,
hat er uns über die ganze Advent- und die Weihnachtszeit mitgenommen bis zum 6.
Jänner!
Musik transportiert unter Umständen mehr, als ein Textdichter jemals aufladen kann.
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Die Christen wissen das schon seit ihrer Gründungszeit, denn sie haben ein
umfangreiches Liederbuch von den Juden übernommen : die Psalmen. Dieser Teil der
heiligen Schrift ist von vorneherein zum Singen gedacht. Das sind ja nicht einfach
gesungene Gebete. Da spricht der Psalmist zu Gott, und manchmal umgekehrt, da
kommen sogar die Ungläubigen zu Wort, und die Feinde, da gibt es Wehgeschrei und
Freudenjubel. Weitere Mitwirkende : der Wildesel, der Klippdachs, und der Storch, und die
jungen Raben, Schlangen, Nattern und sonstige Würmer, und das Ganze findet statt bei
Schnee, Hagel, Sturmwind und Feuer. Und das alles sollen wir vielleicht feierlich aufsagen
? Ja, das wäre die Konsequenz, wenn es nicht die ewige Beziehung Musik und Religion
gäbe. Der holländische Theologe und Liedermacher Bernard Hujibers hat das einmal sehr
hübsch gesagt : „Ein vorgelesener Psalm hat immer etwas von einer gesprochenen
Nationalhymne.“
Man sieht in diesem Zusammenhang: Manchmal ist es geradezu notwendig, diesen
unnötigen Aufwand mit der Musik zu treiben. Das, was wir im Gottesdienst wollen, ist, daß
es mehr wird - und das ist keineswegs quantitativ gemeint.
Es ist übrigens bemerkenswert, daß es diese Polarität zwischen dem Unverzichtbaren und
dem Drüber-Hinaus auch im Kern des christlichen Kultes gibt. Die beiden Komponenten
des Abendmahles sind nicht etwa Brot und Wasser, sondern Brot und Wein. Brot - das
steht für das Grundnahrungsmittel, für das Unverzichtbare an Ernährung. Zum Brot dazu
haben wir ein Getränk, das mehr kann als den Durst löschen. Es müßte nicht Wein sein,
wenn es um Flüssigkeitsaufnahme geht. Aber wir haben diese Paarung - das, was sein
muß, und dazu noch das, was sein kann. Wir haben das Notwendige und das Mögliche,
die Pflicht und die Kür, den Cantus firmus und die Verzierung - die liturgische Ordnung
und die Gestaltung. In der Kirchenmusik und in der sakralen Kunst ingesamt gibt es immer
beides, auch wenn über diese Balance seit einem Jahrtausend diskutiert wird.
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Wein, Wasser, Brot ... das ist genau der passende Moment, wo ich uns zu guter Letzt
zum Ausgangspunkt zurückführen kann. Es gibt Kern-Komponenten, Kern-Materialien in
der christlichen Liturgie und auch in ihrer Bildersprache, und da gehört auch das Öl dazu.
Zum Unterschied von den übrigen Sachen, die ich aufgezählt habe, ist das Öl in dieser
wichtigen Rolle nicht von Anfang an in Mitteleuropa zuhause gewesen, sondern es kommt
aus dem Orient. Das muß man eigentlich mitbedenken, sonst versteht man die Geschichte
mit dem kostbaren Nardenöl nicht. Ganz ehrlich - was würden wir sagen, wenn uns
jemand Öl im Wert von 10 Monatsverdiensten übers Haupt giessen würde, und sei es
auch noch so wohlriechend und kostbar?
Nein, das wollen wir eigentlich lieber nicht. Aber wenn wir in einem trockenen Land
wohnen, wenn es schon 2 Monate nicht geregnet hat, wenn wir einen Tag durch die
Wüste gegangen sind oder auch nur durch die Stadt, wenn unsere Haut schon fast knittert
vor Trockenheit - dann ist das mit dem Öl ein wenig anders. Der Mensch des mittleren
Ostens, der etwas auf sich hält, hat zwei Dinge: er hat Wasser - und er hat Öl. So haben
wir es ja auch im Lied gesungen: Mein Haupt salbst du mit deinem Öl; mein Kelch fließt
über gar. Jemanden salben, das heißt dort: Du bist mein Gast, du bist mir etwas wert, ich
anerkenne deine Person und deine Bedürfnisse, es soll dir gut gehen. Dieser
Symbolgehalt ist nach Europa transportiert worden, und so sind jahrhundertelang die
Herrscher gesalbt worden, wenn sie ihr Amt angetreten haben, und bis heute werden bei
den Katholiken die Babys bei der Taufe gesalbt, und die Konfirmanden, und alle
kirchlichen Amtsträger; sogar ein Kirchenbau wird gesalbt. Die greise Königin Elisabeth in
England ist bislang die letzte in Europa, der bei ihrer Krönung gesalbt wurde.
Uns könnte das für einen Moment aufmerksam machen auf etwas, das mit dem
Predigttext gar nichts zu tun hat. Überlegen wir doch immer genau, was da aus dem Osten
kommt. Schauen wir doch, ob manches, das uns sehr fremd vorkommt, plötzlich besser
verständlich wird, wenn man den ursprünglichen Zusammenhang mitbedenkt. Nehmen wir
uns doch immer diese Zeit und machen wir uns doch diese Mühe. Es wird dadurch nicht
alles besser werden - aber vielleicht ein ganz ganz kleines Stück.
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Zurück zu der Geschichte vom Nötigen und dem Luxus, zurück zu dieser unvernünftigen
Frau mit dem unvernünftig vergeudeten teuren Öl. Christus dürfte das sehr beeindruckt
haben, und diese liebevolle Unvernunft scheint ihm wichtig zu sein. Er sagt: Wo immer in
der ganzen Welt das Evangelium verkündigt wird, da wird auch erzählt werden, was sie
getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“
Was somit hier und heute wieder einmal geschehen ist!