Vorwort: Was will dieses Buch? - Kohlhammer

© 2007 W. Kohlhammer, Stuttgart
Vorwort: Was will dieses Buch?
Dieses Buch stellt den „Bibliolog“ vor: eine in Deutschland noch recht junge
Methode, mit einer Gruppe, Gemeinde oder Schulklasse gemeinsam einen biblischen Text auszulegen. Kennengelernt habe ich sie von dem US-Amerikaner Peter Pitzele, der sie vor dem Hintergrund seiner psychodramatischen und literaturwissenschaftlichen Kenntnisse auf der Suche nach einem neuen Zugang zu
den alten Texten der Bibel entwickelt hat. Peter Pitzele ist Jude und versteht
Bibliolog als modernen Midrasch: Wie in der traditionellen jüdischen Auslegungsweise werden auch im Bibliolog biblische Texte dadurch ausgelegt, dass
die „Zwischenräume“ im Text – das, was der Text nur andeutet, aber nicht ausdrücklich sagt – erzählend, kreativ und inspiriert von eigenen Erfahrungen gefüllt werden. Anders als beim Bibliodrama ist der Bibliolog jedoch auch mit großen Gruppen und in kurzen Zeiträumen möglich. Er passt sich in die „ganz normalen“ kirchlichen Handlungsfelder ein, ist also gut in der Jugendarbeit, in
Frauen- oder Seniorengruppen, im Konfirmationsunterricht oder Schulunterricht
einsetzbar, aber auch im Gottesdienst als „Predigt mit der ganzen Gemeinde“.
Peter Pitzele hat seine Methode in englischer Sprache in dem Buch „Scripture
Windows“ beschrieben und mit diversen Beispielen aus seiner Praxis illustriert.¼
Nachdem Bibliolog seit einigen Jahren auch im deutschen Sprachraum großes
Interesse findet, scheint es an der Zeit, Bibliolog in einem Buch in deutscher
Sprache darzustellen und seinen Charakter, seine Techniken und Möglichkeiten
zu beschreiben. Manches stellt sich im europäischen Raum auch anders dar als
im nordamerikanischen, zumal in Deutschland viele Menschen mit dem – dem
Bibliolog verwandten – Bibliodrama vertraut sind. Eine gewisse „Grundform“
von Bibliolog im Spektrum der diversen Möglichkeiten, die dieser Zugang bietet, hat sich mittlerweile als sinnvoll für einen ersten Zugang herausgebildet.
Während Peter Pitzele kürzere und längere Formen eher ineinander übergehen
lässt und sich aus seiner langjährigen Erfahrung und geschulten Intuition heraus
spontan für bestimmte methodische Schritte entscheidet, hat sich im Rahmen der
Fortbildungen rasch gezeigt, dass es für das Erlernen der Arbeit mit dem Bibliolog sinnvoll ist, zunächst von der Grundform auszugehen und diese später um
andere Formen zu erweitern. Dies entspricht einerseits der typischen Systematisierung, mit der neue Ideen sinnvoll in größerem Rahmen an andere weitergegeben werden. Andererseits wird in dieser Form das Neue, was Bibliolog gegenüber dem in Europa wesentlich bekannteren Bibliodrama bietet, besonders deutlich. Nicht zuletzt ist diese Grundform gut im Gottesdienst durchführbar, was im
Moment in Europa besonders starkes Interesse findet.
Insofern liegt in diesem Buch der Schwerpunkt auf der Grundform von Bibliolog, die mit großen Gruppen und in relativ kurzer Zeit durchführbar ist. In Kapitel 3 werden jedoch auch weiterführende Formen geschildert, die vermutlich be¼
Vgl. Peter A. Pitzele, Scripture Windows. Toward a Practice of Bibliodrama, Los Angeles
1998.
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sonders für Menschen, die sonst bibliodramatisch arbeiten, oder aber nach längerer Erfahrung mit der Grundform von Bibliolog von besonderem Interesse sind.
Der Inhalt des Buches entspricht damit dem Charakter der Bibliolog-Fortbildungen, in denen die Methode gelernt werden kann. Und damit bin ich auch bei
einem Problem des Buches: Das Buch könnte dazu verführen, nach seiner Lektüre die Methode „einfach mal auszuprobieren“ und zu praktizieren, ohne eine
Fortbildung besucht zu haben. Davon rate ich nachdrücklich ab – im Interesse
der Methode und auch der Schulklassen, Gruppen oder Gemeinden. Bibliolog
kann zwar auf den ersten Blick für Menschen, die mit Gruppen und/oder kreativen Zugängen zu biblischen Texten arbeiten, als leicht zugänglich und unmittelbar anwendbar erscheinen. Die Erfahrungen in den Fortbildungen zeigen jedoch,
dass sich die Komplexität der Methode und die Bedeutung von Details für ihr
Gelingen oft erst in der intensiven Beschäftigung mit ihr erschließen. Sich dieser
Methode im Rahmen einer Fortbildung eingehend zu widmen, lohnt sich um der
Qualität willen, mit der man sie dann einsetzt, außerordentlich – zumal sie in der
Regel (gerade für Menschen mit entsprechenden Vorerfahrungen) in einer Woche so zu erlernen ist, dass man verantwortlich mit ihr arbeiten kann. Insofern ist
der Aufwand für eine vielfältig einsetzbare und das Gemeindeleben und den Religionsunterricht sehr bereichernde Methode eher gering und wird in den Fortbildungen immer wieder als sehr sinnvoll bestätigt. Das Buch ist daher als Begleitung für eine solche Fortbildung, zum späteren Nachschlagen, aber auch als erster Einblick und Information geschrieben.
Ein Wort zu mir als Autorin: Ich habe Bibliolog in mehreren Workshops seit
1999 von Peter Pitzele kennengelernt und stehe seitdem in einem engen Kontakt
mit ihm. Seit 2004 bilde ich in der Methode aus und habe dabei das Fortbildungskonzept entworfen und in den Kursen weiterentwickelt, das die oben genannte Systematisierung vornimmt und Bibliolog auf den europäischen Kontext
bezieht und dem dieses Buch folgt. In vielen unterschiedlichen Gruppen und
Kontexten und nicht zuletzt in den Fortbildungen habe ich seitdem erlebt, dass
Menschen sich als Teilnehmende und als Durchführende von dieser Methode
angesprochen fühlen und sie als Bereicherung erleben. Über das große Interesse
am Bibliolog, das sich in ständig wachsenden Anfragen nach Fortbildungen niederschlägt, freue ich mich sehr. Es ist mir ein Anliegen, Bibliolog zu verbreiten
und möglichst vielen Menschen über diese Methode einen lebendigen Zugang
zur Bibel zu eröffnen. Da ich vom Bibliodrama herkomme und nach wie vor
selbst bibliodramatisch arbeite, liegt mir zudem an einer sinnvollen gegenseitigen Ergänzung der beiden methodischen Zugänge, aber auch an ihrer Unterscheidung im Sinne von Klarheit und Redlichkeit.
Um einen Eindruck von der Vielfalt der Verwendbarkeit von Bibliolog, aber
auch von den unterschiedlichen Stilen im Umgang mit dieser Methode zu vermitteln, kommen in Kapitel 5 unterschiedliche Menschen zu Wort, die ihre Arbeit mit dem Bibliolog in einem bestimmten Handlungsfeld vorstellen.
Viele Menschen sind direkt oder indirekt an der Entstehung des Buches beteiligt.
Danken möchte ich zunächst allen, mit denen ich Bibliolog erlebt und praktiziert
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habe – sie haben mich mit ihren Entdeckungen und Sichtweisen bereichert und
mir gezeigt, dass diese Methode ein guter Weg ist, biblische Geschichten als lebendig und bedeutsam für das eigene Leben zu erfahren. Besonders danke ich allen, die bei Bibliolog-Fortbildungen oder Einführungstagen neugierige und kritische Fragen gestellt haben, viele davon werden sie in diesem Buch wiederentdecken. Danken möchte ich auch allen, die sich spontan (und teilweise recht kurzfristig) bereiterklärt haben, ihre Erfahrungen mit Bibliolog in einem bestimmten
Handlungsfeld für dieses Buch zur Verfügung zu stellen. Als erste Leserinnen
und Leser haben Maria Elisabeth Aigner, Maike Lauther-Pohl, Stephan PohlPatalong und Jens Uhlendorf aus unterschiedlichen Perspektiven hilfreiche Verbesserungsvorschläge beigesteuert. Iris Weiss danke ich für ihren konstruktivkritischen Blick aus jüdischer Perspektive, Cornelia Blum und Lydia Martin für
ihre Übersetzungshilfe, Reimer und Reinhild Pohl für ein gründliches Korrekturlesen und Ines Mergenhagen für Layout und Satz. Besonders aber danke ich Peter und Susan Pitzele – für ihre wunderbare Freundschaft, für ihre großzügige
Bereitschaft, ihre Entdeckungen weiterzugeben und mit allen neugierigen und offenen Menschen zu teilen – und für das Geschenk des Bibliologs, das sie uns in
Europa gemacht haben!
Hamburg 2005, Uta Pohl-Patalong
Dass das Buch bereits nach eineinhalb Jahren eine zweite Auflage erlebt, freut
mich außerordentlich. Es zeigt, dass Bibliolog in kurzer Zeit – erst 2004 fand die
erste Fortbildung in deutscher Sprache statt! – im deutschsprachigen Raum „angekommen“ ist und großes Interesse findet. 30 Grundkurse haben bisher stattgefunden, fast alle mit maximaler Teilnehmendenzahl, und jedes Jahr werden es
mehr. Nachdem Bibliolog sich zunächst eher über evangelische Einrichtungen
verbreitet hat, findet er jetzt auch im katholischen Bereich großes Interesse und
erfreulicherweise mittlerweile auch im jüdischen Kontext. Er überwindet offensichtlich mühelos nationale Grenzen: Auch in Österreich, der Schweiz, Dänemark und Belgien fanden Bibliolog-Kurse statt oder sind geplant. Durchweg erleben Menschen in den Fortbildungen und dann auch in den Gemeinden, Gruppen und Schulklassen Bibliolog als einen enorm bereichernden Weg, biblische
Texte als lebendig und aussagekräftig für heute zu erfahren. Gleichzeitig ist Bibliolog weit mehr ist als eine Methode, sondern verändert den Umgang mit den
biblischen Texten ebenso wie den Umgang miteinander. Der Respekt und die
Wertschätzung den Texten und den Menschen gegenüber ist dem Bibliolog eigen
und wirkt über den unmittelbaren Moment des Bibliologs hinaus.
Solch eine Methode weitergeben zu dürfen, macht schlicht Freude. Dafür bin ich
dankbar, und nicht zuletzt auch deshalb, dass wir dies mit dem Segen von Peter
und Susan Pitzele tun dürfen. Möge die zweite Auflage dazu beitragen, Bibliolog
noch weiter zu verbreiten!
Hamburg 2007, Uta Pohl-Patalong