Wenn Statine krank machen

fortbildung
Grenzen und Alternativen
einer Statintherapie
Wenn Statine
krank machen
Armin Steinmetz, Heinrich Degen
Mauritius
Statine sind die derzeit effektivsten LDL-Cholesterin-senkenden Medikamente mit breitem klinischem Nutzen. Ihre
weite Anwendung stößt allerdings an Grenzen bezüglich unerwünschter Wirkungen wie die Entwicklung eines Diabetes
mellitus, die Erhöhung von Leberenzymen, aber insbesondere
Statin-assoziierte Myopathien. Doch selbst bei Entwicklung
einer Statinmyopathie sind Alternativen auch innerhalb der
gleichen Medikamentengruppe möglich. Wie diese und andere Alternativen bei Statinmyopathie aussehen, erläutern wir in
diesem Artikel.
48
Der Allgemeinarzt 17/2014
www.allgemeinarzt-online.de
fortbildung
Statine haben sowohl die Primär- als auch Sekundärprävention der arteriosklerotischen Erkrankungen, insbesondere der koronaren Herzerkrankung revolutioniert. Schon früh war klar,
dass neben Leberwerterhöhungen einerseits ein
besonderes Augenmerk auf die Entwicklung einer Myopathie zu legen war. Schließlich haben
Metaanalysen herausgearbeitet, dass eine Statinbehandlung auch die Manifestation eines Typ2-Diabetes fördern kann.
1. Anstieg der Transaminasen
Asymptomatische Transaminasenanstiege werden mit 0,1–3 % der Behandlungen angegeben.
Diese treten dosisabhängig auf, sind klinisch
kaum relevant und bilden sich nach Aussetzen der
Medikation wieder zurück. Neuere Daten sehen
ein Aussetzen der Medikation bei leichten Transaminasenerhöhungen nicht mehr vor, da diese
lediglich eine „Leckage“ wahrscheinlich als Folge der Cholesterinverarmung der Hepatozytenmembran darstellen, die sich wieder einreguliert
trotz Fortsetzen der Statingabe. Dennoch sollten
vor Beginn einer Statintherapie Transaminasen
bekannt sein und im Verlauf nach 4–6 Wochen
noch einmal kontrolliert werden.
2. Entwicklung eines Typ-2-Diabetes
Eine Statinbehandlung erhöht das Risiko für die
Manifestation eines Typ-2-Diabetes um ca. 9 %
[14]. Risikopatienten sind solche mit Merkmalen
eines metabolischen Syndroms wie Bluthochdruck, Hypertriglyzeridämie, erhöhtem BMI sowie
niedrigem HDL-Cholesterin [16]. Auch spielte bei
der Manifestation ansteigendes Körpergewicht
während der Therapie eine Rolle [11]. Offenbar
führen die bezüglich LDL-Cholesterinsenkung potenteren Statine häufiger zu einer Diabetesentwicklung als die weniger potenten [3]. Als möglicher Mechanismus wird unter anderem eine
Verschlechterung der Insulinsensitivität unter
Statinen diskutiert. Das vergleichsweise niedrige Risiko einer Diabetesentwicklung durch Statine wird durch den enormen Vorteil bezüglich
kardiovaskulärer Prävention aufgehoben: 255 Patienten über 4 Jahre mit Statin behandelt lässt
einen neuen Diabetesfall erwarten, verhindert
aber 5,4 koronare Todesfälle pro mmol Senkung
des LDL-Cholesterins (~ 40 mg).
3. Neurologische Effekte
Besonderes Augenmerk liegt hier auf hämorrhagischem Schlaganfall, kognitiver Einschränkung
www.allgemeinarzt-online.de und peripherer Neuropathie. Für den hämorrhagischen Schlaganfall ist pro 40 mg LDL-Cholesterinabsenkung eine 21 %ige Risikoerhöhung
errechnet. Das absolute Ausmaß dieser Gefährdung ist allerdings 50-fach geringer gegenüber
den definitiven kardiovaskulären Vorteilen bei
Hochrisikopatienten [4]. Kognitive Einschränkungen konnten unter Statinbehandlung bisher nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil
zeigte sich kürzlich u. a. auch eine verminderte
Demenzentwicklung [9]. Obwohl als mögliche
Nebenwirkung einer Statinbehandlung aufgeführt, konnte in systematischen Analysen kein
Signal für die Entwicklung von peripheren Neuropathien detektiert werden [6].
4. Statin-assoziierte ­Myopathien
Myopathien sind sicher die klinisch bedeutendste unerwünschte Wirkung der Statine. In Beobachtungsstudien und im Thera▪▪▪▪▪▪▪▪▪ piealltag wird ihre Häufigkeit auf
10–15 % geschätzt. Hierbei existieren klare Unterschiede zwischen den einzelnen Statinen.
Bei hoher Dosierung fand man
für Fluvastatin 5,1 %, für Pravastatin 10,9 %, für Atorvastatin
14,9 % und für Simvastatin 18,2 %
[2]. Die Definition der Myopathie
variiert allerdings enorm in der
Die am häufigsten ge▪▪▪▪▪▪▪ Literatur.
nutzte Definition der Myopathie
(National Heart, Lung and Blood
Institute) bezieht sich auf jegliche Muskelerkrankungen, erworben oder vererbt [12]:
Das Risiko einer Diabetes­
manifestation unter Statin­
therapie ist um ca. 9 % er­
höht. Es wird allerdings durch
den kardiovaskulären Vorteil
mehr als kompensiert.
Myalgie
•• Krämpfe, Schwäche, Schmerzen ohne CPKErhöhung
Myositis
•• Gleiche Symptome wie Myalgie mit CPK-Erhöhung
Rhabdomyolyse
•• Myalgie/Myositis mit Muskelschaden und CPKErhöhung über das 10-Fache der oberen Norm,
auch mit braunem Urin
Inzwischen sind eine Reihe von Mechanismen als
Ursachen der Statinmyopathien bekannt. Hiernach ist die weitaus häufigste toxische Myopathie von einer Immunmyopathie abzugrenzen.
Bei der toxischen Myopathie liegen Arzneiinteraktionen, genetische Faktoren oder metabolische
Veränderungen zugrunde, bei der Immunmyopathie wird eine entzündliche von einer nichtentzündlichen unterschieden [1].
→
Der Allgemeinarzt 17/2014
49
fortbildung
Sicherheitslabor 4-6 Wochen nach Therapiebeginn
CPK bis 10-fach obere
Norm erhöht
CPK normal
Myopathie
Keine Myopathie
Beenden der Behandlung
Weiterführen der
Behandlung möglich
Keine Myopathie
Weiterführen der
Behandlung
Alternativen versuchen
Toxische Myopathie
Obwohl diese noch nicht völlig verstanden wird,
spielen offensichtlich eine Reihe von Bedingungen eine Rolle, die die Plasmastatinspiegel ansteigen lassen. Der häufigste Abbauweg erfolgt über Cytochrom P3A4. Medikamente, die
mit diesem Enzym interferieren, erhöhen den
Statinspiegel. Dazu zählen insbesondere Makrolid-Antibioti- ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
ka, Verapamil, Marcumar®, Fibrate, Proteaseinhibitoren,
Fungizide sowie Grapefruitsaft; CYP2C9 wird durch Amiodaron und Omeprazol gehemmt.
Über CYP3A4 werden hauptsächlich Atorvastatin und Simvastatin
metabolisiert. Fluvastatin hauptsächlich über CYP2C9, Simvasta- ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
tin wird hierüber ebenfalls mit
ca. 10 % abgebaut. Pravastatin erfährt seinen
Abbau über Sulfatierung.
Eventuell Alternativen
versuchen
Abb. 1: Möglicher Algorithmus zur Diagnostik und zum
klinischen Management der
Statin-assoziierten Muskelprobleme
Die Statinmyopathie kann
bis zu 15 % der Behandelten
­betreffen und stellt die größ­
te Herausforderung in der
Statinbehandlung dar.
Daher sind deutliche Reduktionen in der Simvastatindosierung empfohlen bei folgenden häufigen Komedikationen [5, 13].
•• Erythro-, Clarithro-, Telithromycin: Simvastatin kontraindiziert
•• Amiodaron, Verapamil, Diltiazem: maximal
10 mg Simvastatin/Tag
•• Amlodipin, Ranolazin:
maximal 20 mg Simvastatin/Tag
Genetische Hintergründe
In der SEARCH-Studie fand sich eine strenge Assoziation der Simvastatin-assoziierten Myopathie mit einem Nukleotid-Polymorphismus auf
Chromosom 12 [8]. Vereinzelt wird hier eine Genotypisierung empfohlen [17], die allerdings noch
keinen Niederschlag in den Leitlinien gefunden
50
CPK über 10-fach obere
Norm erhöht
Der Allgemeinarzt 17/2014
Rhabdomyolyse
Sofort Beenden der
Behandlung und klinische
Versorgung
Alternativen versuchen
hat. Ein Testsystem von STADA (STADA Diagnostik DNA Statine) misst neben diesem Polymorphismus noch weitere 12 Spots und wird für 269 €
angeboten. Eine Erstattung durch Kostenträger
erfolgt derzeit nur vereinzelt.
Metabolische Effekte
Statine vermindern inkonstant das Coenzym
Q10 und induzieren damit möglicherweise mitochondriale Dysfunktionen. In Einzelfällen von
Myopathie kann Q10 ersetzt werden. Eine generelle Empfehlung kann nicht gegeben werden.
Risikofaktoren für Statinmyopathie
Risikokonstellationen sind sowohl Eigenschaften der einzelnen Statine wie Lipophilie, Pharmakokinetik und ihre Dosierung, aber auch Patientencharakteristika [10, 15]:
•• Hochdosis Statin
•• Höheres Alter, niedriger BMI
•• Exzessiver Alkoholkonsum
•• Schweres körperliches Training
•• Hypothyreose, Diabetes mellitus
•• Niereninsuffizienz, Lebererkrankungen
•• Vitamin-D-Mangel
•• Medikamenten-Interaktionen
Im angloamerikanischen Schrifttum wird die initiale CPK-Bestimmung lediglich bei denjenigen
empfohlen, die als Risikopatienten (s. o.) einzuordnen sind.
Management der Hyper-CPK-Ämie und
der Statinmyopathie
Der in Abb. 1 abgebildete Algorithmus stellt eine
Synthese aus den verschiedenen internationalen Empfehlungen unter Berücksichtigung der
asymptomatischen Hyper-CPK-Ämie dar, die lediglich durch eine Routine-Blutentnahme 4–6 →
www.allgemeinarzt-online.de
fortbildung
Wochen nach Beginn einer Statinbehandlung
oder Dosissteigerung auffällt. Fällt diese Kontrolle normal aus, ist keine weitere Sicherheitskontrolle mehr notwendig [1, 15]. Das Aussetzen
einer Statinbehandlung hängt von den CPKSpiegeln und der Symptomschwere ab. Wenn
Statine als Ursache nicht ausgeschlossen sind
und Patienten unerträgliche Symptome entwickeln oder eine Rhabdomyolyse (diese ist definiert als die Erhöhung der CPK über das 10-Fache des oberen Normwertes) vorliegt, sollte die
Statintherapie beendet werden. Bei CPK-Spiegeln unterhalb des 10-fachen oberen Normwertes und bei erträglichen Myopathiesymptomen
kann die Therapie fortgesetzt oder es können Alternativen genutzt werden. Daher sollten eine
CPK- und Kreatininmessung erfolgen, wenn Patienten Myopathiesymptome entwickeln. Gleichzeitig gilt es, weitere Faktoren auszuschließen,
wie starke muskuläre Belastung, ausgeprägten
Konsum von Grapefruitsaft, und Komedikationen zu erfassen, wie Makrolid-Antibiotika, Kalziumkanalblocker, Amiodaron, aber auch Fi-brate
und Azolfungizide. Schließlich ist die Schilddrüsenfunktion zu überprüfen, da auch eine subklinische Hypothyreose zur statinassoziierten
Myopathie beitragen kann, ebenso ein VitaminD-Mangel, die zu beheben sind. Diese Therapien
sind kostengünstig und häufig wirksam.
Alternative Behandlungen
Da die Statinmyopathie meist auf einem Anstieg des Statinspiegels basiert, kann zunächst
Alternativen zur LDL-Choleste­
rinsenkung bei Statinmyopathie
••Wechsel zu hydrophilem Fluva- und
Pravastatin
••Niedrig dosiert (5–10 mg) langwirksame Statine
••Rosuva-(Atorva)statin jeden 2. oder 3.
Tag
••Ezetimib
○○ Ezetimib plus Fluvastatin (ret.)
••Gallensäurebinder (Colesevelam besser toleriert)
○○ Gallensäurebinder plus Ezetimib
••Fenofibrat / Bezafibrat
○○ Fenofibrat plus Ezetimib
••LDL-Apherese
52
Der Allgemeinarzt 17/2014
das Statin gewechselt oder seine Dosis reduziert werden. Die dafür zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sind hier zusammengestellt
(vgl. Kasten). Sie betreffen einerseits den Wechsel auf Fluvastatin mit niedriger Myopathie-Inzidenz oder ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
die Gabe von langwirksamen
Statinen wie z. B. Rosuvastatin
jeden 2. oder 3. Tag. Schließlich
kommen auch Statine in niedriger Dosierung unter Wirkungsverstärkung mit Ezetimib zum
Einsatz. Beispiele [10]:
•• Fluvastatin 80 mg (ret.) täglich wurde von 97 % vorher
Statin-Intoleranter vertragen ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
mit LDL-C-Senkung um 33 %.
•• 57 % Statin-Intoleranter vertrugen 0,8–8,75
mg Simvastatin täglich mit LDL-C Senkungen
um 26 %.
•• Von 61 Statin-Intoleranten tolerierten alle bis
auf einen 5–10 mg Rosuvastatin mit LDL-C
Senkung von 42 %.
•• Von 51 Statin-Intoleranten (76 % mit Myopathie) tolerierten 72 % Rosuvastatin, jeden 2.
Tag gegeben, mit einer mittleren Dosis von
5,6 mg, LDL-C-Senkung von 34 %.
•• Einmal wöchentliche Dosierung von 5–20
mg Rosuvastatin wurde ohne Myopathierezidiv toleriert mit LDL-C-Reduktion von
29 % (6–62 %).
Grundsätzlich sollte nach
­Aussetzen des Statins und
­Besserung der Symptoma­
tik das gleiche Statin in gerin­
gerer Dosis oder ein anderes
­Statin eingesetzt werden.
 online
Diesen Beitrag sowie die vollständige
Literaturliste finden Sie auch unter
www.allgemeinarzt-online.de
Nicht-Statin mit Alternativen
Hier kommt hauptsächlich Ezetimib zum Einsatz. LDL-Cholesterinreduktionen sind hier mit
15 % zu erwarten. Weitere Alternativen betreffen
Gallensäurebinder inklusive des neuerlich entwickelten Colesevelam. Die gleichzeitige Applikation von Gallensäurebinder und Fibraten stellt
eine weitere Alternative dar. Schließlich kommt
die LDL-Apherese in Fällen progredienter koronarer Herzerkrankung bei nicht beherrschbarer
LDL-Erhöhung zur Anwendung. Beispiele [10]:
•• Ezetimib 10 mg als Monotherapie senkt LDLC variabel mit 10–20 %.
•• Ezetimib 10 mg täglich mit 10 mg Atorvastatin 2 x wöchentlich wurde von vorher Atorvastatin-Monotherapie-Intoleranten vertragen, sie zeigten LDL-C-Reduktionen von 37 %.
•• Fluvastatin 80 mg ret. plus Ezetimib 10 mg
sind gut toleriert mit LDL-C-Reduktion um
46 %, nur noch 3 % Intoleranz.
•• Ezetimib 10 mg mit Colesevelam (1,875 mg)
täglich senkte LDL-C um ca. 35 %.
▪
Dr. med. Heinrich
Degen (li.)
Arzt für Innere Medizin,
Ltd. Arzt Kardiologie
Prof. Dr. med. Armin
Steinmetz
Arzt für Innere Medizin,
Endokrinologie und
Diabetologie, Chefarzt
der Inneren Abteilung
St. Nikolaus Stiftshospital GmbH, Akademisches Lehrkrankenhaus
der Universität Bonn,
56626 Andernach
interessenkonflikte:
Prof. Steinmetz berät Lipidsenkerfirmen und hat in der Vergangenheit Vortragshonorare
von diesen Firmen erhalten.
www.allgemeinarzt-online.de