Wie der Verdacht auf „K.-o.-Tropfen“ bewiesen werden kann

THEMEN DER ZEIT
SEXUALISIERTE GEWALT
Wie der Verdacht auf „K.-o.-Tropfen“
bewiesen werden kann
Foto: Caro
Psychopharmaka und Liquid Ecstasy werden offenbar zunehmend häufig
als K.-o.-Tropfen angewandt. Der Aachener Frauennotruf hat eine Präventionskampagne
gestartet und bietet eine Beratung und Notfallversorgung an.
In einem unbeobachteten Moment
werden manchen
Frauen K.-o.Tropfen ins Getränk
gemischt. 15 bis 30
Minuten später
setzen Bewusstseinsveränderungen
ein, die Männern
den sexuellen Missbrauch erleichtern.
108
E
s werden in Deutschland immer wieder Fälle von Frauen
und Mädchen bekannt, bei denen
der Verdacht besteht, dass sexuelle
Übergriffe unter der Gabe von sogenannten K.-o.-Tropfen stattgefunden haben. So berichtete eine
junge Frau der Beratungsstelle des
„Aachener Notrufs für vergewaltigte Frauen und Mädchen“, dass
ihr bei einem Kneipenbesuch
plötzlich sehr übel geworden sei
und sie Schwindelgefühle empfunden habe, obwohl sie kaum Alkohol getrunken hatte. Ein fremder
Mann, der an der Theke neben ihr
gestanden hatte, habe sie fürsorglich an die frische Luft begleitet.
Stunden später sei sie in ihrer eigenen Wohnung aufgewacht – unverletzt, aber mit dem sicheren Gefühl, Geschlechtsverkehr gehabt
zu haben. Sie könne sich an nichts
erinnern (Blackout), auch nicht
daran, wie sie nach Hause gekommen sei.
Als K.-o.-Tropfen kommt eine
Vielzahl von Substanzen in Betracht,
darunter hochwirksame Psychopharmaka (Barbiturate, Benzodiazepine)
oder g-Hydroxybuttersäure (GHB,
auch Liquid Ecstasy genannt). Die
Wirkung der Substanzen ist unter
anderem dosisabhängig; so wirkt
GHB in niedriger Dosierung entspannend; es kann ein gesteigertes
Kontaktbedürfnis auftreten, auch eine sexuelle Stimulierung oder Potenzförderung wird beschrieben.
Die Wirkungsweise der
Substanzen ist dosisabhängig
Mit steigender Dosis wirkt GHB zunehmend berauschend, und es kann
ein komaähnlicher Zustand eintreten. Zusätzlich wird über Übelkeit,
Brechreiz, Wahrnehmungsstörungen,
Benommenheit, ein Zustand wie „in
Watte gepackt“, „willenlos“ und
„bewegungsunfähig“ berichtet. Die
Wirkung von K.-o.-Mitteln setzt in
kurzer Zeit ein (nach circa 30 Minu-
ten, je nach Substanz) und dauert
in Abhängigkeit von Substanz und
Dosis meist einige Stunden an. Danach ist oft das Erinnerungsvermögen deutlich eingeschränkt oder
nicht vorhanden.
Von besonderer Bedeutung scheint
die GHB zu sein – eine farblose,
relativ geschmacksneutrale, leicht
salzig schmeckende wässrige Flüssigkeit –, weil sie unbemerkt in Getränke eingebracht werden kann.
Vor allem in Verbindung mit Alkohol und anderen Betäubungsmitteln kann die Substanz fatale Folgen haben: Es treten nicht nur
Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Erbrechen auf. Atembeschwerden bis hin zum Atemstillstand können die lebensgefährlichen Folgen sein.
Die Wirkung von GHB beginnt
circa 15 Minuten nach der Einnahme und hält, je nach Dosierung, bis
zu drei Stunden an. GHB wird vom
Körper innerhalb weniger Stunden
(circa acht Stunden) bis unter die
Nachweisgrenze abgebaut. Innerhalb
dieses knappen Zeitfensters kann es
mittels einer spezifischen Analyse
im Blut, etwas länger im Urin und
unter Umständen auch noch Wochen später in den Haaren (dies vor
allem bei nicht nur einmaliger Verabreichung) nachgewiesen werden (1).
Wenn Frauen und Mädchen oder
auch Männer unter der Wirkung von
K.-o.-Mitteln sexuell missbraucht
wurden, sind vor allem die fehlenden oder sehr lückenhaften Erinnerungen und oft auch die zum Teil
bizarr anmutenden Schilderungen
der Betroffenen über ihre Wahrnehmungen und die nicht stimmig erscheinenden Verhaltensbeobachtungen Dritter ein großes Problem.
Dies führt dazu, dass sich die
Täter sehr sicher fühlen und eine
⏐ PP⏐
⏐ Heft 3⏐
⏐ März 2008
Deutsches Ärzteblatt⏐
THEMEN DER ZEIT
strafrechtliche Verfolgung kaum
fürchten müssen. Sind den Opfern
die Täter bekannt, behaupten diese
nicht selten, dass die sexuellen
Handlungen mit Einwilligung stattgefunden hätten. Vorgetragene Beschwerden werden dann oft auf einen Alkoholkonsum zurückgeführt.
Fazit für die klinische Arbeit
Nicht immer liegt der Verdacht auf
Intoxikation durch K.-o.-Tropfen
sofort nahe. Oft werden betroffene
Personen anscheinend als „einfach
alkoholisiert“ oder „unter anderen
Drogen stehend“ eingeliefert.
Vor allem, wenn die klinisch objektivierte Alkoholisierung in keinem Verhältnis zum Grad der Bewusstseinsstörung beziehungsweise
zum gesamten Beschwerdebild
passt, sollte auch an K.-o.-Mittel
gedacht werden. Für einen GHBNachweis ist dann Eile geboten,
eine separate Blut- und Urinprobe
für eine spezifische toxikologische
Analyse sollte daher in allen Verdachtsfällen umgehend gesichert
und zumindest adäquat gelagert
werden, um bei Bedarf die so gewonnene Probe analysieren lassen
zu können.
Ein in Kliniklaboren angebotenes
Drogenscreening ist nicht geeignet,
eine Intoxikation mit K.-o.-Mitteln
auszuschließen, da zur sicheren Erfassung der möglichen Substanzen
(speziell GHB) hochspezifische
Analyseverfahren eingesetzt werden
müssen. Die genannten Punkte zur
Anamnese (auch durch eine Begleitperson) können zur Eingrenzung des
Verdachts weiterhelfen (Kasten) (2).
Da nicht jedes Labor alle als
K.-o.-Mittel denkbaren Substanzen,
speziell GHB, nachweisen kann, ist
es sinnvoll, das Material zum Beispiel nach telefonischer Kontaktaufnahme an ein Institut für Rechtsmedizin zu schicken.
Wurde eine Anzeige erstattet und
erfolgt die Untersuchung auf An-
VORGEHENSWEISE BEI VERDACHTSFÄLLEN
Anamneseerhebung
❃ Wissentliche Einnahme von Alkohol, Medikamenten, Drogen?
Wenn ja: Zeitpunkt und Dosis?
❃ Wahrnehmung von verändertem Geschmack eines Getränks?
❃ Getränk oder Lebensmittel angeboten bekommen?
❃ Getränk unbeaufsichtigt gelassen?
❃ Plötzliche Zustandsänderung?
❃ Dämmerzustand („wie in Watte gehüllt“)?
❃ Gefühle der Willenlosigkeit und Reglosigkeit?
❃ Psychovegetative Auffälligkeiten?
❃ Erinnerungsstörung?
❃ Im Nachgang Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Herzbeschwerden, Muskelschwäche?
❃ Verzögerte Vorstellung beim Arzt oder Meldung bei der Polizei?
❃ Geringe oder fehlende Verletzungen allgemein oder genital/rektal?
❃ Unter Umständen Abklärung eines SSADH(Succinatsemialdehyd-Dehydrogenase)-Defekts,
Frage nach Einnahme von Valproinsäure, auch Frage nach Genuss von reifen Guaven bei unklaren
GHB-Befunden
Körperliche, inklusive gynäkologische Untersuchung
❃ Detaillierte und sorgfältige Dokumentation von Verletzungen,
insbesondere auch Bagatellverletzungen (siehe Med-Doc-Card®)
Auch das Fehlen von Verletzungen ist als Negativbefund festzuhalten.
❃ Sicherung von möglichen DNA-Spuren
❃ Sicherung von Proben für eine toxikologische Analyse:
– Blutprobe, mindestens 2 ml, besser 10 ml, ohne Citratzusatz
– Urinprobe, circa 100 ml. Diese Proben bei Bedarf im Kühlschrank lagern oder einfrieren
– Unter Umständen auch eine Haarprobe nehmen, Haaransatz mit einem Faden markieren,
ideal sind circa 200–300 mg Haare, Kopfhaar oder auch Schamhaar, gegebenenfalls zweite
Haarprobe nach drei bis vier Wochen.
⏐ PP⏐
⏐ Heft 3⏐
⏐ März 2008
Deutsches Ärzteblatt⏐
weisung der Polizei oder Staatsanwaltschaft, dann werden die Kosten
für die toxikologische Analyse von
der Ermittlungsbehörde getragen.
Müssen die Kosten selbst übernommen werden, kostet eine solche
Untersuchung bis zu einigen Hundert Euro.
Modellprojekte zur anonymen
Sicherung von Beweismaterial
Im Bereich der Polizeipräsidien
Aachen und Bonn besteht die Möglichkeit, die Proben auch ohne vorherige Strafanzeige anonym sichern
zu lassen. Die dabei entstehenden
Kosten werden in diesen Modellprojekten übernommen. Damit kann
das Material in einem späteren
Prozess als Beweismittel aufgenommen werden. Über die genaue
Verfahrensweise bei anonymer Spurensicherung geben der Notruf für
vergewaltigte Frauen und Mädchen sowie die Polizei in Aachen
Auskunft.
Treten Fragen zur Asservierung
oder Analytik auf, ist es sinnvoll, bei
einem Institut für Rechtsmedizin
nachzufragen. Eine Liste der deutschen Institute gibt es im Internet
unter www.dgrm.de.
Ausführliche Informationen über
die Präventionskampagne gegen
K.-o.-Mittel und sexuelle Gewalt
sowie Beratung und Begleitung für
betroffene Frauen und Mädchen ab
15 Jahren, für ihre Bezugspersonen,
Partner, Angehörige sowie für Fachkräfte verschiedener Berufsfelder,
bietet der Aachener Notruf für
vergewaltigte Frauen und Mädchen
e.V. Kontakt per E-Mail: info@
frauennotruf-aachen.de, Internet:
www.frauennotruf-aachen.de.
■
Dr. med. Barbara Luck, Universitätsklinikum
Aachen und Notruf für vergewaltigte
Frauen und Mädchen Aachen e.V.
Dipl.-Soz.-Arb. Leonie Afflerbach, Med.
Zentrum Kreis Aachen und Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen Aachen e.V.
Priv.-Doz. Dr. med. Hildegard Graß, Institut für
Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
LITERATUR
1. Merkblatt GHB – LKA – NRW, Dezember
2003.
2. Le Beau MA, Andollo W, Hearn WL et al.:
Recommendations for toxicological investigations of drug-facilitated sexual assault.
J Forensic Sci 1999; 44(1): 227–30.
109