Presseinformation Mai 2015 - Österreichisches Filmmuseum

Presseinformation
Mai 2015
On Dangerous Ground
Joseph Losey │ Nicholas Ray │ Orson Welles
Drei wahre Giganten des Kinos stehen im Mai-Juni-Programm des Filmmuseums im Mittelpunkt.
Mit ihrem Kampf um künstlerische Autonomie haben sie die Möglichkeiten filmischen
Erzählens neu ausgelotet: Joseph Losey, Nicholas Ray und Orson Welles, der vor hundert
Jahren, am 6. Mai 1915 auf die Welt gekommen ist.
Der Umstand, dass diese Nonkonformisten alle drei „Sconies“ (sprich: in Wisconsin geboren) sind, ist
nur die erste Gemeinsamkeit in ihrem Werdegang. Sie sind tief in der Roosevelt-Ära, deren
fortschrittlich liberaler Politik verwurzelt, die in ihrer Arbeit zunächst auf der Bühne und im Rundfunk
künstlerischen Ausdruck findet. In Hollywood landen alle drei mit ihrem Spielfilmdebüt bei RKO:
Welles kurz vor, Ray und Losey kurz nach dem Krieg, als eine neue Generation von Regisseuren
rekrutiert wird und Howard Hughes das Studio übernimmt. Die Cold-War-Paranoia mit ihren
Hexenjagden und dem Komitee zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe (HUAC) des Senators
Joseph McCarthy aus Wisconsin hat zum Teil dramatische Folgen für ihr Leben. So werden Losey,
Welles und Ray jahrelang vom FBI observiert, und alle drei beenden ihre Karriere als Filmemacher in
Europa.
Orson Welles (1915–1985) schafft gleich mit seinem Entree in Hollywood ein Werk für die
Ewigkeit: Citizen Kane, die Geschichte eines legendären Lebens, das zur leblosen Legende wird.
Für den Dreh nimmt Welles das halbe Ensemble des gemeinsam mit John Houseman geleiteten
Mercury Theater aus New York zu RKO mit. Die komplexe Tiefenstruktur in Bild wie Ton setzt neue
Maßstäbe, die radikale Modernität dieses Films bleibt über Jahrzehnte gültig – bis herauf zu JeanLuc Godard, der über Welles sagt: „Alle werden ihm immer alles schulden.“
Seinerzeit allerdings überschattet das magere Einspielergebnis den künstlerischen Triumph, und mit
The Magnificent Ambersons nimmt Welles' erratische und holprige Beziehung zur
Filmindustrie ihren Lauf. Der Film wird umgeschnitten, doch selbst als Torso bezeugt er das Genie
seines Regisseurs. Gleiches gilt für The Lady from Shanghai, einen böse funkelnden Noir mit
Welles und seiner damaligen Ehefrau Rita Hayworth; noch bevor dieser 1948 in die Kinos kommt,
setzt der Filmemacher sich ins Exil nach Europa ab. Insgesamt hat Orson Welles lediglich 13
Kinofilme vollendet, darunter Othello, Touch of Evil, The Trial, Chimes at Midnight, F for Fake –
jeder ein Meisterwerk auf seine Weise.
Nicholas Ray (1911–1979) zählt Welles zu „den größten Regisseuren in der Geschichte des Kinos“.
Er selbst ist baumlang und gutaussehend wie ein Westernheld, besucht Frank Lloyd Wrights
Künstlervereinigung Taliesin, schließt sich dem avantgardistischen Worker's Lab an und studiert die
amerikanische Folk Music. 1947 verhilft John Houseman, sein Mentor bei CBS, ihm zu seinem
mitreißenden Regiedebüt: Mit They Live by Night, der halb Film noir, halb Juvenile-DelinquentsRomanze ist, empfiehlt Ray sich auf Anhieb als „Poet der Dämmerung“ (François Truffaut).
Ray ist der wichtigste Regisseur der RKO unter dem Regime von Howard Hughes; er dreht das
Hollywooddrama In a Lonely Place und den modernen Western The Lusty Men und macht sich als
Retter aussichtslos verfahrener Produktionen unentbehrlich, sodass er weder öffentlich vor dem
Senatskomitee aussagen muss, noch auf die Schwarze Liste gesetzt wird. Rays überragende Werke
indes entstehen auf der Wanderschaft: Johnny Guitar bei Republic, Rebel Without a Cause bei
Warner, Bigger Than Life bei 20th Century Fox, Party Girl bei MGM usw. Die dynamische Mise en
scène dieser expressiven Farbfilme lässt die meist von Hass (Mercedes McCambridge als Rancherin
Emma) und Verzweiflung (James Dean als Rebell Jim Stark) getriebenen Charaktere nur umso
wütender gegen sich selbst oder andere erscheinen.
Niemand habe je bei Ray eine schlechte Vorstellung geliefert, so der Kritiker Robin Wood, „nicht
einmal Anthony Quinn“. Dasselbe kann man Nicholas Ray selbst attestieren. Mit der von ihm
verkörperten Figur des Nick in Lightning Over Water (1980, Co-Regie: Wim Wenders) setzt sich der
unheilbar an Krebs erkrankte Held einer ganzen Generation junger Filmemacher rückhaltlos mit dem
eigenen Sterben auseinander.
Joseph Losey (1909–1984), der nach Studienreisen durch Europa und die Sowjetunion als
Regisseur beim Theaterprojekt The Living Newspaper in New York aktuelle Ereignisse auf die Bühne
bringt, besetzt Nicholas Ray 1936 in der Rolle eines Arbeiterführers. „Später bei RKO“, erinnert sich
Losey, „streiften Nick und ich zu Fuß durch leerstehende Ateliers, um nicht im Büro zusammen
gesehen zu werden und uns in der damaligen politischen Situation keinen Schaden zuzufügen“.
Kunst ist für den Brechtianer Losey vor allem Mittel zur Sozialkritik. Hollywood, wo er in vier
Jahren fünf außergewöhnliche Filme über Außenseiter der Gesellschaft dreht (u.a. The Lawless, eine
Polemik gegen Lynchjustiz, mit Laiendarstellern aus Mexiko besetzt), erweist sich bloß als
Zwischenstation. 1951 weigert Losey sich einer Vorladung des HUAC zu folgen und wird mit
Arbeitsverbot belegt. Er weicht nach London aus, schart andere Opfer der Blacklist um sich und
kann seine Karriere – anfangs freilich nur unter Pseudonym – fortsetzen.
Etliche von Loseys englischen Arbeiten dieser Zeit bleiben immer noch und immer wieder neu zu
entdecken, so etwa Time Without Pity, Blind Date oder The Criminal. Von Film zu Film wird die
Vision des Regisseurs düsterer, die Kamera unruhiger, die Szenengestaltung, von Jazz-Scores
vorangetrieben, durch Spiegel und Spiegelbilder zunehmend komplexer. Den internationalen
Durchbruch bringt The Servant (1963). Losey und Drehbuchautor Harold Pinter obduzieren darin –
wie auch in ihren späteren Kollaborationen Accident und The Go-Between – die britische
Klassengesellschaft: Die Tragödie dreier Personen, die realistisch, mit Anklängen an die ProfumoAffäre beginnt, wächst sich zum delirierenden Nachtmahr aus und trägt dem Regisseur endgültig den
Ruf eines Modernisten und Stilisten allerersten Ranges ein.
Der monumentale Verlierer, der romantische Outsider mit selbstzerstörerischer Neigung, der
ewige Exilant: Bei aller Bewunderung für Orson Welles, Nicholas Ray und Joseph Losey ist es
inzwischen üblich, von ihrem Scheitern in Hollywood zu sprechen. In Wahrheit verhält es sich
umgekehrt: Hollywood, das Studiosystem, hat an Welles, Ray und Losey versagt – drei
Filmemacher aus dem Mittelwesten, die mit ihrem Œuvre das industriell hergestellte Kino
transzendiert und schließlich ganz hinter sich gelassen haben.
Die Retrospektive umfasst 44 Werke – eine Auswahl mit dem Ziel, das Schaffen und die
biografischen Wege der drei Regisseure repräsentativ abzubilden. Michael Omasta, CoKurator der Schau, wird drei längere Einführungen über Losey, Ray und Welles halten.
8. Mai bis 21. Juni 2015
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In person
Don Hertzfeldt
„Ein Animationsfilm ist nicht einfach nur eine Folge hirnloser, brutaler Comics-Bilder für kleine Kinder
und Geistesgestörte, sondern eine ernsthafte und völlig eigenständige Kunstform, die es dem
Künstler erlaubt, zu großer Reinheit vorzudringen.“ – So naseweis spricht ein Wolkenwesen, kurz
darauf greifen Roboter an: eine blutige Science-Fiction-Szenerie, gestaltet in den für Don
Hertzfeldt typischen Arrangements aus krakeligen Linien, minimalistisch gesetzten
Farbfeldern und einem im Kontrast dazu bombastisch anmutenden Soundtrack.
Konzentriert und ausschweifend, detailverliebt und ins Epische driftend, kindlich absurd und
existenzielle Tiefen auslotend: Seit 1995 gestaltet der Kalifornier Hertzfeldt (*1976) Filme, die es
davor so nie gegeben hat. In der bestechenden Klarheit einfacher Striche auf weißem Papier
eröffnen die frühen Filme einen Animationsfilmkosmos, der mit scharfer Klinge die
kommerzielle Bewegtbildkultur kondensiert, satirisch übersteigert und bloßstellt – den
Zettelkasten der Genrestandards, die Muster des Dating-Fernsehens und das Grauen infantiler
Kindersendungen. Ihren ersten Höhepunkt finden sie in Rejected (2000), einer teuflischen, für den
Oscar nominierten Ansammlung der (Sabotage-)Versuche des Künstlers, für das Kinderfernsehen
und die Werbung zu arbeiten.
Mit The Meaning of Life (2005), der Trilogie It's Such a Beautiful Day (2006–12) und Hertzfeldts
neuester Arbeit World of Tomorrow (2015) weitet sich der Blick. Dies sind epochale Gemälde der
conditio humana, doch sie bleiben einer minimalistischen Form verpflichtet, die mit erstaunlicher
Immersionskraft das ganze Universum, die Zukunft und die Steinbrüche der Erinnerung auf die
Leinwand zaubert. Selten ist Animationsfilm so sehr bei sich selbst und lässt uns zugleich vergessen,
dass wir nur in Bewegung versetzte Linien sehen.
Die in Kooperation mit VIS Vienna Independent Shorts veranstaltete Schau zeigt zum ersten
Mal in Österreich einen Überblick über das Schaffen des Künstlers. Im Rahmen einer Master
Class wird Don Hertzfeldt darüber hinaus über seinen kreativen Prozess, seine Arbeit an „The
Simpsons“ und der Graphic Novel „The End of the World“ sprechen – sowie sein jüngstes, in
Sundance prämiertes Werk „World of Tomorrow“ präsentieren.
27. bis 30. Mai 2015
Weitere Informationen und Fotos finden Sie auf www.filmmuseum.at oder Sie wenden sich direkt an:
Alessandra Thiele, [email protected], T: + 43/1/533 70 54 DW 22
Eszter Kondor, [email protected], T +43/1/533 70 54 DW 12
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