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Weblogs - was sie sind und was sie können
Eine kleine Bestandsaufnahme
In den folgenden Tagen und Wochen werden unregelmäßig, aber
verläßlich Interviews zum Überthema Weblogs erscheinen. Auch in der
kommenden Print-Nummer von MALMOE (#13) wird ein ausführlicher
Schwerpunkt dieses Thema behandeln. Es handelt sich um ein Phänomen,
dem es an Bedeutungsvielfalt genauso wenig mangelt wie an
netzkultureller Relevanz. Beide - Bedeutungsvielfalt und Relevanz - sollen
hier kurz umrissen werden, um einen Einstieg in die Diskussion zu
gewährleisten.
Weblogs sind mit Sicherheit die boomende Netzanwendung der letzten
zwei Jahre gewesen. Ihre vielfältige Anwendbarkeit und ihre einfache
Bedienung hat sie zu einem neuen „Hoffnungsträger“ unter
NetztheoretikerInnen gemacht, zu einem Betätigungsfeld für technicians
und neuerdings auch zu einem Publikationsfeld für der Öffentlichkeit
zugewandte SpezialistInnen – JournalistInnen, KünstlerInnen,
AutorInnen, Business Men und Women und auch PolitikerInnen.
Verschiedene Bedeutungsfelder
Interessanter Weise gibt es trotz des boomenden und in alle Themen des
Netzes (und der Mediengesellschaft) wuchernden Phänomens keine auf
einen Nenner gebrachte Formel, warum weblogs so beliebt sind. Und es
scheint aufgrund der skizzierten unterschiedlichen Zugänge sogar, als
wäre es nicht möglich, einen solchen Nenner zu definieren. So betont
etwa Tobias Schäfer, engagierter Techniker und einer der Masterminds
des zumindest im deutschsprachigen Raum erfolgreichsten weblogCommunity antville.org: „Die für mich sowieso interessantere Community
in Sachen Antville ist die der Entwickler.“ Womit relevante Fragen wie
nach den Nutzungsmöglichkeiten und den kommunikativen Chancen und
Gefahren von dieser Seite der Vernachlässigung preisgegeben werden.
Dieses Themas nehmen sich zunehmend SpezialistInnen aus einer
anderen Ecke an. Der Wissenschaftler Thomas N. Burg, Veranstalter der
ersten internationalen Weblog-Konferenz blogtalk.net, der vor allem den
(zukünftigen) ökonomischen Zugewinn sieht, der aus weblogs entstehen
wird (oder kann) (siehe Interview). Zwischen den Prototypen des
klassischen Techies und des seriösen Wissenschaftlers sind es heute aber
wohl noch die gemeinen user, die, zwischen genialem Dilettantismus,
(scheinbarer) Offenbarung der Intimsphäre und privater Nutzung für
künstlerische und politische Diskussionen, die verschiedenen weblogSzenen dominieren. Und auch für deren Lebhaftigkeit und Dynamik
sorgen.
Es scheint, als wäre der Erfolg von weblogs, zumindest aber ihr hype
derzeit darauf zurückzuführen, dass ihr Gebrauch in technischer Hinsicht
sich so einfach und simpel gestaltet, und dass die Bedeutungsfelder so
unterschiedlich besetzbar gemacht worden sind. Wenn die Zukunft der
weblogs auch nicht unmittelbar bestimmt werden soll, so ist doch
festzuhalten, dass mit der immer breiteren Benutzung, Akzeptanz und
Anerkennung dieses webtools auch eine zweischichtige ökonomische
„Verwertung“ einhergeht. Zum einen kann es von Content Providern
angeboten werden. Und zum anderen als wertvolles Pfand in der
individuellen Karriere(aus)gestaltung dienen.
Süchtig, ohne Suchtmittel?
Ist ersteres nur ein weiteres Add-on für die Netzindustrie, so beweist
letzteres nicht nur neue Möglichkeiten zur persönlichen Äußerung,
sondern auch den subtile „Zwang“, mitzugehen. In Gesprächen mit
Menschen, die „bloggen“, äußert sich auch immer so etwas wie eine (sehr
dezente) Sucht. Wer einmal damit angefangen hat, so der Tenor, der/die
kann auch nicht mehr aufhören. Das „Argument“ ist nicht zufällig eine
Wiederholung des Ewiggleichen: wir hörten (und erfuhren am eigenen
Leib) das schon bei Emails, beim Handy, beim Surfen ... Als
„Permutation“ (Thomas N. Burg) wäre das webtool weblog hier am
ehesten zu begreifen: Was seine Bedeutung, seine Fähigkeit, seinen Reiz
darstellt, ist uns bekannt und doch ganz neu. Ohne in die
Medienphilosophie abzuschwenken, kann hier ein typisches Muster
postmoderner Gesellschaftlichkeit entdeckt werden.
Sucht – lassen wir den problematischen Begriff einfach mal so stehen –
bedeutet ja nicht nur zwanghaftes Wiederholen einer Tätigkeit, sondern
auch Verarbeitung von Anforderungen, die von gesellschaftlicher Seite
gestellt sind. Weblogs als „Suchtmittel“ zu deuten, wäre daher falsch,
denn Kommunikationsmittel können per se keinen Rausch produzieren
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[17.03.2011,MALMOE]
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Frauen(kampf)tag“ am 8.
bzw. 19. März 2011
[16.03.2011]
Militante Images
Bilder von Carlos, Raf und
Co. geistern durch die
Medienwelt - was
bedeutet das?
[16.12.2010]
die nächsten 3 Einträge ...
denn Kommunikationsmittel können per se keinen Rausch produzieren
(was durchaus zu bedauern ist). Dass „nicht mehr aufgehört werden
kann“, erlaubt aber einen interessanten Einblick. Weil es so praktisch, so
kompatibel, so simpel, so schick ist zu Bloggen, bietet es sich natürlich zu
einem weiteren Benutzen an. Warum wird dann aber immer jene Phrase
in halb-entschuldigendem, halb-fasziniertem Tonfall vorgebracht?
Dazu später mehr. Unbestritten jedenfalls ist, dass Faktoren wie der
Verkauf von blogger.com an den Suchmaschinenriesen google.com und
die erste auf Bezahlung basierende weblog-Community twoday.net (eine
Adaption von antville.org und ebenso wie diese in Wien lokalisiert) einen
markanten Wandel in der Wahrnehmung von weblogs verdeutlicht, der
sich vermutlich schon seit längerem vollzieht. Am besten ist das wohl an
den Klischees derer, die da bloggen, aufzumachen: Bezieht sich das
„alte“ Klischee auf die nerds und die verkrachten Existenzen, die ihren
Genuss daraus beziehen, ihren Seelenstriptease im Netz zu publizieren,
so das „neue“ auf eine angebliche Schicht erfolgreicher, straighter
JungunternehmerInnen (nennen wir sie, in polemischer Absicht, die „IchAGs“, ohne aber den brutalen politischen Hintergrund dieser Wortkreation
zu vergessen).
Halböffentlichkeit
So transformiert sich das Bloggen in der allgemeinen Wahrnehmung zu
einem wichtigen Instrument der „immateriellen Arbeiter“, die vor allem
eines tagtäglich nachdrücklich zu beweisen haben: ihre je
kommunikative, intellektuelle, technische Kompetenz. Daraus entspringt,
neben den oben genannten Kompetenzbeweisen, noch ein ganz
persönlicher Vorteil: das Erreichen einer Halböffentlichkeit, die die ganz
persönliche Nutznießung an der „kollektiven Lebenskraft“ (Christoph
Türcke) bedeutet.
Die theoretische Möglichkeit, dank der vernetzten Struktur des Internets
eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, ist immer eingeschränkt durch den
Umstand, dass Aufmerksamkeit erregt werden will und vor allem: dass
sie für einen singulären Knoten im Netz konstant gesteigert werden muss,
zumindest aber aufrecht erhalten. Dem gemäß schaffen es nur wenige,
wirklich in die Aura einer vielbesuchten weblog-Site zu kommen: So wird
zum Beispiel in deutschsprachigen Medien zuallererst auf den
Schockwellenreiter verwiesen. Warum? Die Gründe sind kontingent,
hinreichende Erklärung gibt es nicht, die Site selbst ist sicher nicht besser
als andere.
Die erwähnte Halböffentlichkeit konstituiert sich, wenn weblogs zu
Kommentaren reizen. Zunächst einmal nur dadurch, dass das weblog
regelmäßig besucht wird. Eine kleine Schar, manchmal auch eine ganz
schön große, von Fans entsteht, weil sie die Offenbarungen, Pointen,
Berichte etc. gut, befriedigend, provokant findet. In einem weiteren
Schritt – diese Möglichkeit wird bei neueren weblog-Servern bereits voll
ausgenutzt – ist es dann auch erwünscht, Kommentare direkt abzugeben.
Tobias Schäfer hebt hervor, dass die neue Generation an weblog-Servern
(wie antville.org) umfassendere Gestaltungsmöglichkeiten mit einfacher
Bedienung vereinigen. Unter diesen erleichterten Bedingungen entstehen
kleine Diskussionen, zuweilen konstituieren sich auch Lesekreise.
Damit ist nicht gesagt, dass die technische Möglichkeit selbst schon zu
dieser Form von Halböffentlichkeit, von „digitaler Biedermeier-Kultur“
führt. Erst eine bestimmte Dynamik, die weblog-Technologie zu
vereinnahmen und auch in eine bestimmte Richtung weiterzuentwickeln
und auszureizen. Diese Dynamik liegt aber mit Sicherheit jenseits des
Internets, auch wenn sie viel damit zu tun hat. Auch nicht gesagt sein
soll, dass Formen der persönlichen Vermittlung und erst recht der (mikrobis makro-) politischen Äußerung, die durchs weblog enorm erleichtert
werden, dadurch in Abrede gestellt sind. Allenfalls eine Einschränkung
ließe sich eröffnen: die Technologie ist immer nur so gut, wie der Inhalt,
in dessen Dienst sie gestellt wird. Ein zentrales Problem haben zunächst
natürlich alle weblogs (und das ist zugleich das Gegenstück zur
biedermeierschen Halböffentlichkeit): sie hängen an einem weiteren
Spezifikum der kommunikationstechnisch revolutionierten und komplett
durchkapitalisierten Welt, nämlich der Aufmerksamkeit.
Sensation
In der „Gesellschaft der Sensationen“, die Christoph Türcke in seinem
jüngsten Buch ausgerufen hat, kommt ein philosophischer Satz, der über
Jahrhunderte widerlegt worden ist, zu seiner paradoxen Berechtigung:
esse et percipi (Sein ist Wahrgenommenwerden). Türcke nennt die
aktuelle mediale Präsenz „ätherische Realität“, eine „Realpräsenz mit
derart gewaltiger Wirkung, dass man leicht darüber vergisst, wie
phantomhaft sie andererseits ist – in bestimmter Hinsicht nicht mehr als
Spuk.“ Fällt sie aber einmal aus (hier ganz ihrer technischen Bedingung
verpflichtet), dann ist der Teufel los. Es „treten vitale
Entzugserscheinungen auf, als wären die Betroffenen vom Tropf
abgesetzt. (...) Wer nicht sendet, ist nicht, heißt: Er mag physisch noch so
lebendig sein, beste Blutwerte haben: medial ist er tot.“ Zurück bei der
Sucht.
Mögen Türckes Argumente auch zu spekulativ, bei der Erklärung der
„Transformation der Kulturindustrie“ zu sehr diesem Terminus verpflichtet
bleiben: ganz abwegig scheint es nicht, dass das weblog nicht nur
Permutation ist, sondern besondere Eigenschaften zur wesentlichen
Permutation ist, sondern besondere Eigenschaften zur wesentlichen
medialen Hin- und Zurichtung ihrer BenutzerInnen besitzt. Ansonsten
könnte ein in groben Zügen technisch wie kommunikativ bereits
altbekanntes Mittel nicht derartige Euphorie über die Grenzen der
Wissenschaften, der Technik und der hinweg hervorrufen.
In diesem Verständnis sind weblogs eine bloße Weiterentwicklung und
qualitativ doch etwas Neues. Ihr hype, ihre Verbreitung entspringt dem
Bedürfnis nach Aufmerksamkeit in einer individualisierten Gesellschaft:
sie ermöglichen schnell, den Aufmerksamkeitsreiz herzustellen, sich
selbst als Produkt zu bewerben oder zumindest durch besonders brutale
Offenherzigkeit o.ä. zu punkten. Weblogs sind Kristallisations- und
Ausgangspunkt einer enormen Erhöhung von Sensationsgier und
Selbstdarstellungsdrang, die durch das Internet selbst schon in neue
Sphären gehoben wurden. Sie vermitteln nicht nur beinahe ebenso
schnell wie newsgroups und mails Informationen weiter, sondern
verleihen diesen noch eine exklusive (ästhetische) Note. Eine Steuerung,
wie viel Aufmerksamkeit erreicht werden kann, geben sie freilich nicht in
die Hand – Die Steuerung erfolgt nach Wertkriterien, die jenseits von
Netztechnologie und -kultur liegen.
Abschließend
Mit der folgenden Diskussion sollen nicht einzelne Bewertungen, was
weblogs bedeuten können, im Vordergrund stehen, sondern der Aspekt,
einen Überblick über verschiedene Bewegungen und Nutzungsformen des
Bloggens zu geben, die weit über das hier Angedachte hinausgehen und
dieses auch widerlegen.
Bisher erschienene Beiträge:
Teile 1, 2 und 3 des Interviews mit blogtalk.net-Initiator Thomas N. Burg.
"Weblog ade" - mallory schreibt über ihren Weblog-Frust.
Representing Reality - Agnieszka Dzierzbicka nutzt "Rons Weblog" zu
einigen allgemeinen Reflexionen.
Interview mit Marcus Hammerschmitt.
Wolfgang Zeglovits beleuchtet die nächste Zukunft der Weblog-Software Quo vadis, Weblog?
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autorI n und feedbac k : T homas König