Jeder glaubt, was er will! Passend zur individualisierten - kath.ch

Gesellschaft
Die neue
PatchworkReligion
Jeder glaubt, was er will! Passend zur individualisierten
Gesellschaft suchen die Schweizer den Sinn des Lebens,
wo sie wollen und wenn sie Zeit haben. Bibelkurse und
Seminare zu «Feld-Wald-Wiesen»-Spiritualität boomen.
Obwohl sie schon lange keinen Gottesdienst mehr gefeiert hat, geschweige
denn als getaufte Katholikin in den letzie Osterbotschaft ist nichts für ten Jahren in einem Beichtstuhl sass.
schwache Nerven. An Karfreitag Dabei ist sie christlich geprägt. Glaube
wurde vor knapp 2000 Jahren im spielte seit Kindertagen in ihrer Familie
Alter von 35 Jahren ein Mann namens eine grosse Rolle. Im Religionsunterricht
­Jesus ans Kreuz genagelt. Nach seinem lernte sie, wie unterschiedlich die Weltqualvollen Sterben beerdigten ihn seine religionen die Frage beantworten: Was
Jünger in einem Steingrab. Am dritten ist eigentlich der Sinn des Lebens?
Tag, also Sonntagmorgen, ereignet sich
Die erste Abzweigung vom klassidas Wunder der Auferstehung. Je nach schen Weg führte Silke Weinig im GeoSchrift bezeugen das Maria Magdalena grafie-Studium direkt in ein Yoga-Semi(Johannes-Evangelium) oder eine Grup- nar. Dort lernte sie den Einklang von
Körper, Geist und Seele und spürte: «Da
pe von Frauen (Lukas-Evangelium).
«Ich finde Ostern toll», sagt Silke kommt man wieder näher zu sich selbst.»
Weinig. «Die Idee der Auferstehung ist Die zweite Abzweigung nahm sie 2008.
unglaublich hoffnungsvoll!» Die 41-Jäh- Es sei krankheitsbedingt nicht ihr besrige lebt mit ihrem Mann in Winterthur, tes Jahr gewesen. Krisen provozieren.
arbeitet als Managerin in einer Soft- ­Weinig wollte wissen: «Gibt es Dinge,
warefirma und verantwortet Unterneh- die unser Leben beeinflussen und die
mens-Kooperationen. Die Feiertage be- mit dem Verstand nicht zu erklären
deuten ihr «Erneuerung und Aufbruch». sind?» Sie beginnt Meditation, besucht
Text Stephanie Ringel
Fotos Fabienne Bühler
D
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schweizer illustrierte
Schamanismus-Abende, probiert Akupunktur und stellt ihre Ernährung um.
Das Ziel steckt sie hoch: «Als ganzheit­
licher Mensch wachsen.»
Weder die römisch-katholische
noch die reformierte Kirche boten zuletzt überzeugende Lösungen für Menschen wie Silke Weinig. Zwar gibt es in
der Schweiz laut Bundesamt für Statistik 2,4 Millionen Reformierte und rund
3 Millionen Katholiken. 2010 traten aber
allein im Kanton Zürich aus beiden Landeskirchen 11 099 Mitglieder aus. Liegt
das am «Bodenpersonal» in den Gemeinden und seinen als verstaubt wahrgenommenen Regeln? Der berufstätige,
freiheitsliebende Mensch schläft am
Sonntagmorgen eben gerne aus. In der
Messe kann die kritische Kirchgängerin
auch nicht aufstehen und zum Pfarrer
sagen: «Entschuldigung, Ihre Predigt ist
interessant, aber ich sehe das anders.
Können wir das diskutieren?»
«Näher bei sich
selbst» Silke Weinig
praktiziert seit
knapp 20 Jahren
Yoga. Sie will als
«ganzheitlicher
Mensch» wachsen.
«Wald-und-WiesenSpiri­tualität»Das Kloster
Kappel ZH passt sich dem
Trend an und bietet Kurse zu
Spiritualität an. Pfarrer
Markus Sahli sagt: «Uns kann
nichts Besseres passieren, als
dass die Menschen so die
Schöpfung wieder entdecken.»
Die Gründe für Kirchenaustritte seien so komplex wie unsere Gesellschaft,
erklärt Ralph Kunz, Professor für Theologie an der Universität Zürich. «Wir sehen eine wachsende Tendenz zur ‹wilden› Religiosität, die sich ausserhalb der
Kirche etabliert.» Ausgehend davon wird
Spiritualität sogar als Forschungsthema
immer wichtiger. Unter Religionen wie
Christentum, Judentum, Islam oder
­Hinduismus versteht man die Glaubensgemeinschaften. Religiöse Menschen
orientieren sich an gemeinsamen Regeln
und Überlieferungen.
Spirituell sein bedeutet dagegen,
frei zu fragen: Woher komme ich? Warum
lebe ich? Warum bin ich eigentlich glücklich? «Die Sehnsucht nach dem GöttlichSpirituellen ist ein Megatrend», betont
Ralph Kunz. Anzeichen dafür gibts
dutzendfach. Da führt die politische
Wochenzeitung «Die Zeit» plötzlich eine
neue Rubrik «Glauben & Zweifeln» ein.
Die Agentur C schaltet in Gratistageszeitungen grosse Anzeigen mit Bibelzitaten.
Fernando Heynen, Hockeyspieler beim
EHC Visp, lässt sich in einer Kirche fotografieren und spricht ausführlich übers
Beten. Mister-Schweiz-Kandidat Nicolas
Scandamarre gibt als Lieblingsthema
«Religion und Spiritualität» an.
Allerdings sind das Kleinigkeiten
im Vergleich zu dem, was in diesen
Tagen an Schweizer Kiosken passiert.
Zwischen Zeitschriften wie «Praline»,
«Auto Motor und Sport» und «Brigitte»
steckt seit letzter Woche ein neues Magazin. Es heisst «Das Neue Testament»,
kostet CHF 16.50, Titelgeschichte der
ersten Ausgabe: «Damit ihr Hoffnung
habt» aus dem Petrusbrief. 242 Seiten,
nur fünf Bilder, dafür viel Text, und zwar
die Evangelien, die Apostelgeschichte,
­Briefe und die Offenbarung.
Ach du lieber Gott, könnte man
­sagen. Jetzt verlässt auch noch die Hei-
High Heels und
­SeelsorgePfarrer
Johnson Eliezer-­
Jensen hat die Kanzel
gegen den Ladentisch
vertauscht. Kunden
suchen in seiner Boutique CPH im Zürcher
Niederdorf neben
Kleidern immer öfter
geistlichen Zuspruch.
lige Schrift den Altar und drängt auf den
freien Markt der Spiritualität, raus aus
ihrem Korsett von kirchlicher Liturgie!
«In der Gesellschaft lässt sich ein
wachsendes Interesse an nicht institu­
tionalisierten, gemeinschaftsunabhän­
gigen Angeboten feststellen. Vorträge
über «Heilung», Wanderungen zu «Orten
der Kraft» oder Bücher über Engel sind
Beispiele dafür, schreibt Dorothea Lüddeckens in ihrem unlängst erschienenen
Buch «Fluide Religion». Suchen wir uns
also zusammen, was uns passt, und basteln uns unsere eigene Heilslehre? Entstehen neue Patchwork-Religionen, in
denen sich der Glaube an Gott und der
Glaube an die Heilkraft von Rosenquarz
nicht ausschliessen?
u Buddha,
Gott, Laden-Seelsorge
Seit zehn Jahren bietet das Medita­
tionszentrum Beatenberg im Kanton
Bern Vipassana-Meditationskurse an. u
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Gesellschaft
Religion und Spiritualität zu tun. Der
gebürtige Inder ist 22 Jahre als reformierter Pfarrer tätig, während seine
Frau Mette in Bern die dänische Kleiders in d im
boutique CPH betreibt. Vor drei Jahren
A ll e in 2010 c h 6161
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steigt er aus dem aktiven Pfarrdienst aus
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und in einen Ableger von CPH in Zürich
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ein – inspiriert von der Geschichte über
K ir c h e a u s gie rt e n e tw a s
die Israeliten, die in die Wüste zogen und
d e r re fo rm 3 8 . M a c h t
w e n ige r: 4 9 11 099.
darauf vertrauten, dass Gott sie auch
zu s a m m e n :
dort versorgt. Tauscht Kanzel gegen
Ladentisch und merkt doch bald, dass er
zwischen Blusen, Hosen und Schuhen
mehr geistlicher Gesprächspartner ist
als je zuvor. Manchmal reicht ein «Wie
u Zentrumsleiter Fred von Allmen sagt:
geht es Ihnen?», eine Freundlichkeit, die
«Wir ermöglichen in geschütztem Rah- übers reine Verkaufen-Wollen hinausmen eine tief greifende Herzens- und geht. Sogar Konsum braucht Seele,
Geistesschulung.» Die Seminare wur- Herz, Ehrlichkeit. Eliezer-Jensen sagt es
zeln im Buddhismus und sollen den Men- anders: «Ich stelle fest, dass die Menschen helfen, seelisch zu wachsen. Es schen Antworten suchen.» Da kommt
geht daher im Lehrplan vor allem um die Mutter in den Laden und berichtet
buddhistische Inhalte. Seit zwei Jahren bald von den Problemen mit ihrer
erlebt Fred von Allmen eine zunehmen- Tochter. Die Mathematikerin fühlt sich
de Nachfrage nach Kursen wie «Liebe- leer, und als sie im Gespräch heraus­
volle Güte», «Achtsamkeit» oder «Um- findet, dass Eliezer-Jensen Pfarrer ist,
gang mit schwierigen Gefühlen». Die fordert sie ihn als Seelsorger und nimmt
Teilnehmer sind im Schnitt 40 Jahre seinen Rat an, die biblischen Psalmen
plus. «Sie spüren plötzlich, dass es mehr zu lesen.
geben muss als das Streben nach Geld
Die Bibel sei in erster Linie eine
und persönlicher Freiheit. Ihnen fehlt Sammlung von Geschichten, sagt Elieoft jede Verbindung zu Gefühlen und zer-Jensen. «Geschichten, an denen man
inneren Werten», sagt er.
die Antwort auf die Frage nach dem Sinn
Eine ähnliche Erfahrung macht und Ziel der eigenen Existenz und der
­Rachel Stoessel. Als Geschäftsführerin Welt ablesen kann.» Er hat keine Bibel
von Alphalive weiss sie, dass erlebnis­ auf dem Verkaufstisch liegen. Aber die
orientierte Bibelkurse in sind. Die inter- richtigen Zitate im Kopf, falls er gefornationale Einrichtung wird in der dert wird. Und das ist keine abgeklärte
Schweiz von Christen aus allen Kirchen Strategie für bessere Verkaufszahlen.
unterstützt. Sie bietet jährlich 500 Kurse in der gesamten Schweiz an. An zehn u Die Macht der Zahlen Ist die
Abenden lernt man den christlichen ganze Patchwork-Bewegung überhaupt
Glauben kennen. Kursorte sind Restau- messbar? Mit Zahlen und Daten ein­
rants, Jugendgruppen, Privat- oder deutig beweisbar? Der Buchmarkt für
Schulhäuser, auch Kirchen. Rachel religiös-spirituelle Fach­literatur läuft je­Stoessel sagt: «Bei uns melden sich im- denfalls glänzend. Hape Kerkelings Wanmer mehr Atheisten an.» Das Durch- derbuch über den Jakobsweg, «Ich bin
schnittsalter ist mit 36 Jahren tief. Vom dann mal weg», hat sich seit 2006 über
Arbeiter bis zum Akademiker ist jede vier Millionen Mal verkauft. Papst BeneGesellschaftsschicht vertreten.
dikt XVI. hat in schneller Folge die
Was Johnson Eliezer-Jensen macht, Bücher «Licht der Welt» und «Jesus von
hat nichts und gleichzeitig alles mit Nazareth» veröffentlicht. Beide Werke
schossen sofort auf Platz 1 der «Spiegel»Bestsellerliste. Der Schweizer Theologe
Kurse, Kloster & co. Hans Küng hält sich mit seinem «Ist die
Kirche noch zu retten?» seit Wochen
u Buddhismus: Meditationszentrum
unter den ersten 20, zusammen mit
­Beatenberg,www.karuna.ch
Titeln wie «Wer bin ich – und wenn ja,
u Reformierte Kirche: Kloster Kappel in
wie viele?» oder «Glück kommt selten
Kappel am Albis ZH, www.klosterkappel.ch
allein».
u Katholische Kirche: Lassalle-Haus,
Jörg Stolz, Religionssoziologe an der
www.lassalle-haus.ch
Universität Lausanne, hat Religiosität in
u Kloster-Tage: Kloster Fahr,
der modernen Welt im Rahmen des nawww.kloster-fahr.ch
u Bibelkurse: Alphalive, www.alphalive.ch
tionalen Forschungsprogrammes NFP 58
11 099
untersucht. Er stellt fest: «Die Gesamtentwicklung deutet bis jetzt eher in
Richtung einer weiteren Distanzierung
von Religion hin zu Religionslosigkeit.»
Jedes Jahr sterben mehr Reformierte,
als geboren werden, im Jahresdurchschnitt macht das 10 000 Reformierte
weniger – ein grosses Dorf. Aber seine
Untersuchung bestätigt auch: Institutionelle Religiosität wird bei manchen Menschen von alternativer Spiritualität
abgelöst. Im Schlussbericht des NFP 58
ist gar die Rede von «einer spirituellen
­Revolution». Anstatt für Rosenkranz und
Weihwasser würden diese Menschen
sich in Zukunft für heilende Kristalle
interessieren, Bewegungstherapien und
Naturrituale praktizieren. Ein Schrei-­
Seminar in italienischen Olivenhainen
wirkt dann nicht mehr nur lächerlich.
u Die
Lust auf neue Angepasstheit
Die Landeskirchen haben das längst begriffen und folgen diesem Trend. Christliche Seelsorge in der Gemeinde und im
Spital, Familienbetreuungen, Dienste
für sozial Benachteiligte bleiben ihr
typisches Handlungsfeld. Darin sind
die Mitarbeiter kompetent und genies­
sen Wertschätzung. Überraschend ist
das Seminarprogramm: Das LassalleHaus, jesuitische Bildungseinrichtung
in Bad Schönbrunn ZG, bietet neben
klassischen Exerzitien und Kontem­
plation auch «Lichtheilung», «YogaAufbau» und «Zen-Meditation» an. Die
Nachfrage ist gross. 40 Leute können
die Einführungskurse be­suchen. Sie
seien seit geraumer Zeit immer gut aus­
gebucht, sagt Pressesprecherin Andrea
Zwicknagel.
Gleiches bestätigt Pfarrer Markus
Sahli, theologischer Leiter des reformierten Klosters Kappel. Er hat das
Dreimonatsprogramm des Bildungshauses unter das Thema «Natur und Spiritualität» gestellt. «Unsere traditionellchristlichen Kurse erreichen noch knapp
die Teilnehmergrenze. Ein Kurs zu FeldWald-Wiesen-Spiritualität ist kein Pro­
blem», sagt Sahli. Klostertage, Rückzug
auf Zeit, Angebote für Sinnsuche stossen
auf wachsendes Interesse. «Uns kann als
Landeskirche nichts Besseres passieren,
als wenn die Menschen auf diesem Weg
die Schöpfung wieder als Schöpfung
entdecken!»
Einen ähnlichen Erfolg erlebt die
Bäuerinnenschule im Kloster Fahr bei
Zürich. Während sechs Monaten lernen
junge Frauen Haushaltsführung, Gartenbewirtschaftung, Ernährungslehre und
Produkteverwertung. Zweimal pro Woche nehmen sie an den Gebetszeiten u
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der Benediktinerinnen teil. Fast 10 000
Franken kostet die Internats-Ausbildung
im Kloster. Freie Plätze gibt es erst wieder nächstes Jahr. Priorin Irene erzählt,
dass in die Klosterschule nicht nur angehende Bäuerinnen kommen. Sie hätten
immer öfter Verkäuferinnen, Floristinnen oder Studentinnen, die bei den
Schwestern ihre spirituellen Wurzeln
­suchen. «Wir bieten Werte, die gesucht
werden. So Alltägliches wie zusammen
essen, lernen, arbeiten.»
Spiritualität als Lebensinhalt ist
keine Revolution. Aber für die Masse
der Menschen ist dieser Weg neu.
Silke Weinig, die Katholikin, Yoga-Liebhaberin, Schamanismus-Interessierte,
sagt: «Ich bin noch nicht da, wo ich
sein will. Aber ich nähere mich meinen
Träumen.» Fragen wie Karrierekick und
Neuanfang oder Familie und Beständigkeit bleiben wichtig, sind aber nicht
fundamental. Ostern feiert sie mit
Mann, Eltern und Bruder in New York.
Und im Sommer möchte sie Etappen
des Jakobspilgerwegs in der Schweiz
wandern. «Wo ­Menschen mit Hoffnungen sind», sagt sie lächelnd, «gibt es
immer gute Energie.»

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«Ich wusste nicht,
Erst reformierter Christ, dann Atheist. Heute engagiert
sich Lars Kloth als katholischer Lektor in seiner Gemeinde. Hier erklärt er, warum es Rituale und Religion braucht.
L
ars Kloth, Sie haben einen
Bibelkurs belegt. Warum?
Er war Teil meines Weges zurück in die Kirche. Bibel lesen ohne
Erklärung frustriert. Ich wollte
verstehen, wie ich die Texte aus
heutigem Verständnis interpretieren
kann.
Nun lesen Sie regelmässig?
Selten. Wenn, dann die Psalmen. Da
ich als Lektor aktiv bin, beschäftige ich
mich trotzdem mit Bibelzitaten, damit
ich den Text gut wiedergeben kann.
Wie sieht Ihr Alltag als Christ aus?
Jeder kann für sich alleine den Dialog
mit Gott führen. Mir reicht das nicht.
Ich gehe jeden zweiten Sonntag in die
Kirche. In der Gruppe spüre ich den
Heiligen Geist. Feste Gebetszeiten
halte ich nicht ein. Aber ich bedanke
mich kurz, wenn etwas Schönes passiert oder ich das Gefühl habe, Gott
lenkt meinen Weg. Ich habe Ökonomie
studiert, schnell und erfolgreich. Eine
Prüfung habe ich nie bestanden. Da
half alles nichts, Zusatzkurse, Lerngruppen – hoffnungslos. Es war mein
erstes grosses Scheitern, sehr schmerzhaft. Schliesslich wechselte ich in die
Wirtschaftsinformatik. Heute weiss ich:
Es sollte nicht sein, es war ein Zeichen,
einen anderen Weg zu gehen.
Was sagt Ihre Familie? Sie sind
­evangelisch getauft.
Meine Eltern waren nicht religiös.
Ich wusste gar nicht, wie Glauben
geht. Heute sagen sie zu mir:
Toll, dass du dazu stehst! Ich habe
wie Glauben geht»
erst jetzt entdeckt, dass meine Gross­
mutter begeisterte Kirchgängerin war,
aber ihr Mann davon nichts hielt. Jetzt
ist sie Witwe. Wenn ich sie besuche,
gehen wir gemeinsam in die Messe.
Warum sind Sie konvertiert?
Es fing mit der Konfirmation an. Meine
Mitschüler besuchten den Vorberei­
tungskurs. Viele wussten nicht, was
das sollte. Ich war nicht in der Stim­
mung, zu machen, was alle machen.
Und entschied: Das ist nichts für mich.
Ich fand, Religion beeinflusst meinen
freien Willen. Später, im Wirtschafts­
studium, war ich eher materiell orien­
tiert. Ich dachte, schnell viel Geld
verdienen sei ein guter Weg.
Und dann zogen Sie aus Norddeutschland in die Schweiz.
Vielleicht hat der Umzug bewirkt, dass
ich mehr Fragen gestellt habe: Was ist
mein Weg? Was ist der Zweck des
Lebens. Einmal habe ich mich in einen
katholischen Gottesdienst
geschlichen, nichts begriffen …
… und trotzdem Feuer gefangen?
Testhalber war ich auch bei den
Reformierten. Beides ist eine
Momentaufnahme. Aber die Katho­
liken sind verbindlicher im Ritus, das
gefiel mir. Ein einwöchiger Kloster­
aufenthalt brachte die Entscheidung.
Die Mönche lebten ihren Glauben
überzeugend. Die Bibel ist ein Gerüst.
Interessant ist erst, wie man ihre
Inhalte im Alltag umsetzt. Ich glaube
zum Beispiel an Leben nach dem
Tod, habe deshalb weniger Angst zu
sterben und weiss mich in guten
Händen.
Katholizismus steht auch für sexfreies
Leben vor der Ehe, für Zölibat …
… grundsätzlich sind das wichtige
Wertaussagen. Aber die müssen auf die
Lebenswirklichkeit übertragen werden.
Stichwort Verhütung: Natürlich ist sie
wichtig! Man sollte nur so viele Kinder
zeugen, wie man ernähren kann.
Ihr Lieblings-Bibelzitat?
Markus 8, Vers 36: «Was nützt es
einem Menschen, wenn er die ganze
Welt gewinnt, dabei aber sein
Leben einbüsst?» Ich möchte bewusst
ge­stalten, wie ich lebe.
Lars Kloth ist Wirtschaftsinformatiker.
Er liebt Reisen, Zigarrenrauchen
und Schwimmen. Der 36-jährige
Single lebt in Thalwil ZH.