Wie der Kanton die Zürcher Seeufer aufwerten will - Uetikon AN

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ZÜRICH UND REGION
Tages-Anzeiger · Mittwoch, 5. März 2008
Wie der Kanton die Zürcher Seeufer aufwerten will
Der Kanton strebt keinen
Seezugang für alle an.
Er setzt stattdessen auf
eine Aufwertung der Ufer
und Erholungsräume.
Von Rolf Käppeli
Zürich. – Der Zugang zu den
Ufern des Zürichsees ist heftig umstritten. Die Organisation Rives
publiques will sogar vor den Europäischen Gerichtshof gehen, um
freie Ufer für alle zu erzwingen. Juristisch und politisch sind die Hürden aber hoch (siehe Kasten unten
rechts), wenn es darum geht, privates Land für einen freien Seezugang zu enteignen.
Auch die Baudirektion unter ihrem neuen Chef Regierungsrat
Markus Kägi (SVP) will den Seezugang verbessern. Sie legt ihren Fokus aber nicht auf einen durchgehenden Uferweg durch Privateigentum. Im Projekt «Vision Zürichsee 2050» zeigt die Direktion
vielmehr Grundlagen zur mittelund langfristigen Aufwertung der
Erholungs- und Naturräume auf.
Uferzonen sind erforscht
Mit der Bestandesaufnahme der
Uferzonen wurde vor vier Jahren
begonnen. Sie liegt in Gestalt einer
riesigen Schachtel aufbewahrt bei
Margrith Göldi, der Sektionsleiterin Planung in der Abteilung Wasserbau der Baudirektion. Basierend darauf muss nun eine geeignete Strategie definiert werden.
Die Autoren des Projekts fragen,
welches Aufwertungspotenzial das
Zürcher Seeufer hat. Sie untersuchten dies anhand von vergleichenden Kriterien (Parametern).
Dort wo beispielsweise der Seegrund flach vom Ufer wegführt, ist
das Ufer für Naturzwecke besser
geeignet als anderswo. Weitere
Überlegungen kommen hinzu: Wie
viel ist schon überbaut? Stehen private Häuser am Ufer, Fabriken, öffentliche Bauten? Wie wird das Gelände landseitig genutzt? Je nachdem werden die Chancen für Veränderungen unterschiedlich bewertet. Natürlich spielt die Frage
mit hinein, wem das Land gehört.
Die Rolle des Eigentums ist dort,
wo es um aufgeschüttetes Konzessionsland geht, umstritten, seit der
Auseinandersetzung ums Uetiker
Fabrikgelände gar Gegenstand eines heftigen juristischen Streits.
Die Kombination der verschiedenen Kriterien zeigt, wie stark ein
Uferstreifen ökologisch aufgewertet werden kann. Die Studie
kommt zum Schluss, dass nur 6
Prozent des Zürichseeufers in der
heutigen Form schützenswert
sind. 45 Prozent dagegen sind gut
aufwertbar, 7 Prozent sogar sehr
gut. Etwa 40 Prozent sind aus der
Sicht der Autoren mässig oder
schlecht aufwertbar. Allerdings
spielt hier die Frage mit hinein, wie
mit Konzessionsland an Seen künftig umgegangen wird. 95 Prozent
der Uferlinie des Zürichsees sind
künstlich aufgeschüttet und mit
kantonalen Auflagen verbunden.
Vision Zürichsee 2050 untersucht auch das Erholungspotenzial
der Ufer. Auf bestem Stand sind
nur knapp 3 Prozent. Sie sollen so
geschützt werden, wie sie sind.
Fast die Hälfte der ganzen Uferstrecke könnte als Erholungsraum
aufgewertet werden.
Margrith Göldi möchte weiteren
Themen mehr Gewicht geben als
bisher: Der Zürichsee ist Teil des
Wassersystems im Raum Linth–
Sihl–Limmat und wirkt als Hochwasserrückhaltebecken. Eine koordinierte Steuerung von Sihl- und
Zürichsee kann Schäden im Limmattal minimieren. Der See ist zudem ein riesiger Trinkwasserspender. Über 800 000 Zürcherinnen
und Zürcher trinken Wasser daraus. Wenn über Seeufer im Kanton entschieden wird, müssen solche Überlegungen mehr beachtet
werden, findet Göldi. Die diplomierte
Landschaftsarchitektin
weist darauf hin, dass die Zürcher
Seen unterschiedlich einzuschätzen sind (siehe Grafiken). Der Pfäffikersee etwa hat kaum Bedeutung
als Trinkwasserspender, dafür
umso mehr als Erholungsgebiet.
Zürichsee
Die Grafik zeigt, dass der
Zürichsee ausserordentliche Bedeutung
als Trinkwasserspeicher
geniesst. Rund
81 2000 Zürcher und
Zürcherinnen trinken
Wasser aus dem Zürichsee. Die gute Wasserqualität ist daher unbedingt zu erhalten. Die Zahl
der Bootsplätze ist sehr
hoch und soll nicht weiter
vergrössert werden.
Da sehr viele Menschen
am See wohnen, muss
das Potenzial für
naturnahe Ufer und einen
durchgehenden
Seeuferweg wo immer
möglich genutzt werden.
Der durchgehende Seeuferweg ist aus Sicht der
Erholungs suchenden
das Prunkstück dieses
Gewässers. Er erhält die
beste Auszeichnung unter
den sieben Messwerten,
gleich wie die drei andern
kleinen Zürcher Seen.
Auch bestehen bereits
ausgedehnte wertvolle
Naturufer. Hingegen ist
der Greifensee als
Trinkwasserspeicher
ohne Bedeutung, und
auch die Hochwassergefahr ist kein Thema.
Problematisch ist
indessen die Wasserqualität.
Ökologie höher gewichtet
Das Land, das dem Zürichsee im
19. Jahrhundert abgerungen wurde,
diente speziellen Zwecken: der
aufkommenden Industrie, der
neuen Eisenbahn, als Ersatz für
Land, das der Strassenbau beanspruchte. Heute wird das Ufer anders bewertet. Ökologie und Erholung werden höher gewichtet.
Göldi strebt eine Synthese der
Erkenntnisse an, die zu den Ufern
der Zürcher Seen vorliegen. Ziel ist
ein strategisches Grundlagenpapier. Intern wird sie unterstützt
vom Kreisplaner und von der Fachstelle für Naturschutz. Seit Januar
verstärkt zudem ein Sachbearbeiter ihre Sektion. Nächstens will sie
mit den regionalen Planungsgruppen intensiver ins Gespräch kommen. Göldi ist sich bewusst, dass
unvereinbare Ansprüche aufeinanderprallen. Wo der eine den attraktiven und erholsamen Rasenplatz
sieht, stört sich der andere am Lärm
der Menschen. Da die verschiedenen Gruppen ins Projekt einbezogen werden, gibt Göldi dem Projekt
dennoch gute Chancen.
In der Schweiz lässt sich aus dem
Bundesrecht kein direkter Anspruch auf einen freien Zugang zu
See- und Flussufern ableiten. Das
hat Mitte Februar das Bundesamt
für Raumentwicklung (ARE) in einer Mitteilung festgehalten. Es
reagierte damit auf Eingaben der
Organisation Rives publiques – die
sich den freien Uferzugang einsetzt – an den Bundesrat. Rives publiques hatte geltend gemacht,
dass alle Gewässerufer in der
Schweiz gemäss Zivilgesetzbuch
(ZGB) und Verordnungen seit 100
Jahren öffentlicher und nicht privater Besitz sind.
Laut ARE lässt sich weder aus
dem ZGB, noch aus andern gesetzlichen Grundlagen ein direktes Zugangsrecht zu Ufern ableiten. Das
gelte auch für das Raumplanungsgesetz. Dieses enthalte zwar den
Grundsatz, wonach See- und
Flussufer freigehalten und der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Es handle sich aber um einen
mehrer Grundsätze, die in raumplanerischen Verfahren abzuwägen seien. Diese Einschätzung ändere aber nichts daran, dass die
Kantone aus der Sicht des ARE
dem erleichterten öffentlichen Zugang zu See und Flussufern und
deren Begehung einen höheren
Stellenwert beimessen sollten,
hielt das ARE fest. (AP/pfi)
Trinkwasserspeicher
75
50
Anwohner
25
Bootsbestand
Wasserqualität
Naturnahe
Ufer
Seeuferweg
100 = höchste Werte, 0 = tiefste Werte
Greifensee
Hochwasserschutz
100
Trinkwasserspeicher
75
50
Anwohner
25
Bootsbestand
Wasserqualität
Naturnahe
Ufer
Seeuferweg
100 = höchste Werte, 0 = tiefste Werte
Pfäffikersee
Wie bei den andern
kleinen Seen rangieren
beim Pfäffikersee der
Uferweg und das
naturnahe Ufer an erster
Stelle, wenn man an die
bisherigen Bemühungen
um die Entwicklung
dieses Gewässers denkt;
hier sind kaum noch
besondere Aufwertungen denkbar. Auch die
Wasserqualität ist auf
hohem Niveau. Dem
Hochwasserschutz ist im
Vergleich zum
Greifensee etwas
grössere Beachtung zu
schenken. Trinkwasser
aus dem See ist hingegen
kein Thema.
Hochwasserschutz
100
Trinkwasserspeicher
75
50
Anwohner
25
Bootsbestand
Wasserqualität
Naturnahe
Ufer
Seeuferweg
100 = höchste Werte, 0 = tiefste Werte
Türlersee
Was für den Lützelsee gilt,
stimmt weit gehend auch
für den Türlersee. Der
Uferweg und die Naturnähe der Ufer lassen
kaum noch besondere
Aufwertungen zu. Die
Wasserqualität ist sogar
noch etwas besser als im
Lützelsee. Der See als
Trinkwasserspeicher und
Fragen des Hochwasserschutzes waren bisher
keine Themen, die zur
Aufwertung des schönen
Erholungsraumes etwas
hätten beitragen können.
Die geringe Zahl der
Anwohner wird sich wohl
auch in Zukunft nicht
verändern.
Wädenswil und
Kein Anspruch
Uetikon naturnah auf freien Zugang
Das Projekt Vision Zürichsee 2050
untersucht auch die Frage, wie das
Land der chemischen Fabrik in Uetikon aufgewertet werden kann.
Ökologisch sieht die Studie dafür
ein mässiges bis gutes Potenzial. Es
gibt eine ausgedehnte Flachwasserzone, was ökologisch günstig ist
– Raum für weitere Abflachungen
ist vorhanden, doch es geht um ein
Industriegelände. Für die Erholung
am Uetiker Ufer sieht die Studie
momentan ein geringes Potenzial.
Dies müsse womöglich neu eingeschätzt werden, sagt Margrith
Göldi, die Projektleiterin auf der
kantonalen Baudirektion. Bei bestehenden Villenquartieren sei wenig Veränderungspotenzial vorhanden, Industrieareale seien vermutlich höher einzustufen.
Zwei Projekte beschäftigen die
Baudirektion im Rahmen von Vision Zürichsee 2050 speziell: das
Pilotprojekt zwischen Wädenswil
und Richterswil und das Projekt
Zürichseeweg Rechtes Ufer. Bei
beiden ist zwar die Volkswirtschaftsdirektion federführend, viel
grundsätzliche
Planungsarbeit
leistet jedoch die Baudirektion; die
Finanzen fliessen von beiden Seiten. Mit dem 6-Millionen-Projekt
bei Wädenswil will man an einem
Beispiel konkret aufzeigen, wie der
Weg am See künftig naturnah aussehen könnte. (kä)
Hochwasserschutz
100
Hochwasserschutz
100
Trinkwasserspeicher
75
50
Anwohner
25
Bootsbestand
Wasserqualität
Naturnahe
Ufer
Seeuferweg
100 = höchste Werte, 0 = tiefste Werte
Lützelsee
Das Spinnennetz ist fast
identisch mit jenem des
Türlersees. Das bedeutet, dass theoretisch
dieselben quantitativen
Aufwertungsmöglichkeiten existieren. Ob man
diese in jedem Fall nutzen
will, ist eine andere Frage.
Kaum jemand wird ernsthaft fordern, dass es
mehr Boote auf dem
lauschigen Lützelsee
braucht. Ein Wachstum
wäre hier selbstverständlich eine Abwertung des
Erholungsgebietes. Insofern braucht jeder See ein
wünschbares Szenario,
wie seine Ufer aufgewertet werden können.
BILDER SOPHIE STIEGER (1) DORIS FANCONI (3) RETO OESCHGER (1)
Hochwasserschutz
100
Trinkwasserspeicher
75
Anwohner
50
25
Bootsbestand
Wasserqualität
Naturnahe
Ufer
Seeuferweg
100 = höchste Werte, 0 = tiefste Werte
TA-Grafik ib / Quelle: Baudirektion Kanton Zürich