Küstenwache und was man sonst noch damit verbindet

Küstenwache und was man sonst noch damit
verbindet
Vorwort: Liebe Leser und Leserinnen, meine Geschichte ist auf der Grundlage der
Serie „Küstenwache“ (Stand:2000/20001) aufgebaut. Sie werden sicher einige
Sachen finden, die mit der Realität nicht übereinstimmen. Vielleicht werden Sie auch
einige formale Fehler entdecken. Ich bitte Sie, diese so hinzunehmen und Ihrer
Fantasie in der Sache freien Lauf zu gewähren (Falls Sie etwas nicht gleich
verstehen sollten, lesen Sie bitte weiter. In den meisten Fällen bekommen Sie ein
paar Sätze weiter eine Antwort). Ich habe probiert, die Geschichte so dazustellen,
dass auch einer, der die Serie nicht kennt, sie versteht. Ich hoffe, es ist mir gelungen.
Ich möchte keinen abschrecken diese Geschichte zu lesen, auch wenn Sie kein
Vorwissen haben. Aus diesem Grund stelle ich die Hauptdarsteller der Serie auf den
nächsten Seiten etwas näher vor.
Bevor ich anfange, muss ich mich noch bei Hannah Glaum, Clara Bosch, Ceresa
Greb, Franziska Meixner und Liliana Strack bedanken, die mir die Möglichkeit
gegeben haben, diese Geschichte auf ihren Computern abzutippen. Ich wünsche
jetzt allen viel Spaß beim Lesen.
Holger Ehlers ( Rüdiger Joswig ) ist der Kapitän des Küstenwachschiffs Albatros. Er
bleibt ruhig, wenn es brenzlig wird und seine Erfahrung auf See ist bei den Meisten
geschätzt. Er hat die Verantwortung für seine Mannschaft und das macht ihn
manchmal nachdenklich und ernst. Deshalb gilt er als mufflig und nicht gerade
gesprächig, doch die Meisten kennen ihn nicht richtig, bis auf Wolfgang Unterbauer,
sein bester Freund.
Rike Claasen ( Nele Woydt) ist Wachoffizierin des Schiffes. Sie ist so etwas
ähnliches wie die zweite Hand für den Kapitän, jedoch hat sie viel mehr
freundschaftlichen Kontakt zu der Besatzung als er.
Wolfgang Unterbauer (Elmar Gehlen) ist Maschinist an Bord. Er ist für die ganze
Technik zuständig. Die Meisten an Bord kennen ihn als ruhigen und die
Gemütlichkeit liebenden Kollegen. Seine besten Freunde sind Holger Ehlers und
Kalle Schneidewind.
Kalle Schneidewind ( Rainer Basedow) ist der Koch und Sanitäter des
Küstenwachschiffs. Der kleine, etwas robuste, Koch ist bei allen beliebt für seine
Scherze und nette Art, doch die Meinungen über sein Essen sind geteilt.
Erik Lorenzen ( Jan Sosniok) ist der Funker und Waffenwart des Schiffes. Eigentlich
mag er die Besatzung, aber der Kapitän ist da eine Ausnahme.
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Julia Sandhoff ( Katja Frenzel-Röhl) ist Bootsfrau an Bord und noch etwas
schüchtern im Umgang mit der Crew.
Hermann Gruber ( Michael Kind) ist Dienststellenleiter. Er ist bekannt für seine
Unfreundlichkeit.
Die Geschichte:
Es ist ein stark bewölkter Tag und Regen liegt in der Luft, die grauen Wolken hängen
am Himmel und es sieht aus, als ob sie ins dunkelblaue Meer fallen wollten, als Kalle
Schneidewind die Treppen zur Brücke hinaufgeht. Er stellt den Kaffee ab. Dann dreht
er sich zum Kapitän um und mustert ihn. Dieser ist heute nicht gerade der
Gesprächigste. Nicht, dass er sonst viel reden würde, aber irgendetwas scheint den
Kapitän zu bedrücken. Kalle überlegt
„ Privat läuft es bei ihm wie geschmiert. Er hat gerade erst seine alte Jugendliebe
wieder gefunden . Ob es womöglich mit dem Gespräch von heute morgen zu tun
hat?“ Ehlers hatte heute eine halbe Stunde im Zimmer des Dienststellenleiters
verbracht, was sehr ungewöhnlich ist. Denn sonst dauert diese tägliche Prozedur nur
5 Minuten, bei besonderen Aufträgen höchstens 15 Minuten. „ Ich kann mir nicht
vorstellen, dass Ehlers freiwillig 30 Minuten mit Herrn Gruber verbringen will“, denkt
sich Kalle. Und da hat er Recht. Niemand kann den Hauptkommissar und
Dienststellenleiter richtig ausstehen. Früher war das besser. Als noch Kurt Weber
das Sagen hatte. Aber das hat sich jetzt geändert. Nun gibt es Überstunden satt und
sollte auch nur irgendetwas an Bord nicht richtig sein, dann gibt es gleich eine
Moralpredigt. Die verlorene Zeit muss dann mit Überstunden abgearbeitet werden.
Kalle erinnert sich an den Einsatz vor 3 Tagen. Es war am Freitag. Bei dem Einsatz
hatte sich der Kapitän anders verhalten. Es war komisch. Die Frau, die sie aus dem
Motorboot gerettet hatten, das fast untergegangen wäre, sprach kein einziges Wort.
Nur mit Ehlers. Der Blickkontakt der beiden verriet, dass die beiden etwas vereinte,
aber was war es?
Der Kapitän sieht den Koch an und fragt etwas genervt : „Sonst noch was,
Schneidewind?“ Dieser Koch erschrickt und stottert: „Nein, eigentlich nicht. Ich wollte
nur fragen was ich zum Abendessen machen soll, oder sind wir bis dahin wieder in
Neustadt?“ Er erhält keine Antwort, denn Erik Lorenzen kommt reingeplatzt. „Ein
Motorboot bittet uns um Hilfe.“ Die Mannschaft schaut ihn fragend an. Holger Ehlers,
Kalle Schneidewind, Rike Claasen, Julia Sandhoff, Wolfgang Unterbauer und die
zwei Gehilfen, Lange und Schmitt. Sie alle wissen, dass die jetzt kommende Antwort
von entscheidender Wichtigkeit ist, wenn sie pünktlich Feierabend machen wollten.
Lorenzen spricht weiter: „Es hat keinen Sprit mehr um in den Hafen zu kommen.“
Rike Claasen fragt nach dem Kurs: „Wie sich herausstellt, ist es ein großer Umweg.
Sehr zum Ärger der Mannschaft. Wolfgang Unterbauer flucht: „Immer diese
Amateure. Ich habe heute Abend vielleicht auch noch was vor. Aber nein,
währenddessen fahr ich hier auf dem Meer rum und bringe irgendwelchen Leuten
Benzin, weil sie ....“ Ehlers unterbricht ihn : „Ach, jetzt sei ruhig. Das ist unser Job.
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Wenn du geregelte Arbeitszeiten haben willst, musst du dir eine andere Arbeit
suchen.“ Das Machtwort ist gesprochen. Die Mannschaft bleibt still. Auch wenn alle
mit Unterbauer die gleichen Gefühle empfinden können, einschließlich dem Kapitän.
Wolfgang merkt das. Er und der Kapitän sind gute Freunde, sie arbeiten schon lange
zusammen. Wolfgang sieht die Bemerkung seines Freundes eher wie ein klares:
„Sei endlich ruhig, du nervst mich an.“ Auch er hat gemerkt, dass der Kapitän nicht
gerade der Freundlichste ist, aber das liegt meistens daran, dass er überlegt. Das
weiß Unterbauer aus Ehrfahrung und an solchen Tagen wünscht er sich lieber einen
anderen Schiffsführer. Denn dann kann Ehlers sehr grob werden, auch wenn er es
nicht beabsichtigt. Aber dies ist selten so und deswegen gibt es eigentlich keinen
besseren Kapitän als ihn. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie gute Freunde sind.
Dann geht vieles leichter.
Doch Wolfgang macht sich Sorgen über die Gründe seines Grübelns.
Erik Lorenzen ist da anderer Meinung. Er ist 25 Jahre alt und findet, dass sein Chef
streng und sehr langweilig ist. Er mag ihn einfach nicht. Und er hat den Eindruck,
dass Ehlers ihn auch nicht leiden kann. Ehlers sieht das anders. „Lorenzen
überschätzt sich manchmal, da muss man mal hart durchgreifen." Julia Sandhoff
hingegen schätzt die Ehrfahrung ihres Vorgesetzten.
Kalle und Wolfgang haben schon gemerkt, dass unter den Neuen (Lorenzen,
Sandhoff und Claasen) Skepsis herrscht. Sie sehen es aber gelassen, denn zwei
Monate sind nicht viel um sich an alles zu gewöhnen und sich eine berechtigte
Meinung zu bilden.
Als sie endlich in Neustadt im Hafen ankommen, sind sie schon eine Stunde über
ihrer normalen Arbeitszeit im Dienst. Sie werden wahrscheinlich noch eine Stunde
das Schiff für morgen klar machen und dann endlich den freien Abend genießen.
Ausgenommen Rike Claasen und Holger Ehlers. Sie müssen noch zur Dienststelle
und alle Formalitäten erledigen, die heute angefallen sind. Rike beneidet heute ihren
Freund Erik Lorenzen. Er kann knapp eine halbe Stunde früher nach Hause gehen
als sie. Sie hingegen muss jetzt noch das nervige Geschwätz von Gruber über sich
ergehen lassen. Das geht jeden Tag so. „Währe er nicht so kleinlich und hätte er
nicht so eine schrecklich schneidende Stimme, dann würde man es ja noch
ertragen." ,denkt sich Rike. „Aber was soll ich machen? Ich hab den besseren Job
(zumindest am Geld gemessen ) als Erik. Was man nicht alles für Geld tut.“ Rike wird
aus ihren Gedanken unsanft herausgerissen. Gruber kommt mit großen Schritten auf
sie zugelaufen und nach seinem Gesicht zu urteilen, muss ihn wohl etwas ärgern.
Ehlers und Rike schauen sich fragend an. Ob sie der Grund für Grubers Ärgernis
sind? Grubers Worte belehren sie des Gegenteils. Sie sollen die Antwort sein. Bloß
auf was ? Der Kriminalhauptkommissar führt sie in sein Zimmer. Er greift zum
Lichtschalter und geht dann zu einem großen Schreibtisch. Der große Drehstuhl wirkt
mächtig. Gruber setzt sich hin und sieht in ihm richtig klein aus. Er ist zwar höchstens
1,70m groß, aber auch im Vergleich zu Ehlers sieht er sehr klein aus. Es ist dunkel
geworden seit sie vom Schiff gegangen waren. Gruber fängt mit seiner
Schicksalspredigt an. „Wie Sie sicher wissen, wurde vor 5 Tagen eine Bank
überfallen. Von den Tätern fehlt bisher jede Spur. Sie werden wahrscheinlich über
die See fliehen. Es sei denn, sie sind schon aus den deutschen Hoheitsgewässern
geflohen. Hier sind die brauchbarsten Bilder der Überwachungskamera.“ Die beiden
Besatzungsmitglieder schauen sich die Bilder an. „Viel sieht man jedenfalls nicht.“
entgegnet ihm der Kapitän. „Leider, sonst hätten wir sie vielleicht schon.“ Rike
Claasen fragt : „Woher wissen sie so genau, dass die Täter über das Meer fliehen
wollen?“ „ Nun ja. Zwei der Täter haben mit dänischem Akzent gesprochen,
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behaupten die Angestellten.“ „Es könnte aber auch ein Trick gewesen sein“ bedenkt
Ehlers. „Wir müssen aber davon ausgehen, dass es keiner war. Natürlich werden
auch die Flughäfen und Grenzübergänge überwacht.“ Die Wachoffizierin und der
Kapitän schauen sich kurz an. Sie wissen, dass es sinnlos ist, die Täter ohne
Beschreibung zu fassen. Gruber fährt fort: „Es ist auch noch zu erwähnen, dass die
Bankräuber äußerst brutal vorgegangen sind.“ Gruber gibt nun den klaren Befehl :
„Sie werden, bis wir die Täter gefunden haben, Patrouille fahren und zwar auf dem
Gebiet, wo die kürzeste Strecke nach Dänemark verläuft. Als Verstärkung
bekommen sie noch das Schiff vom BG 10 dazu. Jedoch wird die Mannschaft auf
Bereitschaft sein. Also werden sie die Hauptverantwortlichen für diese Aktion sein.
Natürlich werden Sie auf dem Laufenden gehalten, falls es etwas Neues gibt.“ Der
Kapitän bemängelt: „Wir brauchen jetzt aber endgültig unsere vorgeschriebene
Munition. Denn wir haben gerade mal für 6 Leute eine vollständige Ausrüstung,
obwohl wir eine Mannschaft von 8 Leuten sind. Wenn sie uns nicht den Rest geben,
bin ich nicht bereit, den Einsatz zu fahren, denn wie Sie selbst gesagt haben, sind
die Täter wahrscheinlich gewaltätig und womöglich schwer bewaffnet. Ich möchte
nicht das Risiko eingehen, dass einem der Besatzungsmitglieder etwas passiert, was
verhindert werden konnte.“ Die Wachoffiziern ist von der plötzlichen Wut des
Kapitäns überrascht. Natürlich hatte er schon öfters der Mannschaft gesagt, dass es
an der nötigen Munition fehle. Das hat er auch den zuständigen Leuten gesagt. Aber
bis jetzt ist nichts passiert. Natürlich ist es auch nicht so, dass die Besatzung jeden
Tag in einen Schusswechsel gerät. Vielleicht drei Mal im Monat und wenn, dann sind
meistens 4 bis 6 Leute im Einsatz. Der Rest muss das Schiff steuern. Aber in
diesem Fall ist es Rike ganz recht, dass Ehlers, Gruber mal richtig die Meinung
gesagt hat. Er hatte ja auch vollkommen Recht. Außerdem hat der Kapitän die
Verantwortung für die Mannschaft. Rike findet es dennoch ziemlich mutig. Denn
Ehlers hat Gruber noch nicht einmal Chance zum Reden gegeben. Was dem Ernst
der Lage entsprach. Der Dienststellenleiter merkt, dass es Ehlers mit seiner
angekündigten Warnung ernst meint. Er weiß, dass Ehlers einer seiner besten Leute
ist. Doch er hält es für besser, ihm nicht den Anschein zu geben. Denn das, so denkt
er, würde nur zu Übermütigkeit führen. Ehlers sieht das definitiv anders.
Gruber verspricht, dass bis morgen alles geregelt sei. Die Besatzungsmitglieder
verlassen niedergeschlagen das Büro.
Am nächsten Morgen ist die Mannschaft schon komplett und ablegebereit, als Ehlers
angerannt kommt. Kalle meint zu seinem Freund Wolfgang: „Guck mal! Da vorne
kommt Ehlers gerannt. Heute
ist er aber ziemlich spät." „Das kann doch mal
vorkommen. Hör mal, weißt du, wie oft du schon spät warst?" „Ich weiß, aber er
muss eine halbe Stunde vor uns da sein. Also er um 8 Uhr und wir um 8:30Uhr." "Ja
und? Was ist denn so schlimm daran?"
„Lass mich doch mal ausreden. Es ist 9:10 Uhr und außerdem...." „Was? So spät
schon? Nun gut.“ Ehlers geht an den beiden vorbei und begrüßt sie mit einem
ungewohnt verschlafenen „Moin.“ Wolfgang hat vor seinen Freund beim Frühstück
etwas auszufragen. Denn in letzter Zeit ist er wirklich komisch. Er spricht nicht mehr
so oft mit ihm und irgendwie ist er auf bestimmte Weise verschlossener.
Dies merkt auch seine Freundin Liv Osterhus. Vor ungefähr drei Monaten haben sie
sich durch einen Zufall getroffen. Eigentlich kennen sie sich schon etliche Jahre.
Vielleicht hätten sie auch geheiratet, doch es kam anders. Nach gut sechs Jahren
hatten sie sich jetzt wieder gefunden. Liv Osterhus hat sich sozusagen ihrer Arbeit
geopfert, denn sie ist eine sehr gute Biologin. Aber Familie hat sie keine. Holger
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Ehlers hingegen war verheiratet und hat ein Sohn, der auch schon geheiratet hat.
Aber wie gesagt, er war verheiratet. Nun sind die beiden zusammen. Nur das
Problem ist und war, dass Ehlers einen sozusagen fast ganz Tags-/Nachtjob hat. Er
weiß nie genau, wann er frei hat und sein Urlaub wird meistens aufgeschoben.
Wolfgang setzt sich zu Ehlers an einen der Esstische, die in der Messe (Speiseraum)
stehen. Er fragt: „Heute nicht gefrühstückt?" Ehlers antwortet: „Nein, ich hatte keine
Zeit." Wolfgang schaut seinen Freund eindringlich und fragend an. Dieser merkt das:
„Wolfgang, ist irgendetwas?" Der Maschinist weiß nicht so recht wie er anfangen soll:
„Also, Holger, wir sind jetzt schon sehr lange befreundet..." „Das ist mir nicht
entgangen." „Ja und jedenfalls kennt man sich nach so vielen Jahren gut." (Mit "so
vielen Jahren" meint er neun Jahre). Der Kapitän merkt, dass Wolfgang auf etwas
hinaus will. „Was ist los, sag schon. Dir liegt doch was auf dem Herzen." „Holger,
ich glaube, nicht mir liegt etwas auf dem Herzen, sondern dir. Du bist in letzter Zeit
so ruhig." Jetzt ist es
raus. Wolfgang ist erleichtert und Ehlers ist überrascht.
„Bin ich wirklich so schweigsam in letzter Zeit? Nun ja, möglich wäre es. Viel
nachgedacht habe ich schon." Ehlers meint unschuldig: "So?". "Über was machst du
dir so viele Gedanken?", fragt ihn sein Freund.
Aber Ehlers ist sich sicher, dass er den Grund seinem Freund noch nicht
anvertrauen will. Es ist selbst so überraschend für ihn. Später irgendwann will er es
ihm sagen, aber jetzt gewiss nicht. Es könnte eine Lawine auslösen, da ist er sich
sicher.
„Über nichts",ist seine Antwort, aber er spürt, dass Wolfgang es ihm nicht glaubt.
Wolfgang ist enttäuscht. Enttäuscht darüber, wie wenig Vertrauen sein Freund zu ihm
hat. Er schaut Ehlers noch mal eindringlich an. Da es aber nichts hilft, geht er raus.
Der Kapitän schaut ihm nach. „Hab ich etwas falsch gemacht?", überlegt er "Aber ich
kann es ihm doch noch nicht sagen. Ich hoffe er versteht mich."
Wolfgang geht den Gang entlang und trifft auf Rike Claasen. Sie schaut ihn an: „Ist
etwas passiert? Du siehst so komisch aus." Der Maschinist meint genervt: „Nein, es
ist überhaupt nichts passiert." „Aha.", ist Rikes Kommentar. Sie sieht, dass Wolfgang
irgendetwas gereizt hat. „Hoffentlich geht das nicht den ganzen Tag so.", denkt sie
sich.
Unterbauer geht die Treppen zur Brücke hinauf, setzt sich an seinen Platz und
zündet sich eine Zigarre an. Julia Sandhoff, die neben ihm sitzt, schaut ihn an und
überlegt. „Ich könnte ihn mir ohne Zigarre gar nicht vorstellen" und da hat sie Recht,
Unterbauer ist der Einzige auf dem Schiff, der raucht. Sagen wir so, er ist der
Einzige, der darf. Denn eigentlich ist es verboten, aber irgendwie ist es bei ihm
anders gekommen.
Die Albatros fährt in mittlerem Tempo zu ihrer Einsatzstelle. Bis jetzt wurden die
Täter nicht gesichtet. Also wird das Kommando lauten: „Ausschau halten.“ Was ist,
wenn wir ihnen tatsächlich über den Weg laufen bzw. fahren? Was dann? Wie
reagieren? Das sind die Fragen, die jetzt die Wachoffizierin und den Kapitän
beschäftigten.
Nach knapp zwei Stunden sind sie an der Einsatzstelle. Jetzt heißt es die Augen
aufhalten. Die Mannschaft wird aufgeteilt und mit Fernrohren bewaffnet. Die beiden
Küstenwachboote haben sich abgesprochen und sind jetzt regelmäßig in Kontakt. Es
würde ein langer Tag werden, das ahnten alle. Denn nach einer Zeit auf See
entwickelt jeder ein gewisses Gespür für solche Sachen. Ihre Vermutung wird
bestätigt. „Es ist schon halb sechs und noch immer sind die Täter nicht aufgetaucht“
beschwert sich Erik Lorenzen bei Julia Sandhoff. „Ich frage mich, was sich Gruber
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überhaupt davon verspricht.“ „Ach Erik, wir können doch nichts machen“ ist ihre
Antwort.
Dem Kapitän und Rike entgehen nicht, dass die Mannschaft trotz Schichtwechsel
müde geworden ist. Die Chance, dass die Täter über Nacht fliehen ist fast dreimal
größer als über Tag. Nur was tun? Nach fünfzehn Minuten Lagebesprechung sind sie
sich einig. Vier Mann übernehmen die erste Schicht von drei Stunden und die
Nächsten eine Schicht von vier Stunden. Zur ersten Schicht gehören Rike Claasen,
die das Schiff übernimmt, Schneidewind, der das Radar überwacht, Schmitt und
Lange. Wie befürchtet, geschieht nichts. Dann nach drei Stunden kommt die
Ablösung. Julia merkt, dass Erik die drei Stunden Schlaf gut getan haben. „Er sieht
aus, als hätte er wieder Energie,“ denkt sie sich. Die braucht er jetzt auch. Denn kurz
nach der Ablöse ist ein Boot auf dem Radar zu sehen. Ehlers nimmt das Fernglas,
mit dem man auch nachts sehen kann. „Tatsächlich“ überlegt er, „es könnten die
Bankräuber sein. Vier in schwarz gehüllte Männer. Doch was ist das,
Maschinengewehre und eine Tasche. Irgendetwas guckt da raus. Bloß was? Na sieh
mal einer an. Der eine nimmt etwas aus der Tasche. Na klar, das sind Geldscheine.“
Jetzt gibt es keine Zweifel mehr. Es müssen die Räuber sein. Ehlers befiehlt das
Licht der Albatros zu löschen und den Scheinwerfer vorbereiten zu lassen.
Die Albatros gleitet lautlos und so gut wie unsichtbar auf das Boot zu. Im Innern des
Schiffes geht es lauter und turbulenter zu. Alle Mannschaftsmitglieder haben jetzt
eine Aufgabe. Erik Lorenzen teilt die Waffen und die dazugehörende Munition aus,
während Rike Classen das andere Küstenwachschiff informiert und Ehlers der
Manschaft erklärt was sie zu tun haben: „Unterbauer, Sandhoff und Lorenzen, Sie
plazieren sich an Deck. Wir stehen über Funk in Kontakt. Dann sag ich Ihnen mehr.“
Die Drei gehen schnell raus. Im Vorbeigehen hören sie noch das leise Gemurmel
ihres Kapitäns: „Viel Glück.“ Sie sind die einzigen, die ein Präzisionsgewehr haben.
Das heißt, wenn nötig, müssen sie gezielt auf jemanden schießen.
Die Drei spüren, dass ihr Herz schneller schlägt und sie von Sekunde zu Sekunde
nervöser werden. Wolfgang denkt kurz nach: „In solchen Situationen hasse ich
meinen Job.“
Er wird aus seinen Gedanken gerissen, als er die Stimme seines Freundes aus dem
Funkgerät hört: „Seid ihr bereit?“
Die Antwort der Drei ist ein kurzes „Ja.“
In solchen Momenten wird Ehlers immer wieder klar, wieviel Verantwortung er
eigentlich trägt.
Doch jetzt gilt es keine Fehler zu machen. Rike und Ehlers sind zusammen mit
Lange und Schmitt auf der Brücke. Kalle ist im Funkraum. Eigentlich ungewohnt für
ihn. Die Anspannung steigt bei jedem, und jeder wartet nur auf ein Signal des
Kapitäns.
„Jetzt“, der Scheinwerfer geht an und beleuchtet das Boot. Die Bankräuber sind wie
erstarrt. Ehlers schreit durchs Megaphon „Wir sind von der Küstenwache. Nehmen
sie die Hände hoch...“
Die Räuber besinnen sich. Sie gehen in Deckung und schnappen sich die
Maschinengewehre. Ehlers erkennt, dass Gruber recht hatte: „Wenn es sein muss,
gehen die über Leichen.“ Eine schwierige Situation. Und plötzlich fangen sie an zu
schießen. Rike hört irgendetwas von „Macht dass ihr wegkommt...“ Sie teilt es Ehlers
mit. Dieser gibt Befehl sich zurück zu ziehen. Auf einmal gibt es einen riesengroßen
Knall. Ein Schuss irgendwo in die Elektrik hinein. Der Kapitän merkt, dass es nur
noch darum geht, die Mannschaft hier wieder heil heraus zu bringen. Er greift zum
Funkgerät: „Bringt Sie dazu mit dem Beschuss auf unser Schiff aufzuhören.“ Jetzt
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kommt es auf einen genauen Schuss an, das wissen die Drei. Nicht auf den Kopf,
aber so, dass sie nicht mehr schießen können.
„Schwierig aus dieser Entfernung“, denkt sich Erik. „Besser, ich gehe ein Stück weiter
vor.“ Er schleicht sich einen Meter vor. Julia schreit: „Nicht Erik.“
Doch zu spät, Erik fällt von einer Kugel getroffen zu Boden. Wolfgang, Julia und die
anderen sind wie gelähmt vor Schreck. Außer Rike, sie rennt raus, obwohl sie immer
noch unter Beschuss stehen. Sie rennt zu Erik und beugt sich über ihn. Er ist
bewusstlos und blutet stark am Arm. Währenddessen fährt die Albatros immer weiter
von dem Boot weg in Sicherheit.
Einiges am Schiff ist getroffen, doch das Ausmaß der Schäden dieser bisher
einmaligen Nacht sehen die Besatzungsmitglieder erst am nächsten Tag. Zum Glück
hat Erik Lorenzen nur einen Streifschuss abbekommen und bewusstlos ist er
eigentlich nur deshalb geworden, weil er unsanft mit dem Kopf aufgekommen war.
Aber Schneidewind hatte eigentlich alles unter Kontrolle. Das konnte man von Ehlers
nicht gerade sagen, denn er hatte auch ein sehr großes Problem. Das Radar wurde
nämlich nicht verschont,
wie einiges andere an Bord. Zum Beispiel war jetzt die Frontscheibe der Brücke
durchlöchert und irgendwie hatte alles auf irgendeine Weise dazu beigetragen, dass
die Technik an Bord verrückt spielte. Also musste die Albatros zurückgeschleppt
werden. Von den Bankräuber war nicht mehr die Rede. Sie waren wahrscheinlich
schon aus den deutschen Hoheitsgewässern geflohen. Die dänische Polizei würde
sich jetzt um den Fall kümmern.
Als die Albatros in Neustadt einläuft, sind alle Besatzungsmitglieder totmüde, aber
erleichtert. Alle haben nur noch einen Wunsch: Schlafen. Aber Ehlers graut es vom
Schiff zu gehen. Er muss sich jetzt noch die höchstwahrscheinlich grässlichste
Predigt anhören, die er je von Gruber gehört hat. Nun ja, zum Teil ist sie berechtigt,
weil er noch nie ein so schlimm zugerichtetes Schiff in den Hafen gebracht hat.
Aber jetzt kann er so etwas nicht vertragen. Doch es bleibt ihm nicht erspart.
Zombiemäßig schleicht er nach Hause.
Am nächsten Tag treffen Rike und Ehlers mit etwas Verspätung bei Gruber ein.
Nachdem sie einen ausführlichen Bericht abgelegt haben, geht es nun darum, was
die Mannschaft (abgesehn von Erik) machen soll, solange die Albatros in Reparatur
ist. Am Ende kommen der Kapitän und die Wachoffizierin mit einem breiten Grinsen
aus Grubers Büro. Der Grund dafür ist, dass sie ausgehandelt haben, dass die
Mannschaft für die nächsten drei Wochen ihren verschobenen Urlaub bekommt. Nur
ein Haken ist dabei: sie sind die Zeit abwechselnd in Bereitschaft und können somit
jeder Zeit wieder zum Dienst gerufen werden. Abwechselnd deshalb, damit sie auch
einmal fest planen können.
Als Rike den Heimweg antritt, muss sie an Erik denken. Wie es ihm wohl geht? Ob
sein Arm immer noch weh tut? Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass Erik und Rike
etwas mehr als nur gute Freunde sind.
Jetzt wo Rike noch einmal über den letzten Einsatz nachdenkt, bemerkt sie, wie
leicht auch sie von einer Kugel hätte getroffen werden können. Plötzlich fallen ihr
wieder die Worte Ehlers ein, die er Gruber vor dem Einsatz gesagt hatte. Er wollte
nur mit einer vollständigen Ausrüstung antreten. Als ob er es geahnt hätte.
Rike geht leicht erstaunt über das gute Gespür ihres Vorgesetzen (und natürlich auch
froh darüber) nach Hause. Von dort aus ruft sie alle Mannschaftsmitglieder an und
überbringt ihnen die gute Nachricht. Abgesehen von Erik, zu ihm geht sie selber.
7
Am nächsten Morgen ruft Wolfgang bei Holger an, jedoch vergebens. Es geht
niemand dran. „Schade“ denkt sich Wolfgang. „Eigentlich wollte ich ihn zum Angeln
einladen, aber....Na ja rufe ich eben Kalle an.“
Dieser ist von der Idee begeistert und verspricht mit dem gefangenen Fisch auch
etwas Leckeres zum Essen zu machen. Das „Leckere“ kennt Wolfgang inzwischen
und ist insgeheim nicht gerade begeistert von der Idee mit dem Kochen.
Es ist bereits 11 Uhr geworden als die beiden endlich fertig sind. Nun laufen sie den
Weg zum Meer hinunter und treffen auf Liv, die Freundin des Kapitäns. Sie erkennt
Wolfgang sofort: „Moin, Liv“ „Guten Morgen Wolfgang. Hast du nicht Dienst?“ „Nein,
weißt du das nicht? Die Albatros wurde so stark getroffen, dass sie jetzt für
mindestens drei Wochen repariert werden muss.“
Bei dem Gedanken wird Wolfgang ganz mulmig, er mag sein Schiff. Immerhin pflegt
und repariert er die Albatros schon seit fünf Jahren. Und so kaputt wie jetzt war sie
bisher noch nie. „Wer weiß, wie sie mit ihr umgehen?“ Jetzt muss er leicht in sich
hineinlachen. „Als ob es ein Lebewesen wäre. Mensch bin ich blöd. Wie sie mit ihr
umgehen. Also ich werde immer sentimentaler. Das ist einfach alles nur Blech. Was
sollen die denn da groß....“
Jetzt mischt sich Kalle in das Gespräch ein: „Hat dir das Ehlers nicht gesagt?“
Obwohl Kalle und der Kapitän sich gut verstehen, auf Du sind sie immer noch nicht.
Wie das kommt, wissen beide nicht. Besser gesagt: Sie denken auch nicht daran. Es
gibt wichtigere Dinge. Und außerdem, im Dienst darf Ehlers auch niemanden duzen,
das ist Vorschrift. Nur zwischendurch, wenn mal auf See nichts los ist. Dann duzen
sich Wolfgang und Ehlers. Das ist der Grund, wieso der Kapitän von den
Besatzungsmitgliedern oft falsch eingestuft wird. Meistens als humorlos, nicht
gesprächig und streng.
Wolfgang kennt die Vorurteile. Aber er kennt den Kapitän auch privat und darüber ist
er froh. Denn er hat festgestellt, dass er eigentlich davon genau das Gegenteil ist,
meistens jedenfalls.
Wolfgang weiß aber auch, dass Kapitän zu sein eine große Verantwortung bedeutet
und mit Sicherheit kann man nicht jeden Tag in bester Laune sein, wenn man alles
hundert mal überdenken muss.
Liv ist überrascht: „Nein, davon hat er mir überhaupt nichts erzählt. Außerdem meinte
er, er hätte heute Dienst.“ Wolfgang und Kalle schauen sich gegenseitig an.
Wolfgang meint: „Vielleicht wusste er noch nicht, dass er dienstfrei bekäme und
wollte dich nicht in der Hoffnung lassen, dass er welchen hätte und er dir dann doch
absagen müsste.“ Kalle fügt hinzu: „Aber Rike meinte alle hätten frei.“ „Komisch, aber
wieso habt ihr überhaupt dienstfrei. Ich meine so plötzlich?“
Wolfgang und Kalle erzählen alles und laden Liv ein mit ihnen den Tag zu
verbringen. Da Liv nichts anderes vorhat, stimmt sie zu. So vergehen die Stunden.
Die Drei unterhalten sich und kommen dabei auf das eine oder andere zu sprechen.
Unter anderem erzählt sie den beiden, dass sie sich auf eine Stelle in Amerika
beworben hat. Dann kommen sie auf das Verhalten von Ehlers zu sprechen. Plötzlich
kommen fünf Pferde angalopiert. So schnell wie sie gekommen sind, verschwinden
sie auch wieder. Kalle meint: „So reiten würde ich auch gerne mal.“
Liv und Wolfgang müssen lachen. Sie können sich Kalle auf einem Pferd nun wirklich
nicht vorstellen.
Liv versinkt in Gedanken. Sie stellt sich Holger auf einem Pferd vor. Jedoch scheitert
sie an ihrem Vorhaben.
8
Am Schluss war es ein sehr schöner Nachmittag, denkt sich Wolfgang. Am meisten
hat ihn gefreut, dass Liv die vier Fische zubereitet hat, die sie mit Mühe und Not
gefangen hatten.
Auch am zweiten Tag bleibt der Kapitän wie vom Erdboden verschluckt. Erst am
Abend kommt er wieder. Seine Freundin will erfahren, wo er war. Jedoch weicht
dieser nur aus und das macht sie wütend, auch wenn sie es nicht unbedingt zeigt.
So vergehen Stunden und Tage und bald hat der Dienst wieder alle
Mannschaftsmitglieder eingeholt. Eines Tages stehen sie dann wieder am Hafen,
manche von ihnen ausgeschlafen, manche nicht. Wie zum Beispiel Julia. Sie hat den
letzten Urlaubstag kräftig genossen und sieht heute auch dementsprechend aus.
Und dann ist da ja noch der immer müde Kapitän.
Ob sie es wollen oder nicht, gleich zu Beginn haben sie schon wieder einen dieser
Sondereinsätze von Gruber bekommen. Langsam fragt sich die Mannschaft, ob sie
eigentlich die einzigen sind, die diese Einsätze fahren müssen oder ob es noch
andere Leute mit dem gleichen Schicksal auf der Ostsee gibt? Sondereinsätze sind
deshalb so verhasst, weil sie sich nur auf eine Sache beziehen und meistens auch
noch mehrere Tage dauern und das zerrt an den Nerven aller.
Die Stimmung ist dann meist schon nach den ersten Stunden im Eimer und ist trotz
angespannter Versuche nicht wieder hochzukriegen.
Als sie ablegen hoffen alle, dass es diesmal anders wird. Irgendwie werden sie für ihr
Hoffen und Beten belohnt. Denn es wird anders. Ganz anders als sie es sich je
gedacht hätten. Aber vielleicht liegt es auch an der Aufgabe. Sie sollen sechs
Jugendliche im Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren suchen und wieder nach
Neustadt bringen, denn sie sind aus einem Heim für schwer erziehbare Kinder
geflohen und versuchen nun mit einem gestohlenen Boot über das Meer zu fliehen.
Die Erzieher sagen sie wären nicht in den Griff zu kriegen und auf dem Weg
Schwerverbrecher zu werden. Die Mannschaft geht an diesem Morgen mit
gemischten Gefühlen an Bord. Einige denken: „Sie sind doch noch Kinder. So
schlimm können sie doch nicht sein.“ Andere sind der Meinung: „Mit denen muss
man streng sein. Sonst werden sie sich nie ändern.“
Der Tag vergeht und langsam wird es dunkel. Bis jetzt haben sie niemanden
gesichtet. Doch dann sehen sie ein kleines Schlauchboot.
Die Mannschaft nimmt nach langen Verhandlungen die sechs Jugendlichen an Bord.
Plötzlich schnappen sich einige die Dienstwaffen der Besatzung, bedrohen die
Mannschaft damit und sperren sie in die Messe. Alle sind sauer, wie konnte das
passieren. Sechs Jugendliche haben acht Erwachsene überwältigt und in die Messe
eingesperrt. Eigentlich fühlten sich alle bis zu diesem Moment überlegen. Abgesehen
vom Kapitän. Er ahnte, dass es zu Komplikationen kommen würde.
Er muss grinsen und lacht leise in sich hinein. Er schaut seine Mannschaft an. Sie
alle sitzen empört auf den Bänken. Ehlers schüttelt nur den Kopf.
„Da seht ihr mal, wie leicht man uns bedrohen und einsperren kann.“ Niemand geht
auf seine Bemerkung ein. Auf einmal geht die Tür auf und ein blasser, schlecht
ernährter Junge kommt herein. Er fragt nach dem Kapitän. Dieser steht lässig auf
und folgt ihm. Ehlers ist klar, dass die sechs das Schiff nicht bedienen können.
Irgendwie findet er nach einiger Zeit einen Draht zu den Jugendlichen. Sie vertrauen
ihm, wenn auch mit Abstand, aber eine andere Chance haben sie nicht. Ehlers sagte
zu ihnen: „Ich brauche mindestens einen Mann mehr um das Schiff zu steuern“. Die
Jugendlichen sind sich unschlüssig. Nach einer Diskussion schicken sie einen von
ihnen in die Messe.
Dieser sagt: „Los, wir brauchen einen von euch am Steuer.“ Erik, der schon genervt
ist, meint: „Na Kleiner, ihr könnt das Schiff wohl nicht steuern?“ „Sei ruhig, wenn du
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so weiter machst, bleibst du noch länger hier drin“. „Ach ja, das wollen wir ja mal
sehen.“ Der Junge ist sauer, schlägt die Tür zu und geht zu den anderen. Ehlers ist
gerade dabei dem Rest zu erklären, dass es sinnlos ist weiterzumachen.
Er wird es wohl irgendwie so gesagt haben, dass es nicht wie ein Befehl klang,
sondern wie ein Ratschlag. Die sechs aus dem Heim überlegen, dann gehen sie breit
grinsend in die Messe. Im Schlepptau haben sie Ehlers und verkünden: „Wir würden
euch hier raus lassen und wir würden auch ohne Gegenwehr zurückfahren. Aber nur
unter einer Bedingung: Einer von euch muss eine Runde mit dem Skatboard fahren
und ein paar Sprünge machen. Wir geben euch fünf Minuten Zeit zum Nachdenken.“
Dann gehen sie raus, ahnend, dass niemand die Vorraussetzung erfüllen könne. Der
Kapitän setzt sich, schaut langsam alle an und fragt dann etwas ärgerlich: „Wer von
euch war wieder so schlau und hat denen einen Grund zum Ausrasten gegeben?“ Es
herrscht Stille, niemand traut sich etwas zu sagen. Sie alle wissen, dass ihr Kapitän
sauer auf sie ist. Das verrät ihnen sein Ton und die Tatsache, dass er sie mit „Euch“
angesprochen hat.
Dann ein leises „Ich“. Ehlers schaut Erik an: „Sagen Sie mal, geht es Ihnen zu gut
oder was?“ Er denkt kurz nach: „Können Sie wenigstens Skateboard fahren?“ Erik
schüttelt den Kopf, auch die anderen haben keine bessere Antwort für ihren Kapitän.
Dieser ist genervt und brummt „Wieso muss ich eigentlich immer alles machen.“
Plötzlich geht die Tür auf und die Jugendlichen stehen mit einem Skateboard in der
Hand vor ihnen (sie hatten es wohl bei ihren Reiseutensilien gehabt).
Gespannt schauen sie in die Runde: „Und?“ Ehlers antwortet: „Was und? Gib her,
damit ich es hinter mir habe.“
Die zwei Mädchen und vier Jungen schauen sich an und müssen anfangen zu
lachen. Die Mannschaft der Albatros ist erstaunt. Ihr meist muffliger, nicht
gesprächiger, manchmal nervender Kapitän soll Skateboard fahren!??
Eine Aussage die niemand glauben würde, wenn sie den Beweis nicht gleich sehen
würden. Gespannt gehen alle auf das Deck. Man kann gerade noch etwas sehen,
obwohl es schon sehr dunkel geworden ist. Ehlers wird leicht unruhig, er erinnert
sich, dass er das letzte Mal Skateboard gefahren ist als er ungefähr zwanzig Jahre
alt war. Zum Erstaunen aller, schafft er es irgendwie, wenn auch unsicher, die
gefordeten Sachen zu machen.
Jetzt hat er endgültig das Vertrauen der Jugendlichen gewonnen. Die sind
vollkommen begeistert. Einer meint: „Ich hätte nicht gedacht, dass der alte
Frankenstein das schaffen würde.“ Der Kapitän hat es gehört: „Tja, manchmal
werden eben Wunder wahr, nicht wahr du Säugling.“ „Ej, wieso Säugling?“ „Na hör
mal, wenn ich Frankenstein sein soll, dann bist du ja wohl ein Säugling.“ Erstaunt
über das Kontervermögen gibt sich der Junge geschlagen: „OK, ich nehme alles
zurück.“ Der Kapitän, jetzt erfreut: „Na gut, und wie heißt du?“ „Konrad.“ „Abgemacht
Konrad.“
Alle gehen rein und fast alle diskutieren jetzt über das, was sie gerade gesehen
haben. Nur der Hauptbetroffene denkt wieder an etwas anderes, er macht sich
Sorgen. Das plötzliche Einlenken der Kinder ist für ihn ein Zeichen dafür, dass sie
jetzt entgültig aufgegeben haben. Deshalb überlegt er sich etwas, geht er zu den
sechs und spricht mit ihnen unter vierzehn Augen. Die Mannschaft fragt sich über
was er wohl redet.
Nach etwa zwei Wochen haben sie immer noch keine Antwort darauf, sondern nur
neue Fragen. Denn als sie nach Dienstschluss das Schiff verlassen, sehen sie die
sechs Jugendlichen noch einmal am Hafen stehen, sie warten auf Ehlers. Die
Mannschaft und nicht nur die, wundert sich in letzter Zeit immer mehr über ihren
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Kapitän. Zum Beispiel war ihm beim letzten Einsatz etwas so dummes passiert, dass
Gruber fast explodiert wäre, als er das hörte.
Ehlers und Julia sollten einen Entführer verfolgen. Dieser rannte am Hafen entlang
und hatte wenig Chancen zu entkommen. Ehlers war dicht hinter ihm, er hätte ihn
auch geschnappt, aber für einen Moment war er abgelenkt. Er schaute wo anders hin
und dann geschah es auch. Er rannte gegen einen Laternenmast und fiel zu Boden.
Zum Glück war noch Julia dabei und fasste schließlich den Täter. Doch irgendwie
kam die Geschichte in die Zeitung unter der Überschrift „Dümmester Polizist von
Neustadt.“ Dies war auch der Grund weshalb Gruber Ehlers am liebsten gefeuert
hätte. Doch er lies es bleiben.
Am Freitagabend ist die Albatros ausnahmweise einmal früh im Hafen. Kalle fragt
Rike: „Und, was machst du jetzt mit dem angefangenen Abend?“ „Ich passe auf den
Sohn meiner Schwester auf.“ „Na dann, viel Spaß“ „Danke. Den werden wir haben.
Wir gehen nämlich in den Zirkus.“ „Echt? Ich wusste gar nicht, dass hier ein Zirkus
gastiert. Wann laufen denn die Vorstellungen?“ „Heute um 20:30 Uhr und Morgen um
19:00 Uhr. Ich kann dir ja sagen, ob es gut war“. „Gute Idee.“ „Ok. Ich rufe dich an.
Tschüss.“ „Tschüss.“
Kalle erinnert sich, dass er schon sehr lange nicht mehr im Zirkus war. „Wenn es gut
ist kann ich ja mal hingehen. Es ist bestimmt witzig.“
Rikes Anwort fiel positiv aus und somit entschloss sich Kalle das Vorhaben durch zu
ziehen.
Aber alleine? Nein, ganz gewiss nicht. Am Ende sitzt er mit Wolfgang im Zirkuszelt.
Der Zufall will es so, dass Liv neben ihnen sitzt. Eigentlich wollte sie mit Ehlers
zusammen in den Zirkus gehen. Doch dieser wollte nicht. So ist sie eben allein
hingegangen. Die Show übertrifft einiges. Alle sind begeistert. Nur eines wundert
Wolfgang, Kalle und Liv. Der eine Artist ähnelt ihrem Freund oder Vorgesetzten,
Holger Ehlers. Doch sie lassen es bei dem Gedanken und genießen die Show.
Danach verlassen sie die Manege mit einem Glücksgefühl, denn sie sind froh, dass
sie doch hingegangen sind.
Jetzt trennen sich die Wege von Liv und den anderen beiden. Sie geht etwas abseits
der Menge und sieht dabei plötzlich den Mann, der Holger ähnelt. Sie geht ein Stück
näher. Da, jetzt sieht sie ihn genau. Es gibt keine Zweifel, er ist es. Auf einmal geht
eine Frau auf ihn zu. Sie umarmen sich und sprechen kurz miteinander. Dann gibt er
ihr einen Kuss auf die Stirn. Das ist zuviel für Liv, sie rennt weg. In diesem Moment
dreht sich Ehlers um und erkennt sie sofort, denn er hatte sie auch schon im Zelt
gesehen. Der Kapitän oder Artist rennt Liv hinterher und schaft es sie einzuholen.
Doch Liv will nicht mit ihm reden und fährt ohne auch nur ein Wort zu verlieren los.
Holger bleibt wie angewurzelt stehen. „Ich kann ihr doch alles erklären“ sind seine
einzigen Gedanken.
Im Gegensatz zu ihm, hat Liv viel mehr Gedanken. Sie ist wütend, da Holger wie es
scheint, eine andere hat. „Er hätte es mir doch wenigstens sagen können, dieser
Schuft.“ Für sie ist die Situation klar, denn sie hatte die beiden nämlich schon
zweimal zuvor zusammen gesehen. Jedoch konnt sich ihr Freund geschickt und
glaubwürdig rausreden. Noch dazu hat er ihr nicht einmal gesagt, dass er im Zirkus
mitmacht. Für sie sieht es aus, als hätte er kein Vertrauen mehr zu ihr. Seine Ansicht
zu der ganzen Sache ist eigentlich ganz einfach und hat auch nichts mit
Vertrauensverlust zu tun.
Vielleicht wäre es auch nicht so weit gekommen, wenn sie miteinander geredet
hätten. Aber dazu kommt es in den folgenden vier Tagen nicht mehr. Am Ende hat
Liv eine Nachricht auf seinen Anrufbeantworter gesprochen.
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Sie hat einen guten Posten in Amerika bekommen und eigentlich wollte sie es ihm
schon früher sagen. Doch dazu ist es nicht gekommen und jetzt ist es zu spät. Sie
spricht es ihm auf Band sagt ihm nur noch wann ihr Flieger startet. Doch wie hätte es
anders kommen können, Ehlers hört die Nachricht fünf Stunden zu spät. Dies
hinterläßt bei Liv den Eindruck, dass es endgültig vorbei ist.
Trotz allem muss der Kapitän zu Arbeit. Die Besatzung merkt, dass es ihm nicht
unbedingt gut geht. In jeder freien Minute, wenn sie keinen Einsatz haben,
verkrümmelt er sich in die Messe oder sonst irgendwohin, wo er alleine ist. Wolfgang
und Kalle machen sich Sorgen über die steigende Apathie ihres Kapitäns. Nach drei
Tagen in diesem Zustand macht sich Kalle jetzt an diesen „schweren seelischen Fall“
ran. (Vorher dachten die beiden es würde von alleine besser werden. Doch dem war
nicht so).
Er setzt sich ihm gegenüber. Ehlers schaut kurz auf, dann wendet er seinen Blick
wieder der Tischkannte zu. Kalle muss nicht lange überlegen, er kennt diese Augen.
Menschen, die so aussehen, haben nur eins und zwar Liebeskummer. Behutsam
fängt er ein Gespräch an. Nach fünfzehn Minuten ist alles gesagt, was zu sagen ist.
Kalle kennt jetzt die Geschichte und gibt seinem Vorgesetzten einen Ratschlag. Auf
einmal kommt Julia reingerannt „Einsatz.“ Kalle und Ehlers stehen auf. Kalle mustert
ihn und erkennt, dass das Gespräch gewirkt hat. Etwas erleichtert geht der Kapitän
mit neuen Kräften zur Brücke.
Was Kalle nicht ahnt: Ehlers hat ihm nicht die vollkommene Wahrheit erzählt. Er
meinte sie hätten sich vor dem Haus getroffen und die Frau, die bei ihm war, wäre
eine Nachbarin gewesen. Er hatte alles etwas umerzählt, aber in den Grundzügen
stimmte es.
Kalle erzählt nun Wolfgang was passiert war. Wolfgang kann seinen Freund
verstehen und probiert ihn aufzuheitern: „Weißt du was Holger? Wir waren im Zirkus
und da war so ein Artist, der dir ziemlich ähnlich sah“. „Ach, wirklich?“ „Ja“ „Und wie
war er?“ „Gut“ „Echt? Schön für ihn.“ „Wir wollten auch mit ihm reden, aber das ging
nicht“ „Gut, dass ihr das nicht gemacht habt“ „Wieso?“ „Ich bin mir sicher er hatte
keine Zeit nach dem Auftritt“. Ehlers denkt kurz nach: „Und wie hat euch der Zirkus
im Ganzen gefallen?“ „Super“ kommt es aus Wolfgang herausgeschossen. Ehlers
denkt sich nur: „Wenn er wüsste“ und muss leicht lachen.
Knapp drei Wochen später, Rike, Kalle, Wolfgang und Erik sind heute die letzten
Besatzungsmitglieder der Albatros, die nach Dienstschluss noch im Hafen sind. Zu
ihrem Pech, denn Gruber hat eine neue Aufgabe für sie. Eigentlich sollten es ja ihre
Kollegen erledigen, aber da sich der gesuchte Drogendealer an Land befindet, so
meinte es jedenfalls der Informant und nicht wie erwartet auf dem Wasser, müssen
die Vier nun den Fall übernehmen. Normalerweise hätte es die Polizei, die für diesen
Bereich zuständig ist den Fall übernehmen sollen. Doch da dem Informanten nicht
recht zu glauben ist, sollen die Vier von der Küstenwache den besagten Ort der
Geldübergabe zunächst einmal beobachten und gegenenfalls Verstärkung anfordern.
Nun sitzen die Vier im Auto (natürlich in zivil) und sind sauer auf Gruber. Wieder
einmal haben sie den Beweis dafür, dass er überhaupt kein Verständnis für seine
Mannschaft hat. Aber ändern können sie jetzt nichts mehr.
Es ist sieben Uhr abends. Der Informant soll gesagt haben, dass die Übergabe um
ca. 19:00 Uhr stattfinden soll. Angespannt starren die Vier durch die Gegend und
suchen zwei verdächtige Personen. Um ca. 19:35 Uhr machen sie die Entdeckung,
die für einen Menschen das ganze Leben schlagartig verändern würde. Sie sehen
zwei Personen. Die eine gibt der anderen einen Briefumschlag. Diese öffnet ihn und
holt Geld heraus um es zu zählen. Die eine Person wirkt leicht nervös.
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Das sind genug Gründe um Verstärkung zu holen. Diese hat zum Glück genug Zeit
zu kommen und gerade als die Verdächtigen weggehen wollen, greifen die Beamten
zu. Es geht alles blizt schnell. Die Vier können so schnell gar nicht mit schauen.
Am Ende sehen sie, wie die zwei Personen in Handschellen zum Auto gezerrt
werden. Mit kräftiger Gegenwehr und viel Protest, so scheint es jedenfalls. Erik sagt
nach dem Einsatz: „Irgendwie kam mir der eine so bekannt vor. Er hat mich so an
Ehlers erinnert.“ Wolfgang und Kalle schauen sich an. Schon der zweite, der Ehlers
ähnlich sieht. Sie belassen es bei diesem Gedanken, denn sie haben endlich
Feierabend und das beschäftigt sie jetzt mehr. Außerdem, Ehlers und Drogendealer
oder Süchtiger? Das kann sich niemand vorstellen.
Dies ist genau so unsinnig als wäre er ein Artist.
Am nächsten Morgen fehlt Ehlers. Stattdessen kommt Gruber in Begleitung eines
Mannes zur Albatros. „Das ist Herr Lehnert. Er wird heute mitfahren und ist die
Dauervertretung für Ehlers.“ Gruber geht weiter. Dem Anschein nach ist er heute
irgendwie gereizt. Naja, das ist er fast immer. Die Mannschaft hält inne und
betrachtet den Vertreter ihres Kapitäns. Dieser fragt im strengen Ton: „Ist
irgendetwas?“ Alle schütteln den Kopf. „Dann ist es ja gut. Lassen Sie uns ablegen.“
Nach den ersten drei Stunden ist der gesamten Besatzung klar geworden, dass
diese neue Dauervertretung ein Graus ist. Er spricht die ganze Zeit im Befehlston,
was allen auf den Geist geht. Ehrlich gesagt, wünscht sich jeder lieber Ehlers als
Kapitän zurück.
Es wird auch schon gerätselt, was verständlich ist, weshalb er für längere Zeit
wegbleibt.
Nach einem, für die Mannschaft der Albatros endlos dauernden Tag, läuft die
Albatros in den Hafen. Die langsam untergehende Sonne hinter dem Schiff sieht
wundervoll und traumhaft zugleich aus. Doch die Idylle trügt. Rike, Wolfgang, Erik
und Kalle steht noch das Schlimmste bevor. Noch sind sie in ihren
Feierabendträumen, doch als Gruber kommt, werden diese zerstört. Er bittet sie eine
Zeugenaussage wegen des Einsatzes vom Abend zuvor zu machen. Eigentlich
nichts nennenswertes, doch unter diesen Umständen ist es nennenswert. Nachdem
sie den Verlauf der Aktion erzählt haben, fragt Erik: „Haben sie denn noch nicht
gestanden?“ Gruber zögert mit der Antwort. Dann meint er leicht verzweifelt aber
auch gleichzeitig erfreut wirkend: „Nein.“
Rike ist überrascht: „Aber wenn wir sie doch gesehen haben, außerdem sollte die
Übergabe dort um diese Uhrzeit stattfinden.“ Gruber gibt barsch zur Antwort: „Dann
gehen Sie doch rein und fragen selbst.“ Alle halten es für eine gute Idee. Mit der
Hoffnung, die Verdächtigen endlich zum Reden zu bringen, gehen sie in das erste
Vernehmungszimmer, wo einer der beiden sitzt. Kalle öffnet die Tür und geht einen
Schritt hineinein. Der Verdächtige schaut auf, in dem Moment tritt Kalle zurück und
fällt dabei fast auf Rike. Diese meint: „Mensch Kalle jetzt...jetzt...“ sie stockt und
unterbricht mitten im Satz. Nun kommen auch Erik und Wolfgang ins Zimmer. Erik
starrt den Verdächtigen an und Wolfgang steht wie die anderen angewurzelt an der
Tür und bekommt den Mund nicht wieder zu. Zwei Minuten lang herrscht absolute
Stille. Dann rennt Wolfgang raus und hinter ihm Kalle. Erik und Rike stehen immer
noch da. Sie wissen nicht was sie tun und wie sie reagieren sollen. Denn vor ihnen
sitzt niemand geringeres als der Kapitän Holger Ehlers. Wolfgang rennt aus dem
Gebäude und bleibt an einer Mauer stehen.
Er sinkt zu Boden und vergräbt den Kopf zwischen den Händen. Jetzt kommt auch
Kalle und setzt sich zu ihm. So sitzen sie eine Weile da. Sie sehn ruhig aus, aber sie
sind das ganze Gegenteil. Beide zerbrechen sich den Kopf mit irgendwelchen
Gedanken. Damit sind sie nicht die einzigen. Erik und Rike haben es vorgezogen erst
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einmal hinaus zu gehen und diskutieren jetzt über das, was sie gerade gesehen
haben.
Wolfgang fängt als erster an zu reden. Was heisst reden, flüstern: „Sag, dass das
nicht wahr ist“ Kalle bleibt stumm. So geht es dann nocht eine
Weile weiter, bis
Rike und Erik die beiden dazu überreden können mit ihnen zu kommen.
Rike und Erik hatten eindeutig, den besseren Weg genommen um alles zu verdauen.
Denn die Totenstille hat Wolfgang und Kalle nicht gut getan. So frustriert haben Erik
und Rike sie noch nie gesehen.
Der nächste Tag wird für die ganze Mannschaft sehr schwer. Zumal die Vier an
nichts anderes denken können und somit auch die anderen stutzig machen. Diese
kommen um eine Frage nicht herum und sind danach genauso still und schweigsam
wie ihre Kollegen. Außer dem Vertretungskapitän. Er ist für alle jetzt erst einmal ein
Außenseiter, der sich erst noch bewähren muss. Dieser hat keine Ahnung was los ist
und behandelt alle sehr grob. Als er langsam die Geduld verliert, sagt er etwas, was
er besser für sich hätte behalten sollen: „Sagen Sie mal, sind Sie immer so langsam?
Hat mein Kollege denn Ihnen nie einmal die Meinung gesagt? Oder war dieser
genauso wie Sie ?“ Das übertrifft alles. Wolfgang geht aus Protest runter und die
Restlichen, die auf der Brücke stehen, schauen den Kapitän sauer an. Julia denkt
sich: „Wenn Wolfgang doch nicht alles so persönlich nehmen würde.“
Die nächsten zwei Wochen sollten nicht viel besser werden. Am Ende treffen sich
alle vor Gericht wieder. Angeklagt sind Ehlers und eine gewisse Frau Riedmann.
Doch bisher bestreiten sie alles. Als der Richter jedoch fragt, was sie dort gemacht
haben, schweigen beide. So geht es dann an den folgenden drei Verhandlungstagen
weiter. Es wird immer eindeutiger.
Sie müssten es gewesen sein. Das begreift auch Wolfgang langsam, doch er sieht
auch die müden, traurigen Augen seines Freundes, die nicht die eines Verbrechers
sein können. Dies verrät ihm seine Menschenkenntnis. Leider befürchtet er, dass er
sich diesmal täuschen kann. Denn es gibt immer mehr Beweise gegen Ehlers.
Außerdem sieht der Richter an dessen Verhalten der letzten Wochen ein Indiz dafür.
Doch der Kapitän schweigt, auch, als der Richter fragt, ob er vorbestraft sei. Dann
geschieht etwas seltsames. Ein Mann, der auch bei allen Verhandlungen dabei
gewesen ist, macht eine Zeugenaussage. Er meint Ehlers hätte das Geld der Frau
gegeben, damit sie es ihm geben konnte, weil Chris ihm noch etwas zurück zu
zahlen hatte. Alle schauen auf, als der Zeuge „Chris“ sagt.
Der Richter fragt, was Ehlers zu bezahlen hat und wieso er ihn Chris nennt. Der
Mann aber schaut nur noch zu Boden und äußert sich nicht mehr dazu. Dies ist einer
der Gründe, weshalb die Aussage nicht beachtet wird. Der Zeuge darf eine
Falschaussage eigentlich überhaupt nicht machen, doch da er wegrennt und ihm
keiner folgen kann, bleibt er von einer Strafe verschont.
Der letzte Verhandlungstag steht nun bevor. Alle wissen, wenn die beiden
Angeklagten jetzt keine guten Beweise für ihre Unschuld finden, dann...So recht will
an diesem Tag niemand an das denken, was passieren könnte. Doch die
Angeklagten überraschen alle. Sie wollen jetzt endlich eine Aussage machen. Was
für eine und welche Folgen sie haben würde, kann sich jetzt noch niemand denken.
Die Frau fängt an: „Zu Beginn möchte ich gleich etwas klar stellen, wir sind verwandt.
Nicht, dass jemand etwas falsch versteht.“ Im Gerichtssaal bricht allgemeines
Gemurmel aus. Der Richter sorgt für Ruhe und fragt dann: „In wiefern sind sie
verwandt?“ Die beiden schauen sich an. Ehlers holt tief Luft und sagt dann: „Wir sind
Geschwister.“ Nun herrscht im Gerichtssaal gespannte Stille. Die einzigen, die jetzt
noch sprechen, sind die beiden Angeklagten und der Richter, dieser fragt weiter: „Sie
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beide haben aber in den Unterlagen in Sachen Geschwister nichts vermerkt.“ Die
Frau antwortet: „Das ist eine längere Geschichte.“ Der Richter meint leicht genervt:
„Wir haben Zeit.“ Die Angeklagten schauen sich noch einmal eindringlich an, dann
fängt Holger Ehlers an: „Sie müssen wissen, dass wir drei Heimkinder waren.“ Der
Richter unterbricht: „Was heißt drei?“ Ehlers spricht mit schwerer Stimme weiter: „Der
Zeuge, der vorher eine Aussage gemacht hatte, ist damit gemeint. Als meine
Schwester neun, mein Bruder zwei und ich sieben Jahre alt waren, starben unsere
Eltern bei einem Unfall. Da wir keine Verwandten oder nähere Freunde hatten,
mussten wir in ein Heim. Von dort sind wir, weil wir es psychisch nicht mehr
aushielten, nach drei Jahren geflohen. Dann haben wir ungefähr sechs Monate auf
der Straße gelebt. Wir waren mehrere Leute und so haben wir uns irgendwie am
Leben gehalten. Einige haben gebettelt und einige haben geklaut, notgedrungen
versteht sich. Am Abend wurde dann zusammengelegt. Somit hatten wir wenigstens
etwas zum Essen. Bevor der Winter einbrach, haben wir einen etwas älteren Mann
kennengelernt. Dieser rettete unsere ganze Bande und gab allen wieder eine
Perspektive, sogar dem Ältesten 40-jährigen. Er gab uns die Möglichkeit in seinem
Zirkus zu
arbeiten. Er und seine sieben Leute bildeten uns aus. Einige wurden Jongleure,
andere Clowns und vieles mehr. Die Jüngeren unter uns hatten am Vormittag so eine
Art Schule und am Nachmittag wurde für die nächste Vorstellung geprobt. Meine
Schwester lernte jonglieren und die Verwaltung eines Zirkus. Mein Bruder wurde
Dompteur und ich Artist am Trapez. Sie dürfen sich jetzt aber nicht vorstellen, dass
wir ausschlieslich Kunststücke und andere Sachen gemacht haben. Am Vormittag
wurden wir richtig hart ran genommen. Vielleicht auch deswegen, weil wir nur so
wenige waren. Jedenfalls lernten wir zwei Fremdsprachen sprechen. Nach acht
Jahren passierte etwas, das wir bis heute nocht nicht verstehen. Das Zirkuszelt und
einige Wohnwagen brannten in einer Nacht ab. Das war die Nacht in der wir uns alle
verloren.
Eigentlich wären wir ja zurück an den Ort der Geschehnisse gegangen, doch die
Polizei hatte alles abgesperrt und da wir ja wahrscheinlich gesucht wurden haben wir
es dann doch gelassen.“ „Wieso wurden sie gesucht?“ Dem Mann, den jetzt alle aus
einer anderen Perspektive sehen, fallen die nächsten Worte schwer. „Weil wir einige
Straftaten verübt hatten.“ „Können Sie mir auch sagen welche?“
Er blickt schweigend zu Boden. Der Richter wartet eine Minute. Dann spricht er: „Na
gut, erzählen Sie weiter.“ „Da gibt es nicht mehr viel zu sagen. Ab dem Tag führten
wir unser Leben alleine fort.“ Der Richter sieht ihn ernst an: „Aha. Und wie sind Sie
dann Kapitän geworden?“ Ehlers wird leicht rot und läßt sich auf den Stuhl hinter sich
fallen. Er sitzt stumm da. Während er zu Boden starrt, ist er den Tränen nahe. Der
Richter merkt, dass er ihm wohl heute nicht mehr Rede und Antwort stehen wird.
Stattdessen tut dies am Ende seine Schwester. Nach der Vehandlung sind alle
geschockt und verlassen das Gebäude mit gemischten Gefühlen. Sie sind hin und
her gerissen. Zwischen Mitleid, Wut, Entäuschung und Erstaunen. Einerseits können
alle Mitleid mit den Betroffenen fühlen, besonders mit ihrem Kapitän. Aber er ist oder
war, nie ein richtiger Kapitän. Das ist jedenfalls das Ergebnis dieser langen Aussage.
Eigentlich geht es in diesem Prozess um Drogendealerei, jedoch rückt dies bei der
Sachlage im Moment an die letzte Stelle. Fakt ist, Ehlers wurde nur deshalb Kapitän,
weil ein Freund ihm half. Dieser wollte auch bei der Küsterwache tätig sein und
absolvierte seine Ausbildung. Er lieh ihm seine Bücher aus und erklärte ihm immer,
was er jeden Tag gelernt hatte. Da Ehlers keinen nachweislichen Schulabschluss
hatte, war klar, dass er keine Ausbildung antreten konnte. Jedoch war das
Wundersame, dass er genauso hart lernte und arbeitete wie die Leute, die in der
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Ausbildung waren. Sein Freund kopierte auch seine Arbeiten und eigentlich schnitt er
gut ab. Vielleicht lernte er auch so hart, weil er sonst Schuldgegühle gehabt hätte
oder er sich etwas beweisen wollte.
Schuldgefühle deshalb, weil er unbedingt Polizeikapitän werden wollte und was man
bekanntlich vorhat, schafft man meistens auch. Jedenfalls fälschte er seine
Zeugnisse, wie er das angestellt hatte, blieb ein Rätsel. Es wird immer
wahrscheinlicher, dass Ehlers schon lang „knastreif“ war. Denn er hatte auch seine
ganzen Papiere gefälscht und sich damit eine neue Identität verschafft. Einige ahnen
schon, dass Ehlers wohl ein endloses Strafregister haben muss. Zwar wird es nie
direkt angesprochen, weil es erstens um etwas anderes geht und zweitens der
Richter froh ist, dass die Angeklagten überhaupt etwas sagen.
Die ganze Mannschaft ist die nächsten fünf Tage wie gelähmt. Es herrscht Totenstille
am Ablegeplatz der Albatros. Gruber hat ausnahmsweise Verständnis und gibt der
Mannschaft frei. Vielleicht, weil es ihm ganauso geht. Julia merkt, dass, wenn alles
so weitergeht, Wolfgang bald reif für die „Klappse“ ist. Aber auch ihr geht es nicht viel
besser. Nach einer langen Weile schafft sie es sich auf eine seelische Lösung zu
einigen. „Wenn Ehlers bis jetzt in den 20 Jahren Dienstzeit nicht aufgefallen ist und
er keinen Unfall oder Katastrophe durch Unwissen verursacht hat, dann kann ihm
doch nicht viel passieren. Er war wie ein ganz normaler Beamter und was davor
passiert ist, geht doch jetzt niemanden mehr etwas an.
Wolfgang jedoch kann keine klaren Gedanken fassen. Er muss immer wieder daran
denken, was er gehört hat. Er versteht nicht, wieso es in all den Jahren niemand
gemerkt hat, dass sein Freund nicht der war, für den er sich ausgab. Auch fragt er
sich, ob alles nur gespielt war oder ob Holger ihn noch als Freund ansieht. Wolfgang
ist auch enttäuscht, dass Ehlers ihm nie etwas gesagt hat.
Es war zuviel auf einmal. Für jeden, auch für die Angeklagten. Die schonungslose Art
es sagen zu müssen oder es anzuhören war belastend. Nur die Zeit wird zeigen, ob
jeder es auf seine Art verstehen und akzeptieren kann.
In der Zeit bis zum Tag, an dem das Urteil gesprochen werden sollte, denkt der eine
oder andere auch an die anderen beiden Geschwister. Zum Beispiel an Iris
Riedmann, sie setzte sich zum Ziel anderen Leuten zu helfen, damit denen nicht
auch so etwas passieren würde wie ihr. Sie half in Kinderheimen und an sozialen
Brennpunkten mit. So auch Alexander Riedmann, der sieben Jahre jüngere Bruder
von Iris. Er wurde Pilot bei einer Rettungseinheit. Mit seinen Papieren machte er es
nicht viel anders. Jedoch besuchte er die Volkshochschule und lernte dort Englisch
richtig schreiben.
Rückblickend haben alle etwas gemeinsam. Sie alle haben sich nach der
mysteriösen Nacht eine neue Identität verschafft und sich dann als Berufsziel
genommen, was ihnen in ihrer Kindheit und Jugend zu einem richtigen Leben gefehlt
hat. Oder sie haben das genommen, was sie geprägt hat. So auch Christian
Riedmann, der sich als Holger Ehlers aus gab. Er hatte sich vorgenommen, dass
Fälle, wie die mit dem Brand im Zirkus, künftig gelöst werden. Er hätte auch an Land
bleiben können, doch es war schon immer sein Kindertraum gewesen Kapitän zu
werden. Dies wurde er unter anderem auch, weil er es seinen Eltern versprochen
hatte. Diese meinten dann zwar immer „Wir werden ja sehen“, doch er wollte sein
Vesprechen nicht brechen. Denn das war das Einzigste, was er tun konnte, um sie in
Ehren zu halten.
So halfen alle auf ihre Art das Leid etwas zu lindern. Doch das was sie jetzt getan
haben, hat mit etwas anderem zu tun. Fast dreißig Jahre später haben sie vor, einem
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in Not geratenen Zirkus zu helfen. Aber nicht nur dem, sie wollen sich sozusagen
genauso wirksam einsetzen, wie es die Leute damals für sie getan hatten.
Da überall Geld und Personal fehlt, haben sie einige Leute gefragt, ob sie nicht
mithelfen wollten.
Dies hat unter den meisten Zustimmung gefunden. Nicht unbedingt nennenswert,
aber sie haben einigen Obdachlosen oder sonst irgendwelchen hilfebedürftigen
Menschen geholfen. Das Wundersame ist, dass ihre Rechnung aufgeht. Die Leute
lernen etwas Neues dazu. Zum Beispiel den Umgang mit Tieren und anderen
Sachen. Auch entdecken sie für sich persönlich neue Grenzen. Den Erfolg sah man
an der ersten Vorstellung. Eigentlich gingen alle mit Skepsis in die Manege. Doch zu
ihrer Überraschung lief es besser als erwartet. Trotzdem ist es schwierig, damit die
Schulden und die täglichen Ausgaben zu bezahlen.
Holger Ehlers, oder besser gesagt Christian Riedmann wird immer nervöser. Denn
heute soll das Urteil verkündet werden. Er hat keine Ahnung, was auf ihn und seine
Geschwister zukommen wird. Er überlegt hin und her. Zwischen den Gedanken „Wird
der Richter meine turbulente, nicht gerade straffreie Vergangenheit in den
Vordergrund stellen?“ oder „Wird es ihn mehr interessieren, dass ich kein
Drogendealer bin?“ Für ihn ist klar, wenn er die zweite Variante berücksichtigt,
kommt er mit einem blauen Auge davon. Denn an dem besagten Abend hat er seiner
Schwester nur das Geld für seinen Bruder gegeben, damit er den wartenden Wirt
bezahle konnte, bei dem sie die Getränke für die Vorstellung bestellt hatten.
Christian hofft, dass der Richter der Aussage glaubt, denn wenn dieser Informant
Recht haben sollte, hätten sie Pecht gehabt. Jedoch denkt er auch an die zweite
Möglichkeit. „Wenn ich es aus meiner oder unserer Sicht betrachte, dann sieht alles
ganz harmlos aus. Als wir auf der Straße gelebt haben, haben wir geklaut um zu
überleben. Als wir im Zirkus waren, war es ähnlich. Aber das mit den Papieren ist,
wenn man es genau betrachtet, aus der Not heraus gehandelt. Sonst wären wir jetzt
wahrscheinlich auf der Straße oder wir säßen als Schwerverbrecher im Gefängnis.
Naja, wenn wir Pech haben, sitzen wir da bald auch. Denn man kann alles auch ganz
anders sehen. Zum Beispiel hätten wir demnach die Stadt unsicher gemacht, weil
niemand mehr ungestört einkaufen oder sonst etwas machen konnte, wegen den
Taschendieben, die an jeder Ecke lauernte. Oder wegen Urkundenfälschung. Der
Vorwurf würde dann lauten: wir haben alle in Gefahr gebracht, weil wir keine richtige
Ausbildung hatten. Wir hätten eine Katastrophe herbeiführen können. Und so weiter
und so fort. Ich glaube aber daran das Erfahrung mehr Wert ist, als alle in
Lehrbüchern gezeigten Beispiele. Denn die Realität sieht dann wieder anders aus.“
Irgendwie hatten die Drei in ihrem Leben immer etwas Glück. Denn sie trafen auch in
den schwierigsten Situationen auf Leute, die sie verstanden und ihnen halfen.
Diesmal ist es ähnlich, denn der Richter spricht sie frei. Der Grund ist eigentlich
simpel, denn ihre Aussage wird als glaubwürdig eingeschätzt und da der Informant
seine Aussage zurückgezogen hat, gibt es keinen Grund mehr sie festzuhalten. Nur
bei der turbulenten Vergangenheit der beiden wird es knifflig. Denn der Richter gibt
den ungenannten Straftaten schon einen gewissen Wert. Doch zum Erstaunen aller,
sieht er sie als verjährt an und da sich bis zum Ende der Verhandlung niemand
beschwert, sind sie für ihn damit nicht mehr bedenkenswert. Der Hauptgrund für ihr
Verhalten war ja das Überleben.
In Sachen Urkundenfälschung haben die Angeklagten ziemliches Glück. Denn da es
bei ihnen bisher nie etwas Gravierendes zu bemängeln gab und Gruber auch
ausgesagt hat, dass Christian Riedmann ein sehr zuverlässiger und guter Kapitän
und Kommisar gewesen ist, wird allen klar, dass die beiden für ihre gute Arbeit nicht
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hart bestraft, und ihr Bruder nicht verurteilt werden konnten. Alles andere wäre nicht
angemessen. Denn auch Iris Riedmanns Arbeit ist in all den Jahren sehr gut
ausgeführt worden. Also verlangt der Richter in seinem Urteil, dass die beiden eine
Geldstrafe wegen Betrugs zahlen müssen und dass Christian Riedmann eine
theoretische Nachprüfung machen muss. Bis dahin jedoch muss er seinen Dienst
aufgeben.
Jetzt, nachdem die ganze Geheimnistuerei gelüftet und das Urteil gesprochen ist, will
Christian mit Wolfgang reden. Immerhin ist er sein bester Freund gewesen und er
hofft, dass er es immer noch ist. Schüchtern und mit Angst vor der Reaktion von
Wolfgang, geht er zu ihm. Wolfgang schaut ihn an, beide wissen nicht recht, wie sie
anfangen sollen. Nach knapp einer Minute Stille fängt Christian an: „Also Wolfgang
ich... ich wollte fragen...“, er bricht ab und atmet tief durch. Dann versucht er ruhig
weiter zu sprechen „Wollen wir trotz allem Freunde bleiben?“ Wolfgang meint mit
feuchten Augen: „Na klar. Was dachtest du denn?“ Christian ist von dem Verständnis
seines Freundes überrascht „Wirklich?“ nun fallen sich beide in die Arme und fangen
an zu lachen und gleichzeitig auch etwas zu weinen. Kalle sieht die beiden an und
denkt sich „Auch eine Art sich zu freuen.“
Als sich Wolfgang und Christian entschließen ihre Freundschaft zu begießen, sind
schon alle weg. Wolfgang fragt: „Wo sind die denn alle hin, Holger?“ Er bekommt zur
Antwort: „Keine Ahnung, aber was machen wir noch hier? Komm, wir machen uns
auf den Weg zur Wirt......“ Christian bricht mitten im Satz ab, denn sein Freund starrt
ihn an, als wäre er von einem anderen Planeten: „Was ist los, wieso schaust du mich
so an?“ „Kannst du dir das nicht denken?“ „Nein, wieso?“ „Ach, Christian.“ „Ach so,
du hast mich Holger genannt. Na und, was ist so schlimm daran?“ „Du heißt anders.
Wie kann ich dich Holger nennen, wenn du eigentlich Christian heißt?“ Christian
lächelt. Wie es scheint nimmt er es nicht so ernst. „Von mir aus kannst du mich
Holger nennen. Dann ist es eben mein zweiter Spitzname.“ „Bist du dir sicher?“
„Wolfgang, ich werde schon wissen, wieso ich mir vor vielen Jahren den Namen
zugelegt habe.“ „Und wieso? Ich meine, der hat doch keine Ähnlichkeit mit deinem
richtigen Namen.“ „Vielleicht weil ich ihn gut finde oder....Komm es ist doch eigentlich
egal, wie du mich nennst. Hauptsache wir verstehen uns.“ „Ok, Holger“ „Ok,
Wolfgang.“
Während sie zum Wirtshaus laufen, sprechen sie über die letzten Wochen. Christian
muss einiges erklären. Zum Beispiel erklärt er seinem Freund, dass sein
Zuspätkommen und das Müde sein in letzter Zeit wegen der vielen Proben für die
Vorstellung gewesen ist.
Bei dem Wort „Proben“ ist Wolfgang leicht irritiert. Doch als Christian ihm klar macht,
dass er einer der Artisten gewesen ist, den sie im Zirkuszelt gesehen haben, hat sich
Wolfgang wieder gefangen.
Auch macht er sich viele Gedanken, wie es mit dem Zirkus weiter gehen soll. Das
war der Grund für seine geringe Gesprächigkeit. Wolfgang hört die ganze Zeit
gespannt zu, denn nie im Leben wäre er auf so einfache Erklärungen gekommen. So
auch bei dem Rätsel um die Laterne, gegen die sein Freund gerannt war. Es war
eigentlich nur passiert, so erzählt es Christian, weil er seinen Bruder gesehen hat.
Das heißt, er wusste es nicht genau, aber der Mann, den er gesehn hatte, ähnelte
ihm. Auch auf die Frage, wo er gesteckt hat, als sie notgezwungen dienstfrei hatten,
weiß er eine Antwort. Er ist, wie nicht anders zu erwarten, im Zirkus gewesen.
Wolfgang wartet unter anderem auch gespannt auf die Antwort seines Freundes
woher er so gut Skateboard fahren kann und was die sechs Jugendlichen letztlich
am Hafen gesucht haben. Christian meint lässig zum Thema Skateboard fahren:
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„Naja, wenn man in so einer Umgebung aufwächst, lernt man das irgendwann und
das mit den sechs Jugendlichen ist ganz einfach. Die helfen jetzt im Zirkus mit.“
Am Ende ihres Gespräches weiß Wolfgang, weshalb sein Freund sich so gut mit den
Jugendlichen verstanden hat. Er identifizierte sich zum Teil mit ihnen, denn ihm war
etwas ähnliches passiert. Er war also bei diesem Einsatz der Einzige, der wußte wie
die Sechs sich fühlten und was sie zum größten Teil dachten. Jetzt ist auch Wolfgang
klar, wieso Christian so wortgewandt ist, denn er musste sich füher oft durchsetzen.
Es macht den Anschein, dass die beiden sich so einfach wieder vertragen, doch das
ist falsch. Wolfgang sagt schon seine Meinung zu allem und nach einer langen
Diskusion ist das Thema Vergangenheit für sie abgehakt. Auch wenn jetzt einiges
anders werden wird, wollen sie Freunde bleiben.
Zwei Monate sind verstrichen und Rike weiß nun wieso Christian Riedmann so ein
guter Kapitän gewesen ist. Denn sie ahnt, dass er sich wohl immer in die Lage der
Verbrecher versetzten konnte und deswegen meistens richtig mit seinen
Vermutungen lag. Denn er weiß ungefähr was Vebrecher denken und deshalb hat er
meistens die Ruhe behalten.
Heute kommt der neue Kapitän der Albatros mit Neuigkeiten zum Hafen: „In drei
Wochen kommen sechs Beamten der französischen Küstenwache. Einer von ihnen
wird auch auf unserem Schiff eine Woche lang mitfahren.....“ während er
weiterspricht, hört ihm keiner mehr richtig zu. Alle sind in Gedanken versunken und
stellen sich die Situation in drei Wochen vor. Am Ende wissen sie nur, dass die
Franzosen wegen irgendeiner kooperativen Zusammenarbeit da sind. Aber so genau
weiß es niemand und eigentlich haben sie auch keine Zeit mehr darüber
nachzudenken, denn sie haben Dienst.
Nach Feierabend hat Rike noch eine Sonderaufgabe von Gruber bekommen. Sie soll
sich etwas Schönes zum Abschied der Franzosen überlegen. Über die Aufgabe ist
Rike nicht gerade begeistert. Doch dann fällt ihr etwas ein. Sie muss an Christian
Riedmann denken: „Der wird sich bestimmt freuen und außerdem helfen wir dem
Zirkus.“ Nach knapp vier Wochen sehen alle die Ideen von Rike und was daraus
geworden ist. Der kleine Zirkus soll eine Vorstellung geben. Natürlich nicht in der
Manege, sondern am Hafen und auch nicht vor so vielen Leuten. Als Zuschauer sind
nur die Franzosen, die Besatzung der Albatros, zwei deutsche Wissenschaftler (sie
waren auf einem anderem Schiff mitgefahren und sind dort ihrer Arbeit
nachgegangen) und noch vor ein paar Leuten der Küstenwache eingeladen.
Natürlich läßt es sich Christan nicht entnehmen bei der Programmdurchführung
selbst mit zu helfen. Er hat die Nachprüfung mit Hilfe seiner alten Besatzung
geschafft.
Jetzt, nach der Vorstellung, herrscht fröhliche Stimmung. Es scheint, als hätte die
Show das bewirkt, was sie bewirken sollte. Erik, Julia und alle anderen der Albatros
(abgesehen vom Kapitän) sind erstaunt. Es war also wahr, was Christan Riedmann
vor Gericht ausgesagt hatte. Er kann wirklich französich sprechen, was niemand ihm
so richtig zugetraut hat.
Doch er moderierte das Programm zum Teil auch zweisprachig und liefert damit den
Beweis.
Alexander geht zu Christian: „Du Chris, ich glaub da will dich jemand sprechen.“
„Siehst du denn nicht, ich bin beschäftigt.“ „Ich glaube aber es ist wichtig.“ „Ok. Wer
will mich denn unbedingt sprechen?“ „Keine Ahnung, aber sie steht da hinten.“
Christan geht zu dem besagten Ort. Plötzlich schreckt er auf. „Holger??“ Die Stimme
kommt ihn bekannt vor. Er dreht sich um und starrt die Person an.
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„Liv? Was..., was machst du hier?“ Ist seine verwirrte Reaktion. „Ich habe hier, bis
heute Nachmittag gearbeitet.“ „ Wirklich?“ „Ja, wußtest du das nicht? Hat dir Gruber
nichts gesagt?“
Es dauert schließlich eine Weile bis Christian ihr alles erzählt hat, was während ihrer
Abwesenheit und davor passiert ist. Sie nimmt es mit gemischten Gefühlen auf.
Jedoch ist sie über eines besonders froh. Ihr Freund hat sie nicht betrogen. Die Frau
auf die sie eifersüchtig war, ist nur seine Schwester. Um aber keine neuen
Hoffnungen bei ihm zu wecken, stellt sie ihm ihren Verlobten vor, der der andere
Wissenschaftler ist. Christan findet ihn nicht gerade freundlich und irgendwie
beschleicht ihn ein komisches Gefühl. Er teilt es Liv mit, doch diese beachtet es
kaum, denn sie ahnt, dass Christian jetzt eifersüchtig ist. Dieser ist auf gewisse
Weise traurig, denn er wäre auch gerne Liv´s Verlobter gewesen. Doch eins ist
beiden klar, Freunde wollen sie bleiben.
An diesem Abend sagt Liv ihm noch einen Wunsch: „Kannst du mir noch einen
Gefallen tun?“ „Welchen denn?“ „Du hast doch vorhin erzählt, dass du einmal an
Wolfgang, Kalle und mir vorbei geritten bist, als wir angelten. Und damals hat Kalle
gemeint, dass er auch mal gerne so reiten würde.“ „Aha, und du willst, dass ich ihm
es beibringe.“ „Ja, genau.“ „Na wenn´s weiter nichts ist.“ Somit ist Kalles Plan für das
nächste Wochenende beschlossen. Am nächsten Tag muss Liv auch schon wieder
zurückfliegen.
Am Wochenende sehen Kalle und Wolfgang, der auch mitgekommen ist, wie schwer
es ist,
eine Vorstellung einzuüben. Die Drei haben ihren Spaß und merken, dass es
eigentlich sehr fröhlich im Zirkus zugeht. Doch das täuscht, erklärte ihnen Christian.
„Wenn man nicht alles etwas witzig nehmen würde, könnte man verückt werden, bei
all den Problemen, die wir hier haben.“ Nach diesem Wochenende gibt es zwei gute
Veränderungen. Erstens: Christian und Kalle duzen sich. Und zweitens beschließen
Wolfgang und Kalle öfter vorbeizuschauen und zu helfen, wenn es geht. Jeder weiß,
dass es schwer werden würde den Zirkus zu erhalten. Doch alle hoffen gemeinsam
die Probleme lösen zu können, die beiden kleinsten Dingen anfangen und bei den
Größten nicht aufhören.
Nachwort: Liebe Leser und Leserinnen ich möchte noch einmal klar machen, dass
alle Geschenisse und besonders das Urteil des Richters völlig frei erfunden sind.
Als ich diese Geschichte geschrieben habe, ist mir klar gewesen, dass das meiste in
Wirklichkeit gar nicht passieren würde. Zum Beispiel, wie es Christian Riedmann
geschafft hat, Kapitän zu werden. Ich möchte bei manchen Dingen einfach nur
darstellen, dass reden in vielen Situationen helfen kann oder wenn man etwas
wirklich machen will, es meistens auch erreichen kann. Natürlich hängt dies auch von
guten Freunden oder Meschen, denen man begegnet, ab.
Veronica Scholz
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