DIETER, KOCH AUS LEIDENSCHAFT

1 Dieter, Koch aus Leidenschaft
c. hansen DIETER, KOCH AUS LEIDENSCHAFT Was ist eigentlich mit Dieter los? Der lädt auf einmal gar nicht mehr zum Essen ein. Dieter ist krank. Ach so? Ja. Komplizierte Sache. Was Ernstes? Ja. Was am Kopf. Dieter? Ja! Am Kopf? Ja!! Und macht das einen Unterschied bei Dieter? Du bist ein Arsch. Wahrscheinlich. Wobei hat er sich denn verletzt? Beim Kochen. Wie kann man sich beim Kochen schwer am Kopf verletzen? Ist er gegen seine neue 1000‐Euro‐
Dunstabzugshaube gerannt oder was? Nein. Jetzt mach`s halt nicht so spannend. Dieter ist wahnsinnig geworden. Wahnsinnig. Ja, wahnsinnig. Irre. Lüttiti. Ballaballa. Beim Kochen. Beim Kochen. 2 Dieter, Koch aus Leidenschaft
Hat er ein Goldregenrisotto testgekocht oder was? Pilze für's Omelette am Bahnhof besorgt? Nein. Er hat dem Druck nicht standgehalten. Welchem Druck? Dem Erwartungsdruck. Er hat doch nur für Freunde und Bekannte gekocht!? Was heißt hier "nur für Freunde und Bekannte?". Hast Du eine Ahnung! Das ist eine der Hauptursachen für Burn Outs, Schlaganfälle, Schocktraumata und Herzinfarkte mittlerweile. "Nur für Freunde und Bekannte"... pffft... Was kann denn Schreckliches passieren, dass man beim Kochen den Verstand verliert? Er hat das Mehl vergessen. Da wird man irre, logisch. Man könnte natürlich auch kurz losgehen und am nächsten Kiosk eine Packung kaufen, aber da kommt ja kein Mensch drauf in so einer Belastungssituation. Da wird man eher wahnsinnig. Macht Sinn. Dieter hatte an alles gedacht. Er hat Xanthan besorgt, Agar, Lecitin und den flüssigen Stickstoff, alles war da, alles war perfekt vorbereitet. Und dann fehlt ihm das Weißmehl. Er konnte nicht anfangen. Das musst Du Dir mal vorstellen. Das ist, als ob Du kurz vor der Bischofsweihe stehst, und plötzlich fällt Dir ein: ich glaub‘ gar nicht an Gott! Das war nie eine Voraussetzung, um in der katholischen Kirche Karriere zu machen. Dann eben – Du hast Deinen Rennwagen fast fertig für das große Rennen, und bei der letzten Schraube fällt Dir auf: Du hast keinen Führerschein! Fällt Dir auf, wie absurd dieser Vergleich ist? Wenn ich noch nie ein Auto gefahren bin, baue ich mir keinen Rennwagen. Genauso versuche ich nicht, mir einen Stern zu erkochen, wenn ich im eigentlichen Leben Friseur bin, so wie Dieter. Heute musst du ein Zauberer am Herd sein, um überhaupt noch aufzufallen irgendwie. Du setzt doch Deinen Freunden auch nicht jedes Mal diese zu Tode gekochten Spaghetti Bolognese vor. Doch. Naja, kochen kann man das, was Du machst, ja auch nicht wirklich nennen. So? Was ist es denn dann? "Geschmacksneutrale Nahrungsmittelerwärmung"? Ach, so schlimm ist es jetzt auch nicht. 3 Dieter, Koch aus Leidenschaft
Doch. Aber von jemandem, der tasmanischen Bergpfeffer nicht von Hasenkötteln unterscheiden kann, erwartet auch niemand, dass er was von Haute Cuisine versteht. Aha. Aber Du verstehst natürlich was davon. Ich bin ein relativ versierter Koch, ja. Nicht so gut wie Dieter war, aber versiert. Und was bedeutet das? Was war das letzte Essen, das Du gekocht hast? Das letzte? Ach, das war Donnerstag, spontan. Kein großer Aufriss. Vorspeise, Hauptgang, Nachtisch für zwölf Leute. Und was gab’s? Carpaccio vom Atlantik Rochenflügel mit warmer Wassermelone, mariniertem Fenchel und Pinienkernen, als Hauptgang die Rückentranche vom Dammhirsch mit Fichtensprossenglasur, Pfifferlingen, Walnusssellerie und selbstgebackenem Brot und zum Nachtisch Plätzchen vom Parmesaneis mit Cassis‐Espuma. Cassis Espuma?! Das harmoniert wunderbar mit der Textur der Plätzchen! Die Säure nimmt dem Salz die Strenge und / / So was kochst Du? Wenn’s mal schnell gehen muss. Und wieso werde ich nie so von Dir bekocht? Na, weil wir in zwei vollkommen verschiedenen Ligen spielen, mein Lieber. Du klimperst „Für Elise“, ich spiele Rachmaninow vom Blatt, um es mal so zu sagen. Ja, aber ich bin Dein Freund. Darum geht es doch beim gemeinsamen Essen. Pfff. Das war in den 70ern vielleicht mal so. Und worum geht es heute? Wettbewerb. Worum denn sonst? Du kochst für Leute, um Dich mit Ihnen zu messen? Glaubst Du, ich investiere vierhundert Euro und zehn Stunden meines Lebens, um ein paar Freunde satt zu kriegen? Ich bin doch nicht bescheuert. Und Du willst eigentlich gar nicht mit ihnen essen? Natürlich nicht. Sind größtenteils ziemlich unsympathisch. Ehrgeizig, missgünstig, intrigant. Naja. Wie man so wird, wenn es Richtung Gipfel geht. 4 Dieter, Koch aus Leidenschaft
Und Dieter hat da mitgemacht? Dieter war die unangefochtene Nummer eins. Dieter war besser als wir alle zusammen. Dieter konnte kochen, bei dem hätte so mancher Sternefuzzi freiwillig Pommes geschnitten, um noch was zu lernen. Dieter war der Messias des Küchenbretts, der Prophet der Mis En Place, Dieter war der Gott der Gewürze! Und war Dieter beliebt? Natürlich nicht. Wir haben ihn gehasst. Von ganzem Herzen. Du auch? Natürlich ich auch. Dieser verdammte Überflieger. Haare hätte er weiter schneiden sollen, dieser Angeber. Aber / / und ich bin froh, dass ich’s getan hab. Was? Das mit dem Mehl! Was hast Du mit Dieters Mehl gemacht? Es weggeschüttet heimlich. Du hast Dieters Mehl weggeschüttet? Ja, verdammt! Und jetzt ist er in der Klapse gelandet? Ja! Also bist Du schuld daran, dass Dieter / / Möchtest Du mal zum Essen kommen? Ist ein Platz frei geworden! Danke. Ein andermal vielleicht…