410 Praxismanagement Wie hoch ist mein Budget wirklich? 70% ist 100% Das System für die Vergütung der Vertragsärzte dürfte bekannt sein: Die gesetzlichen Krankenkassen überweisen den Kassenärztlichen Vereinigungen der jeweiligen Länder Kopfpauschalen für jedes Ihrer Mitglieder. Berechnungsgrundlage ist ein Durchschnittswert aus dem Jahre 1991, der jährlich angepasst wird. Transparent ist dieser Vorgang dennoch nicht. Die KVen verteilen das an sie überwiesene Geld auf ihre Vertragsärzte. Dafür hat jedes Land einen Honorarverteilungsmaßstab (HVM oder HVV = Honorarverteilungsvertrag) entwickelt. Diese unterscheiden sich zwar, letztendlich läuft es aber immer auf dieselbe Struktur hinaus, denn jeder Leistung ist bundeseinheitlich ein Punktwert (ab 2009 -Wert) gemäß dem EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) zugeordnet. Da die Geldmenge der KVen begrenzt ist – sprich 3 Fragen zum Kernvolumen 1. Was passiert, wenn in einer Praxis „auf Teufel komm raus“ gearbeitet wird und das iGV um 30% überschritten wird? 30% Mehrleistungen zum Punktwert von 0,18 Cent – 25% im Konvergenzvolumen zu circa 1,8 Cent und 70% im wirtschaftlich sinnvollen Kernvolumen. Im nächsten Schritt wird das „Ranking“ vielleicht dafür sorgen, dass diese Praxis 1% mehr Kernvolumen zugesprochen bekommt! Eine „enorme“ (ironisch!) Steigerung durch einen tatsächlich enormen Aufwand 2. Was passiert wenn eine Praxis 100% ihres iGV erbringt („Punktlandung”)? 70% Kernvolumen bleibt, und wird als „gut“ vergütet. 25% Konvergenzvolumen wird als „schlecht“ vergütet – die Praxis wird nicht im Ranking an der „Zugewinnverteilung“ teilhaben. Also wird diese Praxis mit ihrer Punktlandung finanziell eher eine kleine Bruchlandung machen 3. Was passiert, wenn eine Praxis genau ihr Kernvolumen von 70% erfüllt? Das ist neu: Das Kernvolumen bleibt so wie es ist! Das heißt diese Praxis arbeitet ausschließlich im rentablen Bereich der Vergütung, das Kernvolumen wird nicht gekürzt Abb. 1 Aufteilung des individuellen Gesamtvolumens (iGV) der Topf „gedeckelt“ ist – und nur eine endliche Menge der erbrachten ärztlichen Leistungen vergüten kann, werden in den jeweiligen HVMn die arztgruppenbezogenen Regelleistungsvolumina zur Ermittlung der Punktebudgets jeder einzelnen Praxis verwendet. Jeder Leistung ist ein Punktwert zugeordnet Ein Teil der erbrachten Leistungen jedes Arztes wird zu einem festen Punktwert (4,xx Cent) abgerechnet. Ein weiterer Anteil wird zu einem „schlechten“ Punktwert vergütet und ein Teil der Leistungen oberhalb des Budgets wird zu einem nicht nennenswerten Punktwert abgerechnet. Neue Aufteilung des individuellen Gesamtvolumens Am Beispiel Schleswig-Holstein soll hier deutlich gemacht werden, was die Politik mit den neuen Ergänzungsvereinbarungen zum HVM bezwecken will. Zwingend musste auf die neue Gesundheitsreform reagiert werden. Das sogenannte Mehrleistungsvolumen (alles was über dem individuellen Gesamtvolumen – iGV – erbracht wird, also die „offizielle Budgetüberschreitung“) wollen wir hier nicht betrachten. Denn ein Punktwert von 0,1x Cent und weniger kann nur zur wirtschaftlichen Verschlechterung einer Praxis führen. Seit dem 2. Quartal 2007 werden in Schleswig-Holstein die 100 % (iGV) in 3 Volumina eingeteilt (Abb. 1). Vor diesem Zeitpunkt bestand dies aus Kern- und Konvergenzvolumen (70 %/30 %). Kürzungen des Budgets bezogen sich immer auf die 100 %, was bedeutet, dass auch das Kernvolumen unter einer Kürzung des Budgets gelitten hat. Die Aufteilung wird jedes Quartal neu erstellt. Das Zugewinnvolumen wird nach einem komplizierten Ranking-Sys tem unter Ärzten verteilt, die ihr Kernvolumen überschreiten. Die Praxis mit der höchsten Überschreitung bekommt 1 % Zuwachs zum iGV. Praxen, die ihr Kernvolumen unterschreiten, werden um ¼ der Unterschreitung für das Folgequartal des nächsten Jahres gekürzt (siehe Kasten). Diese Regelungen findet man genauer in der 7. Ergänzungsvereinbarung zum HVM der KV-SchleswigHolstein. Die Auswertung einer Facharztpraxis in Schleswig-Holstein ergab folgendes: Mit Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34 (8+9): Praxismanagement „Hamsterradeffekt“ ist ein betriebswirtschaftlicher Begriff! (1). Daher sollten sich Ärzte die Zeit freimachen für Dinge, die sie tun möchten. Die Präferenzen setzt dabei jeder selbst. Zum Beispiel: • Die Praxis besser zu organisieren, • Zeit für Patienten, • Zeit für genau die Medizin zu haben, die Sie anbieten wollen, • Zeit für Fortbildung, Spezialisierung, Medizinisches Alleinstellungsmerkmal aufbauen etc., • Zeit für Mitarbeitergespräche, • Oder aber einfach – Freizeit! Abb. 2 Auswertungsbeispiel einer Facharztpraxis mit Zeitpotenzial Abb. 3 Auswertungsbeispiel einer wirtschaftlich effizienten Facharztpraxis 67 % der „KV-Arbeitszeit“ werden 94 % des KV-Umsatzes erzielt ( Kernvolumen). Mit 9 % „KV-Arbeitszeit“ werden 5 % des KV-Umsatzes erzielt ( Konvergenzvolumen). Mit 24 % der „KV-Arbeitszeit“ werden 1 % des KV-Umsatzes erzielt ( Mehrleistungsvolumen = offizielle Budgetüberschreitung). Diese Praxis hat also ein Zeitpotenzial von 25 %, das sie wirtschaftlich besser nutzen könnte (Abb. 2). Eine weitere Praxis arbeitet fast punktgenau im wirtschaftlich effizienten Bereich (Abb. 3). Grundsätzlich gilt fast in jeder KV in Deutschland, dass eine Facharztpraxis mit einem durchschnittlichen Punktebudget rund 1,5 bis 2 Wo- chentage zur Budgeterfüllung benötigt, eine Hausarztpraxis rund 2,5 Wochentage. Nach dem EBM 2008 werden in der Regel die Budgets noch schneller gefüllt. Hauptsächlich werden nur noch die ersten Patientenkontakte pro Quartal bezahlt. Diese werden im EBM aber höher bewertet. Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34 (8+9): Weg vom „Hamsterradeffekt“ Die Zeit ist in einem Dienstleistungsunternehmen immer der begrenzende Faktor. Bei Ärzten ist dieser Faktor noch viel wirkungsvoller, da nur sie selbst diese höchstpersönliche Dienstleistung erbringen können. Damit ist der Arzt der sich selbst begrenzende Faktor. Der Dennoch bleibt zu bedenken: Der sogenannte Grenznutzen jeder zusätzlich erbrachten Arztstunde über dem Kernvolumen ist äußerst gering. In diesem Sinne gilt: 70 % ist 100 %. Literatur 1 Winkelhake O. Geschäftsmodelle in vernetzten Gesundheitssystemen 2007. Skript, RheinAhrCampus (im Internet unter www. winkelpedia.org) Korrespondenz Dipl. agr. oec. André Bernert Finanz-Praxis Finanz- und Praxismanagement für Ärzte GmbH Holstenstraße 108 24103 Kiel Fax: 0431/9797179 [email protected] 411
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