Die Orthopädie definiert sich nach der Weiterbildungsordnung wie

Antwort der
Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie e. V.
auf die
Befragung von Fachgesellschaften durch den Sachverständigenrat
für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen
Die Orthopädie definiert sich nach der Weiterbildungsordnung wie folgt:
„Die Orthopädie umfaßt die Prävention, Erkennung und Behandlung von angeborenen und
erworbenen Formveränderung und Funktionsstörungen, Erkrankungen, Verletzungen und
Verletzungsfolgen der Stütz- und Bewegungsorgane und die Rehabilitation“
Der orthopädische Fachbereich umfaßt folgende Gebiete:
Die orthopädische Diagnostik, einschließlich orthopädischer Radiologie, der Sonographie
und der Magnet-Resonanz-Tomographie,
die orthopädische Therapie, sowohl konservativ als auch operativ/chirurgisch. (8)
In Anlehnung an die Forderung des SGB V repräsentiert das Fach ein geschlossenes
System im Sinne orthopädischer Integration zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung orthopädischer Erkrankungen und Traumatisierungen vom Säugling bis ins hohe
Alter.
Orthopädische Kernbereiche sind:
Kinderorthopädie,
Sportorthopädie,
Neuroorthopädie,
die orthopädische
.-Rheumatologie,
-Traumatologie,
-Arbeitsmedizin,
-Onkologie,
-Phlebologie,
-Osteologie,
-Psychosomatik,
-Rehabilitation und Prävention
und die experimentelle Orthopädie. (8)
1
Indikationsbezogene Befragung
Hauptindikationen des orthopädischen Fachgebietes sind im Speziellen die folgenden:
1. Gelenkerkrankungen
• Konservative
Therapie
(Physiotherapie,
Gelenkinjektionen,
medikamentöse
antiphlogistische Basistherapie rheumatischer Erkrankungen, Orthesen und präventive
Maßnahmen
• Operative Therapie (Gelenkerhaltende Operationen, z. B. Korrekturosteotomien,
Synovektomien,
Knorpelersatzoperationen,
Gelenkdebridement
und
Gelenkersatzoperationen, z. B. Totalendoprothesen, heute seltener Arthrodesen)
2. Wirbelsäulenerkrankungen und Wirbelsäulendefomitäten
• Konservative und operative Therapie von: Bandscheibenleiden, Arthrosen der
Wirbelgelenke,
engem
Spinalkanal,
Nervenwurzelstenosen
und
Nervenkompressionssyndromen, Spondylitis
• Konservative und operative Therapie von: Skoliosen, Kyphosen, Olisthesen,
posttraumatischen Fehlstellungen und anderer angeborener und erworbener
Deformitäten.
3. Behandlung von Verletzungsfolgen
• Arbeit, Freizeit und Sport
4. Störungen des Knochenmineralhaushalts
• (Osteoporose)
Sonstige, wichtige Indikationsbereiche des orthopädischen Fachgebietes:
5. Kindliche Fehlbildungen
6. Tumorbehandlungen
7. Orthopädische Rheumatologie
Indikationsbereiche, die in fachlicher Nähe zum orthopädischen Fachgebiet stehen:
8. Frische Verletzungen der Bewegungsorgane
9. Orthopädische Schmerztherapie in Korrelation zu den oben aufgeführten Punkten.
10. Psychosomatik
Problembeschreibung
A. Allgemein:
Krankheiten (Disease) führen zu Schädigungen (Impairment), die in Fähigkeitsstörungen =
Einschränkungen von Funktionen (Disability) und auf der gesellschaftlichen Ebene
In „sozialer Beeinträchtigung“ (Handicap) münden. (13)
2
Aufgrund der demographischen Veränderungen werden in zehn Jahren in Europa und
Nordamerika erstmals mehr Menschen älter als 60, denn jünger als 20 sein. Im Jahr 2020
werden die Älteren in den entwickelten Ländern bereits 25% der Bevölkerung ausmachen.
Im Global Burden of Disease – Report der WHO und Weltbank (9) wird eindringlich auf die
hierdurch verschobenen Prioritäten hingewiesen: So erlangen Erkrankungen der Haltungsund Bewegungsorgane, die überwiegend in der zweiten Lebenshälfte eintreten, zusätzliche
Bedeutung. (24)
Einige epidemiologische und gesundheitsökonomische Beispiele sollen das Ausmaß dieses
Phänomens verdeutlichen:
Orthopädische Krankheitszustände sind die häufigste Krankheitsart, die in den Arztpraxen in
den USA gesehen wird (13,8% aller Arztbesuche). (14)
Orthopädische Krankheitsbilder sind die zweit häufigste Krankheitsart bei den Kurzzeit–
Klinikaufenthalten in den USA. (14)
Orthopädische Krankheitsbilder sind die Hauptursache für Aktivitätsbegrenzung (Invalidität)
und Bettlägerigkeit in den USA. (14)
Bei 25 bis 44 jährigen Männern stehen Erkrankungen des Skeletts, der Muskeln und des
Bindegewebes auf Rang 1 und 2 der ambulanten Arztkontakte. Abgrenzung tatsächlicher
orthopädischer Erkrankungen von sogen. „rheumatischen“ Erkrankungen ist wegen der
schlechten Datenlage nicht möglich. Die verletzungsbedingten Krankenhausaufenthalte und
Arbeitsunfähigkeitszeiten neben hohe Werte ein: 19% der Khs.-Tage bei Männern und 24%
der AU-Tage werden durch Verletzungen verursacht, bei Frauen sind es 6% bzw. 10%. (2)
Ähnliches Verhalten in der Altersgruppe 45 bis 64 Jahre: 26% der AU-Tage bei Männern und
25% bei Frauen sind durch diese Erkrankungen bestimmt. Bei AOK-Mitgliedern werden 13%
der Krankenhaustage hierdurch bedingt. Im Vordergrund stehen dabei degenerative
Wirbelsäulen und Gelenkerkrankungen Erkrankungen bestimmt. (2)
Die Krankheiten, die in den ICD-Gruppen 710 bis 719 und 730 bis 739 zusammengefaßt
sind, verursachen 4,35% aller Krankenhausfälle, bzw. 4,93% aller Krankenhaustage. Bezieht
man noch die ICD-Gruppen820 bis 829 und 840 bis 848 ein, ergeben sich zusammen 7,67%
der Krankenhausfälle und 9,39% der Krankenhaustage. (11)
In der ambulanten Versorgung sind Krankheiten von Skelett, Muskeln, Bindegewebe und des
rheumatischen Formenkreises mit zusammen 9,7% die häufigsten Anlässe für ArztPatientenkontakte. Im Jahr gibt es durchschnittlich 42,7 Millionen Arztkontakte wegen
Arthritiden, wovon die Orthopäden einen Anteil von 10,7 Millionen, also etwa knapp 25%
erarbeiten. (11)
Zwischen 1980 und 1990 kam es in Deutschland zu einer Steigerung der Gesamtkosten im
Gesundheitswesens von ca. 15%. Die Kosten für die Erkrankungen der Bewegungsorgane
stiegen im gleichen Zeitraum um 30% und somit stärker als alle anderen Krankheitsgruppen.
(19)
Jährlich gehen ca. 563 Millionen Arbeitstage durch Krankheit verloren, davon entfallen auf
Arthro- und Osteopathien 32,3 Millionen, das sind 5,7%. Wegen der gleichen Erkrankungen
sind 27.717 = 9,4% Frührenten jährlich. Die gesamten Behandlungs- und Folgekosten
wegen dieser Erkrankungen belaufen sich jährlich auf 16,26 Milliarden DM. Dabei beträgt der
Anteil der direkten Kosten an den Gesamtausgaben der GKV 4,4%, die indirekten
Folgekosten sind sogar 1,5 mal so hoch, sie betragen 9,72 Milliarden DM, direkte und
indirekte
Kosten
machen
somit
schätzungsweise
0,47%
des
deutschen
Bruttosozialproduktes aus. (11)
3
27% der Frühberentungen erfolgten 1985 wegen degenerativer oder rheumatischer
Erkrankungen, das ergibt jährliche Kosten von 15,2 Milliarden DM wegen dieser
Erkrankungen. (19)
B. Speziell:
Zu 1:
In den USA sind Gelenkerkrankungen die zweit häufigste chronische Krankheit, bei Frauen
sogar die häufigste. (14)
Gelenkerkrankungen (insbesondere Osteoarthrose) betreffen bereits heute mehr als die
Hälfte aller chronischen Erkrankungen bei über 60-jährigen Patienten. Jeder 4. Mensch in
diesem Alter leidet dadurch unter starken Schmerzen und ist erheblich in seiner
Beweglichkeit eingeschränkt. Die Zahl der jährlich implantierten künstlichen Gelenke beläuft
sich in der Bundesrepublik Deutschland alleine bei Hüftgelenken auf weit über 100.000. (5)
Nach eigenen Untersuchungen liegen die Zahlen noch weit höher, es wurden für
Hüftendoprothesenoperationen Zahlen von über 180.000 und für Knieendoprothesen Zahlen
von über 50.000 errechnet. (4)
Durch die zu erwartende Steigerung der älteren Menschen in der Gesellschaft macht eine
weitere Steigerung dieser Zahlen wahrscheinlich, zunehmen werden entsprechend auch die
Wechseloperationen. (5)
Arthrosen bedingten 1995 ca. 2% aller gemeldeten Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) und
mehr als 6% aller Frühberentungen. Bei den Krankenhausbehandlungen sind die
Gelenkerkrankungen mit 2,4% aller Krankenhaustage eine führende Einzeldiagnose, ebenso
bei den Rehabilitationsmaßnahmen mit 5% aller Kurmaßnahmen. Direkte Kosten in diesem
Bereich werden auf knapp 10.6 Mrd. DM geschätzt. (5)
Die direkten Kosten für Leistungen wegen Arthrose werden für 1994 in Deutschland auf 10,6
Mrd. DM, das sind gut 3% der direkten Kosten, geschätzt. (16)
Bei gleichbleibendem alters- und geschlechtsspezifischem Vorkommen der Arthrose ist auf
Grund der Bevölkerungsentwicklung mit einem Anstieg der Zahl manifester Fälle von
Arthrose bis zum Jahr 2000 um 3%, bis 2010 um 15% gegenüber 1990 zu rechnen. (16)
Inzidenz und steigende Kosten orthopädisch-traumatologischer Erkrankungen haben die
Weltgesundheitsorganisation - WHO - dazu veranlasst, die erste Dekade dieses
Jahrtausends weltweit zur Bone and Joint-Decade zu erklären, in Deutschland vertreten
durch eine deutsche Liga unter orthopädischer Leitung. (7/24)
Zu 2:
Durch Rückenbeschwerden entstehen außerordentlich hohe Kosten. Mehr als 20 Mrd. DM
wurden 1994 für krankheitsbezogene direkte Kosten im ambulanten und stationären Sektor
ausgegeben, 34% aller Rehabilitationsmaßnahmen wurden wegen Rückenschmerzen
eingeleitet. In den meisten Industrieländern sind diese Beschwerden die zweit häufigste
Ursache für Arbeitsausfallstage, so auch in Deutschland mit 15% (75 Mio. AU-Tagen bei 3.7
Mio. AU-Fällen). Fast 20% aller Frühberentungen werden aufgrund dieser Beschwerden
eingeleitet. (16 und 20)
4
Wirbelsäulenerkrankungen sind – hinter denen des Respirationstraktes – die zweit häufigste
Ursache für Arbeitsunfähigkeit und bedingen den größten Produktionsverlust von allen
medizinischen Krankheitszuständen in den USA. (14)
Rückenschmerzen sind eine der häufigsten Gesundheitsstörungen. Mehr als Dreiviertel aller
Menschen werden im Verlauf des Lebens unter diesen Beschwerden gelitten haben, die
Prävalenz liegt im Erwachsenenalter zwischen 20 und 30%. Im Rahmen der ambulanten
Betreuung spielt diese Erkrankung eine wesentliche Rolle: etwa jede 5. Konsultation bei
niedergelassenen Ärzten wird aufgrund von „Low-back Pain“ vorgenommen. (18)
40% aller befragten deutschsprachigen Erwachsenen im Alter von 25 bis 74 Jahren bejahten
die Frage „Haben Sie heute Rückenschmerzen?“ Im letzten Jahr hatten 70%
Rückenschmerzen erlebt, jemals im Leben 80%. (16)
Rückenschmerzen verursachten 1993 im Bereich der GKV insgesamt ca. 3,7 Mio. AU-Fälle
mit ca. 75,5 Mio. AU Tagen.Ca. 15% aller AU-Tage werden mit Rückenproblemen
begründet. Die Dauer der AU liegt um 6 Tage über dem Gesamtdurchschnitt von 15 Tagen.
(16)
Bei Orthopäden entfielen auf Rückenbeschwerden mehr als ein Viertel aller Hauptanliegen
bei der ambulanten Versorgung. Im Krankenhaus wurden 1995 270 378 Behandlungsfälle
mit ca. 4,1 Mio. Behandlungstagen wegen Rückenschmerzen ausgewiesen. 1,8% aller
Krankenhausfälle, 2,2% aller Krankenhaustage. Der Anteil der Heilbehandlungen wegen
Dorsopathien stieg von 30% aller Maßnahmen im Jahr 1983 auf 37% im Jahr 1992 und
betrug 1995 noch 3%. (16)
Zu 3 und 4:
Verletzungen der Haltungs- und Bewegungsorgane machen über die Hälfte aller
Verletzungen in den USA aus (32 Millionen orthopädische Verletzungen im Jahre 1988).
Die orthopädischen Krankheitsbilder führten 1988 zu einer Belastung der US – Wirtschaft in
Höhe von 125 Milliarden Dollar. (14)
Derzeit erleiden in Deutschland jährlich nahezu 10 Mio. Menschen Verletzungen, etwa jeder
Zehnte wird deshalb stationär behandelt, knapp die Hälfte davon operiert. Verletzungen sind
in Deutschland der dritt häufigste Grund für eine Klinikaufnahme. Die direkten Kosten
betrugen 1994 fast 27 Mrd. DM, entsprechend etwa 8% aller Krankheitskosten (16).
Sturzursachen in höherem Lebensalter sind: Kreislaufstörungen, neurologische Störungen
einschließlich
Funktionsminderung
der
Sinnesorgane,
Hirnleistungsstörungen.
Umgebungsfaktoren:
Möblierung,
Fußbodenbeschaffenheit,
fremde
Umgebung.
Medikamentöse Folgen. (13)
Osteoporosebedingte Frakturen haben in den letzten Jahren– bedingt durch bessere
Diagnostik? – stark zugenommen. Studien zeigen, daß das Risiko von 50jährigen Frauen bis
zum Tode eine osteoporotische Fraktur zu erleiden bei 40% liegt (16). 10% aller Männer und
Frauen haben eine oder mehrere osteoporosebedingte Wirbelkörperveränderungen. (22)
Jährlich tritt bei etwa 5% aller 50-79jährigen Frauen eine neue Wirbelkörperdeformität auf.
Die Inzidenz der Schenkelhalsfrakturen wird für Deutschland auf über 100.000/Jahr
geschätzt. Das Risiko einen solchen Bruch zu erleiden, nimmt mit dem Alter exponential zu,
es verdoppelte sich mit jedem Lebensjahrzehnt über 65 Jahre. Weltweit wird ein Anstieg der
Zahl der Schenkelhalsfrakturen von 1,7 Mio. im Jahre 1990 auf 6.3 Mio. im Jahre 2050
erwartet, sofern nicht umfangreiche Vorbeugungsmaßnahmen eingeleitet werden. (15)
Insgesamt weisen die davon Betroffenen eine 20% höhere Sterblichkeit als Personen
gleichen Alters auf. Das Risiko, an den Komplikationen einer Schenkelhalsfraktur zu sterben,
5
entspricht bei Frauen dem Risiko an Brustkrebs zu versterben. In den westlichen Ländern
versterben mehr Menschen an den Folgen einer Schenkelhalsfraktur als an Magen- oder
Pankreaskarzinomen.
Etwa 250.000 dieser Patienten werden jedes Jahr, überwiegend frakturbedingt, in
Deutschland stationär behandelt, die Mehrzahl aufgrund einer Schenkelhalsfraktur. Allein für
diese Fälle werden die Kosten der Krankenhausbehandlung und der Pflegekosten auf über
6 Mrd. DM jährlich geschätzt (16).
Die Zahl der jährlich wegen Osteoporose notwendig werdenden stationären
Behandlungsfälle wird 1994 auf ca. 244 000 geschätzt, davon 196 000 Frauen. Das
entspricht etwa 5,3 Mio. Krankenhaustagen, das sind ca. 2,6 Mrd. DM. (16)
Die Häufigkeit von Frakturen wegen Osteoporose steigt bei Frauen mit zunehmendem Alter
steil an. Ca. 5 – 10% aller Patienten mit Schenkelhalsfrakturen versterben noch im
Krankenhaus und 7 – 60% je nach Alter, Geschlecht und Begleiterkrankungen im ersten Jahr
nach einer Schenkelhalsfraktur. (16)
Überversorgung
A. Allgemein
Eine Überversorgung orthopädisch erkrankter Patienten liegt nicht vor. Die Anzahl
orthopädisch-chirurgischer Betten ist in Deutschland zu niedrig angesetzt mit der Folge von
teilweise erheblichen Wartezeiten für den operativen Eingriff (siehe auch Kapitel
Unterversorgung). Nicht zuletzt durch diese Bettenknappheit in der Orthopädie werden in
zahlreichen chirurgischen und unfallchirurgischen Kliniken bis zu 50% der Betten mit zu
operierenden Patienten belegt, die an nicht unfallbedingten orthopädischen Erkrankungen
leiden.
Bei der demographischen Entwicklung unserer Bevölkerung ist von einer deutlichen
Zunahme operationsbedürftiger degenerativer Erkrankungen auszugehen, so daß eigentlich
die Bettenkapazität in der Orthopädie dringlichst erhöht werden müßte, was aber bei der
gegenwärtigen finanziellen Situation nicht zu realisieren ist. Nicht zuletzt um das Problem der
zu niedrigen Bettenkapazität in der Orthopädie zu lösen, wird gegenwärtig an einer
gemeinsamen Weiterbildungsordnung von Orthopädie/orthopädische Chirurgie und
Unfallchirurgie gearbeitet, die auf dem nächsten Deutschen Ärztetag im Jahre 2001 zur
Abstimmung vorgelegt werden soll. Bei positivem Votum des Ärztetages könnte in den
nächsten
15
Jahren
eine
allmähliche
Umstrukturierung
der
jetzigen
orthopädische/chirurgischen und der jetzigen unfallchirurgischen Kliniken in eine
gemeinsame Klinik erfolgen, in der sowohl die Erkrankungen wie auch die Verletzungen der
Bewegungsorgane behandelt werden. Vorbild ist die in den meisten europäischen Ländern,
aber auch sonst in der Welt etablierte "orthopaedic surgery" mit all ihren Schwerpunkten. Die
allmähliche Fusion beider Fächer würde zweifellos zu einer Qualitätsverbesserung in Bezug
auf die Behandlung von Verletzungen und Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane
führen. Bei einem Scheitern dieses Planes ist allerdings die Erhöhung der Bettenkapazität in
orthopädisch-chirurgischen Kliniken bzw. Abteilungen unumgänglich, um unserer immer älter
werdenden Bevölkerung eine einerseits qualitativ hochstehende, andererseits aber auch
zeitgerechte Behandlung ihrer degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen zu
ermöglichen.
6
B. Speziell
Zu den erwähnten Indikationsgruppen gibt es aus unserer Sicht keine Überversorgung.
Allenfalls gilt dies für die Behandlung von Rückenschmerzen, dies wird unter dem Punkt
Fehlversorgung , (B. Speziell zu 2) abgehandelt.
Unterversorgung
A. Allgemein
Generell ist hier anzumerken, daß das weitgehende Fehlen von Daten im Gesundheitswesen
als Ausdruck einer Unterversorgung anzusehen ist. Dies mag z. T. am Datenschutz liegen.
Zu bemängeln ist aber in erster Linie, daß die Krankenkassen zumindest seit Einführung der
ICD-9 im Krankenhaus und der ICPM durchaus in der Lage sein müßten, die notwendigen
Daten für stationär behandelte Patienten zu liefern.
Unsere Gesellschaft ist hierzu nicht in der Lage und bei der Sammlung von Daten auf
ausländische Veröffentlichungen, die schwer zu beschaffen sind, oder auf Daten des
statischen Bundesamtes angewiesen. Diese dürften auch dem Sachverständigenrat
vorliegen.
Defizite in der Orthopädie:
• Bisher fehlende gesetzliche Etablierung des Hüftscreenings bei Neugeborenen zur
Erkennung und ggf. Frühbehandlung von Hüftreifungsstörungen als verbindliche
Vorsorgemaßnahme.
• Meistens fehlende Etablierung der zur Durchführung ambulanter Operationen im
Krankenhaus erforderlichen Infrastrukturen.
• Noch unzureichende Instrumentarien zur detaillierten Leistungserfassung im
Zusammenhang mit der Bundespflegesatzverordnung bezüglich Sonderentgelten und
Fallpauschalen. (23)
Es gibt trotz bisher erfolgter Umschichtung in den Krankenhausbedarfsplänen immer noch zu
wenige orthopädische Betten. Dadurch gibt es in orthopädischen Akutkliniken oftmals
unverhältnismäßige lange Wartezeiten für die stationäre Behandlung. Dies konnte, auch in
orthopädischen Kliniken, trotz deutlich verkürzter Verweildauer der Patienten, nicht beseitigt
werden.
Für akut erkrankte Patienten mit entsprechend starken Beschwerden gibt es keine
genügende Zahl von Krankenhausbetten in konservativ eingerichteten, sogen. RehaKliniken. Wegen dort auch durchgeführter „Kuren“ weigern sich die Krankenkassen meist,
dort behandeln zu lassen.
Aus der Bundesrepublik liegt, neben einer ebenfalls sehr kleinen Zahl reiner
Kostenanalysen, nur eine einzige systematische Aufwands-Ertrags-Analyse eines operativen
Eingriffs vor. International wurden ca. 20% aller Evaluationsstudien der Kategorie
„chirurgische Eingriffe“ zugeordnet. (3)
Präventive Maßnahmen sind noch nicht genügend in der Versorgung der Bevölkerung
verankert. Hierzu folgende Daten:
Bei den Erstuntersuchten des Geburtsjahrgangs überwogen Störungen der Stütz- und
Bewegungsorgane alle anderen Störungen. Fußveränderungen lagen durchschnittlich knapp
unter 70%, solche der Wirbelsäule gut über 70%. Die nächst häufigen Störungen lagen bei
knapp über 40% (Psyche), oder knapp über 30% (Sehstörungen). Fuß- und
7
Wirbelsäulenveränderungen zeigten nur geringe Abweichungen unter Berücksichtigung der
Berufe. Die letztgenannten waren mit ca. 78% am häufigsten bei Berufen mit sitzender
Tätigkeit (Schüler, Studenten, Handel und Verwaltung), Fußschäden waren bei Bau- und
Landarbeitern mit ca. 75% am häufigsten. (6)
Zu starre Begrenzung der Budgets in Klinik und Praxis, dadurch z. T. jetzt schon
ungenügende Behandlungsmöglichkeiten, vor allem bei Patienten mit chronischen Leiden.
Vielfach Erschöpfung der operativen Möglichkeiten in den Kliniken, durch zu niedrige
Budgets.
Hierzu gehören auch die starren Budgets für Arznei- und Heilmittel, so daß notwendige
Therapieformen wie Krankengymnastik und andere Verfahren der Physiotherapie
insbesondere ambulant nicht mehr in ausreichendem Maße verordnet werden können.
Eine flächendeckende diagnostische radiologische Versorgung durch entsprechende
Fachärzte ist nicht vorhanden. Dies ist eine der Ursachen für die weitere Notwendigkeit einer
sogenannten fachgebundenen Radiologie, die in unserem Fall von den Fachärzten für
Orthopädie sichergestellt wird. Die immer wieder angeprangerte angebliche
„Selbstüberweisung“ zu röntgendiagnostischen Leistungen ist eine absolute Notwendigkeit
für die ausreichende ambulante Versorgung der Bevölkerung.
Bei der – rehabilitativen – Versorgung alter Menschen treten vorrangig folgende Probleme
auf:
• Es fehlt die enge Verzahnung zwischen Krankenbehandlung, der Pflege und der
Rehabilitation im Sinne aufeinander abgestimmter Therapiekonzepte. Die Rehabilitation
muß frühzeitig veranlaßt werden.
• Mehr ambulante rehabilitative Versorgungsangebote sind zu schaffen.
• Es fehlt ein Case-Management zur bedarfsgerechteren und frühzeitigeren Einleitung
gebotener Maßnahmen einschließlich der Vernetzung.
• Niedergelassene Ärzte und Krankenkassen müssen bei der Feststellung rehabilitationsbedürftiger Patienten und Veranlassung konkreter Rehabilitationsmaßnahmen besser
zusammenarbeiten. (13)
B. Speziell
Zu 1.
Die bisher vorliegenden Ergebnisse des klinischen und sonographischen Screenings der
Säuglingshüfte lassen der zeit noch keine abschließende Beurteilung zu. Erste Ergebnisse
liegen bereits vor, sie lassen möglicherweise eine Verringerung der operationsbedürftigen
Hüftschäden erkennen, dies ist aber noch nicht ausreichend evaluiert. Zahlen über die
Teilnahmehäufigkeit liegen jedoch bereits vor, diese zeigen, daß die Untersuchungen zum
großen Teil von Kinderärzten vorgenommen werden, daß die Instabilitätsbefunde bei der
klinischen Untersuchung bei Orthopäden doppelt so häufig waren, wie bei Kinderärzten. (1)
Zu. 2:
Zu geringe Möglichkeiten präventiver Untersuchungen, insbesondere im Kinder- und
Jugendalter. Dort ist die Prozentzahl derer, die an Fehlformen und Funktionsstörungen der
Haltungs- und Bewegungsorgane leiden, am größten.
Bei den Erstuntersuchten des Geburtsjahrgangs überwogen Störungen der Stütz- und
Bewegungsorgane alle anderen Störungen. Fußveränderungen lagen durchschnittlich knapp
8
unter 70%, solche der Wirbelsäule gut über 70%. Die nächst häufigen Störungen lagen bei
knapp über 40% (Psyche), oder knapp über 30% (Sehstörungen). Fuß- und
Wirbelsäulenveränderungen zeigten nur geringe Abweichungen unter Berücksichtigung der
Berufe. Die letztgenannten waren mit ca. 78% am häufigsten bei Berufen mit sitzender
Tätigkeit (Schüler, Studenten, Handel und Verwaltung), Fußschäden waren bei Bau- und
Landarbeitern mit ca. 75% am häufigsten. (6)
Zu 4:
Im Vergleich zum Ausland ist die Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Osteoporose in
Deutschland unterentwickelt. (16)
Fehlversorgung
A. Allgemein
Oft noch ungenügende Kommunikation zwischen Klinik- und niedergelassenen Ärzten etwa
zum Abstimmen vor operativen Eingriffen oder auch danach, gelegentlich unterschiedliche
Meinung zu Indikation bestimmter Behandlungsmaßnahmen. In der ambulanten Versorgung
Gefahr pekuniär indizierter Eingriffe oder Untersuchungsverfahren, in geringerem Maße auch
bei stationären Patienten.
Zunehmende Einflußnahme der Krankenkassen auf die Durchführung der Operationen,
Festlegung: was darf, soll oder muß ambulant operiert werden. Dabei meist ungenügende
Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten beim Patienten.
Vielen Patienten ist bekannt, daß sich nach Hüftendoprothesenimplantationen in der Regel
ein AHB-Verfahren anschließt, dies bewirkt einen gewissen Werbeeffekt für diese
Maßnahme. Zahlreiche Patienten kommen bereits mit der Forderung nach einer
Anschlußheilmaßnahme auf uns zu. Mit klaren Empfehlungen zur Indikation wäre es
wesentlich leichter, diesen Erwartungen des gestiegenen Anspruchsdenkens zu begegnen.
(21)
B. Speziell
Zu. 1:
Selektion der gelenkchirurgischen Eingriffe: Vielfach Operation durch orthopädisch nicht
ausreichend weitergebildete Operateure. Dadurch Ansammlung von Patienten mit Problemoder Zweiteingriffen in den größeren Orthopädischen Abteilungen und Kliniken, hierdurch
wiederum erschwertes Auskommen mit den Sonderentgelten und Fallpauschalen, die für
Eingriffe durchschnittlicher Schwierigkeitsgrade berechnet wurden, aber die Häufung von
schweren Fällen außer acht lassen.
Erfüllung von Patientenwünschen nach „modischen Behandlungsmethoden“ durch Ärzte und
Krankenkassen, ohne daß die Verfahren methodisch einwandfrei in ihrer Wirksamkeit
gesichert sind.
Hierzu gehören auch die, von der Industrie bereitwillig zur Verfügung gestellten und mit
großem – erlaubten! - Werbeaufwand durch einzelne Krankenhäuser angepriesenen,
„modernen“ robotergesteuerten Operationsverfahren, die ihre Überlegenheit gegenüber
herkömmlichen Operationsmethoden bisher keineswegs bewiesen haben. Andere
9
Krankenhäuser fühlen sich aber unter dem Druck des Wettbewerbs gezwungen, derartige,
sehr teuere Geräte anzuschaffen.
Zu 2:
Leitlinien für die Behandlung von Rückenschmerzen sind noch nicht in ausreichender
Qualität vorhanden. (16) Sie wurden aber bereits teilweise von unserer Gesellschaft erstellt.
(17) Sie sollen u. a. den Gebrauch der in Deutschland früh und häufig eingesetzten
Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule ordnen. Deren unselektierter Einsatz gibt in weniger als
2% der Fälle therapeutisch nutzbare Informationen. Hohe Kosten, hohe Strahlenbelastung.
(16)
Hierzu tragen mangelnde Kenntnisse der diesbezüglichen Indikationsstellung durch
ungenügend aus- und weitergebildete Ärzte bei, vor allem der derzeit tätigen Allgemeinärzte
aber auch der Fachärzte für diagnostische Radiologie. Allzu oft werden z. B. bei dem
erstmaligen Auftreten von Rücken-/Lendenschmerzen Aufnahmen der „ganzen“ Wirbelsäule
angefordert und auch angefertigt, ohne daß eine Begrenzung auf den betreffenden
Rückenabschnitt erfolgt. Anamnese und klinische Diagnostik in fachlicher Kompetenz
erlauben, den Einsatz bildgebender diagnostischer Massnahmen auf das Erforderliche zu
beschränken.
Das gleiche gilt für den allzu frühzeitigen diagnostischen Einsatz der teueren
Kernspintomographie bei Gelenkentzündungen, die meist durch fachgerechte klinische und
ergänzende radiologische und sonographische Untersuchungen ausreichend diagnostiziert
werden können.
Für unser Fachgebiet ist es nicht möglich, die Feststellungen nach
•
Regionalen Bezügen
oder
•
Zielgruppen
einzugrenzen.
Zum Thema Leistungserbringer/Einrichtungen/Technologien werden hinsichtlich der
fachgebundenen Radiologie unter dem Stichwort „Empfehlungen“ nähere Ausführungen
gebracht.
Quellenangaben:
(1) NIETHARD, F. U., GÜNTHER, K.-P., v. KRIES, R., ALLHOFF, P., ALTENHOFEN, L.,
Klinisches und sonographisches Screening der Säuglingshüfte Dt. Ärztebl. 2000; 97: A1593 - 1599
(2) WEBER, I., MEYE, M. R., FLATTEN, G., Projektgruppe „Prioritäre Gesundheitsziele“,
Vorrangige Gesundheitsprobleme in den Verschiedenen Lebensabschnitten,
Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland,
Eigenverlag Köln, 1987
10
(3) JOHN, J., HOFMANN, U., NAGL, H., SCHNEIDER, M., Ökonomische Evaluation von
Gesundheitsleistungen in Deutschland, Hrsg. DLR-Projektträger des BM für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Technologie, Materialien zur Gesundheitsforschung, Band
30, Wirtschaftsverlag NW, Verlag für neue Wissenschaft, Bremerhaven, 1996
(4) KLEIMANN, K.-H., MARKEFKA, B., HOLFELDER, G., Zusammenfassung der
Potentialermittlung für Hüft- und Kniegelenkoperationen in Allgemeinkrankenhäusern der
Bundesrepublik Deutschland, Orthopädie Mitteilungen 5/96, S. 445-448
(5) SCHÖFFSKI, O., GLASER, P., v. SCHULENBURG, J.-M., Gesundheitsökonomische
Evaluationen, Springer Verlag, 1998
(6) Institut für Wehrmedizinalstatitik und Berichtswesen: Ausgewählte Körperfehler der
Gradationen I-VII bei Erstuntersuchten insg. u. bei bestimmten Berufsgruppen,
Geburtsjahrgang 1978
(7) DREINHÖFER, K., Bone and Joint Decade 2000 – 2010, Im Druck
(8) Orthopädie Memorandum 1998, Verlag Stork Druckerei, Bruchsal
Mit weiteren Hinweisen.
(9) (28) MURRAY, C. J. L., LOPEZ, A. D.: The Global Burden of Disease: A comprehensive
assessment of mortality and disability from diseases, injuries and risk factors in 1990
and projected to 2020, Cambridge, Mass.: Harvard University Press,1996.[Zitiert n. (7)]
(10) Jahresbericht 1999 des Bundesamtes für Strahlenschutz
(11) BRENNER, G., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Arthrose, Vortrag auf Grund von
Erhebungen des ZI für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik
Deutschland, ORTHOPÄDIE Informationen BVO Mitteilungen DGOT, Enke Verlag
Stuttgart, 1/98 S. 15-24
(12) Reformkommission Soziale Marktwirtschaft: Effiziente Krankenversicherung als
Voraussetzung für ein hohes Leistungsniveau im Gesundheitswesen, BertelsmannStiftung, Heinz Nixdorf-Stiftung, Ludwig Erhard-Stiftung, Juli 1999
(13) Gesundheit im Alter, Bericht zum 101. Deutschen Ärztetag, Köln 1998
(14) Musculosceletal Conditions in the United States, Erhebung der American Academy of
Orthopaedic Surgeons, Parkridge, Illinois. Zitiert nach Mittelmeier in Orthopädie
Mitteilungen 2/1993.
(15) (27) GENANT, H. K. et al. : Interim Report and recommendations of the World Health
Organization Task-Force for Osteoporosis. Osteoporos. Int. 1999; 10: 259 – 264
[Zitiert n. (7)]
(16) Statistisches Bundesamt, Gesundheitsbericht für Deutschland, Verlag Metzler –
Poeschel Stuttgart, Oktober 1998
(17) Leitlinien der Orthopädie, Hsg. Von der DGOT und dem BVO, Deutscher Ärzteverlag
Köln, 1999
(18), (25) KEREK-BODDEN, H., KOCH, H., BRENNER, G., FLATTEN, G.,
Diagnosespektrum und Behandlungsaufwand des allgemeinärztlichen
Patientenklientels. ZI für die kassenärztliche Versorgung, Köln 1999
11
(19) PUHL, W. Präsidentenrede 1993, Orthop. Mitt. 3/1993, S. 223
(20) WILLE, G. Berlin, Anschlußheilbehandlungen bei degenerativ-rheumatischen
Erkrankungen, DGOT Mitt. 1/1989 S. 38
(21) MÜLLER, R. T., Essen, Untersuchungen zum Einfluß einer Anschlußheilbehandlung auf
die Krankenhausverweildauer bei Endoprothesenimplantationen am Hüftgelenk, DGOT
Mitt. 1/1989 S. 42
(22) (26) FELSENBERG, D., WIELAND, E., HAMMERMEISTER, C. et al: Prävalenz der
vertebralen Wirbelkörperdeformationen bei Frauen und Männern in Deutschland. Med.
Klinik 1998; 93: Suppl. II: 31-33 [Zitiert n. (7)]
(23) VOSTEEN, K. – H., Düsseldorf (Hrsg.) Prävention, Standards und zukünftige
Entwicklungen in den medizinischen Spezialgebieten, 4. Auflage, Juni 1995 AWMF
(24) KOTZ, R., PUHL, W., Die Jahre 2000 – 2010, Dekade der Knochen und Gelenke.
Orthopädie Mitteilungen, 3/1998, S. 154
(25) MATTHIASS, H. H., Münster, Die Aufgabe der Orthopädie auf dem Gebiet der
Röntgendiagnostik, Probleme der Zusammenarbeit mit der Radiologie. DGOT Mitteil.
4/1983, S. 21
Empfehlungen
(Im Folgenden werden nur in wenigen Bereichen Bezüge zu einzelnen der o.a. Indikationen
hergestellt, da die meisten Empfehlungen sich auf das Gesamtgebiet der Orthopädie
beziehen.)
Zahl und Qualifizierung von Professionen
Die Zahl der ihre Weiterbildung jährlich abschließenden Orthopäden deckt etwas mehr als
den unmittelbaren derzeitigen Bedarf. Nimmt man die notwendigen präventiven Aufgaben
hinzu, könnte eine noch größere Zahl junger Orthopäden eine Arbeitsmöglichkeit finden.
Die Weiterbildung muß insgesamt noch höher qualifiziert sein, um die jungen Ärzte noch
besser auf ihr Berufsleben vorzubereiten.
Dabei sind in Gebieten, die sowohl operativ als auch konservativ arbeiten, wie die
Orthopädie, vom Gesetzgeber in den Heilberufsgesetzen die Voraussetzung dafür zu
schaffen, daß konservative und operative Kliniken als Weiterbildungsstellen im Verbund
zugelassen werden können.
Die Bemühungen im Sinne einer - freiwilligen - zertifizierten Fortbildung sind zu intensivieren.
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Verfügbare Technologien
In der Orthopädie werden folgende Entwicklungen gesehen:
• Weiterentwicklung sonographischer Untersuchungstechniken
• Blutsparende Maßnahmen: präoperative Eigenblutspende und Hämodilution
• Ausbau der Thromboseprophylaxe in der ambulanten Patientenversorgung
• Vervollkommnung endoskopischer Operationsmaßnahmen am Gelenk
• Optimierung von Gelenkimplantaten
• Optimierung von Osteosynthesetechnik
• Knorpelzelltransplantation
• Gentechnische Diagnostik und mit Gentechnik gekoppelte Therapie
• Neubewertung von Berufskrankheiten an der Wirbelsäule. (23 und eigene Aktualisierung)
Die bildgebenden Verfahren müssen weiterhin flächendeckend verfügbar sein, um eine
gezielte, umfassende, wohnortnahe Diagnosestellung zu ermöglichen. Entsprechende
Qualifikation ist selbstverständliche Voraussetzung. Eine enge Zusammenarbeit mit
Radiologen zur Erbringung der notwendigen Röntgendiagnostik ist in der Regel nur dort
möglich, wo in der Klinik oder in der Praxis eine räumliche Gemeinschaftseinrichtung
besteht. Der Orthopäde ist – mit nur geringen Ausnahmen – darauf angewiesen, die
angefertigten Filmaufnahmen unmittelbar und sofort zur Verfügung zu haben. Eine
Befundbeschreibung durch einen Arzt, der zumal meist wenig spezielles Wissen hinsichtlich
orthopädisch relevanter Fragestellungen hat, ist für den Orthopäden nahezu wertlos. (25)
Analog gilt dies auch für die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT), welche die
konventionelle Radiologie zunehmend bis zu einem gewissen Grade ersetzen wird und
schon jetzt den größten Teil der diagnostischen Arthroskopien überflüssig gemacht hat. Hier
werden sich in Zukunft durch die Verwendung sogenannter offener Geräte gerade in der
Orthopädie interessante Möglichkeiten zur verfeinerter Diagnostik und auch zu
zielgerichteten operativen Maßnahmen ergeben. Der Orthopäde sieht die bildgebenden
Verfahren als unmittelbare Hilfsmittel an und ist mit den entsprechenden diagnostischen
Untersuchungsmethoden wie auch mit den operativen Eingriffen bestens vertraut und daher
eher fähig die bildgebenden Verfahren als Hilfsmittel einzusetzen als der Radiologe, der
zunehmend in allen Fachgebieten derlei Untersuchungen und operative Eingriffe unternimmt,
ohne hierzu die nötigen Kenntnisse zu besitzen.
In diesem Zusammenhang muß der Kritik von Seiten der Radiologen entschieden entgegen
getreten werden, daß nur(!) die sogenannten Fachgebietsradiologen für die Anzahl der
unnötigen Röntgenaufnahmen verantwortlich seien. Es ist hinlänglich bewiesen, daß der
Radiologe ohne Einschränkung Röntgenaufnahmen anfertigt, auch wenn diese ohne
genügende Indikation in Auftrag gegeben wurden.
Selbst der neueste Strahlenschutzbericht des Bundesamtes für Strahlenschutz prangert
zwar die steigende Strahlenbelastung der Bevölkerung an, als Ursachen werden aber nicht
die durch Orthopäden veranlaßten Röntgenaufnahmen, sondern vor allem die
dosisintensiven Verfahren, wie Computertomographien und Röntgenuntersuchungen in
anderen Fachgebieten genannt. Zitat: „...haben die sehr häufigen Röntgenuntersuchungen
der Zähne und der Extremitäten (Gliedmaßen) nur einen geringen Anteil an der kollektiven
Strahlenexposition“ (10)
Das ambulante Operieren muß in den Bereichen verstärkt werden, in denen eine genügende
Zahl von – indikationsgesicherten! – Operationen durchgeführt werden kann, um sie
wirtschaftlich erbringen zu können, ohne daß darunter eine strenge Indikation leidet.
13
Struktur der Versorgung
A. Allgemein
Der Erhalt der flächendeckenden orthopädischen, wie auch der anderen fachärztlichen
Versorgung erscheint ebenso notwendig, wie eine bessere Verzahnung von Klinik und
Praxis. Stichwort: Facharzt am Krankenhaus. Beispiel Niedersachsen.
Verbesserung
der
Kommunikation
zwischen
den
Ärzten
unterschiedlicher
Versorgungsebenen zur Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen und zur Erzielung
von verbesserter Konsultationsmöglichkeit.
Vermehrter Einsatz elektronischer Medien, sofern der Datenschutz garantiert werden kann.
Vermehrte Anwendung von Leitlinien - nicht Richtlinien! - für Diagnostik und Therapie unter
Berücksichtigung eines sinnvollen stufenweisen Vorgehens.
Verbesserung der Qualität in allen Versorgungsebenen durch zertifizierte freiwillige
Fortbildung, Anhebung der Qualität der Weiterbildung und – unbürokratische! - technische
Qualitätssicherung.
Weiterhin sollte versucht werden, die behandlungsbedürftige Morbidität zu reduzieren, die
Einweisungsquoten ins Krankenhaus zu verringern, den Verbrauch vorwiegend
schmerzlindernder Arzneimittel zu reduzieren und die Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung
auf ein niedrigeres Niveau zu drücken. (11)
Deshalb wird vorgeschlagen, die Leistungen im Rahmen der obligatorischen gesetzlichen
Krankenversicherung auf eine notwendige Basisversorgung zu beschränken und den
Wunsch nach einer weitergehenden Absicherung über private Zusatzversicherungen zu
organisieren. (12)
Validierung der angewandten Methoden auf wissenschaftlicher Basis unter Berücksichtigung
der Erbringbarkeit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dies gilt auch und besonders für
neue Methoden, die von der Industrie forciert auf den Markt geworfen werden.
Hierzu gehört auch die Erstellung eines Leistungskataloges für ambulant durchzuführende
Operationen, sowohl in der Klinik als auch in der Praxis. Dabei müssen jedoch auch soziale
neben den medizinischen Gesichtspunkten mit berücksichtigt werden. Die Möglichkeit von
Einzelfallentscheidungen muß gegenüber den Kostenträgern erhalten werden.
Indikationsorientierter Zugang von Patienten zur stationären konservativen Behandlung
akuter orthopädischer Erkrankungen in Einrichtungen für konservative Orthopädie. Die
Kostenträger lehnen dies aus Zuständigkeitsgründen, trotz deutlich niedriger Pflegesätze in
diesen Häusern, meist ab, da in derartigen Kliniken auch "Kuren" durchgeführt werden.
In diesem Zusammenhang sollte auch auf die Notwendigkeit einer besseren Absprache
zwischen den Kostenträgern, also Kranken- und Rentenversicherungsträgern, zur
Beschleunigung derartiger Krankenhaus- bzw. Anschlußheilbehandlungen geachtet werden.
Reduzierung des überbordenden bürokratischen Verwaltungsaufwands in Klinik und Praxis
und damit auch Reduzierung der stark angestiegenen Verwaltungskosten der
Krankenkassen. Diese weisen eine unverhältnismäßig große Steigerung der
Verwaltungskosten auf, ca. 17% (!)
Gleiche Vergütung der ärztlichen Leistung in Klinik und Praxis. Indikations- und
kostenorientierte Leistungserbringung in Klinik und Praxis
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B. Speziell
Zu 1.und 2.
Vorrang der Prävention von Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane zur
Vermeidung von Frühinvalidität.
Prävention der Arthrose durch: Verhütung von Gelenkverletzungen, Vermeidung von
Übergewicht, Verminderung berufsbedingter Belastungen, Behandlung, meist operativ, von
Verletzungsfolgen (z. B. Meniskusschäden), Achsfehlstellungen, Ultraschalluntersuchung
von Säuglingshüften. (16)
Zu 2.
Verbesserung der Versorgung von sog. Schmerzpatienten ambulant und stationär.
Substitutionsmöglichkeiten
In diesem Zusammenhang kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, die sich
auf die Fachgebietsradiologie beziehen. Die konventionellen röntgendiagnostischen
Verfahren werden zukünftig vermehrt durch Ultraschall und MRT abgelöst werden, wie dies
sich bereits jetzt abzeichnet. Dadurch wird es zu einer Verringerung der vermeidbaren
Strahlenbelastung kommen.
Vergütung/Finanzierung/Kosten
Hier wird lediglich der Vollständigkeit halber auf die Diskussion über Begrenzung der
Leistungsansprüche der Versicherten bei gleichbleibender Höhe der Einnahmen der GKV
oder Erhöhung der Einnahmen bei gleichbleibenden Ansprüchen verwiesen. Ärzte und
Krankenhäuser können die Mängel in der Finanzierung des Gesundheitswesens nicht
subventionieren. Stichworte: Überstunden der Klinikärzte wegen Stellenmangels,
honorarlose Leistungserbringung von Leistungen im ambulanten Bereich nach
Ausschöpfung der verschiedenen Budgets, Arzneimittelregresse etc.
Verbesserung der Vergütung im stationären und ambulanten Bereich, ggf. unter
Einbeziehung zusätzlicher Ressourcen, solange noch eine sehr große Arbeitslosenzahl
besteht. Freistellung der Krankenkassen von kassenfremden Leistungen, die durch den
Staat verursacht sind und vom Staat zu finanzieren sind.
S:\229\Gutachten\2001\Internet-Stellungnahmen\Fachgesellschaften_pdf\143.doc
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