Mikroökonomie II, Kap. IV-3 bis 4

IV. Die Theorie des Haushalts
Mikroökonomie II WS 2005/06
3. Einkommens- und Substitutionseffekte
Version vom 18.11.05
3. Einkommens- und Substitutionseffekte
In diesem Abschnitt wird die Frage behandelt, wie sich im Haushaltsmodell die von Preisänderungen ausgelösten Effekte auf die Güternachfrage weiter aufschlüsseln lassen. Dabei wird
sich insbesondere zeigen, dass die Normalitätsannahme auch Auswirkungen auf das Vorzeichen der Preiseffekte bei der Güternachfrage hat. So ergibt sich insbesondere, dass ein normales Gut niemals ein Giffen-Gut sein kann und somit bei einer Preiserhöhung für ein Gut dessen Nachfrage niemals wachsen kann, wenn bei einer Verminderung des Einkommens die
Nachfrage nach diesem Gut fällt.
a) Die Zerlegung des Gesamteffekts in Einkommens- und Substitutionseffekt
Wir gehen jetzt von einem etwas anderen Szenario aus als im vorangehenden Kapitel. Und
zwar nehmen wir jetzt an, dass sich (bei konstantem Einkommen y und konstantem Preis p1
von Gut 1) der Preis von Gut 2 (etwa durch eine Mengensteuer (Mineralölsteuer) mit Steuersatz t ) vom ursprünglichen Wert p2 auf p! 2 ( = p2 + t ) erhöht. Die Budgetgerade dreht sich
dann um den Punkt ( y / p1 , 0) nach unten. Den Optimalpunkt auf der alten Budgetlinie bezeichnen wir mit A = ( x1A , x2A ) , den auf der neuen (gedrehten) mit B = ( x1B , x2B ) . Durch die
Erhöhung des Preises von Gut 2 stellt sich das betrachtete Individuum natürlich schlechter: B
liegt auf einer niedrigeren Indifferenzkurve als A (vgl. Abbildung IV-24). Dies lässt sich als
indirekter Verlust an Einkommen bzw. Kaufkraft deuten, der von der Preiserhöhung ausgelöst
wird.
Abbildung IV-24
x2
y
p2
EE
SE
A→C
C→B
A
y
p! 2
C
B
0
y p1
x1
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3. Einkommens- und Substitutionseffekte
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Im steuerpolitischen Kontext wird besonders schnell klar, was hinter dieser Interpretation
steckt: Der eigentliche Zweck der Besteuerung (hier von Gut 2) besteht ja darin, dem Individuum Einkommensteile zu entziehen um den Staat sinnvolle Aktivitäten (Straßenbau, Verkehrsregelung) zu ermöglichen. Der Betrag, den das Individuum im Punkt B an Steuern bezahlt, beträgt tx2B (Steuersatz mal Bemessungsgrundlage) und beschreibt seine Einkommenseinbuße. Wenn man nun den Steuersatz als Differenz zwischen dem neuen und dem alten
Preis ausdrückt ( t = p! 2 − p2 = ∆p2 ), kann man den durch die Preiserhöhung bei Gut 2 verursachten impliziten Einkommensverlust auch wie folgt ausdrücken:
(IV-3-1)
∆p2 x2B = ( p! 2 − p2 ) x2B .
Wir wollen uns (in einer Art Gedankenexperiment) jetzt überlegen, was geschehen würde,
wenn man dem Individuum diesen Einkommensbetrag direkt (d. h. ohne Veränderung des
Preisverhältnisses von p1 / p2 auf p1 / p! 2 ) entziehen würde. Bei unserer steuerpolitischen
Anwendung bedeutet dies, dass die Mengensteuer auf Gut 2 durch eine direkte unmittelbar
am Einkommen ansetzende Steuer ersetzt wird, die das gleiche Steueraufkommen erbringt.
Grafisch wird diese Überlegung dadurch umgesetzt, dass die ursprüngliche Budgetgerade
parallel nach unten verschoben wird, und zwar (abgelesen an der x2 -Achse) um den Betrag
x2B ⋅ ( p! 2 − p2 ) p2 (vgl. Abbildung IV-24). Die auf diese Weise verschobene Budgetgerade
verläuft dann durch den Punkt B .
Eine ganz genaue Begründung dieser Aussage kann man auch mit Hilfe der folgenden kleinen Rechnung
geben. Damit ein Punkt ( x1 , x2 ) auf der parallel verschobenen Budgetgeraden liegt, muss er die Bedingung
p1 x1 + p2 x2 = y − ( p! 2 − p2 ) x2B
erfüllen. Wenn man auf der linken Seite x1 = x1B und x2 = x2B setzt, ist diese Bedingung äquivalent zu
p1 x1B + p! 2 x2B = y .
Dies ist aber genau die formale Bedingung dafür, dass B = ( x1B , x2B ) auf der neuen gedrehten Budgetgeraden liegt.
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Es wird dem Individuum also genau soviel Einkommen entzogen, dass es bei den ursprünglichen Güterpreisen p1 und p2 das Güterbündel ( x1B , x2B ) erwerben könnte und so gesehen also
über die gleiche Kaufkraft verfügt wie in B.
Den Optimalpunkt auf der durch diese hypothetische Überlegung bestimmten parallel verschobenen Budgetgeraden bezeichnen wir mit C = ( x1C , x2C ) . Weil diese zur ursprünglichen
Budgetlinie parallele Hilfsbudgetgerade steiler ist als die gedrehte Budgetlinie, liegt wegen
der Monotonie und Konvexität der Indifferenzkurven der Punkt C links oberhalb von B auf
einer höheren Indifferenzkurve als B.
Durch die Konstruktion haben wir erreicht, dass wir den durch die Preiserhöhung bei Gut 2
erzeugten Gesamtnachfrageeffekt A → B in zwei Teileffekte zerlegen können:
-
den Einkommenseffekt (EE): A → C
Er beschreibt die Nachfrageeffekte, die allein vom (durch die Erhöhung des Preises von
Gut 2 indirekt ausgelösten) Kaufkraftverlust verursacht werden, ohne dass sich zugleich
das Preisverhältnis ändert. Wenn beide Güter normal (non-inferior) sind, führt der Einkommenseffekt zu einem Nachfragerückgang bei beiden Gütern. Es gilt also
(IV-3-2)
-
x1C < x1A
und
x2C < x2A .
den Substitutionseffekt (SE): C → B
Hier ist der von der Preiserhöhung bewirkte indirekte Einkommensverlust ausgeschaltet
("herausdestilliert"), so dass allein der - bei konstanter Kaufkraft - von der Änderung der
relativen Preise ausgelöste Nachfrageeffekt bleibt. Es gilt (wie Abbildung IV-24 zeigt) bei
gegebener Konvexität der Indifferenzkurve
(IV-3-3)
x1B > x1C
und
x2B < x2C .
Wenn beim Übergang von C nach B (bei unterstellter konstanter Kaufkraft) der Preis
von Gut 2 steigt, wird das Individuum vom teuerer gewordenen Gut 2 weniger und dafür
vom im Preis unveränderten Gut 1 mehr konsumieren. Das Individuum substituiert dann
Gut 2 durch Gut 1. Daher resultiert die Beziehung "Substitutionseffekt".
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Die hiermit präsentierte Zerlegung des Gesamteffekts in einen Einkommens- und einen Substitutionseffekt erlaubt zwei wichtige Schlussfolgerungen:
1. Schlussfolgerung:
Aus (IV-3-2) und (IV-3-3) folgt x2B < x2A . Wenn der Preis eines normalen Gutes steigt, lässt
sich somit eindeutig feststellen, dass die Nachfrage nach diesem Gut sinken muss. Ein einfaches (und leicht zu beobachtendes) Merkmal eines Gutes reicht also aus, um die Richtung des
Preis-Nachfrage-Effektes bestimmen zu können. Insbesondere kann – gemäß dieses alles andere als trivialen Zusammenhangs – ein normales Gut also (in der zuvor eingeführten Terminologie) kein Giffen-Gut sein. Im Umkehrschluss ist dann jedes Giffen-Gut notwendigerweise
inferior.
Wäre Gut 2 inferior, würde x2C > x2A gelten. Ist die Differenz x2B − x2C ( < 0 ) (betragsmäßig) relativ groß,
so kann es durchaus sein, dass x2B − x2A = ( x2B − x2C ) + ( x2C − x2A ) doch negativ ist. Ein inferiores Gut muss
also nicht unbedingt ein Giffen-Gut sein. Ein inferiores Gut ist nur dann ein Giffen-Gut, wenn der Einkommenseffekt hinreichend groß ist; überwiegt der Substitutionseffekt dagegen den Einkommenseffekt,
handelt es sich um ein sog. "gewöhnliches" Gut.
Bei Gut 1, dessen Preis ja unverändert bleibt, lässt sich auch bei Normalität über die Richtung
des Gesamteffekts nichts Eindeutiges sagen. Der Einkommenseffekt x1C − x1A ist hier zwar
auch negativ, der Substitutionseffekt x1B − x1C jedoch positiv. Für das Vorzeichen des Gesamteffekts kommt es also darauf an, welcher der beiden Teileffekte stärker ist.
2. Schlussfolgerung:
Dass der Punkt C auf einer höheren Indifferenzkurve als der Punkt B liegt, hat eine bedeutsame steuerpolitische Konsequenz: Bei direktem Einkommensentzug stellt sich das Individuum besser als unter dem Einfluss einer Mengensteuer, ohne dass der Staat bei dem hier
unterstellten Wechsel von einer Mengensteuer auf eine (pauschale) Einkommensteuer auf
Steuereinnahmen verzichten müsste. Umgekehrt: Bei effektiv gleicher Steuerzahlung belastet
die spezielle Mengensteuer (hier auf Gut 2) aufgrund der von ihr verursachten Verzerrung der
relativen Preise das Individuum stärker als eine pauschale Einkommensteuer. In diesem Sinne
erzeugt eine die Preise verzerrende Steuer steuerliche Zusatzlasten (Excess Burdens).
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Man kann sich das Zustandekommen steuerlicher Zusatzlasten durch preisverzerrende Steuern
auch in der folgenden Weise plausibel machen: Wenn eine Verbrauchsteuer (z. B. Tabaksteuer) so hoch ist, dass sie die Konsumenten zu einer starken Einschränkung des Konsums des
entsprechenden Gutes veranlasst, würden diese es eventuell vorziehen, den von ihnen über die
Verbrauchsteuer entrichteten Steuerbetrag direkt an den Staat zu zahlen, wenn sie dadurch in
den Genuss eines niedrigeren Preises für das Gut gelangen könnten. Konkret: Der armer Raucher muss sich nach einer saftigen Tabaksteuererhöhung, wie sie übrigens in den vergangen
Jahren in Deutschland mehrfach vorgenommen wurde, viele Zigaretten verkneifen, weil er
nicht genügend Geld hat und nicht vom Qualmen allein leben kann. Bei eingeschränktem
Konsum sind natürlich auch die Tabaksteuerzahlungen reduziert. Unser Raucher würde sich
deshalb unter Umständen besser stellen, wenn er einen Steuerbetrag in gleicher Höhe ohne
Umweg über die Tabaksteuer entrichten könnte. Ohne Tabaksteuer wäre der Zigarettenpreis
niedriger und er könnte – bei gleichen Steuereinnamen des Staates – seinem Laster ungehemmt frönen. Damit ist zwar erklärt, was man unter steuerlichen Zusatzlasten zu verstehen
hat, jedoch bleiben in dieser Geschichte einige wichtige Elemente unberücksichtigt. So wird
bezweifelt, dass im Falle des Rauchers das kurzfristige Interesse des Rauchers der alleinige
Maßstab sein soll. Bekanntlich untergräbt er durch seinen Zigarettenkonsum seine Gesundheit
auf Dauer erheblich – und er belastet andere durch höhere Gesundheitsausgaben für raucherspezifische Krankheiten und die Schäden und Belästigungen des Passivrauchens. Diese Folgen des Rauchens werden oftmals als Gründe für die besonders hohe steuerliche Belastung
von Zigaretten angeführt. Die Tabaksteuer soll als Lenkungsteuer wirken, die zu einer Verminderung des Zigarettenkonsums beiträgt und somit dessen wohlfahrtsschädliche Wirkungen
reduziert. Umgekehrt verspricht die Tabakbesteuerung also Wohlfahrtsgewinne, die den soeben beschriebenen Excess Burdens gegenübergestellt werden müssen.
b) Die Slutzky-Gleichung
Mathematisch lässt sich die Unterteilung in Einkommens- und Substitutionseffekt mit Hilfe
der Slutzky-Gleichungen beschreiben. Zu deren formaler Herleitung kürzen wir die Mengenänderung durch Einkommens- und Substitutionseffekt in der folgenden Weise ab:
(IV-3-4)
∆x2E = x2C − x2A
(E " Einkommenseffekt)
(IV-3-5)
∆x2S = x2B − x2C
(S " Substitutionseffekt)
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Für den Gesamteffekt ∆x2 = x2B − x2A gilt dann
(IV-3-6)
∆x2 = ∆x2S + ∆x2E
bzw. nach Division beider Seiten von (IV-3-6) durch ∆p2
(IV-3-7)
∆x2 ∆x2S ∆x2E
.
=
+
∆p2 ∆p2 ∆p2
Der zweite Summand auf der rechten Seite von (IV-3-7) lässt sich weiter in zwei Komponenten zerlegen, und zwar in die durch ∆p2 verursachte Änderung des effektiven Einkommens
∆y / ∆p2 und die von dieser Einkommensänderung dann ausgelöste Veränderung der Nachfrage ∆x2 / ∆y . Man hat dann
(IV-3-8)
∆x2E ∆x2 ∆y
.
=
∆p2 ∆y ∆p2
Über ∆y infolge einer Preisänderung ∆p2 = p! 2 − p2 wissen wir aber schon Bescheid. Zuvor
hatten wir ja bereits den Einkommensverlust quantifiziert (vgl. (IV-3-1)). Für die Einkommensänderung gilt also
(IV-3-9)
∆y = −( p! 2 − p2 ) x2B = −∆p2 x2B .
Insgesamt erhält die Slutzky-Gleichung gemäß (IV-3-7) schließlich die folgende Form
(IV-3-10)
∆x2 ∆x2S
∆x
=
− x2B 2 .
∆p2 ∆p2
∆y
# $%&
SE
EE
Wenn ∆p2 gegen null geht, erhält man als infinitesimale Version der Slutzky-Gleichung
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(IV-3-11)
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∂x2 ∂x2
∂x
=
− x2 2 .
∂p2 ∂p2 S
∂y
Für das Gut 1 mit dem unveränderten Preis p1 bekommt man ganz analog die SlutzkyGleichung
(IV-3-12)
∆x1 ∆x1S
∆x
=
− x2B 1
∆p2 ∆p2
∆y
bzw. in infinitesimaler Form
(IV-3-13)
∂x1 ∂x1
∂x
=
− x2 1 .
∂p2 ∂p2 S
∂y
(Warum taucht übrigens in den Slutzky-Gleichungen für Gut 1 im zweiten Summanden x2
und nicht x1 auf? Auf den ersten Blick sieht es ja eher wie ein Tippfehler aus, der hier jedoch
nicht vorliegt!)
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie: Die indirekte Nutzenfunktion und die Dualitätstheorie
Anders als in den vorherigen Kapiteln wird es in diesem Abschnitt mathematisch etwas
schwieriger. Da sich aber die zentralen Zusammenhänge nicht anders begründen lassen, packen wir's an.
a) Die indirekte Nutzenfunktion
Der Lagrange-Multiplikator λ , der bei der mathematischen Lösung des Nutzenmaximierungsproblems des Haushalts aufgetreten war, hatte bislang nur eine rein formale Bedeutung.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass sich λ auch ökonomisch deuten lässt. Zu
diesem Zweck beschreiben wir wieder die Nachfrage nach den beiden Gütern allgemein als
Funktion der Preise p1 und p2 sowie des Einkommens y , d. h. in der Form x1 ( p1 , p2 , y ) und
x2 ( p1 , p2 , y ) . Wir überlegen uns dann, wie sich der Nutzen
(I-41)
u ( x1 ( p1 , p2 , y ), x2 ( p1 , p2 , y ))
ändert, wenn das Einkommen y marginal wächst (und die Preise p1 und p2 gleich bleiben).
Mit den üblichen Abkürzungen wird die daraus resultierende Nutzenänderung durch
(I-42)
du
∂x
∂x
= u1 1 + u2 2
dy
∂y
∂y
aufgezeigt, wobei ui =
∂u
wieder für die partielle Ableitung des Nutzens nach Gut i = 1,2
∂xi
steht. Weil - gemäß der Bedingungen (I-15) und (I-16) - ui = λ pi (für i = 1, 2 ) steht, lässt sich
der Ausdruck in (I-42) auch schreiben als
(I-43)
λ ( p1
∂x1
∂x
+ p2 2 ) .
∂y
∂y
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie
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Wichtig ist jetzt, dass man erkennt, dass in (I-43) in der Klammer nach λ gerade 1 steht. Um
einzusehen, weshalb dies so ist, leiten wir die Budgetgleichung p1 x1 + p2 x2 = y (bei konstanten Preisen p1 und p2 ) auf beiden Seiten nach y ab (vgl. hierzu bereits I-24).
Insgesamt gilt also
(I-44)
du
=λ
dy
Der Lagrange-Multiplikator λ lässt sich also als Grenznutzen des Einkommens auffassen, der
angibt, um wie viel sich der Nutzen des Individuums (bei konstanten Güterpreisen) marginal
ändert, wenn das Einkommen um eine marginale Einheit wächst.
Wenn man den vom Individuum erzielten Nutzen in Abhängigkeit der Preise p1 und p2 sowie des Einkommens y darstellt, spricht man auch von der indirekten Nutzenfunktion. Diese
bezeichnet man mit
(I-45)
v( p1 , p2 , y ) = u( x1 ( p1 , p2 , y ), x2 ( p1 , p2 , y )) .
Der Name "indirekt" rührt natürlich daher, dass der Nutzen gemäß (I-45) nicht in Abhängigkeit der direkt nutzenstiftenden Gütermengen x1 und x2 dargestellt wird. Mit Hilfe einer solchen indirekten Nutzenfunktion v( p1 , p2 , y ) lässt sich der formale Zusammenhang (I-44)
dann auch beschreiben als
(I-46)
∂v
=λ.
∂y
Der Lagrange-Multiplikator gibt also auch die Ableitung der indirekten Nutzenfunktion nach
der Einkommensvariablen y an.
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie
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Wir wollen jetzt prüfen, was sich über die Ableitung der indirekten Nutzenfunktion nach ihren anderen Argumenten, nämlich den Preisen p1 und p2 , sagen lässt. Wir bestimmen dabei
zunächst ∂v ∂p1 .
Aus (I-45) ergibt sich dann mit Hilfe der Kettenregel sowie (I-15) und (I-16):
(I-47)
∂v
∂x
∂x
∂x
∂x
= u1 1 + u2 2 = λ ( p1 1 + p2 2 ) .
∂p1
∂p1
∂p1
∂p1
∂p1
Um diesen Ausdruck weiter zu vereinfachen, leiten wir die Budgetgleichung p1 x1 + p2 x2 = y
jetzt nach p1 ab. Mit Hilfe der Produktregel und weil y eine Konstante ist, folgt
(I-48)
x1 + p1
∂x1
∂x
+ p2 2 = 0
∂p1
∂p1
und somit
(I-49)
p1
∂x1
∂x
+ p2 2 = − x1 .
∂p1
∂p1
Die Identität (I-49) in (I-47) eingesetzt führt zu
(I-50)
∂v
= −λ x1 .
∂p1
Für das zweite Gut kann man die gleiche Überlegung anstellen und bekommt
(I-51)
∂v
= −λ x2 .
∂p2
Wenn man schließlich (I-46) und (I-50) bzw. (I-51) miteinander kombiniert, erhält man
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie
(I-52)
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∂v / ∂pi
= − xi
∂v / ∂y
für i = 1, 2 . In der Literatur ist diese Gleichung als Roy-Identität bekannt.
b) Die Grundlagen der Dualitätstheorie
Der übliche Ansatz, dem wir bisher auch gefolgt sind, besteht darin, die für den Haushalt optimalen Nachfragemengen für ein fixes Einkommen y zu betrachten. Dabei erhält man (in
Abhängigkeit der Preise p1 und p2 ) die Marshall-Nachfrage. Alternativ hierzu kann man
aber auch von einem fixen Nutzenniveau u ausgehen und fragen, welche Gütermengen
x1h ( p1 , p2 , u ) und x2h ( p1 , p2 , u ) der Haushalt bei Güterpreisen p1 und p2 nachfragen würde,
wenn er im entsprechenden Haushaltsgleichgewicht gerade das Nutzenniveau u erreichen
soll. Diese vom Nutzenniveau abhängigen Nachfragefunktionen bezeichnet man auch als
Hicks-Nachfragefunktionen. Man kann sich vorstellen, dass das Einkommen des Individuums
so angepasst wird, dass es nach dieser Anpassung (Kompensation) seine Konsumgütermengen
in der üblichen Weise wählt. Deshalb ist für die Hicks-Nachfragefunktionen auch die Bezeichnung kompensierte Nachfrage gebräuchlich.
Abbildung IV-25
x2
E ( p1 , p2 , u )
p2
tan α =
p1
p2
A
u
α
0
E ( p1 , p2 , u ) p1
x1
Grafisch bestimmen sich die Hicks-Nachfragemengen dadurch, dass man sich überlegt, an
welcher Stelle der zu u gehörigen Indifferenzkurve deren Anstieg gerade dem Preisverhältnis
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie
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− p1 / p2 entspricht. Anders gesagt: Es wird an die zu u gehörige Indifferenzkurve die Tangente mit dem Anstieg − p1 / p2 gelegt. Die Koordinaten des Tangentialpunkts A geben dann
die Hicks-Nachfragemengen für die beiden Güter an (vgl. Abbildung IV-25).
Im Sinne des Kompensationsgedankens interessiert jetzt natürlich, für welches (hypothetische) Einkommen das Individuum gerade die Hicks-Nachfragemengen x1h ( p1 , p2 , u ) und
x2h ( p1 , p2 , u ) realisiert. In Abhängigkeit von p1 , p2 und u wird das entsprechende Einkommen durch die Ausgabenfunktion (Expenditure Function) E ( p1 , p2 , u ) angegeben. In der Abbildung I-25 ist dann E ( p1 , p2 , u ) / pi gerade der xi -Achsenabschnitt ( i = 1, 2 ) der Tangente
an die Indifferenzkurve u .
Formal gilt
(I-53)
E ( p1 , p2 , u ) = p1 x1h ( p1 , p2 , u ) + p2 x2h ( p1 , p2 , u ) .
Mit den üblichen Abkürzungen ergibt sich für die Ableitung der Ausgabenfunktion nach dem
Preis p1
(I-54)
∂E
∂x h
∂x h
= x1h ( p1 , p2 , u ) + p1 1 + p2 2 .
∂p1
∂p1
∂p1
Annahmegemäß soll im Rahmen des Konzepts der Hicks-Nachfrage bei einer Veränderung
des Preises von Gut 1 der Nutzen konstant gehalten werden. Die Mengen x1 und x2 sind also
jeweils so anzupassen, dass
(I-55)
u ( x1h ( p1 , p2 , u ), x2h ( p1 , p2 , u )) = u = const.
gilt. Die Ableitung von (I-55) nach p1 muss also null sein:
(I-56)
u1
∂x1h
∂x h
+ u2 2 = 0
∂p1
∂p1
bzw.
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4. Ergänzungen zur Haushaltstheorie
(I-57)
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u1 ∂x1h ∂x2h
+
= 0.
u2 ∂p1 ∂p1
Das Verhältnis der Grenznutzen u1 / u2 muss in einem Haushaltsoptimum gerade dem Preisverhältnis p1 / p2 entsprechen. Nichts anderes bringt ja die Tangentialbedingung zum Ausdruck. Somit wird (I-57) zu
(I-58)
p1 ∂x1h ∂x2h
+
=0
p2 ∂p1 ∂p1
bzw. nach Multiplikation mit p2
(I-59)
p1
∂x1h
∂x h
+ p2 2 = 0 .
∂p1
∂p1
In der Formel (I-54) fällt also der hintere Teil weg, so dass
(I-60)
∂E
= x1h ( p1 , p2 , u )
∂p1
lautet. Die Ableitung der Ausgabenfunktion nach dem Preis eines Gutes stimmt also mit der
Hicks-Nachfrage nach diesem Gut überein. In der Literatur wird dieser Zusammenhang auch
als Shephard's Lemma bezeichnet.
Grafisch ergibt sich die Veränderung der Ausgabenfunktion bei Erhöhung des Preises p1 dadurch, dass man die Tangente an die Indifferenzkurve zu u nach oben abrollt und dann die
Veränderung der Achsenabschnitte der Tangente bestimmt. Auf diesem Weg kann man die
Aussage von Shephard's Lemma auch grafisch begründen.
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