Mord? Totschlag? Oder was? - Militzke Verlag

 Ernst Reuß Mord? Totschlag? Oder was? Bizarres aus Deutschlands Strafgerichten © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe
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© Militzke Verlag GmbH, Leipzig 2014
Lektorat: Caren Fuhrmann
Umschlaggestaltung: Ralf Thielicke, unter Verwendung eines Fotos
von MACIEJ NOSKOWSKI / istockphoto
Layout und Satz: Ralf Thielicke
Schrift: ITC Legacy Serif
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
ISBN: 978-3-86189-868-9 (Buch)
ISBN: 978-3-86189-966-2 (E-Book)
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Inhalt
Vorwort6
Einleitung8
10
Der Sirius-Fall
Staschynskij23
40
Der Katzenkönig
Der Kannibale von Rotenburg
51
67
Die irrenden Mörder
Der Rose-Rosahl-Fall
67
Der Hoferbenfall
76
79
Psycho Killer
Die Ehre der Familie S.
100
Komatrinken110
Die Zivilcourage des Dominik B.
128
Tod einer Künstlerin
145
Verbrannt163
Die Kindsmörderin
184
198
Der Darkroom-Mörder
Anhang220
Abkürzungen220
Wichtige Quellen 220
Gesetzestexte220
Auszüge aus dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik ­
Deutschland220
Auszug aus dem Jugendgerichtsgesetz
224
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Vorwort
Man könnte meinen, Mord und Totschlag boomen – in den Buchhandlungen stehen regalweise Krimis zur Auswahl und auf den
Fernsehkanälen gibt es täglich duzende Filmleichen zu sehen. Meist
geht es um Verbrechen, Motive und Ermittlungen. Am Ende steht in
der Regel der Erfolg, der Täter ist gefasst. Abspann. Buch zu.
Das vorliegende Buch „Mord? Totschlag? Oder was?“ nimmt sich
des Themas der Strafverfolgung und Tatbewertung an. Es macht
auf eindrucksvolle Weise deutlich, worin bei Straftatbeständen mit
Todesfolge die Probleme in der Abgrenzung liegen. Wann wird ein
Täter für Mord oder Totschlag oder was auch immer bestraft – und
warum? Worin liegen die Schwierigkeiten für ein Gericht, dies zu
entscheiden? Manches Urteil wird dem Leser oder der Leserin skurril vorkommen. Oder wenig nachvollziehbar.
Mord und Totschlag sind im juristischen Studium Kernbestandteile. Die Abgrenzung zwischen beiden, die immer wieder debattierte Frage, ob es sich um eigenständige Straftatbestände oder beim
Mord um eine Qualifizierung des Totschlages handelt, ist im Studium Gegenstand von Hausarbeiten und Klausuren.
Das Buch erscheint in einer Zeit, wo Bewegung in die Debatte um
Mord und Totschlag gekommen ist. Möglicherweise ist es in nicht
allzu ferner Zeit eher eine Geschichtslektüre. Die schleswig-holsteinische Justizministerin Anke Spoorendonk stieß Ende 2013 eine
­Debatte um die sprachliche Bereinigung der Tötungsdelikte an. Der
jetzige Bundesminister für Justiz- und Verbraucherschutz, Heiko
Maas, hat nunmehr eine Kommission einberufen, die einen Vorschlag für die Neuformulierung der Definition der Tötungsdelikte
vorlegen soll.
Worin liegt eigentlich das Problem? Die bis heute gültige Formulierung des Mordparagraphen im Deutschen Strafgesetzbuch (§ 211 StGB) stammt aus dem Jahr 1941. Der Mordparagraph enthält sogenannte Gesinnungsmerkmale, beispielsweise die „niedrigen Beweg6
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gründe“ oder die „Heimtücke“. Es wird nicht eine Tat bestraft, nämlich das Töten eines Menschen, sondern die Tatbegehung. Und ob es
dann Mord oder Totschlag ist, das hängt davon ab, wie Richterinnen und Richter die Gesinnungsmerkmale auslegen. Es obliegt ­ihrer
subjektiv-moralischen Bewertung, ob die Tatbegehung eine aus „nie­
drigen Beweggründen“ oder aus „Heimtücke“ ist oder nicht. Das
nennt sich Täterstrafrecht, weil ein Täterbild bestraft wird.
Das deutsche Strafrecht ist aber ein Tatstrafrecht, eben weil eine
Tat bestraft werden soll. Die Kuriosität des Täterstrafrechts besteht
zum Beispiel darin, dass eine Frau, die ihren körperlich überlegenen
Mann – nachdem er sie jahrelang geschlagen hat – im Schlaf erstickt, wegen heimtückischen Mordes verurteilt werden muss. Der
Mann hingegen, der seine Frau totprügelt, kann mit einer Verurteilung wegen Totschlags rechnen. Sie bekommt eine lebenslängliche
Freiheitsstrafe, er bekommt eine zeitige Freiheitsstrafe. Klingt nicht
nur ungerecht, das ist auch ungerecht.
In verschiedenen Büchern und Schriften finden sich eindeutige
Hinweise darauf, dass die Formulierung des Mordparagraphen an
die sogenannte Tätertypenlehre der NS-Zeit anknüpft. Diese stellt
bei der Formulierung von Straftatbeständen nicht auf konkrete
Handlungen ab, sondern umschreibt Tätertypen. Deshalb finden
sich Formulierungen im Strafgesetzbuch wie „Mörder ist, wer …“.
Das vorliegende Buch ist nicht vordergründig politisch. Es fällt
aber in eine hochpolitische Zeit. In eine Zeit, wo es nach vielen ­Jahren
Debatte tatsächlich möglich erscheint, dass die Gesetze zu Tötungsdelikten neu gefasst werden. Das ist längst überfällig.
Dieses Buch ist nicht nur für Insider oder angehende Juristen
lesenswert, sondern wegen der anschaulichen Kommentierung des
Autors auch für den juristischen Laien verständlich. Möge es die
fachliche Debatte bereichern und beim Laien dafür Verständnis
wecken.
Halina Wawzyniak
Berlin, 1. Juli 2014
Mitglied des Rechtsausschusses des Bundestages
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Einleitung
Es muss wohl Mitte der 1990er Jahre gewesen sein, als ich das erste
Mal vom Sirius-Fall hörte, während einer Strafrechtsvorlesung in
meinen Anfangssemestern an der Universität. Ein Mann hatte seine
Bekannte überredet sich umzubringen, damit sie mit ihm, ohne
­ihren dafür hinderlichen Körper, zum Planeten Sirius reisen kann,
um dort eine gemeinsame glückliche Zukunft haben zu können.
Mich elektrisierte dieser Fall sofort. Wie konnte so etwas Absurdes geschehen? Als angehenden Juristen interessierte mich natürlich noch mehr, ob man jemanden wegen solch einer Tat juristisch
belangen könnte. Ein Selbstmord ist nun mal nicht strafbar.
Häufig wurde ich gefragt, wie ich so etwas „Trockenes“ wie Jura
studieren könnte. Ich konterte gern, indem ich einen solch grotesken Fall schilderte. Meist erntete ich von meinen Zuhörern ein verwundertes Kopfschütteln und die Bemerkung, warum sie noch nie
davon gehört hätten.
Schon damals hatte ich die vage Idee, eines Tages diese Geschichten aufzuarbeiten. Es gibt vermutlich ein breites Publikum, das sich
für derartig merkwürdige und juristisch brisante Fälle interessiert.
Nun endlich erscheint eine Auswahl davon in Buchform.
„Mord? Totschlag? Oder was?“ ist ein Buch über ältere und jüngere
Strafrechtsfälle, die für den Bereich Mord und Totschlag exemplarisch sind. Wie der Auslöser des Ganzen, der Sirius-Fall, haben auch
alle folgenden Fälle eine besondere juristische Eigentümlichkeit.
Warum wird jemand als Mörder verurteilt? Warum ein anderer
„nur“ als Totschläger?
Mordmerkmale wie „Habgier“, „niedrige Beweggründe“, „Heimtücke“, „Mordlust“ und „Grausamkeit“ spielen in den Urteilen, und
deshalb natürlich auch in diesem Buch, eine große Rolle. Vielleicht
wird von diesen Mordmerkmalen bald nur noch in den Geschichtsbüchern die Rede sein. Eine Gesetzesänderung zur Neuregelung der
Straftatbestände Mord und Totschlag ist in Vorbereitung.
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Bei den geschilderten Sachverhalten handelt es sich um tragische, skurrile und außergewöhnliche Tatbestände. Bizarr, so lassen
sich die meisten dieser Fälle am ehesten beschreiben. Da bringt
­beispielsweise ein Täter allein und eigenhändig mehrere Menschen
um – und wird trotzdem nur als Gehilfe verurteilt. Wie kann so
­etwas sein? Einem anderen Täter wird eingeredet, dass ein „Katzenkönig“ existiert, der die gesamte Menschheit bedroht, falls er ihn
nicht durch den Opfertod einer Frau besänftigen würde. Wie irrsinnig ist das denn? Jemand bringt einen ihm vollkommen Fremden
um und zerstückelt seine Leiche. Wo bleibt das Motiv? Ein Mann
verbrennt seine eigenen Kinder, eine Frau tötet fünf ihrer Kinder
sofort nach der Geburt. Schrecklich, unbegreiflich – aber was sind
die Hintergründe solcher Taten? Jemand trinkt sich zu Tode und
sein Zechpartner wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Wie kann das denn sein? Ein bis dahin unbescholtener
Grundschullehrer ­vergiftet mehrere seiner Sexualpartner. Warum?
Es geht um „Totschlag auf Verlangen“, Kannibalismus, Ehrenmord
und andere juristisch schwer zu fassende Tatbestände.
Die Recherche zu den Fällen war nicht immer einfach und so
manches Gericht weigerte sich, die Urteile zugänglich zu machen.
Ergänzend zu den Informationen aus den Medien ist es mir ge­
lungen, auch andere juristische Quellen auszuwerten und damit
Urteilsbegründungen kritisch zu erläutern, um beim Leser ein tieferes Verständnis dafür zu wecken, welche Abwägungskriterien bei
solchen Urteilen eine Rolle spielen.
So ist ein Buch entstanden, das sowohl das juristisch interessierte
Publikum anspricht als auch den aus dem Bauch heraus urteilenden
Laien, den es brennend interessiert, warum ein Gerichtsurteil genau
so ausgefallen ist, wie er es aus Zeitungen oder anderen Medien erfahren hat.
Mitunter gehen die Tateinzelheiten allerdings über das allgemein
Erträgliche hinaus. Die Details wurden jedoch nur insoweit wiedergegeben, wie das zur Erläuterung der juristischen Wertung notwendig war.
Ernst Reuß
Berlin, September 2014
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Der Sirius-Fall
Lag ein versuchter Mord vor?
Vor dieser äußerst kniffligen Frage stand im Juli 1983 der erste
Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Im Juristendeutsch
lautet das Problem, über das das Gericht zu urteilen hatte:
„Abgrenzung von strafbarer Tötungstäterschaft und strafloser
Selbsttötungsteilnahme in Fällen, in denen der Suizident durch
Täuschung zur Vornahme der Tötungshandlung bewogen wird.“
Was war geschehen?
Das Landgericht Baden-Baden hatte am 3. November 1982 in einem
fünftägigen Prozess den zu diesem Zeitpunkt 35-jährigen An­ge­klag­
ten Fred G. – Mitinhaber eines Galvanobetriebes in Bayern – wegen
versuchten Mordes, wegen Betruges, wegen vorsätzlicher Körper­
verletzung, wegen unbefugten Führens akademischer Grade und
wegen eines Vergehens gegen das Heilpraktikergesetz zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Dagegen hatte Fred G. – beziehungsweise
dessen Anwalt – Revision eingelegt.
G. soll „einen Suizidenten“ dazu überredet haben sich selbst umzubringen. Abgesehen davon, dass es sich bei „dem Suizidenten“ um
eine Frau namens Heidrun T. handelte, mit der Fred G. seit mehreren Jahren eng befreundet gewesen war, und ein Selbstmord möglicherweise moralisch verwerflich beziehungsweise aus religiösen
Gründen nicht erlaubt sein mag, ist eine solche Tat nach unserem
Strafgesetzbuch definitiv nicht strafbar. Für sein eigenes Leben ist
jeder immer noch selbst verantwortlich.
Es war also die Frage zu klären, ob man wegen massiver Beeinflussung eines Selbstmordkandidaten als Mörder verurteilt werden
kann. Genau das versuchte das Gericht zu klären.
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Weil der Selbstmordversuch der damals 29-Jährigen am 1. Januar
1980 erfreulicherweise nicht klappte, blieb es allerdings lediglich
bei einer Anklage wegen versuchten Mordes.
Kann man also jemanden wegen des Selbstmordversuches eines
anderen verurteilen?
Doch eher nicht, oder?
Anstiftung zu einem Selbstmord ist nicht strafbar, denn wer zu
einer straflosen Tat anstiftet, kann deswegen nicht verurteilt werden.
Klingt einfach. Aber dieser Fall war speziell.
Ein vollkommen wirres Knäuel nicht nachvollziehbarer Phantastereien und menschlicher Abgründe wurde – der Revision wegen – erneut einem Gericht vorgelegt. Der Bundesgerichtshof hatte
die schwierige Aufgabe darüber zu entscheiden, ob wirklich ein versuchter Mord vorlag, wie das Landgericht Baden-Baden zuvor geurteilt hatte. Folgendes war geschehen:
Anfang der 70er Jahre lernte der Angeklagte in einer Diskothek in
der Nähe von Aalen die vier Jahre jüngere Heidrun T. kennen. Diese
war laut Schilderung von Zeugen damals noch eine unselbstständige junge Frau von Anfang 20 und wohl ziemlich komplexbeladen.
Der anscheinend umwerfende Charmeur Fred G. hatte sich als Heilpraktiker, Privatdozent und Doktor der Psychologie vorgestellt.
Heidrun war stark beeindruckt von seinen Hochstapeleien und
­verliebte sich heftig, obwohl sie gewiss war, dass ihre Liebe von diesem aus ihrer Sicht großen, weisen, aber mit anderen Frauen liierten
und daher unerreichbaren Mann nicht erwidert werden konnte. So
entwickelte sich eine äußerst intensive, aber doch nur platonische
Freund­schaft.
Man diskutierte sich hauptsächlich die Köpfe heiß.
Die Gespräche gingen meist um Psychologie und Philosophie.
Fred – der angeblich promovierte Psychologe – wusste einfach auf
alles eine Antwort. Die ausgebildete Chefsekretärin Heidrun T., die
inzwischen zu einer Tageszeitung nach Bonn gegangen war, befand
sich in einer Selbstfindungsphase und war gerade dabei den Sinn
des Lebens zu ergründen. Fred G. stand ihr zur Seite. Da sie nicht in
derselben Ortschaft wohnten, wurden diese Diskussionen oft in
mehrere Stunden dauernden Telefongesprächen geführt.
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Laut Auffassung des Landesgerichtes Baden-Baden wurde Fred G.
für Heidrun T. im Laufe der Zeit zum Lehrer und Berater in allen
Lebensfragen. Sie vertraute und glaubte ihm blindlings. Er war immer für sie da.
Zumindest telefonisch!
1978 verließ sie schließlich Bonn und zog in eine Fred gehörende
Eigentumswohnung in die Nähe von Baden-Baden.
Die Nähe zwischen ihr und ihrem Freund in allen Lebenslagen
nahm noch zu. Ihre Abhängigkeiten und ihre persönlichen Probleme allerdings auch. Fred wusste natürlich Rat, auch wenn der sich
letztendlich als teuer herausstellen sollte.
Damit sie ihre Probleme überwinden könne, meinte G., benötige
sie einer geistigen und philosophischen Weiterentwicklung. Einer
vollkommenen Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Dazu bedürfe es
natürlich größter geistiger Anstrengungen, zu denen selbst er – der
große Lehrmeister Fred G. – nicht in der Lage sei. Er könne allerdings Hilfe anbieten, denn er kenne einen Mönch namens „Uliko
vom Volke der Dogen“.
Der wäre ein noch größerer Lehrmeister als er selbst. Er würde für
sie meditieren, was allerdings nicht ganz billig wäre, denn das Kloster, in dem dieser leben würde, brauche Geld. Sehr viel Geld selbstredend! Das verstand Heidrun.
Im guten Glauben überreichte sie dem wahrscheinlich innerlich
glucksenden Fred G. einen Scheck. Sie hatte zuvor einen Bankkredit
aufgenommen.
Dass es sich bei „Uliko“ schlicht um ein Fantasieprodukt des Angeklagten handelte, braucht hier nicht näher dargelegt zu werden.
Dass Heidrun T. keine Zweifel an Fred hatte, muss auch nicht
­erläutert werden. Und dass Fred G. das ganze Geld mit dem ihm
­eige­nen Selbstverständnis seinem eigenen Konto gutschrei­ben ließ,
­sicherlich erst recht nicht!
Laut dem etwas trockenen Deutsch des Bundesgerichtshofs spielte
sich die Geschichte wie folgt ab:
„Als der Angeklagte erkannte, daß ihm die Zeugin vollen Glauben
schenkte, beschloß er, sich unter Ausnutzung dieses Vertrauens
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auf ihre Kosten zu bereichern. Er legte der Zeugin dar, sie könne
die Fähigkeit, nach ihrem Tode auf einem anderen Himmelskörper
weiterzuleben, dadurch erlangen, daß sich der ihm bekannte
Mönch Uliko für einige Zeit in totale Meditation versetze. ­Dadurch
werde es ihrem Körper möglich, während des Schlafes mehrere
Ebenen zu durchlaufen und dabei eine geistige ­Entwicklung durchzumachen. Dafür müßten allerdings an das Kloster, in dem der
Mönch lebe, 30.000 DM gezahlt werden.
Die Zeugin glaubte dem Angeklagten. Da sie nicht genügend Geld
besaß, beschaffte sie sich die geforderte Summe durch ­einen
Bankkredit.“
Deswegen wurde Fred G. dann auch später vom Landgericht
Baden-Baden zu Recht wegen Betrugs verurteilt.
So weit, so klar.
Aber versuchter Mord?
Es musste also noch mehr vorgefallen sein.
So war es auch. Mit ihrer geistigen Weiterentwicklung war Heidrun nicht ganz zufrieden, und das trotz der pünktlich übergebenen 30.000 DM. Der Erfolg der Meditation des Mönches „Uliko
vom Volke der Dogen“ stellte und stellte sich nicht ein. Heidrun
fühlte sich kein bisschen verändert. Die skurrile Geschichte ging
also weiter. Das Gericht stellte später fest:
„Sooft sich die Zeugin in den folgenden Monaten nach den Bemü­
hungen des Uliko erkundigte, vertröstete sie der Angeklagte.
Später erklärte er ihr, der Mönch habe sich bei ­seinen Versuchen
in große Gefahr begeben, gleichwohl aber ­keinen Erfolg erzielt,
weil ihr Bewußtsein eine starke Sperre ­gegen die geistige Weiterentwicklung aufbaue. Der Grund dafür liege im Körper der Zeugin;
die Blockade könne nur durch die Vernichtung des alten und die
Beschaffung eines neuen ­Körpers beseitigt werden.“
Aha! Heidrun T. war also selbst schuld! Ihr Körper war ihr im
Weg. Ein Missgeschick, dem „leicht“ abgeholfen werden konnte!
Ganz schön dreist von unserem Angeklagten!
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Und ziemlich durchsichtig, doch die arglose Frau schöpfte keinen Verdacht. Sie war Fred G. vollkommen verfallen.
Eines Tages hatte Fred ihr in einem ihrer unzähligen esoterisch
angehauchten Gespräche überraschenderweise erzählt, dass er ja,
um ehrlich zu sein, eigentlich gar kein Mensch sei, sondern von
­einem fremden Stern stamme. Er sei Sirianer, also ein Bewohner des
weit, weit entfernten Sternes Sirius.
Vom Sirius?
Ja!
Und Heidrun T., der offensichtlich keine von Freds Storys zu
­a lbern war, glaubte ihm unvorstellbarerweise tatsächlich auch diese
Geschichte.
Fred G. erzählte ihr in den folgenden Tagen einiges von „seinem“
Planeten. Unter anderem berichtete er davon, dass die Sirianer eine
Rasse seien, die philosophisch auf einer weit höheren Stufe stehen
als die Menschen und er deswegen zur Erde gesandt worden sei, weil
er den Auftrag habe, es einigen besonders brillanten Menschen zu
­ermöglichen auf dem Sirius weiterzuleben. Selbstverständlich gehörte auch die leichtgläubige aber geschmeichelte Heidrun T. zu
dieser Elite. Freilich gab es ein klitzekleines Problemchen. Ein Weiterleben auf dem Sirius sei erst nach dem völligen Zerfall des eigenen Körpers möglich.
Ihr Körper war also erneut im Weg, denn nur mit ihrer Seele
könne sie auf einem fremden Planeten und natürlich auch auf dem
Sirius weiterleben.
Nun hatte Fred G. offensichtlich „Blut geleckt“. Voller Freude,
dass ihm die junge Frau auch diese völlig aberwitzige Münchhausengeschichte glaubte, fasste er einen perfiden Plan. Laut Bundesgerichtshof lautete der wie folgt:
„Der Angeklagte spiegelte ihr vor, in einem roten Raum am ­Genfer
See stehe für sie ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als
­Künst­lerin wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten
­Körper trenne.“
Heidrun T. sollte sich also „von ihrem Körper trennen“. Für
­Außenstehende schwer verständlich. Fred G. erklärte ihr auch noch,
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dass sie eine Lebensversicherung zu seinen Gunsten abschließen
solle.
Unglaublich, aber auch das schluckte das vertrauensselige Mädchen, denn es würde sich ja nicht wirklich umbringen, sondern sofort in einem neuen Körper aufwachen.
Dem Körper einer Künstlerin!
Auch in diesem neuen Leben bräuchte sie ja Geld, und Kunst ist
bekanntlich brotlos.
In welchen schillernden Farben Fred unserer leichtgläubigen Heidrun diesen neuen Körper vorher schilderte, geht aus dem Urteil
leider nicht hervor. Es muss auf jeden Fall sehr überzeugend gewesen sein. Heidrun T. glaubte ihrem Sirianer ohne den Hauch eines
Zweifels und ließ sich darauf ein, eine Lebensversicherung über
250.000 DM abzuschließen. Bei Unfalltod sollte sich die Summe auf
500.000 DM erhöhen. Daher musste der „Übergang in den neuen
Körper“ wie ein Unfall aussehen. Jemanden zum Selbstmord zu überreden, um dann auch noch davon finanziell zu profitieren – schon der
gesunde Menschenverstand findet es unverschämt habgierig, was
sich unser Fred hier ausgeklügelt hat!
Er allerdings schien nicht zu wissen, dass Habgier – neben Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Heimtücke, Grausamkeit,
Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln oder aus niedrigen Beweggründen – eines der Mordmerkmale im Sinne des § 211 StGB ist.
Eines davon genügt, um jemanden wegen Mordes zu verurteilen.
Fred G. hatte mit Sicherheit nicht mit einer Anklage wegen Mordes gerechnet.
Der Versicherungsschutz von Heidrun T. begann ab 1. Dezember
1979. Ihre monatliche Versicherungsprämie betrug 587,50 DM. Ein
ganz schöner Batzen Geld bei ihren Einkommensverhältnissen.
Aber bald wäre sie ja Künstlerin und die Versicherungsprämie wäre
dann hinfällig. Ihr konnte es zu diesem Zeitpunkt egal sein.
Heidrun T. bestimmte Fred G. zum Bezugsberechtigten und bereitete sich auf ihr neues Leben vor. Das Geld – so versprach Fred – werde
er ihr nach Auszahlung der Versicherungssumme nach dem Unfall –
den sie in Bälde erleiden würde – sofort überbringen.
Sie glaubte ihm, bedingungslos.
Vorab gab sie ihm schon ihre Ersparnisse in Höhe von 4.000 DM.
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„… weil sie, wie er ihr sagte, nach dem Erwachen am Genfer See
das Geld, das er ihr sofort überbringen werde, als ‚Startkapital‘
benötige. Die Auszahlung der Versicherungssumme könne sich
verzögern. Ihr ‚jetziges Leben‘ sollte die Zeugin nach einem ersten
Plan des Angeklagten durch einen vorgetäuschten Autounfall (…)
beenden.“
Beide gemeinsam fanden den günstigsten Platz für den Auto­
unfall: den Brückenpfeiler eines Autobahnzubringers. Der „Unfall“
sollte Weihnachten 1979 stattfinden. Heidrun war zu diesem Zeitpunkt gerade 28 Jahre alt.
Ihr Plan ging allerdings nicht sofort auf, denn tragischerweise
durchkreuzte Freds Ehefrau Heike den Plan, indem sie sich kurz
zuvor am 3. Dezember selbst erschoss. Fred hielt sich während des
Selbstmordes seiner Frau in der Wohnung auf und hatte wegen der
nachfolgenden Ermittlungen der Polizei erst einmal ganz andere
Probleme zu bewältigen. Es liefen Ermittlungen gegen ihn, denn
schon zuvor sollen Freundinnen von ihm auf recht dubiose Weise
ums Leben gekommen sein.
Ob seine Ehefrau Heike sich von ähnlichen Motiven wie Heidrun zu
ihrem Selbstmord leiten ließ, blieb im Dunkeln, obwohl deren Mutter im späteren Gerichtsprozess die Ansicht vertrat, dass nur Fred
an ihrem Tod schuldig sein konnte.
Doch dem G. war vorerst nichts nachzuweisen.
Fred bastelte aber schon bald wieder munter an seinen Plan, wie
sich Heidrun am besten selbst umbringen könnte. Beide nannten es
verniedlichend „Körpervernichtung“.
Da sich Fred und seine ihm hörige platonische Beziehung nicht
sicher waren, ob Heidrun bei einem Autounfall dann möglicherweise doch „nur“ schwer verletzt sein würde und die Familie seiner
gerade erst verstorbenen Ehefrau von den Plänen Wind bekommen
hatte, entschlossen sich die beiden es mit einem eingeschalteten
Fön in der Badewanne zu versuchen. Anfang der 80er Jahre war das
wohl noch eine sehr „angesagte“ Suizidart.
Mit einem Stromstoß in ein neues Leben – ein energischer Anschub für einen neuen Körper.
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So sollte es geschehen!
„Evakuieren“ nannte Fred das. Evakuieren auf den Planeten Sirius.
Weit, weit weg in ferne Galaxien sozusagen.
Zuvor sollte Heidrun – damit es auch wirklich nach einem Unfall
aussah – Wäsche waschen, einen Kuchen backen, eine Bekannte für
den Abend einladen und das Telefon neben die Badewanne stellen.
Fred gab telefonisch den Startschuss.
Das Gericht fährt in seiner Tatbestandsschilderung unnachahmlich fort:
„Auf Verlangen und nach des Anweisungen des Angeklagten versuchte die Zeugin, diesen Plan am 1. Januar 1980 in ihrer Wohnung
in Wildbad zu realisieren, nachdem sie zuvor, einer ­A nregung des
Angeklagten folgend, einige Dinge getan hatte, die darauf hin­deu­
ten sollten, daß sie ungewollt mitten aus dem Leben gerissen
­worden sei. Der tödliche Stromstoß blieb jedoch aus. Aus ‚technischen Gründen‘ verspürte die Zeugin nur ein Kribbeln am Körper,
als sie den Fön eintauchte.“
Blöd gelaufen! Doch Fred G. gab nicht auf! Er, der sich nach dem
Tod der Gattin diesmal nicht am Tatort eines Selbstmordes aufhalten wollte, wartete am Telefon auf das nahende Ende seiner Freundin und war hörbar überrascht, als Heidrun T. bei seinem Kontroll­
anruf den Hörer abnahm. Sie saß immer noch mit ihrem Fön in der
Badewanne und versuchte verzweifelt damit ihren Körper zu vernichten. Fred half ihr mehr oder weniger „uneigennützig“ dabei:
„Etwa drei Stunden lang gab er ihr in etwa zehn Telefongesprächen
Anweisungen zur Fortführung des Versuchs, aus dem ­Leben zu
scheiden. Dann nahm er von weiteren Bemühungen Abstand, weil
er sie für aussichtslos hielt.“
Nach stundenlangem erfolglosen Experimentieren also, doch noch
mittels Stromschlag in der Badewanne ihr Leben auszuhauchen,
stieg Heidrun aus dem – inzwischen wohl kalt gewordenen – Wasser
und ging vermutlich frustriert ins Bett. Fred hatte zuvor den Befehl
gegeben „Aufhören jetzt“, was sein Anwalt später in der Revision als
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Rücktritt von der geplanten Tat gewertet sehen wollte. Damit hatte
er allerdings keinen Erfolg.
Der Gutachter des TÜV Karlsruhe hatte im Prozess festgestellt,
dass Heidrun ihr Überleben einer Bauschlamperei zu verdanken
hatte, denn die Badewanne war nicht geerdet!
Möglicherweise wollte Heidrun T. im tiefsten Inneren ja denn doch
nicht aus dem jetzigen Leben scheiden? Weitere Versuche sich das
Leben zu nehmen – um auf dem Sirius weiter zu existieren – sind
nämlich nicht gerichtsbekannt.
Wie der Vorfall dann zur Polizei gelangte, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise hatte jemand aus der Familie von Freds Ehefrau gepetzt. Sie hatte ihrem Leben ja kurz zuvor mit einer Pistole
ein Ende gesetzt und wohl über Freds Pläne familienintern geplaudert. Jedenfalls hatte Heidrun bei einer ersten richterlichen Vernehmung im Februar 1980 noch wahrheitswidrig ausgesagt, dass nichts
dergleichen am 1. Januar 1980 geplant war.
Erst am 23. August 1980 ging Heidrun zur Polizei und brachte
damit den ganzen Fall ins Rollen. Aus welchen Motiven dies geschah, blieb im Dunkeln. Wahrscheinlich war es der jungen Frau
einfach unmöglich, die monatliche Versicherungsprämie von 587,50
DM zu zahlen, und sie plauderte ihre Problemlage aus.
Die Polizei ermittelte, doch das größere Problem hatte die Justiz.
Fred G. lachte sich wahrscheinlich erst einmal ins Fäustchen. Vielleicht war ihm auch ein bisschen mulmig zumute.
Aber ein Selbstmord ist nun mal nicht strafbar. Da beißt die Maus
keinen Faden ab!
Betrug? Okay! Ein gewisses Sümmchen hatte er sich von der
Heid­r un ergaunert.
Aber versuchter Mord?
Nein, da war er sich sicher!
Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Fred und warf der Kriminalpolizei einen „wüsten Amoklauf“ gegen seine Person vor und
titulierte den gegen ihn ermittelnden Kriminalbeamten frech als
„Zombiejäger“. Sein Anwalt trug vor, dass nur straflose Beteiligung
am versuchten Selbstmord in Betracht gezogen werden könnte. Das
war natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen.
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Da stand die Justiz erst mal da. Doch ein Mann mit solch großer
krimineller Energie und dieser dubiosen Vorgeschichte musste verurteilt werden. Straflos sollte so einer nicht ausgehen!
Das war doch zu dreist gewesen.
Das Gericht begründete:
„Die Zeugin handelte in völligem Vertrauen auf die Erklärungen des
Angeklagten. Sie ließ den Fön in der Hoffnung ins Wasser ­fallen,
sofort in einem neuen Körper zu erwachen. Der Gedanke an einen
‚Selbstmord im eigentlichen Sinn‘, durch den ‚ihr Leben für immer
beendet würde‘, kam ihr dabei nicht. Sie lehnt eine Selbsttötung
ab. Der Mensch habe dazu kein Recht. Dem Angeklagten war
­bewußt, daß das Verhalten der ihm hörigen Zeugin ganz von seinen
Vorspiegelungen und Anweisungen bestimmt wurde.“
Soll heißen, dass allein Fred G. eine mögliche Tötung zu verantworten hatte. Die leichtgläubige Heidrun T. dachte ja nicht mal an
Selbstmord, sie glaubte ohne Weiteres tatsächlich, im Körper einer
Künstlerin in einem roten Raum in Genf zu erwachen und mit diesem Körper dann endlich zum Sirius zu entfleuchen.
Das Gericht war der Ansicht, dass die Abgrenzung einer „strafbaren Tötungstäterschaft von einer straflosen Selbsttötungsteilnahme“,
die allein durch eine Täuschung zustande kam, nicht abstrakt beantwortet werden kann, sondern im Einzelfall bewertet werden
muss.
„Die Abgrenzung hängt im Einzelfall von Art und Tragweite des Irrtums ab. Verschleiert er dem sich selbst ans Leben Gehenden die
Tatsache, daß er eine Ursache für den eigenen Tod setzt, ist der­
jenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das
Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führt oder führen soll,
bewußt und gewollt ausgelöst hat, Täter eines (versuchten oder
vollendeten) Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das
er den Irrenden lenkt, zum Werkzeug gegen sich selbst macht.“
Aha!
So ist das also!
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© Militzke Verlag GmbH – Leseprobe
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