Kinder haben das Wort „Meistens hast du dich selbst ganz viel gefragt.“ Rosy Henneberg interviewt ihr ehemaliges Kindergartenkind Nino Iazzetta Dieses Mal hat in unserer Kolumne ein ehemaliges Kind das Wort. Nino Iazetta ist heute 18 und blickt auf seine Zeit mit seiner Erzieherin im Kindergarten zurück. Rosy Henneberg: Nino, du warst im Alter von drei bis sechs Jahren ein Kindergartenkind in unserer damaligen Roten Gruppe. Die Gruppe war für uns alle eine Lern- und Lebenswerkstatt, in der viel geforscht wurde, und genau deshalb führen wir heute ein reflektierendes Gespräch für die Zeitschrift TPS. Wir haben uns in den vergangenen Jahren nicht aus den Augen verloren. Kannst du mir sagen, warum eigentlich nicht? Nino Iazetta: Weil wir uns einfach gut verstehen. Wenn wir uns weniger verstehen würden, würde ich sicher auch weniger Kontakt zu dir haben oder gar keinen mehr. Aber wir verstehen uns eben. In unserem Gruppenraum gab es mehrere Arbeitsplätze, an denen die Kinder ganz nach ihren eigenen Interessen arbeiten konnten. Wie war das für dich? Ich kann mich noch ziemlich genau erinnern: Rechts hinten hatten wir die Hängematte, links davon hatten wir ein Puppenhaus, vor dem war dann unser Essensplatz, auf der rechten Seite haben wir dann irgendwann noch eine Rutsche aufgebaut, davor hatten wir eine Fläche, um mit Autos zu spielen. Und in der linken Ecke vor dem Essplatz war unsere Werkstattecke mit den ganzen Materialien. Dann hatten wir mittendrin noch so ein Regal als Abtrennwand mit den Büchern und Spielen. Wir hatten vier Arbeitsplät- 36 ze und eine PC-Ecke. Und es ging bei uns immer nach Lust und Laune. Kannst du dich noch erinnern wie du früher im Kindergarten eine Antwort auf deine Fragen gefunden hast? Früher als kleines Kind, da hat man mit den Freunden so überlegt und sich Fragen gestellt. Da gab es bei uns z. B. die Frage: „Wie macht man Apfelsaft?“ Da hat der eine dann gesagt, „Aus Äpfeln natürlich“, und der andere: „Oder aus den Schalen?“ Man muss es ausprobieren, weil man es als kleines Kind noch nicht weiß. Dabei macht man dann auch mal Fehler und aus denen lernt man. Wir haben unseren selbstgemachten Apfelsaft aus Apfelschalen und Wasser in eine Kaffeedose gefüllt und dann hat er so komisch gewürzt und nach Kaffee geschmeckt. Das war damals so ein Fehler, aus dem wir gelernt haben. Aus all diesen Fehlern wird man das, was man heute ist – ein Mensch, der sich traut, Fragen zu stellen und daraus zu lernen. Welchen Anteil hatte ich dabei? Wir sind halt mit unseren Fragen zu dir gegangen und du hast uns dann die Materialien besorgt oder neue Arbeitsplätze mit uns eingerichtet, wenn wir danach gefragt haben. Habe ich eure Fragen dann beantwortet? Wir haben erst mal zusammen nach Wegen gesucht, wie wir sie uns selbst beantworten können. Du hast uns die Freiheit gegeben, selbst viel auszuprobieren und Antworten zu finden. Habe ich euch auch mal gesagt, was ich weiß? Meistens hast du dich selbst ganz viel gefragt, glaube ich. Du hattest immer Lust, auch etwas dazu auszuprobieren. Am Ende hast du uns dann auch mal gesagt, was du dazu weißt. Habe ich mich denn für alle eure Fragen interessiert? Ja, für alle! Für manches hast du dich weniger interessiert, für manches mehr. Aber du hast nichts abgelehnt. Für mich jedenfalls hat sich das so angefühlt. Wenn ich mich für etwas sehr interessiert habe, was habe ich dann gemacht? Dann bist du dabei geblieben und hast selbst mitgemacht, hast uns auch Fragen gestellt und vieles aufgeschrieben, so wie jetzt. Und du hast auch sehr viel fotografiert. Habe ich denn gefragt, ob ich mitmachen kann, oder habe ich mich euch aufgedrängt? Wir haben uns doch nie von dir gestört gefühlt! Wenn die Kinder gesagt TPS 3 | 2015 Foto: Steffi Roth Forschende Haltung von Erzieher/innen WERKSTATT Nino kann sich noch gut an seine Kindergartenzeit mit Rosy Henneberg erinnern hätten, dass sie alleine arbeiten wollen, hättest du bestimmt damit leben können. Nur der Blitz an der Kamera hat uns genervt, weil der uns geblendet hat. Wir haben das aber wegen der Fotos zugelassen. Heute weiß ich, dass sie eine sehr schöne Erinnerung sind. Und wenn mich etwas nicht so sehr interessiert hat, was habe ich dann gemacht? Wenn du nicht so aktiv dabei warst, dann hast du uns trotzdem die Freiheit gelassen, nicht unter Kontrolle zu stehen und unsere Sachen machen zu können. Du hast dann nur zu uns rübergeschaut und gefragt: „Ist alles in Ordnung bei euch?“ An diese Frage kann ich mich auch noch gut erinnern. Kannst du dich auch noch an die Frage „Braucht ihr meine Hilfe“ erinnern? Eigentlich nicht mehr so sehr. Aus meiner Sicht war es das immer meine wichtigste Frage, um herauszufinden, ob ihr mich überhaupt braucht oder nicht, und um euch die Freiheit geben zu können, alleine zu arbeiten. Du musstest das nicht fragen, weil wir immer wussten, dass wir von dir Hilfe kriegen, wenn wir sie brauchen. Vielleicht habe ich die Frage deshalb nicht in Erinnerung behalten. Du warst immer so offen zu uns, dass wir das wuss- TPS 3 | 2015 ten, auch ohne diese Frage. Man hat es ja auch mit dem Rundumblick eines Kindes erfahren, weil man beobachten konnte, wie du mit den Kindern umgehst, die mit einer Bitte zu dir kommen. Es kommt auf die Haltung an, ob man offen oder abweisend ist. Man kennt sich gut, wenn man drei Jahre lang jeden Tag von 8.00 bis 14.00 Uhr zusammen ist. Da braucht man nicht mehr so viel zu fragen. angestellt oder geheult haben, ruhig bleiben, um es dir erklären zu können. Damit du dann weißt, um was es geht und uns helfen kannst. Was war denn besser für dich: wenn ich mich zurückgehalten oder wenn ich aktiv mitgemacht habe? Ich glaube immer an mich, egal was es ist. Ich bin nicht so einer, der kein Vertrauen zu sich selbst hat. Ich bin eine selbstbewusste Person und dazu hast du auch beigetragen. Du hast den Kindern immer gesagt, dass sie etwas gut können, jeder halt etwas anderes. Besser war, wenn du aktiv mitgemacht hast, denn dann mussten wir dich nicht suchen, wenn wir was wollten. Und das hat uns Zeit erspart. Aber meistens warst du ja bei uns im Raum. Glaubst du, dass es Auswirkungen auf dein heutiges Leben hat, dass du damals mit mir in der Roten Gruppe all diese Erfahrungen machen konntest? Eines der wichtigsten Dinge, die ich von dir gelernt habe, ist, dass ich heute nicht auf den Mund gefallen bin. Ich habe gelernt, zu sagen, was ich will, warum ich etwas will und von wem ich es will. Und ich habe auch gelernt, andere um Rat und Hilfe zu bitten. Ich habe von dir gelernt, dass es am besten ist, über eine Sache in Ruhe zu reden. Das ist meine größte Erfahrung, die du mir gegeben hast. Ob wir uns früher geärgert, etwas Nino, du weißt heute genau, was du willst. Du lässt dich nicht beirren und auch nicht gerne fremd bestimmen. Du wählst deinen eigenen Weg, auch wenn du dafür Umwege gehen musst. Wie schaffst du das? Nino, wie findest du heute eine Antwort auf deine Fragen? Ich guck erst mal, ob ich sie selbst lösen kann. Wenn ich heute eine Frage lösen will, muss ich nicht nur reden, sondern auch lesen, daran führt kein Weg vorbei. Ich guck dann halt direkt im Internet, bei Wikipedia. Ich gebe meine Frage ein, so wie ich sie im Kopf habe und dann gucke ich, ob ich darauf eine Antwort bekomme. Wenn ich darauf keine Antwort bekomme, dann überlege ich weiter, wie ich die Frage anders formulieren kann. Nino, ich danke dir ganz herzlich für das Gespräch und bin sehr froh darüber, dass wir uns immer noch so gut verstehen. ■ 37
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