Wie Wien Integrationspolitik im Ausland macht - M-Media

ÖSTERREICH
Mittwoch, 17. Dezember 2008
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Die Lebenssituation von Roma-Familien zu verbessern, gehört zu den Aufgaben der Wiener Auslandshilfe – die Projekte werden als Teil der Migrations- und Integrationspolitik der Stadt Wien gesehen.
[ Arda ]
Wie Wien Integrationspolitik im Ausland macht
ENTWICKLUNG. Die Wiener Auslandshilfe unterstützt Hilfsprojekte
B
außerhalb Österreichs. Besonders großer Wert wird dabei auf
aracken ohne Strom und
Wasser, kein Betonboden,
sondern nur Erde, keine Kanalisation, tonnenweise Müll. Eine
Szenerie, die man sich in Österreich kaum vorstellen kann. Etwa
1000 Kilometer von Wien entfernt,
im Süden von Bulgarien, leben
zahlreiche Roma unter genau
diesen Umständen. „Wir haben
in vier Tagen gemeinsam mit
200 Roma-Frauen und Männern
ungefähr 400 Kubikmeter Müll
eingesammelt“, berichtet Walter
Macher von der Hilfsorganisation
Adra Österreich.
Adra steht für Adventist Development and Relief Agency und ist
eine Organisation, die seit 1999
zur Verbesserung der Wohn- und
Lebenssituation der Roma in Bulgarien beiträgt. Kern der Aktivitäten ist die Wohnsiedlung Istok,
Teil der Stadt Kjustendil. Im „Obstgarten Bulgariens“, wie diese Stadt
genannt wird, leben 70.000 Menschen, davon sind etwa 12.000 Angehörige der Roma.
Finanzierung aus Österreich
Für diese Roma-Familien baut
Adra Österreich Häuser. Seit 2002
wurden zwei Reihenhaussiedlungen errichtet und an Familien
übergeben. Finanzielle Unterstützung dafür kommt aus Österreich:
Die Stadt Wien unterstützt schon
seit Längerem Hilfsprojekte im
Ausland. Was als gelegentliche Katastrophenhilfe mit humanitären
Sofortmaßnahmen begann, entwickelte sich zu konkreten und regelmäßigen Hilfsprojekten.
Diese umfassen in erster Linie
den Aufbau von Bildungs- und
Bildung, Schulung sowie die Förderung von Frauen gelegt.
VON JOSIPA CRNOJA
Schulungseinrichtungen oder von
medizinischen Zentren. Seit 2002
hat die „Wiener Auslandshilfe“
insgesamt 113 Projekte in 26 Ländern gefördert. „Wir unterstützen
die Projekte in armutsgefährdeten
Regionen, vor allem in Süd- und
Osteuropa sowie in Afrika“, erklärt
Christian Anderle, Verantwortlicher des Büros für Entwicklungszusammenarbeit der Stadt Wien.
Und die Maßnahmen zeigen bereits Erfolge: In der Wohnsiedlung
Istok finden sich statt Baracken
nun auch Häuser mit Badezimmer, Wohn- und Schlafzimmer,
möbliert und mit Wasser- und
Stromanschlüssen. Geheizt wird
mit Holz oder Kohle in Öfen. „Wir
haben ein medizinisches Zentrum
umgebaut und mit verschiedenen
Ärzten besetzt, um essenzielle
Untersuchungen durchführen zu
können“, sagt Adra-Koordinator
Macher.
Das Besondere am Projekt ist,
dass alle Bauobjekte von Roma
aus Istok selbst errichtet wurden.
„Mit einer symbolischen Monatsmiete von zehn Euro zahlen die
Bewohner in einen Topf für Reparaturen“, sagt Walter Macher.
Mehr als die Hälfte der Gelder für
dieses Projekt kamen von Privatspendern aus Österreich.
Ortswechsel: Sabrin ist 12 Jahre
alt. Vor vier Jahren erkrankte sie an
einem bösartigen Tumor im rechten Auge. Da Sabrin in einem kleinen Dorf im Süden des Irak
lebt, musste sie stundenlang zum
nächsten Krankenhaus nach Basra
fahren. Die Mutter hatte kein Geld
für den Transport, die Behandlung
verlief nur unregelmäßig.
Aber es ist nicht nur die Wohnsituation miserabel, Probleme gibt
es auch auf anderen Ebenen. So ist
etwa die Arbeitslosenrate extrem
hoch, rund 80 Prozent der Menschen sind ohne Job und die meisten Familien leben von den 60 bis
80 Euro Sozialhilfe, die sie im
Monat bekommen. Besonders
schlimm ist die Situation für Frauen, da sie meist zu Hause bleiben,
um sich um die zahlreichen Kinder zu kümmern. Sehr viele können weder schreiben noch lesen.
Diese Menschen zu fördern ist
ein Teil der Strategie der Wiener
Auslandshilfe. Die „Hilfe vor Ort“
wird als integraler Bestandteil der
Migrations- und Integrationspolitik der Stadt Wien verstanden –
nicht umsonst ist die Auslandshilfe im Ressort von Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger
angesiedelt.
Sterblichkeit im Irak gesenkt
Sabrin kämpft mit dem Tumor,
ihre Heilung ist ungewiss. Und
dennoch: „Sie lacht viel und will
anderen Menschen helfen“, berichtet Eva-Maria Hobiger, Ärztin
aus Wien. Nach einem Besuch im
Mutter-Kind-Spital in Basra im
Jahr 2001 gründete die engagierte
Ärztin das Hilfsprojekt „Aladins
Wunderlampe“.
Dabei
sollte
krebskranken Kindern in Basra geholfen werden, indem man Medikamente liefert und ihnen eine angemessene Behandlung ermöglicht. Die Stadt Wien half dabei.
„Es gab eine Sterblichkeit von
100 Prozent, heute liegt sie bei 25
Prozent“, erzählt Hobiger. Dieses
Projekt der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen
entwickelt sich weiter, neue Medikamentenlieferungen sind geplant. Zudem werden Kinder, die
eine komplizierte Therapie benötigen, in Österreich, Deutschland,
Frankreich oder der Schweiz untergebracht. Sabrin hat im Spital
mittlerweile lesen und schreiben
gelernt. Mit Leichtigkeit zeichnet
sie Bäume und Häuser. „Auf jeder
ihrer Zeichnungen steht ein großes
,Danke, Eva!‘“, erzählt die Ärztin.
Die Wiener Auslandshilfe setzt
darauf, mindestens eines von acht
Entwicklungszielen der Vereinten
Nationen (Millennium Development Goals) zu unterstützten. Der
diesjährige Schwerpunkt liegt bei
der Förderung junger Frauen und
Mädchen, die ihre Ausbildung abgebrochen haben und arbeitslos
sind. Hilfsprojekte wie Lehrstellen
in einer Bäckerei im Kosovo oder
eine Ausbildung zur Schneiderin
in Albanien bringen einen Ausweg
aus der Armut. Allein heuer investierte die Stadt Wien für die Auslandshilfe 200.000 Euro.
AUF EINEN BLICK
Q Wiener
Auslandshilfe: Seit
2002 unterstützt die Stadt Wien
Hilfsprojekte im Ausland. Seitdem
wurden insgesamt 113 Projekte in
26 Ländern gefördert. Allein im
Jahr 2008 flossen 200.000 Euro in
die Auslandshilfe.
Q Ziele: Die primären Ziele sind
Bekämpfung von Frauenhandel,
Aufbau von Ausbildungs- und
Schuleinrichtungen sowie
medizinische Vorsorgung.
www. wien.gv.at/international
Te r m i n e
KUNST
Die Strategie der Schnecke
Neo-Österreicher drängen in die Kultur
18. Dezember, 20 Uhr. Ein poetischer und politischer Film (1993,
115 Min), der die Situation in Bogota, Kolumbien, anschaulich darstellt, wird im Politdiskubeisl im
EKH vorgeführt.
Wielandgasse 2–4, 1100 Wien
http:// med-user.net/~ekh
Sieben Tage Tibet
Bis 6. Jänner 2009. Fotografien von
Lennhart Maschmeyer sind im
Caf´e Afro im Rahmen der Ausstellung „Sieben Tage Tibet – von
Chengdu in den Himalaya“ zu sehen.
Caf´e afro, 1090 Wien, Türkenstraße 3
www. cafeafro.at
Die Traumfänger
Bis 19. Jänner 2009. Der Verein
Sandmann
präsentiert
am
Afro-Asiatischen Institut Graz eine
Fotoausstellung inklusive einer
Buchpräsentation: Der Traumfänger, ein Projekt mit bolivianischen
Straßenkindern.
Leechgasse 22, 8010 Graz
www. aai-graz.at
Die Veranstaltungsreihe „Urbanität ist Vielfalt“ zeigt das Potenzial der migrantischen Künstler Wiens.
VON AYSUN BAYIZITLIOGLU
D
ie Vertreter der Wiener
Klassik waren keine geborenen Wiener – Mozart kam
aus Salzburg, Haydn aus Rohrau
und Beethoven aus Bonn. Auch
unter den jungen Neo-Wienern
heute gibt es eine Reihe herausragender künstlerischer Talente, die
in erster oder zweiter Generation
aus unterschiedlichen Herkunftsländern stammen. Sie sind oft jedoch nur in ihren kleinen Szenen
bekannt, jenseits des kulturellen
Establishments.
Eine Veranstaltung im Anatomietheater widmete sich daher
dem Thema: „Kulturelle Vielfalt
und künstlerischer Ausdruck zwischen Fremde und Heimat, Angst
und Vertrautheit“. „Bei dieser Veranstaltung wollten wir einige junge Künstler aus den Bereichen
Theater, Film und Literatur näher
vorstellen“, erklärt Sanem Altinyildiz, Projektmanagerin des Vereins
Educult, „und mit ihnen diskutie-
ren, wie Teilnahme am Kunst- und
Kulturgeschehen gelingen kann.“
„Die Vorstellung eines Wien
ohne die gegenwärtige Vielfalt ist
entsetzlich“, betont Christian
Ehalt, Leiter der Abteilung Wissenschafts- und Forschungsförderung
der MA 7 bei der Begrüßung. Dem
kann Asli Kislal, Gründerin des Internationalen
Theaters
„daskunst“, bei der Diskussion am Podium nur zustimmen: „Ohne kulturelle Mischung und Toleranz
kann man die Stadt Wien vergessen.“
„Lang- oder Kurzzeitösterreicher“
Für die gebürtige Türkin hat das
Integrationsproblem nichts mit
unterschiedlichen Kulturen zu
tun, sondern mit unterschiedlichen Sozialschichten: „Viele der
ersten Generation, den sogenannten Gastarbeitern, waren sehr einfache Arbeiter.“ Umgekehrt denke
bei Amerikanern in gehobenen
Positionen niemand an Integrationsprobleme – obwohl die meis-
tens gar kein Deutsch sprechen.
„Die Begriffe ,Migrant’ und ,Österreicher’ gibt es für mich nicht, für
mich zählt nur ,Lang- oder Kurzzeitösterreicher“, meint Kislal.
Ihre Schülerin Ivana Nikolic aus
Serbien ärgert sich vor allem über
den Umgang von Österreichern
mit Migranten: „Es muss den anderen endlich egal sein, ob man
Migrationshintergrund hat, oder
nicht.“ Duygu Arslan, Schauspielerin aus der TV-Serie „Tschuschen-Power“, pflichtet ihr bei
und kritisiert Menschen, die immer noch fragen, woher sie käme:
„Sie akzeptieren es nicht, wenn
man sich als Österreicher fühlt.
Ich fühle mich aber als echte Wienerin.“
Seher Cakir, Autorin und Mitgründerin der türkischsprachigen
österreichischen Monatszeitung
„Öneri“ beklagt, dass die Herkunft
in der Wahrnehmung des Publikums noch immer eine große Rolle spiele: „Als die ersten Gastarbeiter gekommen sind, nannte man
ihre Literatur Gastarbeiterliteratur.
Heute nennt man das, was ich
schreibe, Migrantenliteratur – obwohl ich auf Deutsch schreibe.“
Hoffnung, dass sich in Zukunft etwas daran ändern wird, geben
Projekte wie die vom Grazer Regisseur Jakob Erwa für den ORF gestaltete – aber zunächst auf das
Frühjahr verschobene – Serie
„Tschuschen-Power“.
„Doppelt so hart arbeiten“
Erwa versucht im Rahmen der
Veranstaltung, den jungen Künstlern Mut zu machen: „Einigen von
Ihnen wird früher oder später der
Sprung auf die große Bühne gelingen. Dazu brauchen Sie nur den
Mut, rauszugehen.“ Und mit
einem
flammenden
Appell
schließt er: „Jeder, völlig egal woher er kommt, hat eine Chance.“
Nachsatz: „Auch wenn Sie dafür
doppelt so hart arbeiten müssen.“
www. educult.at
www. daskunst.at