Edward van de Wendel/Anton van Hertbruggen: Der Hund, den Nino nicht hatte. Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf. Bohem 2015 „Nino hatte einen Hund, den er nicht hatte.“ Ein Satz auf einer ansonsten leeren Seite, das Bild auf der Seite daneben beherrscht von Grün- und Blautönen, nur schwach auszunehmen die Gestalt eines Jungen: Ein Gefühl von Stille und (selbstgewählter?) Isolation empfängt die Leser_innen zu Beginn. Weit lebhafter präsentiert sich die Szenerie der folgenden Seiten: Nino und der Hund, den er nicht hat, streifen zusammen durch den weiten Raum. Der imaginierte Freund ist besonders tollkühn; er taucht in den See hinab, hüpft der Urgroßmutter (die nur mit dem Rücken zu Nino und den Betrachter_innen porträtiert wird) auf den Schoß. Neben ihm wird auch Nino mutiger, schafft sich seine eigene Welt und findet in ihr den Halt, den ihm die Realität nicht gibt: „Der Hund, den er nicht hatte, hörte, was Nino hörte. Am Telefon. Mit Papa. Der rief von ganz, ganz weit weg an.“ Vielleicht noch wichtiger als der Unternehmungsgeist des Hundes ist der Trost, den Nino in ihm findet. Der Text greift die auf der Bildebene seit Beginn erahnbare Einsamkeit auf: Nino vermisst seinen Vater, der als Pilot nur selten zuhause ist. Nach und nach erklärt sich die Situation, ohne je in Worte gefasst zu werden: ein Campingplatz im Wald, die Mutter mit Kamera in der Hand, auch sie weggewandt von ihrem Sohn. Nino ist alleine, und lebt trotz der Sehnsucht nach menschlicher Nähe gut damit, er genügt sich selbst in seiner eigenen Welt. Bis sie zerstört wird. Es war wohl ein gutgemeintes Geschenk, vielleicht als Versuch der Wiedergutmachung vom Vater, vielleicht die Entsprechung eines lange gehegten Wunsches – Nino bekommt einen Hund. Einen echten, den alle sehen können. Nicht nur das unterscheidet ihn von dem Hund, den Nino nicht hatte, und der durch den realen verjagt wurde: Der neue mag den See nicht, und vor der Urgroßmutter hat er Angst – eine Angst, die sich auf Nico überträgt, so wie es der Mut des eingebildeten Hundes zuvor getan hat. „Dafür buddelt er gerne im Sand. Doch, das macht auch Spaß.“ Die Zweifel sind offensichtlich. Mit dem Hund, den er nicht hatte, war für Nino alles möglich – der echte Hund bindet ihn an den Alltag; statt nur für sich selbst ist der Junge jetzt auch für ein Tier verantwortlich. Ein Tier, das nicht einmal weiß, wer Papa ist. Er kann seinem Herrchen die Einsamkeit nicht nehmen. Was Nino sucht, ist menschliche Nähe – wie sich am anthropomorphisierten imaginären Hund zeigt, der die Problematik des abwesenden Vaters versteht – und die bekommt er nicht. „Nicht so schlimm.“ Nino findet einen Weg zurück in seine Welt; am nächsten Tag entwirft er einen ganzen Zoo von Tieren, die er nicht hat. „Die Gedanken-Giraffe. Den Fantasiebär. Und dazu noch mehr Hunde. Andere Hunde!“ Van Hertbruggens lässt seinen in eher trüben Farben gehaltenen Illustrationen viel Weißraum und vermittelt dadurch Leichtigkeit und Weite. Die imaginierten Tiere sind farblos, nur als schwarze Umrisse dargestellt, sie unterwandern sichtbar die Realität und dominieren sie in einigen Fällen durch ihre überdimensionale Größe. Der Campingplatz mag eng sein, die Welt, die Nino mit den Tieren, die er nicht hat, bevölkert, ist es nicht. Im letzten Bild kommt es zur Versöhnung von Fantasie und Realität: Nino schläft, neben sich am Bett den Hund, den er hat, und den Hund, den er nicht hat. Wie ein Schutzengel steht die GedankenGiraffe über den dreien und wacht über sie. Simone Weiss
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