Brot, allein wie es duftet Für viele ist es Hauptnahrungsmittel, für manche Sättigungsbeilage, für andere Kuriosität, und noch für andere Exotisches. Brot für alle? Am Vaterunser merkt man am ersten Gebet deutlich, es ist ein europäischer, kein weltumspannender Glaube. Aß man in Nazareth zur Zeit Christi Geburt Brot? Waren es Fladen? Oder nur Fisch, deshalb das Symbol der Christen? In Südamerika kennt man mit Gewissheit kein Brot im europäischen Sinne. Sie nennen ihre Hauptspeise Tortilla Flat, aber sie beten auch: Unser täglich Brot gib uns heute … Und die Lappländer? Kennen sie überhaupt Brot? Aber bei vielen Völkern geht nichts ohne Brot. In Japan ist wohl Brot eine Nebensache. Und in der Weltraumfahrt? Haben Astronauten, wenn sie Europäer sind, den Luxus, frisches Brot zu essen? Im Leben meines Mannes spielt Brot die Erste Geige. In meinem eher die Bratsche. Ich bevorzuge zwar Sauerteigbrot, esse es täglich, liebe aber auch die Kartoffel. In meiner Kindheit war Schmalhans oft Küchenmeister. Brot war die Inkarnation von Sattsein, von sich wohlfühlen, von Leben und Zusammengehörigkeit in der Familie. Wenn Vater am Freitag Abend nach seiner Arbeit mit dem Fahrrad zu Bäcker Schenk nach Finkenheerd fuhr um ein warmes Sechspfünder zu kaufen, es im Rucksack nach hause brachte und Mutter sich den Brotlaib vor die Brust nahm und mit dem großen, einzigen Brotmesser Scheibe um Scheibe abschnitt, begann für uns alle das Wochenende. Wir drei Kinder waren in der Zinkbadewanne frisch gebadet und saßen mit nassem Haar um den Tisch. Mutter schmierte die Stullen. Mettwurst, die hieß damals Braunschweiger, zur Feier des Tages Schmelzkäse, Leberwurst. Und Vati bekam immer den Kanten, das Ränftel. Und ich dachte oft, wenn ich einmal groß bin, werde ich auch den Kanten essen. Und dazu gab es einen köstlichen Kakao. Es war ja Wochenende. Und Mutti ermunterte uns immer, riecht zuerst an dem Brot. Der Geruch allein macht schon satt. Dieser Duft ist einzigartig auf dieser Welt! Und dann war Krieg. Und dann kam der Zusammenbruch. Und dann eine lange Zeit nichts. Aber Brot war immer nötig. Es wurde aus Kartoffeln, aus Wurzeln, aus Schalen, aus Schrot gebacken. Es hatte dann aber einen anderen Duft. Außerdem wurde es zugeteilt. Sechs Kategorien der Lebensmittelkarten. Schwerstarbeiter, Schwerarbeiter, Angestellte, Frauen, Alte, Kinder. Vom Brot konnte man nicht mehr satt wer1 den. Es wurde eingeteilt. Mein Bruder Hans wurde Lehrling und bekam die Karte 2, somit mehr Brot als wir Kinder und als die Mutter. Und da gab es 1946 eine Szene, von der ich niemals möchte, dass meine Kinder, meine Enkel, meine Urenkel sie je erleben. Mein kleines Brüderchen Volker hatte am Abend vor dem Schlafengehen wieder Hunger. Mutter sagte ihm, wir gehen jetzt zu Bett, wir haben kein Brot mehr und morgen ist ein neuer Tag. Da ging der Kleine an das Brotfach, öffnet es, und sagte, da ist doch noch Brot. Das aber war das Frühstück für meinen großen Bruder bestimmt, der morgens in die Lehre ging und mehr essen musste. Meine Mutter weinte so herzerweichend. Satt waren wir alle nicht. Und da weinten wir einfach mit. Als mein Mädel Jugendweihe hatte, schenkten wir ihr eine Reise nach Moskau und Petersburg. Mit mir. Besuch im Bolschoi, Besuch der Aurora und dem Winterpalaises. Und jeden Morgen setzten wir uns an den gedeckten Tisch, nahmen das wunderbare russische Brot in die Hand, rochen daran, zogen den Duft tief ein und sagten: Wie wunderbar doch Brot riechen kann. Das russische Brot ist unübertroffen. Und bei meinen ersten Kontakten mit einer anderen Kultur stellte ich fest, man, hier gibt es keine Kartoffeln. Jedenfalls nicht als Sättigungsbeilage. Studentenlager 1956, Varna am Schwarzen Meer. Wunderbare Fleischgerichte. Aber alles ohne Kartoffeln. Nur mit weißem, duftendem Weißbrot. Die bulgarischen Freunde am Tisch bröckelten das Brot, titschten es in die Sauce und waren nicht abgeneigt, unsere üppigen Fleischportionen zu übernehmen. Und dann lernten wir auch, dieses Brot ist vielseitig verwendbar. Hatte einer einen Fleck an seinem Gewande, konnte man versuchen, mit einem Stückchen Brot den Schaden beheben. Die Reste der Sauce kann man auftunken, oder titschen, wie die Sachsen sagen. Und was daneben ging, konnte so auch aufgesaugt werden. Das Brot war wie ein Volksradiergummi. Das wussten auch schon die Kaufleute von früher. Man schrieb die Rechnungen mit Bleistift. Und Brot mit Spucke hatten sie zum Korrigieren immer bei sich. Ich war schon verheiratet, lernte aber meine Schwiegereltern erst vier Monate später kennen. Sie empfingen mich an der Pforte mit Brot und Salz. Die Nachbarn standen dabei und klatschten in die Hände. Meine Schwiegermutti liebte Brot sehr, ja sie verehrte es. Sie buk selbst das köstlichste Brot aller Zeiten. Es war ihr eine Gewohnheit, 2 auch nach einem Üppigen Mahl ein Stück trockenes Brot nach zu essen. Was genau sie dazu gemurmelt hat, weiß ich bis heute nicht. Später verlebten unsere Kinder ihre Sommerferien bei den Großeltern in Sofia. Allein konnten sie zum Bäcker gehen, um das täglich frische Brot zu holen. Sehr oft kamen sie nur mit der Brothülle nach hause. Auf dem Weg hatten sie das warme Innenleben ausgehöhlt, verfuttert und dann manchmal Bauchschmerzen. Brot, so sagte es ein Weiser, ist die einzige Speise, die man sich nicht überessen kann. Ich auch nicht… Und dann gibt es die multivalente Bedeutung: Wes Brot ich esse, des Lied ich singe … und die vielen Volksweisheiten: Ander Leut Brot schmeckt allzeit besser Arbeit gibt Brot, Faulheit gibt Not Besser eigen Brot als fremden Braten Brot essen ist keine Kunst, Dem Armen fehlt Brot, dem Reichen der Appetit Der Mensch lebt nicht vom Brot allein (Matthäus 4.4) Ein satter Hund spielt mit dem Brot Erst Brot, dann Tugend Es lässt sich alles reden, aber Brot und Käse lässt sich essen Fehlt das Brot im Haus, zieht der Friede aus Teig ist noch kein Brot (Talent muss erst ausgebildet werden) Es sind Wahrheiten, die mit dem Grundbedürfnis des Menschen verbandelt sind und in diesem Falle mit einem wichtigen Nahrungsmittel, ohne das wir nicht leben können. Ohne Stulle jeht ja nischt, sagt der Berliner poetisch. Und für jeden verbleibenden Tag wünsche ich mir eine Stulle frischen Brotes. Margrit Pawloff Oktober 2008 3
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