Die Alamannen – wie alles begann

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Die Alamannen –
wie alles begann
Im Spätsommer 285 n. Chr. Eine Hand voll Männer geht über die Grenze, die einmal das freie
Germanien vom Römischen Reich getrennt hat. Der Durchgang ist frei, der Wachturm nicht besetzt. Das verlassene kleine Kastell dahinter bietet ihnen Schutz für die Nacht, Teile der nicht mehr
be­nötigten Palisade sorgen für Wärme. Die Grenze war bereits ein Schatten ihrer selbst, als die
meisten der Männer das Licht der Welt erblickten. Vor nicht allzu langer Zeit tobte in dem Land, das
sie umgab, auch noch ein Bürgerkrieg. Viele Römer verließen das Land. Ob dies von Dauer sein
würde, ist für die kleine Gruppe, die sich ums Feuer versammelt, nicht zu erahnen. Sie sind zu Fuß
unterwegs. Morgen werden sie weiter nach Südwesten ziehen. Die Krieger wollen sich einem Heerführer anschließen, der jenseits des Rheins den Römern das Fürchten lehren möchte. Das Land,
das sie durchqueren, kennen sie nur vom Hörensagen. Die römischen Gutshöfe, die inmitten ihrer
ver­wilderten Felder stehen – waren sie alle verlassen? Die Krieger wissen es nicht, und es interessiert sie auch nicht, denn sie müssen sich beeilen. In ein paar Tagen müssen sie am großen Fluss
im Westen sein. Der Kriegsherr wartet schon.
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Wer sind diese Männer, die so unbefangen durch fremdes
Gebiet streifen und der römischen Wölfin wie ein Stachel im
Fleisch sitzen? Alamannen nennen sie sich und das fremde
Land zwischen Rhein und Donau wird einmal ihre Heimat
sein. Doch noch ist es nicht so weit.
Die Entstehung der Alamannen liegt im Dunkel der Geschichte verborgen. Keiner weiß genau, wann und wo sich eine Gruppe von Germanen zum ersten Mal Alamannen nannte und welcher Art diese Gruppe war – Heeresverband, Stamm
oder Volk? Archäologen, Historiker, Ethnologen und Sprachwissenschaftler versuchen diese harte Nuss zu knacken und
stellen immer wieder neue Überlegungen an. Einig ist man
n Wie mit dem Lineal gezogen: Auch nach über
1800 Jahren kann man aus der Vogelperspektive noch
gut erkennen, wo die Grenze zwischen besetztem
und freiem Germanien verlief. Der Limes nördlich von
Welzheim.
Die Alamannen im Schatten Roms
sich, dass sich die Alamannen in den wirren Jahren, die den
Fall des germanischen Limes begleiteten, zusammengefunden
haben. Eben jener Grenze, die unsere Männer überqueren.
Eine Grenzgeschichte
Bereits 213 n. Chr. begann der Niedergang des obergermanisch-rätischen Limes. Seit über 100 Jahren grenzte er da bereits die rechtsrheinischen, römischen Gebiete vom freien
Germanien ab. Zunächst war er nur eine Waldschneise im
Gelände, die dann durch eine Wall-/Grabenanlage mit Pali­
saden sowie Holz- und Steintürmen verstärkt wurde. Von Anfang an eher Gebietsmarkierung als Grenzsicherung, wurde
er nur im Süden, entlang der rätischen Provinzgrenze, mit einer Steinmauer versehen. Sicherheit versprach nicht er, sondern die Kastelle dahinter. Doch nun fielen immer mehr Germanen plündernd ins Reich ein, und Kaiser Caracalla fühlte
sich gezwungen, einen Feldzug gegen sie zu unternehmen. Erfolgreich. So erfolgreich, dass er den Zusatznamen Germani-
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Tabula Peutingeriana: Die nach einem früheren
Be­sitzer benannte römische Landkarte zeigt, dass die
Alamannen im 4. Jahrhundert bereits ein stehender
Begriff waren. Sie lebten (rechts oben im Bild) jenseits
des Rheins und Schwarzwaldes und, interessanterweise, in direkter Nachbarschaft mit den Sueben
(links oben).
mehr oder weniger als einen zusammenge­laufenen Haufen
bezeichnete – eine Namensdeutung, die diese wohl kaum be­
absichtigt hatten. Denn alamanni ist, so sind sich die Wis­
senschaftler heute einig, eine Selbstbezeichnung. Nach ei­ner
Übersetzung des Namensforschers Ludwig Rübekeil bedeutet
sie soviel wie «Gesamtheit der Mannusabkömmlinge». Zur
Erklärung: Mannus ist so etwas wie ein Stammvater des ger­
manischen Volkes. Der Name legt also nahe, dass sich die
Alamannen tatsächlich aus Germanen unterschiedlicher Her­
kunft zusammensetzten. Oder ist das falsch gedacht? Woll­ten die Alamannen nur ihre Stärke zum Ausdruck bringen?
«Passt auf, ihr Römer, ihr nehmt es mit uns allen auf!» Eine
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schwierige Frage, auf die es keine eindeutige Antwort geben
kann, denn dazu müsste man wissen, wie sich die Alaman­nen selbst sahen, welches Selbstverständnis sie also hatten.
Wer waren sie? Eine lose Zweckgemeinschaft, ein Waffen­
bund oder gar ein Volksstamm? Sie selbst kann man nicht
mehr fragen. Es bleibt, anhand von Indizien zu spekulieren.
Ein weiteres Problem ist die begriffliche Abgrenzung. Die
Alamannen werden meist als Volk oder Volksstamm verstan­
den, doch diese Bezeichnung unterliegt immer wieder wech­
selnden Definitionen. Sieht man in einem Stamm lediglich
einen politischen Bund, ist bereits ein plündernder Heerhau­
fen ein Stamm. Nimmt man jedoch zusätzlich noch den so­
zialen und kulturellen Aspekt zur Stammesdefinition hinzu,
sieht die Sache schon anders aus.
In den römischen Schriftquellen werden die Alamannen
häufig als gens, also Stamm bezeichnet. Was die Römer unter
gens verstanden, weiß man zwar nicht genau, doch der Be­­griff verdeutlicht, dass die Alamannen, trotz ihrer hetero­ge­nen Zusammensetzung, für die Römer eine erkennbare
Einheit gewesen sein müssen. Bereits in den früheren schrift­
lichen Überlieferungen aus dem Ende des 3. Jahrhunderts ist
immer explizit von den alamanni oder der Alamannia die
Rede. Sehr lose kann die Gemeinschaft also nicht gewesen
sein. Doch waren sie da bereits das, was man landläufig un­­ter einem Volks­stamm versteht? Also eine Gruppe, deren Ge­
mein­schaftsgefühl auf gleicher Herkunft, Sprache, Religion,
Rechts­sprechung, gesellschaftlicher Organisation, Sitten und
Gebräuchen sowie verwandtschaftlichen Verhältnissen be­­­ruh­
te. Sie kamen immerhin alle aus dem gleichen Dunstkreis,
wie man so schön sagt. Sie hatten die gleiche Sprache, wenn
auch sicher verschiedene Dialekte, verehrten die gleichen Göt­
ter und besaßen ähnliche Rechts- und Gesellschaftssys­teme.
Doch wie passt es ins Bild, dass die meisten Germanen nach
ihren Raubzügen oder Bündnispflichten immer wieder in ihre
Heimatgebiete zurückkehrten? Auch die, die blieben, siedel­
ten oft nicht dauerhaft, denn wäre dies der Fall gewe­sen, hät­
te man spätestens nach der endgültigen Aufgabe des Limes
mehr Siedlungsspuren und Gräber finden müssen. Anschei­
nend lebten ihre Familien weiterhin im Nordosten und Os­
ten. Dort waren sie in eine bestehende Gemeinschaft einge­
bunden. Nach römischen Quellen war dort z. B. auch der gro­
ße Stammesbund der Sueben beheimatet, die sich später im
Karpatenbecken an der Donau ansiedelten. Insbesondere die
Semnonen werden als wichtiger suebischer Stamm erwähnt.
Die Römer berichten aber ab dem Ende des 3. Jahrhunderts
hauptsächlich von Alamannen, die ihnen über Rhein und
Do­nau hinweg Schwierigkeiten bereiteten. Von Sueben, Sem­
nonen oder anderen alteingesessenen elb- oder auch ostger­
manischen Stämmen ist weniger die Rede. Erst ab Ende des
4. Jahrhunderts taucht in den Schriftquellen im Zusam­men­
hang mit dem alamannischen Gebiet hin und wieder das
Wort Sue­ben auf. Ob man es synonym für die Alamannen
verwendete oder Sueben im Zuge der Völkerwanderung aus
der «alten Heimat» nachrückten und nicht als identisch mit
den bereits anwe­senden Alamannen angesehen wurden, bleibt
dahingestellt.
Es liegt also nahe, in den ersten Alamannen eher einen
organisierten Waffenbund zu sehen als einen eigenständigen
Volksstamm. Doch wann wird aus den Alamannen schließ­
lich ein Stamm?
Im Jahr 260 n. Chr. werden auf dem bereits genannten
Augsburger Siegesaltar Semnonen beziehungsweise Juthun­
gen (Semnoni sive Iuthungi) erwähnt, die sich auf Raubzug
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Höhenstationen in der Alamannia (Dreiecke) und
die spät­römischen Kastelle entlang von Rhein und Donau (Quadrate).
len zwar weniger von erhabenen Königssitzen die Rede ist,
aber dafür immer wieder von unwegsamen, erhöht liegenden
Plätzen, auf die sich die Alamannen bei Gefahr zurückzogen.
Sieht man sich die Höhenstationen auf einer Landkarte an,
wird man feststellen, dass sie alle an den Rändern der süd­
westdeutschen Mittelgebirge zu finden sind. Mit dem Gebir­ge im Rücken ist der Blick hinaus auf die Ebene gerichtet.
Wie ein Ring umschließen die Stationen so das alamannische
Kernland. Die Höhenstationen des Schwarzwaldes sind zum
Rhein hin angeordnet und befinden sich auffällig genau ge­
genüber römischen Kastellen oder Brückenköpfen. Der Zäh­
ringer Burgberg bei Freiburg liegt gegenüber den römischen
Kastellen Sponeck und Breisach, der Hertenberg gegenüber
dem Lager von Kaiseraugst und der Kügelesberg und der
Geiß­kopf gegenüber Straßburg. Je nach Bündnislage zwi­
schen Römern und Alamannen waren die genannten Anlagen
wohl Schutz des Römischen Reiches oder Bollwerk gegen sel­
biges. Zu welcher Zeit welche Station die eine oder andere
Funktion erfüllte, lässt sich kaum sagen. Überhaupt ist es pro­
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blematisch, von römischen Kastellen auf der einen und von
alamannischen Höhenstationen auf der anderen Seite zu spre­
chen. Die Funde und ihre Zusammensetzung sind nämlich
überall die gleichen. Die Alamannen im römischen Dienst
waren nicht einfach nur in den Kastellen stationiert. In den
sogenannten vici, den Kastellvororten, lebten inmitten von
Ro­manen auch ihre Familien, hinterließen ihren Hausrat und
wurden dort bestattet. Die Germanisierung der römischen
Armee und die Romanisierung der Alamannen in ihrer Hei­
mat führte dazu, dass man heute allein anhand der Funde
keine ethnische Zuordnung mehr machen kann. Die Freundoder Feindfrage lässt sich durch archäologische Funde nicht
klären. Ein Beispiel sind die römischen Militärgürtel, die in
großer Zahl auf den alamannischen Höhen gefunden wer­den. Ein Alamanne, der einen solchen trug, muss noch lange
kein Foederat in römischen Diensten gewesen sein. Man hat
festgestellt, dass diese Gürtel bei allen germanischen Män­
nern im 4. und 5. Jahrhundert schlicht in Mode gekommen
waren und nichts mit ihrer militärischen Karriere bei der rö­
mischen Armee zu tun hatten – ebenso wenig wie heute das
Tragen eines Armee-T-Shirts oder einer Camouflagehose da­
rauf schließen lässt, dass sein Träger beim Militär war. Und
selbst wenn ein Alamanne tatsächlich Foederat der Römer
war, heißt das nicht, wie schon mehrfach festgestellt, dass er es
auch blieb.
Wie dem auch sei, die Lage der Höhenstationen am
Schwarzwaldrand entlang der Rheingrenze war bestimmt
nicht zufällig. Dass sich Höhenstationen und römische Mili­
täreinrichtungen derart auffällig gegenüberstanden, lässt sich
übrigens nur am Oberrhein und eingeschränkt auch am mitt­
leren Rhein feststellen. Dies mag daran liegen, dass die Rhein­
grenze besonders heftig umkämpft war. Entlang der Donau,
der Grenze zur römischen Provinz Rätien, gibt es keine ein­
zige Höhenstation. Dort liegen alle Stationen am Nordrand
der die Donau begleitenden Schwäbischen Alb, wie z. B. auch
der Runde Berg von Urach. Dieser liegt in direkter Nähe zu
einer wichtigen römischen Verbindungsstraße, die er mögli­
cherweise kontrollierte. Weitere Stationen befinden sich an
der Ostseite der Fränkischen Alb, entlang des Mains und der
hessischen und thüringischen Höhen. Sie liegen viel zu weit
entfernt, um gegen römische Truppen gerichtet gewesen zu
sein. Wieso wurden sie also angelegt? Eine herrschaftliche
Funktion ist mit Sicherheit von einigen anzunehmen. Da sich
die Höhenstationen wie ein Kranz um die Alamannia legten,
ist es immerhin möglich, dass man sich von anderen nachrü­
ckenden germanischen Völkern abgrenzen wollte bzw. nach­
drücklich sein Gebiet markierte.
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Mogelpackung: Auf dem Geißkopf wurden jede
Menge Beschläge und Schnallen römischer Militär­gürtel gefunden. Doch nicht jeder, der einen solchen
Einige Höhenstationen am oberen Main, in der Gegend
von Bamberg, und auch die Wettenburg an der Mainschleife
bei Urphar in Unterfranken werden aufgrund der hohen An­
zahl ostgermanischer Fundstücke auch oft den Burgundern
zugerechnet. Diese waren, wenn man die Schriftquellen durch­
sieht, nicht immer die besten Freunde der Alamannen. So
paktierten sie 370 n. Chr. mit den Römern, um gegen den
von Kaiser Valentinian wenig geschätzten alamannischen Bu­
cinobantenkönig Macrian vorzugehen. Vielleicht wurden die
Stationen dort von den Burgundern angelegt, um sich vor
den Alamannen zu schützen. Womöglich taten sie es auch als
Foederaten Roms, was die römischen Funde auf der Wetten­
burg am Main nahe legen – immerhin ist der Rückzug bzw.
das Siedeln in höheren Lagen ein weit verbreitetes Phänomen
in dieser Zeit. Im Hunsrück, der Eifel und in der Schweiz zog
z. B. die romanische Bevölkerung auf die umgebenden Hügel,
um sich vor den einfallenden Germanen zu schützen. Im Mit­
telmeerraum lässt sich zwischen dem 2. und 6. Jahrhundert
Gürtel trug, war auch bei der römischen Armee.
ebenfalls die Tendenz feststellen, dass immer mehr Höhensied­
lungen/-stationen angelegt wurden.
Die meisten alamannischen Höhenstationen wurden je­
doch in der Mitte des 4. Jahrhunderts angelegt, nur wenige
werden älter eingeschätzt. Sie entstanden also in der Zeit, als
die Gunst der Römer schwand. Die daraus resultierende Un­
sicherheit mag ein Grund für die Höhenstationen gewesen
sein. Aufgegeben wurden die Stationen in der zweiten Hälfte
des 5. Jahrhunderts, als Rom sein Ende fand. Spätestens um
500 wurden die letzten verlassen. Den Runden Berg räumten
die Alamannen nicht freiwillig, er wurde vielmehr zerstört
und nicht wieder aufgebaut. Erst über hundert Jahre später
kamen wieder Menschen auf den Berg. Sie gehörten dem glei­
chen Volk an, das auch für seine Zerstörung verantwortlich
war – den Franken.
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