Wie hoch ist mein Budget wirklich?

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Praxismanagement
Wie hoch ist mein Budget wirklich?
70% ist 100%
Das System für die Vergütung der Vertragsärzte dürfte bekannt sein: Die gesetzlichen Krankenkassen überweisen den Kassenärztlichen Vereinigungen der jeweiligen
Länder Kopfpauschalen für jedes Ihrer Mitglieder. Berechnungsgrundlage ist ein
Durchschnittswert aus dem Jahre 1991, der jährlich angepasst wird. Transparent ist
dieser Vorgang dennoch nicht.
Die KVen verteilen das an sie überwiesene Geld auf ihre Vertragsärzte. Dafür hat
jedes Land einen Honorarverteilungsmaßstab (HVM oder HVV = Honorarverteilungsvertrag) entwickelt. Diese unterscheiden sich zwar, letztendlich läuft
es aber immer auf dieselbe Struktur hinaus, denn jeder Leistung ist bundeseinheitlich ein Punktwert (ab 2009 -Wert)
gemäß dem EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) zugeordnet. Da die Geldmenge der KVen begrenzt ist – sprich
3 Fragen zum Kernvolumen
1. Was passiert, wenn in einer Praxis „auf Teufel komm raus“ gearbeitet wird und
das iGV um 30% überschritten wird?
30% Mehrleistungen zum Punktwert von 0,18 Cent – 25% im Konvergenzvolumen zu
circa 1,8 Cent und 70% im wirtschaftlich sinnvollen Kernvolumen. Im nächsten Schritt
wird das „Ranking“ vielleicht dafür sorgen, dass diese Praxis 1% mehr Kernvolumen
zugesprochen bekommt! Eine „enorme“ (ironisch!) Steigerung durch einen tatsächlich enormen Aufwand
2. Was passiert wenn eine Praxis 100% ihres iGV erbringt („Punktlandung”)?
70% Kernvolumen bleibt, und wird als „gut“ vergütet. 25% Konvergenzvolumen wird
als „schlecht“ vergütet – die Praxis wird nicht im Ranking an der „Zugewinnverteilung“ teilhaben. Also wird diese Praxis mit ihrer Punktlandung finanziell eher eine
kleine Bruchlandung machen
3. Was passiert, wenn eine Praxis genau ihr Kernvolumen von 70% erfüllt?
Das ist neu: Das Kernvolumen bleibt so wie es ist! Das heißt diese Praxis arbeitet ausschließlich im rentablen Bereich der Vergütung, das Kernvolumen wird nicht gekürzt
Abb. 1 Aufteilung des individuellen Gesamtvolumens (iGV)
der Topf „gedeckelt“ ist – und nur eine
endliche Menge der erbrachten ärztlichen Leistungen vergüten kann, werden
in den jeweiligen HVMn die arztgruppenbezogenen Regelleistungsvolumina
zur Ermittlung der Punktebudgets jeder
einzelnen Praxis verwendet.
Jeder Leistung ist ein Punktwert
zugeordnet
Ein Teil der erbrachten Leistungen jedes
Arztes wird zu einem festen Punktwert
(4,xx Cent) abgerechnet. Ein weiterer Anteil wird zu einem „schlechten“
Punktwert vergütet und ein Teil der
Leis­tungen oberhalb des Budgets wird
zu einem nicht nennenswerten Punktwert abgerechnet.
Neue Aufteilung des individuellen
Gesamtvolumens
Am Beispiel Schleswig-Holstein soll
hier deutlich gemacht werden, was die
Politik mit den neuen Ergänzungsvereinbarungen zum HVM bezwecken will.
Zwingend musste auf die neue Gesundheitsreform reagiert werden.
Das sogenannte Mehrleistungsvolumen
(alles was über dem individuellen Gesamtvolumen – iGV – erbracht wird,
also die „offizielle Budgetüberschreitung“) wollen wir hier nicht betrachten.
Denn ein Punktwert von 0,1x Cent und
weniger kann nur zur wirtschaftlichen
Verschlechterung einer Praxis führen.
Seit dem 2. Quartal 2007 werden in
Schleswig-Holstein die 100 % (iGV) in 3
Volumina eingeteilt (Abb. 1). Vor diesem
Zeitpunkt bestand dies aus Kern- und
Konvergenzvolumen (70 %/30 %). Kürzungen des Budgets bezogen sich immer
auf die 100 %, was bedeutet, dass auch
das Kernvolumen unter einer Kürzung
des Budgets gelitten hat.
Die Aufteilung wird jedes Quartal neu
erstellt. Das Zugewinnvolumen wird
nach einem komplizierten Ranking-Sys­
tem unter Ärzten verteilt, die ihr Kernvolumen überschreiten. Die Praxis mit
der höchsten Überschreitung bekommt
1 % Zuwachs zum iGV. Praxen, die ihr
Kernvolumen unterschreiten, werden
um ¼ der Unterschreitung für das Folgequartal des nächsten Jahres gekürzt
(siehe Kasten). Diese Regelungen findet
man genauer in der 7. Ergänzungsvereinbarung zum HVM der KV-SchleswigHolstein.
Die Auswertung einer Facharztpraxis in
Schleswig-Holstein ergab folgendes: Mit
Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34 (8+9):
Praxismanagement
„Hamsterradeffekt“ ist ein betriebswirtschaftlicher Begriff! (1). Daher sollten
sich Ärzte die Zeit freimachen für Dinge, die sie tun möchten. Die Präferenzen
setzt dabei jeder selbst. Zum Beispiel:
• Die Praxis besser zu organisieren,
• Zeit für Patienten,
• Zeit für genau die Medizin zu haben,
die Sie anbieten wollen,
• Zeit für Fortbildung, Spezialisierung,
Medizinisches Alleinstellungsmerkmal aufbauen etc.,
• Zeit für Mitarbeitergespräche,
• Oder aber einfach – Freizeit!
Abb. 2 Auswertungsbeispiel einer
Facharztpraxis mit Zeitpotenzial
Abb. 3 Auswertungsbeispiel einer
wirtschaftlich effizienten Facharztpraxis
67 % der „KV-Arbeitszeit“ werden 94 %
des KV-Umsatzes erzielt ( Kernvolumen). Mit 9 % „KV-Arbeitszeit“ werden
5 % des KV-Umsatzes erzielt ( Konvergenzvolumen). Mit 24 % der „KV-Arbeitszeit“ werden 1 % des KV-Umsatzes
erzielt ( Mehrleistungsvolumen = offizielle Budgetüberschreitung). Diese Praxis hat also ein Zeitpotenzial von 25 %,
das sie wirtschaftlich besser nutzen
könnte (Abb. 2).
Eine weitere Praxis arbeitet fast punktgenau im wirtschaftlich effizienten Bereich (Abb. 3). Grundsätzlich gilt fast
in jeder KV in Deutschland, dass eine
Facharztpraxis mit einem durchschnittlichen Punktebudget rund 1,5 bis 2 Wo-
chentage zur Budgeterfüllung benötigt,
eine Hausarztpraxis rund 2,5 Wochentage. Nach dem EBM 2008 werden in der
Regel die Budgets noch schneller gefüllt.
Hauptsächlich werden nur noch die ersten Patientenkontakte pro Quartal bezahlt. Diese werden im EBM aber höher
bewertet.
Notfall & Hausarztmedizin 2008; 34 (8+9):
Weg vom „Hamsterradeffekt“
Die Zeit ist in einem Dienstleistungsunternehmen immer der begrenzende
Faktor. Bei Ärzten ist dieser Faktor noch
viel wirkungsvoller, da nur sie selbst
diese höchstpersönliche Dienstleistung
erbringen können. Damit ist der Arzt
der sich selbst begrenzende Faktor. Der
Dennoch bleibt zu bedenken: Der sogenannte Grenznutzen jeder zusätzlich
erbrachten Arztstunde über dem Kernvolumen ist äußerst gering. In diesem
Sinne gilt: 70 % ist 100 %.
Literatur
1
Winkelhake O. Geschäftsmodelle in vernetzten Gesundheitssystemen 2007. Skript,
RheinAhrCampus (im Internet unter www.
winkelpedia.org)
Korrespondenz
Dipl. agr. oec. André Bernert
Finanz-Praxis
Finanz- und Praxismanagement
für Ärzte GmbH
Holstenstraße 108
24103 Kiel
Fax: 0431/9797179
[email protected]
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