Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 1 SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN RAUM DAS BEISPIEL HEIDELBERG Caroline Kramer Stichwörter: Sicherheit, Kommunalplanung, Öffentlicher Raum, Gender und Geographie, Macht und Raum, Kriminalgeographie Sicherheit im öffentlichen Raum ist ein Thema, das bereits seit mehr als 25 Jahren in der europäischen (feministischen) Raumplanung diskutiert wird. Es zählt somit zu den Themenbereichen, die in den Anfängen der Gender-/ Frauen-/ Feministischen Geographie geradezu als „Pionierthemen“ galten, da zum einen in der für Frauen eingeschränkten Nutzung des öffentlichen Raumes die unterschiedlichen Machtstrukturen der Geschlechter sehr offensichtlich werden. Zum anderen ist in kommunalpolitischen Diskussionen die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit zumeist unumstritten, so dass bereits in den 1980er Jahren in zahlreichen deutschen Kommunen Untersuchungen und nachfolgend Maßnahmenkataloge entstanden (vgl. Kramer, C. – Mischau, A. 2002). Das Thema „Sicherheit im öffentlichen Raum“ ist jedoch mittlerweile nicht mehr ein singuläres Arbeitsfeld, sondern Teil eines umfassenden Konzeptes zur Herstellung von Chancengleichheit für Frauen und Männer, nämlich des Konzeptes „Gender Mainstreaming“. Dieser Begriff steht derzeit am Ende einer Reihe unterschiedlicher Konzepte, die im Laufe der Zeit zu diesem Thema entwickelt wurden. Während in den 1970er Jahren von dem Wunsch nach Gleichbehandlung gesprochen wurde, indem die männliche Situation als „Norm“ angesehen wurde, an die sich Frauen angleichen sollten, begann man in den 1980er Jahren mit einer gezielten Frauenförderung, die oft provokativ als „Defizitkonzept“ bezeichnet wurde, und in der Strukturen des Systems unangetastet blieben. Das „Gender Mainstreaming“ zielt nun seit den 1990er Jahren auf die Änderung der den Systemen zugrunde liegenden Strukturen, fordert Chancengleichheit und Integration in allen Bereichen und strebt über eine höhere Partizipation auch eine stärkere Sensibilisierung für Benachteiligungen an. Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 2 Das Konzept des Gender Mainstreaming wurde in den vergangenen Jahren auch auf die Vorgaben ausgedehnt, die der Stadt- und Regionalplanung zugrunde liegen, so dass auch hier eine zunehmende Aufmerksamkeit sowohl dem Thema insgesamt als auch den damit verbundenen Begriffen gewidmet wird. Ein Begriff, der mit der frühen Forschung zu Sicherheit im öffentlichen Raum untrennbar verbunden ist, ist der Begriff „Angstraum“. In der jüngsten wissenschaftlichen Diskussion (Becker, R. 2002) wird nun ausdrücklich davon Abstand genommen, von Angsträumen zu sprechen, da sie die „ubiquitäre Gewalt der Männer“, so Becker (2002, p. 80), die die eigentliche Ursache der Problematik darstelle, auf die „ubiquitäre Angst der Frauen“ reduziere. Becker schlägt daher vor: „Den Angstraum zu überwinden bedeutet, sich wieder auf die Ursachen der Angst zu besinnen und diese zu thematisieren. Ein erster Schritt auf diesem Weg wäre es, statt vom Angst- vom Gewaltraum zu sprechen“ (dies. 2002, p. 81). An anderen Stellen wird auch der Begriff des „Gefahrraums“ als Alternative vorgeschlagen, der – in Analogie zum Gefahrraum Straße – weniger auf die psychologische Befindlichkeit einer Gruppe als auf die Bedrohung an sich eingeht. Im gleichen Zusammenhang wird vorgeschlagen, Frei-Räume für Mädchen und Frauen zu schaffen (in den Anfangsphasen evtl. auch unter Ausschluss von Jungen und Männern) und Mädchen und Frauen in ihrem Auftreten zu stärken. Zudem gibt es Möglichkeiten, öffentlichen Raum so zu gestalten, dass er für beide Geschlechter sowohl eine Bühne als auch Rückzugsmöglichkeit bieten kann (vgl. Studer, H. 2002, von Oertzen, S. 2002) – darauf kann an dieser Stelle allerdings nicht näher eingegangen werden. Wesentliche Voraussetzung für jegliche Art von Maßnahmen ist allerdings ein präzises Wissen darüber, welche Räume wann für wen und warum „Gefahrräume“ darstellen und wie die Betroffenen damit umgehen. Aus diesem Grund ist es notwendig, mit Hilfe von Befragungen festzustellen, wie sich in der Sicht der Bürgerinnen und Bürger die Situation in ihrem konkreten Umfeld im Lebensalltag gestaltet. Solch eine Umfrage in Heidelberg – einer im Vergleich zu anderen Städten relativ „sicheren“ Stadt, was die Kriminalitätsraten anbelangt – wurde im Februar 2002 von Studierenden des Geographischen Instituts der Universität Heidelberg durchgeführt. Die Konzeption der Umfrage erfolgte in Zusammenarbeit mit den Studierenden, lehnte sich z.T. aber auch an eine frühere Umfrage aus dem Jahr 1992 an. Zum ersten Mal wurden in dieser Studie nicht nur Frauen, sondern auch Männer zu diesem Thema befragt. Insgesamt konnten von den Studierenden an den drei Tagen 527 Männer und 620 Frauen an den fünf Standorten (Bismarckplatz, Universitätsplatz, Hauptbahnhof, Neuenheim, Mensa Neuenheimer Feld) befragt werden. In Heidelberg Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 3 wohnhaft waren rd. zwei Drittel der Befragten, der Rest waren Personen, die sich mehrmals pro Woche in Heidelberg aufhalten und somit auch zur Zielgruppe zählten. Von den Befragten waren knapp 60% unter 30 Jahre, 15% zwischen 30 und 40 Jahre alt und der Rest verteilte sich auf die anderen Altersgruppen. Erwerbstätig waren rd. 30% der Befragten, 46% zählten zu den Studierenden, 10% zu den Rentnerinnen und Rentnern und der Rest verteilte sich auf die anderen Gruppen. Knapp 70% der Befragten verfügten als höchsten Schulabschluss über die allgemeine Hochschulreife, 12% über die mittlere Reife und 9% über einen Hauptschulabschluss. Diese Verteilung, in der sich überproportional viele Studierende befinden, liegt zum einen darin begründet, dass die Befragung an drei Werktagen von ca. 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr stattfand und somit relativ wenige Berufstätige als Passanten anzutreffen waren. Hinzu kommt, dass einige Standorte (Universitätsplatz, Mensa im Neuenheimer Feld) auch Orte sind, an denen sich besonders viele Studierende aufhalten. Außerdem ist bekannt, dass sich Studierende leichter für Interviews einer Passantenbefragung gewinnen lassen als andere Zielgruppen – insbesondere dann, wenn die Interviewer/innen selbst wiederum Studierende sind. Da Studierende zu einer sehr mobilen und aktiven Bevölkerungsgruppe zählen, die von Einschränkungen besonders stark betroffen ist und diese Gruppe zudem in Heidelberg einen ganz wesentlichen Anteil an der Wohnbevölkerung ausmacht, ist dieser überproportionale Anteil unter den Befragten jedoch kein Hindernis für die Auswertung. Dieser Sachverhalt muss allerdings bei allen Interpretationen beachtet werden. Stellt man die Frage: „Ganz allgemein betrachtet, wie sicher fühlen Sie sich in Heidelberg?“, so fühlen sich zwei Drittel der Männer und ein Drittel der Frauen sehr sicher in Heidelberg. Wenig oder gar nicht sicher fühlen sich rd. 13% der Frauen und knapp 5% der Männer. Unter den Männern sind dies vor allem ältere Männer über 60 Jahren bzw. ausländische Befragte, und bei den Frauen fühlen sich sehr junge Frauen unter 18 Jahren oder zwischen 18 und 30 Jahren nicht ganz so sicher wie die anderen Altersgruppen. Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 4 Abbildung 1: Ergebnisse der Frage: „Ganz allgemein betrachtet, wie sicher fühlen Sie sich in Heidelberg?“ Männer Frauen gar nicht sicher wenig sicher 0.5% 4.0% eher sicher 30.8% gar nicht sicher weniger sicher sehr sicher 1.0% 12.0% 33.0% 64.7% 54.0% sehr sicher eher sicher Quelle: eigene Erhebung vom 20.-22.2.2002 Obwohl sich insgesamt rd. 95% der Männer und 85% der Frauen sehr oder eher sicher in Heidelberg fühlen, gibt es Tageszeiten und bestimmte Merkmale der Umgebung, in denen sich die Befragten nicht ganz so sicher fühlen. Auffallend ist, dass das Sicherheitsempfinden der Männer, die sich nicht sehr sicher in Heidelberg fühlen (n=82), nur unerheblich von der Tageszeit beeinflusst wird. Wenn sie sich nicht sicher fühlen, so gilt das für gleich große Anteile sowohl tagsüber als auch abends oder nachts. Dagegen steigt für Frauen das Unsicherheitsempfinden mit Einbruch der Dunkelheit und spät nachts deutlich an. Abbildung 2: Ergebnisse der Frage: „Wenn Sie sich nicht ganz sicher in Heidelberg fühlen, zu welcher Tageszeit ist das?“ Männer Frauen tags tags 26.1% 3.2% nachts 37.0% abends 37.0% 59.7% nachts 37.0% abends 82 Antworten 586 Antworten Mehrfachantworten möglich Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 5 Quelle: eigene Erhebung vom 20.-22.2.2002 Interessant sind auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was die Merkmale angeht, die als beeinträchtigend für das persönliche Sicherheitsempfinden wahrgenommen werden. Grundsätzlich ist zu erkennen, dass für Frauen Dunkelheit und „alleine unterwegs sein“ zu den größten Unsicherheitsfaktoren zählen, dicht gefolgt von der Unübersichtlichkeit der Umgebung. Als weniger beeinträchtigend für ihre Sicherheit empfinden Frauen große Menschenmassen. Männer fühlen sich von fast allen genannten Merkmalen weniger betroffen als Frauen. Die einzige Ausnahme bildet das Merkmal „große Menschenmassen“, das 12% der befragten Männer und nur 8% der befragten Frauen als einen Faktor ansehen, der „sehr stark das Sicherheitsgefühl beeinflusst“. An dieser Stelle wird deutlich – wie bereits bei der Verteilung der Tageszeiten, in denen man sich unsicher fühlt –, dass sich die Kriminalitätsfurcht von Männern und Frauen vor allem darin unterscheidet, wovor man sich fürchtet. Während für Frauen nach Einbruch der Dunkelheit die Furcht von Sexualstraftaten vorherrschend ist, ist für Männer die Furcht vor anderer Form von körperlicher Gewalt (Schlägerei, Raub usw.) das bestimmende Motiv. Vor allem bei dem Merkmal „große Menschenmassen“ sind diese Unterschiede sichtbar, da für Männer diese Situation eher zu Bedrohungen führen kann (unabhängig von der Tageszeit), als dies für Frauen der Fall ist. Trotz des insgesamt positiven Urteils zur Gesamtsituation Heidelbergs wenden alle Befragte sogenannte „Vermeidungsstrategien“, wie z.B. Umwege in Kauf nehmen, bestimmte Orte meiden usw., in ihrem Alltag an. Abbildung 3: Art und Häufigkeit der Maßnahmen, die Befragte treffen, um sich sicherer zu fühlen MÄNNER Verzicht auf Weggehen 0 0 nicht erhoben Abholen/nach Hause bringen lassen Umwege in Kauf nehmen Orte meiden 0 0 nicht erhoben 33 46 konzentriert Aufpassen 61 zielbewusst gehen 52 extra Auto fahren 6 extra Bus fahren 16 extra Taxi fahren 9 extra Handy mitnehmen Verteidigungsobjekte mitnehmen 14 8 0 20 häufig manchmal 40 60 80 100 Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer FRAUEN Verzicht auf Weggehen 46 Abholen/nach Hause bringen lassen Umwege in Kauf nehmen Orte meiden 35 63 65 konzentriert Aufpassen 81 zielbewusst gehen 72 extra Auto fahren 23 extra Bus fahren 50 extra Taxi fahren 26 extra Handy mitnehmen Verteidigungsobjekte mitnehmen 6 36 17 0 20 häufig 40 60 80 100 manchmal Quelle: eigene Erhebung vom 20.-22.2.2002 Die häufigsten Maßnahmen, die getroffen werden, um sich sicherer zu fühlen, sind „konzentriertes Aufpassen“, wenn man alleine unterwegs ist, und ganz besonders „zielbewusstes Gehen/ Fahren“. Mehr als die Hälfte der befragten Frauen wendet dies häufig an und genauso viele Männer zumindest manchmal. Zwei Drittel der Frauen nehmen zumindest manchmal, rd. 20% sogar häufig Umwege in Kauf oder meiden bestimmte Orte. Auch knapp die Hälfte der Männer meidet manchmal bestimmte Orte und ein Drittel nimmt gelegentlich ebenfalls Umwege in Kauf. Besonders beeinträchtigend im Alltag sind Maßnahmen, wie z.B. der völlige Verzicht aufs Weggehen für den Fall, dass die Frau nicht weiß, wie sie Hin- und Rückweg sicher bewältigen kann, was immerhin 17% der Frauen häufig und weitere 29% manchmal aus Sicherheitsgründen tun. Das Handy ist für knapp 30% der Frauen mittlerweile ein oft genutzter Sicherheitsfaktor geworden, eine Tatsache, die eine Bestätigung der Aktion SOS-Handy darstellt1. 1 Diese Aktion ist eine gemeinsame Initiative der Stadt Heidelberg und der Polizei Heidelberg bzw. des Vereins „SicherHeid“. Es können von den Frauen kostenlos Handy ausgeliehen werden, deren Vertrag abgelaufen ist, die aber noch über die Möglichkeit verfügen, die Notruf-Nummern zu wählen. Derzeit sind ca. 120 Handys im Einsatz. Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 7 Die Benutzung des PKWs oder des Taxis aus Sicherheitsgründen liegt bei ca. 25%, wobei sich bei der relativ hohen Taxi-Nutzung (im Vergleich zu der des Autos) zu vermuten ist, dass das Frauennachttaxi2 hier einen hohen Anteil einnimmt. Die Hälfte aller Frauen benutzt aus Sicherheitsgründen zumindest manchmal Busse und Bahnen, um sicherer nach Hause zu kommen. Da Busse und Bahnen allerdings auch als potentiell gefährliche Orte genannt werden, muss die Nutzung von Bussen und Bahnen aus Sicherheitsgründen ambivalent bewertet werden. Für ihre eigene Sicherheit werden immer mehr Befragte selbst aktiv: knapp ein Viertel der befragten Frauen (rd. 20% der Männer) hat immerhin schon einmal einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Dieser Anteil ist wesentlich höher, als der Anteil, der aus früheren Umfragen bekannt ist, wobei auch hier zu berücksichtigen ist, dass relativ viele Studentinnen unter den Befragten sind, und diese sicher eher solch einen Kurs belegen als dies z.B. für ältere Frauen gilt. Abbildung 4: Das Neuenheimer Feld (Campus der Universität mit Klinikum und den Instituten der Naturwissenschaften) Quelle: Mediazentrum der Kopfklinik, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 2000 2 Das Frauennachttaxi ist eine Initiative der Stadt Heidelberg. Bürgerinnen Heidelbergs können zu einem Pauschalpreis von 5.60 € (Ermäßigt 4.60) einen Fahrschein erwerben, der sie berechtigt, zwischen 22 Uhr und 6 Uhr (bzw. Seniorinnen ab 20 Uhr) ein Taxi zu benutzen. Die Differenz zu dem tatsächlichen Betrag der Fahrt übernimmt die Stadt. Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 8 Die Orte, die als „Gefahrraum“ – so sollen sie im Folgenden bezeichnet werden – besonders häufig genannt wurden, sind das Neuenheimer Feld (40% der Nennungen) in dem sich der Campus der Universität befindet, der Hauptbahnhof (16% der Nennungen) und der Bismarckplatz (14% der Nennungen) (es konnten mehrere Orte genannt werden). Damit hat – im Vergleich zu einer ähnlichen Befragung vor zehn Jahren – das Neuenheimer Feld die beiden anderen Orte „überholt“, die zuvor die beiden am häufigsten genannten Gefahrräume darstellten. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass mehrere Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen (Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen) im Neuenheimer Feld im Jahr 2001 sehr bekannt wurden und dass relativ viele Studierende an der Befragung teilgenommen haben, die für das Neuenheimer Feld besonders sensibilisiert sind. Daneben erreichen die städtische Grünfläche Neckarwiese (8% der Nennungen) die Hauptstraße (6% der Nennungen), die Seitenstraßen der Hauptstraße (3% der Nennungen), die Plöck und die Untere Straße (2% der Nennungen) (alles Bereiche der Fußgängerzone), die Berlinerstraße (2% der Nennungen), Kurfürstenstraße und die Parkanlage Schwanenteich (3% der Nennungen) sowie der Fahrradweg nach Kirchheim (2% der Nennungen) noch erhöhte Werte. In den genannten Orten spiegeln sich die Aufenthaltsorte der Studierenden wider (z.T. Sitze der Universitätsinstitute), die – wie mehrfach erwähnt – einen erheblichen Anteil an den Befragten einnehmen. Zum Teil sind es jedoch auch die innerstädtischen Grünanlagen, die vor allem nachts als Gefahrraum genannt werden und die Straßen der Fußgängerzone, in denen Geschäfte und Restaurants liegen. Betrachtet man die Nennungen nach den Stadtteilen, in denen diese Orte liegen, so liegt der Stadtteil Neuenheim erwartungsgemäß mit 36% der Nennungen an erster Stelle, gefolgt von der Altstadt (18%) und Bergheim (mit dem Bahnhof) (12%). Der einzige Stadtteil Heidelbergs, der relativ häufig insgesamt als Gefahrraum genannt wurde, ohne dass konkrete Orte bezeichnet werden konnten, ist der Emmertsgrund (10%), eine Hochhaussiedlung am Rande des Stadtgebiets, die als sozialer Brennpunkt gilt. Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Benennung der Gefahrräume sind dahingehend zu erkennen, dass das Neuenheimer Feld 45% der Nennungen der Frauen, jedoch nur 31% der Nennungen der Männer erhält, wohingegen der Hauptbahnhof und der Bismarckplatz anteilig von mehr Männern als Frauen genannt werden. Vergleicht man die Gruppe der Studierenden mit dem Rest der Befragten, so wird auch hier wieder deutlich, dass das Neuenheimer Feld mit über 45% der Nennungen von Studierenden und nur 26% der Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 9 Nennungen von Nicht-Studierenden (jedoch immer noch die absolut höchste Zahl der Nennungen) ein speziell universitärer Gefahrraum ist. Die meisten Befragten sind in diesen Gefahrräumen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit Bussen und Bahnen unterwegs, letzteres gilt vor allem für die befragten Frauen, die weitaus seltener den PKW benutzen. Am häufigsten werden von beiden Geschlechtern bei den konkreten Gefahrräumen Unbelebtheit, gefolgt von schlechter Beleuchtung als Gründe für das Unsicherheitsempfinden genannt. Vor allem von Männern aber auch von Frauen wird am häufigsten der Wunsch nach mehr Polizeistreife bei mehr als drei Viertel aller GefahrraumNennungen geäußert. Danach folgt der Wunsch nach besserer Beleuchtung. Diese recht allgemeinen Analysen müssen jedoch für die einzelnen Orte genauer betrachtet werden. Das Neuenheimer Feld wird wie kein anderer Gefahrraum tagsüber als nahezu ungefährlich, abends, jedoch vor allem nachts, wenn der Publikumsverkehr stark abnimmt, als extrem unsicher wahrgenommen. Hier sind zudem außerordentlich viele Befragte mit dem Fahrrad und zu Fuß unterwegs. Die Gründe für die Nennung des Neuenheimer Feldes liegen vor allem in der Unbelebtheit (in den Abendstunden), in der Tatsache, dass dort Straftaten bekannt sind, in der mangelhaften Beleuchtung und in der Art der Bebauung. Auch der Bahnhof, der Bismarckplatz und vor allem der Emmertsgrund werden aufgrund der Unbelebtheit als unsichere Orte genannt. Im Gegensatz zum Neuenheimer Feld sind beim Bismarckplatz Beleuchtung und Übersichtlichkeit keine so zentralen Faktoren. Hier ist es vor allem die Unbelebtheit, die auch bei den anderen Gefahrräumen am häufigsten genannt wird. Die Verbesserungsvorschläge der Befragten richten sich beim Neuenheimer Feld vor allem auf eine bessere Beleuchtung und auf mehr Polizeistreife. Der Wunsch nach Polizeistreife ist jedoch an anderen Orten noch größer: zwei Drittel der Befragten würden mehr Polizeipräsenz am Bahnhof, am Bismarckplatz und im Emmertsgrund befürworten. Private Security-Dienste werden von knapp 30% der Befragten am Hauptbahnhof gewünscht. Im Neuenheimer Feld würden knapp 20% der Befragten mehr Übersichtlichkeit und eine niedrigere Bepflanzung begrüßen – wobei beide Faktoren eng miteinander zusammenhängen. Eine Videoüberwachung als Sicherheitsmaßnahme wird für das großflächige Neuenheimer Feld erwartungsgemäß am seltensten vorgeschlagen, wohingegen sich die Befragten für den Bahnhof, den Bismarckplatz und auch den Stadtteil Emmertsgrund Videoüberwachung als Maßnahme zur Steigerung der Sicherheit durchaus vorstellen können. Bezieht man in die Analyse die eigene Erfahrung der Befragten von Gewalt oder Bedrohung im öffentlichen Raum ein, so zeigt sich, dass Frauen in nahezu allen Bereichen Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 10 (vor allem in den Bereichen, die für das Geschlechterverhältnis typisch sind) auch mehr Erfahrungen mit Bedrohung im öffentlichen Raum Heidelbergs als Männer machen mussten. Die einzige Art von Bedrohung, nämlich Anfassen oder Anrempeln – was gewaltsamen Auseinandersetzungen unter Männern nicht selten vorausgeht – ist Männern schon häufiger wiederfahren als Frauen. Dieser Sachverhalt erklärt erneut die o.g. Bedrohung durch große Menschenmassen, die von Männern häufiger genannt wurde als von Frauen. Alle anderen Delikte (außer unter Umständen Diebstahl) sind Delikte, die eher in einsamen Situationen, ohne Publikum und ohne soziale Kontrolle stattfinden. Die genannten Tatorte sind beim „Anstarren“ der Bismarckplatz und der Hauptbahnhof (die Knotenpunkte des öffentlichen Personennahverkehrs) sowie öffentliche Verkehrsmittel im Allgemeinen. Das „Anpöbeln“, „Anrempeln“ und „Weg Versperren“ sind Vorfälle, die vor allem in der Hauptstraße und in der Umgebung des Bismarckplatzes statt gefunden haben. Allerdings nennen – vor allem Frauen – auch für diese Delikte immer wieder Busse und Bahnen als Tatorte. Abbildung 5: Anteil der Befragten, die Erfahrungen mit bedrohlichen/gewaltsamen Situation in Heidelberg hatten Angestarrt worden Angepöbelt worden Angefasst/gerempelt worden Weg versperrt worden Verfolgt worden Überfallen worden Beraubt worden Bestohlen worden Angriff mit Waffe Sexuelle Belästigung 0 10 Männer Frauen Quelle: eigene Erhebung vom 20.-22.2.2002 20 30 40 50 Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 11 Das Neuenheimer Feld wird als Tatort für „Weg versperren“ und „Verfolgen“ sowie „Sexuelle Nötigung“ genannt, allerdings auch für Diebstahl, der sich dann in universitären Einrichtungen (Bibliothek, Mensa) vollzogen hatte. Die Neckarwiese war darüber hinaus Tatort für einen bewaffneten Angriff. Bemerkenswert ist, dass die Hälfte der genannten sexuellen Belästigungen in Bussen und Bahnen statt fand. An dieser Stelle herrscht m.E. dringender Handlungsbedarf. Es sind somit durchaus Gewalt- oder Bedrohungserfahrungen in Heidelberg bei den Befragten vorhanden, die sich dennoch nicht sehr stark auf das allgemeine Sicherheitsempfinden niederschlagen. Die Sicherheitsmaßnahmen, die in Heidelberg angeboten werden, sind vielfältig. Sie reichen von den bekannten Frauenparkplätzen über Frauennachttaxi, SOS-Handy-Ausleihe bis hin zu Begleitservice im Neuenheimer Feld3. In der Befragung wurde erhoben, welchen Bekanntheitsgrad diese Maßnahmen im Einzelnen besitzen und wie stark sie genutzt werden. Abbildung 6: Kenntnis und Nutzung der Sicherheitsmaßnahmen in der Stadt Heidelberg Kenntnis der Maßnahme (in %) Nutzung der Maßnahme (in %) Frauennachttaxi Frauennachttaxi SOS-Handy-Ausleihe SOS-Handy-Ausleihe Frauenparkplätze Frauenparkplätze Taxi-Rufsystem der HSB Taxi-Rufsystem der HSB Begleitservice INF Begleitservice INF Bushalt auf Wunsch INF Bushalt auf Wunsch INF 0 20 Männer 40 60 80 100 Frauen 0 20 Männer 40 60 80 100 Frauen Quelle: eigene Erhebung vom 20.-22.2.2002 Das Frauennachttaxi und die Frauenparkplätze in Parkhäusern sind mehr als 80% der Befragten bekannt. Auch der Begleitservice im Neuenheimer Feld ist gut 40% der Personen 3 Frauenparkplätze, sind Parkplätze in vorwiegend in Tiefgaragen, die für Frauen reserviert sind und sich meist in unmittelbarer Nähe des Aufsichtspersonals befinden. Der Begleitservice im Neuenheimer Feld bedeutet, dass Studierende und Angestellte der Kliniken/ Universität an bestimmten Stellen in den Abendstunden eine Begleitung zu ihrem Fahrzeug oder zum Bus erhalten können. Das Taxi-Ruf-System der HSB bietet an, in der Bahn/dem Bus ein Taxi zu bestellen, das dann am gewünschten Haltestelle den Gast erwartet und weiterfährt (auf eigene Kosten). Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 12 bekannt (64% unter den Studierenden). Dies ist sicherlich auch der Verbreitung der „Walk safe“-Broschüre zu verdanken, die speziell für das Neuenheimer Feld angefertigt wurde und die dortigen Maßnahmen erläutert. Das Taxi-Ruf-System der HSB ist dagegen weniger den Studierenden als den anderen Befragten bekannt (was sicherlich mit den relativ hohen Kosten zusammenhängt), und das SOS-Handy kennt nur ein Viertel der Befragten. Hier wurde die Befragung von Seiten der Befragten als Informationsquelle genutzt und es wurde häufig nachgefragt. Die Nutzung dieser Sicherheitsangebote findet allerdings relativ selten statt. Das Frauennachttaxi hatten immerhin zum Befragungszeitpunkt bereits rd. 30% der Frauen genutzt, allerdings nur 20% der Studierenden. Auch nutzen Studierende seltener die Frauenparkplätze, was jedoch einfach daran liegt, dass sie weniger oft über ein Auto verfügen als die restlichen Befragten. Dass einige Männer zugaben, Frauenparkplätze zu nutzen – was sie eigentlich nicht dürfen –, sei nur am Rande erwähnt. Alle anderen Angebote werden eher selten in Anspruch genommen, was jedoch nicht heißen soll, dass sie überflüssig wären. Ganz im Gegenteil wurde von den Befragten gerade das gute Angebot der Sicherheitsmaßnahmen für Heidelberg sehr positiv bewertet. Auch wenn Heidelberg insgesamt von den meisten Befragten als eine recht sichere Stadt bewertet wurde (vor allem im Vergleich zu anderen Städten, wie Mannheim oder Frankfurt), so gibt es dennoch Gefahrräume im Stadtgebiet. Es sind dies vor allem Orte, in denen die soziale Kontrolle nahezu fehlt oder zumindest in den Abend- und Nachtstunden als fehlend empfunden wird. All diese Orte sind durch ihre speziellen Funktionen (Ausbildungsstätte, Umsteigestelle des öffentlichen Personennahverkehrs) Orte, die im Alltag nicht zu umgehen oder zu meiden sind. Eine Studentin ohne PKW kann sich weder dem Neuenheimer Feld noch den Knotenpunkten von Bussen und Bahnen am Bismarckplatz und am Bahnhof entziehen. Und auch die Stätten der Freizeit (Neckarwiese) und Kultur (Altstadt) sollten in einer Stadt sicher zugänglich sein. An verschiedenen Stellen wurde gezeigt, dass sich Gewaltorte und potentielle Straftaten zwischen den Geschlechtern stark unterscheiden. Für Frauen bleibt – als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse – der einsame, nicht einsehbare und dunkle Ort derjenige, an dem die Bedrohung von sexueller Gewalt latent vorhanden ist. Für Männer dagegen sind Orte, an denen sich andere Männer in Gruppen unter Umständen gewalttätig versammeln, potentielle Gewaltorte, die sich weniger an Tageszeiten orientieren als dies für Frauen der Fall ist. Es zeigt sich, dass die Bedrohungen, die den Befragten bisher widerfahren sind, sich auf die Beurteilung der Sicherheit in Heidelberg nur bedingt niederschlagen. Einzelne Orte werden als relativ unsicher empfunden (Neuenheimer Feld), vor allem, wenn sie als Tatorte Frontiers of Geography – SICHERHEIT IM ÖFFENTLICHEN …” – Caroline Kramer 13 von sexueller Gewalt in der jüngeren Zeit bekannt geworden sind. Andere Orte, an denen Bedrohungen und auch tatsächliche Gewaltakte (Rohheitsdelikte) stattfinden (Hauptstraße und Nebenstraßen), tauchen weniger stark in der Nennung der unsicheren Orte auf. Dies liegt u.a. darin begründet, dass es für Männer nach wie vor nicht einfach ist, sich in der Öffentlichkeit – d.h. in Befragungen – zur Unsicherheit oder gar zu Angst zu bekennen. Was ist zu tun? Die Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit von Seiten der Stadt und der Polizei reichen von einer besseren baulichen Gestaltung (z.B. von Radwegen) über mehr Kontrolle und Überwachung. Dies ist allerdings nur die Beseitigung von Symptomen, deren Bekämpfung sicherlich ein erster wichtiger Schritt ist. Die Ursachen liegen jedoch nicht in den Räumen selbst, sondern weitaus tiefer in gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die es vor allem Frauen – aber auch Männern nicht-weißer Hautfarbe – nicht erlauben, sich frei von Angst und Bedrohung überall zu bewegen. Mit dem Ansatz des Gender Mainstreaming will man sich nicht mehr nur darauf konzentrieren, für mehr Beleuchtung und niedrigere Hecken zur Erhöhung der Sicherheit zu sorgen – wobei auch diese Maßnahmen punktuell ihre Berechtigung haben. Langfristig muss auch für die Stadt- und Regionalplanung – vor allem von universitären Anlagen – die Nutzungsmischung Vorrang erhalten. Die Tatsache, dass über große Flächen im Neuenheimer Feld keine Wohnnutzung oder Freizeitnutzung stattfindet, sondern diese getrennt in separaten Regionen des Campus angesiedelt wurden, hat zur Folge, dass sich dieses Gebiet nach Einbruch der Dunkelheit in ein unüberschaubares entleertes Gelände verwandelt. Solchen Fehlplanungen sollte in Zukunft gezielt entgegen gesteuert werden. Planungen oder bauliche Maßnahmen sind weder Ursache von Gewalt im öffentlichen Raum, noch werden sie sie völlig verhindern können, da die Ursachen auf gesellschaftlicher Ebene liegen. Dennoch kann das räumliche Umfeld so gestaltet werden, dass soziale Kontrolle die Voraussetzungen für sichere Aufenthalte bietet und bedrohliche Situationen in geringerem Maße entstehen können. Die Stärkung von Frauen und Mädchen für ein selbstbewusstes Auftreten im öffentlichen Raum zählt ebenso zu den empfohlenen Maßnahmen des Gender Mainstreaming, wie das Einbeziehen der Sicherheitswahrnehmung von Männern und Jungen in der Stadt.
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