Ernst Reuß Mord? Totschlag? Oder was? Bizarres aus Deutschlands Strafgerichten © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 3 01.09.14 17:18 ® MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen www.fsc.org FSC® C083411 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © Militzke Verlag GmbH, Leipzig 2014 Lektorat: Caren Fuhrmann Umschlaggestaltung: Ralf Thielicke, unter Verwendung eines Fotos von MACIEJ NOSKOWSKI / istockphoto Layout und Satz: Ralf Thielicke Schrift: ITC Legacy Serif Druck und Bindung: CPI books GmbH, Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany ISBN: 978-3-86189-868-9 (Buch) ISBN: 978-3-86189-966-2 (E-Book) Besuchen Sie uns im Internet unter: www.militzke.de © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 4 02.09.14 09:13 Inhalt Vorwort6 Einleitung8 10 Der Sirius-Fall Staschynskij23 40 Der Katzenkönig Der Kannibale von Rotenburg 51 67 Die irrenden Mörder Der Rose-Rosahl-Fall 67 Der Hoferbenfall 76 79 Psycho Killer Die Ehre der Familie S. 100 Komatrinken110 Die Zivilcourage des Dominik B. 128 Tod einer Künstlerin 145 Verbrannt163 Die Kindsmörderin 184 198 Der Darkroom-Mörder Anhang220 Abkürzungen220 Wichtige Quellen 220 Gesetzestexte220 Auszüge aus dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland220 Auszug aus dem Jugendgerichtsgesetz 224 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 5 01.09.14 17:12 Vorwort Man könnte meinen, Mord und Totschlag boomen – in den Buchhandlungen stehen regalweise Krimis zur Auswahl und auf den Fernsehkanälen gibt es täglich duzende Filmleichen zu sehen. Meist geht es um Verbrechen, Motive und Ermittlungen. Am Ende steht in der Regel der Erfolg, der Täter ist gefasst. Abspann. Buch zu. Das vorliegende Buch „Mord? Totschlag? Oder was?“ nimmt sich des Themas der Strafverfolgung und Tatbewertung an. Es macht auf eindrucksvolle Weise deutlich, worin bei Straftatbeständen mit Todesfolge die Probleme in der Abgrenzung liegen. Wann wird ein Täter für Mord oder Totschlag oder was auch immer bestraft – und warum? Worin liegen die Schwierigkeiten für ein Gericht, dies zu entscheiden? Manches Urteil wird dem Leser oder der Leserin skurril vorkommen. Oder wenig nachvollziehbar. Mord und Totschlag sind im juristischen Studium Kernbestandteile. Die Abgrenzung zwischen beiden, die immer wieder debattierte Frage, ob es sich um eigenständige Straftatbestände oder beim Mord um eine Qualifizierung des Totschlages handelt, ist im Studium Gegenstand von Hausarbeiten und Klausuren. Das Buch erscheint in einer Zeit, wo Bewegung in die Debatte um Mord und Totschlag gekommen ist. Möglicherweise ist es in nicht allzu ferner Zeit eher eine Geschichtslektüre. Die schleswig-holsteinische Justizministerin Anke Spoorendonk stieß Ende 2013 eine Debatte um die sprachliche Bereinigung der Tötungsdelikte an. Der jetzige Bundesminister für Justiz- und Verbraucherschutz, Heiko Maas, hat nunmehr eine Kommission einberufen, die einen Vorschlag für die Neuformulierung der Definition der Tötungsdelikte vorlegen soll. Worin liegt eigentlich das Problem? Die bis heute gültige Formulierung des Mordparagraphen im Deutschen Strafgesetzbuch (§ 211 StGB) stammt aus dem Jahr 1941. Der Mordparagraph enthält sogenannte Gesinnungsmerkmale, beispielsweise die „niedrigen Beweg6 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 6 01.09.14 17:12 gründe“ oder die „Heimtücke“. Es wird nicht eine Tat bestraft, nämlich das Töten eines Menschen, sondern die Tatbegehung. Und ob es dann Mord oder Totschlag ist, das hängt davon ab, wie Richterinnen und Richter die Gesinnungsmerkmale auslegen. Es obliegt ihrer subjektiv-moralischen Bewertung, ob die Tatbegehung eine aus „nie drigen Beweggründen“ oder aus „Heimtücke“ ist oder nicht. Das nennt sich Täterstrafrecht, weil ein Täterbild bestraft wird. Das deutsche Strafrecht ist aber ein Tatstrafrecht, eben weil eine Tat bestraft werden soll. Die Kuriosität des Täterstrafrechts besteht zum Beispiel darin, dass eine Frau, die ihren körperlich überlegenen Mann – nachdem er sie jahrelang geschlagen hat – im Schlaf erstickt, wegen heimtückischen Mordes verurteilt werden muss. Der Mann hingegen, der seine Frau totprügelt, kann mit einer Verurteilung wegen Totschlags rechnen. Sie bekommt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe, er bekommt eine zeitige Freiheitsstrafe. Klingt nicht nur ungerecht, das ist auch ungerecht. In verschiedenen Büchern und Schriften finden sich eindeutige Hinweise darauf, dass die Formulierung des Mordparagraphen an die sogenannte Tätertypenlehre der NS-Zeit anknüpft. Diese stellt bei der Formulierung von Straftatbeständen nicht auf konkrete Handlungen ab, sondern umschreibt Tätertypen. Deshalb finden sich Formulierungen im Strafgesetzbuch wie „Mörder ist, wer …“. Das vorliegende Buch ist nicht vordergründig politisch. Es fällt aber in eine hochpolitische Zeit. In eine Zeit, wo es nach vielen Jahren Debatte tatsächlich möglich erscheint, dass die Gesetze zu Tötungsdelikten neu gefasst werden. Das ist längst überfällig. Dieses Buch ist nicht nur für Insider oder angehende Juristen lesenswert, sondern wegen der anschaulichen Kommentierung des Autors auch für den juristischen Laien verständlich. Möge es die fachliche Debatte bereichern und beim Laien dafür Verständnis wecken. Halina Wawzyniak Berlin, 1. Juli 2014 Mitglied des Rechtsausschusses des Bundestages 7 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 7 01.09.14 17:12 Einleitung Es muss wohl Mitte der 1990er Jahre gewesen sein, als ich das erste Mal vom Sirius-Fall hörte, während einer Strafrechtsvorlesung in meinen Anfangssemestern an der Universität. Ein Mann hatte seine Bekannte überredet sich umzubringen, damit sie mit ihm, ohne ihren dafür hinderlichen Körper, zum Planeten Sirius reisen kann, um dort eine gemeinsame glückliche Zukunft haben zu können. Mich elektrisierte dieser Fall sofort. Wie konnte so etwas Absurdes geschehen? Als angehenden Juristen interessierte mich natürlich noch mehr, ob man jemanden wegen solch einer Tat juristisch belangen könnte. Ein Selbstmord ist nun mal nicht strafbar. Häufig wurde ich gefragt, wie ich so etwas „Trockenes“ wie Jura studieren könnte. Ich konterte gern, indem ich einen solch grotesken Fall schilderte. Meist erntete ich von meinen Zuhörern ein verwundertes Kopfschütteln und die Bemerkung, warum sie noch nie davon gehört hätten. Schon damals hatte ich die vage Idee, eines Tages diese Geschichten aufzuarbeiten. Es gibt vermutlich ein breites Publikum, das sich für derartig merkwürdige und juristisch brisante Fälle interessiert. Nun endlich erscheint eine Auswahl davon in Buchform. „Mord? Totschlag? Oder was?“ ist ein Buch über ältere und jüngere Strafrechtsfälle, die für den Bereich Mord und Totschlag exemplarisch sind. Wie der Auslöser des Ganzen, der Sirius-Fall, haben auch alle folgenden Fälle eine besondere juristische Eigentümlichkeit. Warum wird jemand als Mörder verurteilt? Warum ein anderer „nur“ als Totschläger? Mordmerkmale wie „Habgier“, „niedrige Beweggründe“, „Heimtücke“, „Mordlust“ und „Grausamkeit“ spielen in den Urteilen, und deshalb natürlich auch in diesem Buch, eine große Rolle. Vielleicht wird von diesen Mordmerkmalen bald nur noch in den Geschichtsbüchern die Rede sein. Eine Gesetzesänderung zur Neuregelung der Straftatbestände Mord und Totschlag ist in Vorbereitung. 8 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 8 01.09.14 17:12 Bei den geschilderten Sachverhalten handelt es sich um tragische, skurrile und außergewöhnliche Tatbestände. Bizarr, so lassen sich die meisten dieser Fälle am ehesten beschreiben. Da bringt beispielsweise ein Täter allein und eigenhändig mehrere Menschen um – und wird trotzdem nur als Gehilfe verurteilt. Wie kann so etwas sein? Einem anderen Täter wird eingeredet, dass ein „Katzenkönig“ existiert, der die gesamte Menschheit bedroht, falls er ihn nicht durch den Opfertod einer Frau besänftigen würde. Wie irrsinnig ist das denn? Jemand bringt einen ihm vollkommen Fremden um und zerstückelt seine Leiche. Wo bleibt das Motiv? Ein Mann verbrennt seine eigenen Kinder, eine Frau tötet fünf ihrer Kinder sofort nach der Geburt. Schrecklich, unbegreiflich – aber was sind die Hintergründe solcher Taten? Jemand trinkt sich zu Tode und sein Zechpartner wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Wie kann das denn sein? Ein bis dahin unbescholtener Grundschullehrer vergiftet mehrere seiner Sexualpartner. Warum? Es geht um „Totschlag auf Verlangen“, Kannibalismus, Ehrenmord und andere juristisch schwer zu fassende Tatbestände. Die Recherche zu den Fällen war nicht immer einfach und so manches Gericht weigerte sich, die Urteile zugänglich zu machen. Ergänzend zu den Informationen aus den Medien ist es mir ge lungen, auch andere juristische Quellen auszuwerten und damit Urteilsbegründungen kritisch zu erläutern, um beim Leser ein tieferes Verständnis dafür zu wecken, welche Abwägungskriterien bei solchen Urteilen eine Rolle spielen. So ist ein Buch entstanden, das sowohl das juristisch interessierte Publikum anspricht als auch den aus dem Bauch heraus urteilenden Laien, den es brennend interessiert, warum ein Gerichtsurteil genau so ausgefallen ist, wie er es aus Zeitungen oder anderen Medien erfahren hat. Mitunter gehen die Tateinzelheiten allerdings über das allgemein Erträgliche hinaus. Die Details wurden jedoch nur insoweit wiedergegeben, wie das zur Erläuterung der juristischen Wertung notwendig war. Ernst Reuß Berlin, September 2014 9 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 9 01.09.14 17:12 Der Sirius-Fall Lag ein versuchter Mord vor? Vor dieser äußerst kniffligen Frage stand im Juli 1983 der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Im Juristendeutsch lautet das Problem, über das das Gericht zu urteilen hatte: „Abgrenzung von strafbarer Tötungstäterschaft und strafloser Selbsttötungsteilnahme in Fällen, in denen der Suizident durch Täuschung zur Vornahme der Tötungshandlung bewogen wird.“ Was war geschehen? Das Landgericht Baden-Baden hatte am 3. November 1982 in einem fünftägigen Prozess den zu diesem Zeitpunkt 35-jährigen Angeklag ten Fred G. – Mitinhaber eines Galvanobetriebes in Bayern – wegen versuchten Mordes, wegen Betruges, wegen vorsätzlicher Körper verletzung, wegen unbefugten Führens akademischer Grade und wegen eines Vergehens gegen das Heilpraktikergesetz zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Dagegen hatte Fred G. – beziehungsweise dessen Anwalt – Revision eingelegt. G. soll „einen Suizidenten“ dazu überredet haben sich selbst umzubringen. Abgesehen davon, dass es sich bei „dem Suizidenten“ um eine Frau namens Heidrun T. handelte, mit der Fred G. seit mehreren Jahren eng befreundet gewesen war, und ein Selbstmord möglicherweise moralisch verwerflich beziehungsweise aus religiösen Gründen nicht erlaubt sein mag, ist eine solche Tat nach unserem Strafgesetzbuch definitiv nicht strafbar. Für sein eigenes Leben ist jeder immer noch selbst verantwortlich. Es war also die Frage zu klären, ob man wegen massiver Beeinflussung eines Selbstmordkandidaten als Mörder verurteilt werden kann. Genau das versuchte das Gericht zu klären. 10 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 10 01.09.14 17:12 Weil der Selbstmordversuch der damals 29-Jährigen am 1. Januar 1980 erfreulicherweise nicht klappte, blieb es allerdings lediglich bei einer Anklage wegen versuchten Mordes. Kann man also jemanden wegen des Selbstmordversuches eines anderen verurteilen? Doch eher nicht, oder? Anstiftung zu einem Selbstmord ist nicht strafbar, denn wer zu einer straflosen Tat anstiftet, kann deswegen nicht verurteilt werden. Klingt einfach. Aber dieser Fall war speziell. Ein vollkommen wirres Knäuel nicht nachvollziehbarer Phantastereien und menschlicher Abgründe wurde – der Revision wegen – erneut einem Gericht vorgelegt. Der Bundesgerichtshof hatte die schwierige Aufgabe darüber zu entscheiden, ob wirklich ein versuchter Mord vorlag, wie das Landgericht Baden-Baden zuvor geurteilt hatte. Folgendes war geschehen: Anfang der 70er Jahre lernte der Angeklagte in einer Diskothek in der Nähe von Aalen die vier Jahre jüngere Heidrun T. kennen. Diese war laut Schilderung von Zeugen damals noch eine unselbstständige junge Frau von Anfang 20 und wohl ziemlich komplexbeladen. Der anscheinend umwerfende Charmeur Fred G. hatte sich als Heilpraktiker, Privatdozent und Doktor der Psychologie vorgestellt. Heidrun war stark beeindruckt von seinen Hochstapeleien und verliebte sich heftig, obwohl sie gewiss war, dass ihre Liebe von diesem aus ihrer Sicht großen, weisen, aber mit anderen Frauen liierten und daher unerreichbaren Mann nicht erwidert werden konnte. So entwickelte sich eine äußerst intensive, aber doch nur platonische Freundschaft. Man diskutierte sich hauptsächlich die Köpfe heiß. Die Gespräche gingen meist um Psychologie und Philosophie. Fred – der angeblich promovierte Psychologe – wusste einfach auf alles eine Antwort. Die ausgebildete Chefsekretärin Heidrun T., die inzwischen zu einer Tageszeitung nach Bonn gegangen war, befand sich in einer Selbstfindungsphase und war gerade dabei den Sinn des Lebens zu ergründen. Fred G. stand ihr zur Seite. Da sie nicht in derselben Ortschaft wohnten, wurden diese Diskussionen oft in mehrere Stunden dauernden Telefongesprächen geführt. 11 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 11 01.09.14 17:12 Laut Auffassung des Landesgerichtes Baden-Baden wurde Fred G. für Heidrun T. im Laufe der Zeit zum Lehrer und Berater in allen Lebensfragen. Sie vertraute und glaubte ihm blindlings. Er war immer für sie da. Zumindest telefonisch! 1978 verließ sie schließlich Bonn und zog in eine Fred gehörende Eigentumswohnung in die Nähe von Baden-Baden. Die Nähe zwischen ihr und ihrem Freund in allen Lebenslagen nahm noch zu. Ihre Abhängigkeiten und ihre persönlichen Probleme allerdings auch. Fred wusste natürlich Rat, auch wenn der sich letztendlich als teuer herausstellen sollte. Damit sie ihre Probleme überwinden könne, meinte G., benötige sie einer geistigen und philosophischen Weiterentwicklung. Einer vollkommenen Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Dazu bedürfe es natürlich größter geistiger Anstrengungen, zu denen selbst er – der große Lehrmeister Fred G. – nicht in der Lage sei. Er könne allerdings Hilfe anbieten, denn er kenne einen Mönch namens „Uliko vom Volke der Dogen“. Der wäre ein noch größerer Lehrmeister als er selbst. Er würde für sie meditieren, was allerdings nicht ganz billig wäre, denn das Kloster, in dem dieser leben würde, brauche Geld. Sehr viel Geld selbstredend! Das verstand Heidrun. Im guten Glauben überreichte sie dem wahrscheinlich innerlich glucksenden Fred G. einen Scheck. Sie hatte zuvor einen Bankkredit aufgenommen. Dass es sich bei „Uliko“ schlicht um ein Fantasieprodukt des Angeklagten handelte, braucht hier nicht näher dargelegt zu werden. Dass Heidrun T. keine Zweifel an Fred hatte, muss auch nicht erläutert werden. Und dass Fred G. das ganze Geld mit dem ihm eigenen Selbstverständnis seinem eigenen Konto gutschreiben ließ, sicherlich erst recht nicht! Laut dem etwas trockenen Deutsch des Bundesgerichtshofs spielte sich die Geschichte wie folgt ab: „Als der Angeklagte erkannte, daß ihm die Zeugin vollen Glauben schenkte, beschloß er, sich unter Ausnutzung dieses Vertrauens 12 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 12 01.09.14 17:12 auf ihre Kosten zu bereichern. Er legte der Zeugin dar, sie könne die Fähigkeit, nach ihrem Tode auf einem anderen Himmelskörper weiterzuleben, dadurch erlangen, daß sich der ihm bekannte Mönch Uliko für einige Zeit in totale Meditation versetze. Dadurch werde es ihrem Körper möglich, während des Schlafes mehrere Ebenen zu durchlaufen und dabei eine geistige Entwicklung durchzumachen. Dafür müßten allerdings an das Kloster, in dem der Mönch lebe, 30.000 DM gezahlt werden. Die Zeugin glaubte dem Angeklagten. Da sie nicht genügend Geld besaß, beschaffte sie sich die geforderte Summe durch einen Bankkredit.“ Deswegen wurde Fred G. dann auch später vom Landgericht Baden-Baden zu Recht wegen Betrugs verurteilt. So weit, so klar. Aber versuchter Mord? Es musste also noch mehr vorgefallen sein. So war es auch. Mit ihrer geistigen Weiterentwicklung war Heidrun nicht ganz zufrieden, und das trotz der pünktlich übergebenen 30.000 DM. Der Erfolg der Meditation des Mönches „Uliko vom Volke der Dogen“ stellte und stellte sich nicht ein. Heidrun fühlte sich kein bisschen verändert. Die skurrile Geschichte ging also weiter. Das Gericht stellte später fest: „Sooft sich die Zeugin in den folgenden Monaten nach den Bemü hungen des Uliko erkundigte, vertröstete sie der Angeklagte. Später erklärte er ihr, der Mönch habe sich bei seinen Versuchen in große Gefahr begeben, gleichwohl aber keinen Erfolg erzielt, weil ihr Bewußtsein eine starke Sperre gegen die geistige Weiterentwicklung aufbaue. Der Grund dafür liege im Körper der Zeugin; die Blockade könne nur durch die Vernichtung des alten und die Beschaffung eines neuen Körpers beseitigt werden.“ Aha! Heidrun T. war also selbst schuld! Ihr Körper war ihr im Weg. Ein Missgeschick, dem „leicht“ abgeholfen werden konnte! Ganz schön dreist von unserem Angeklagten! 13 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 13 01.09.14 17:12 Und ziemlich durchsichtig, doch die arglose Frau schöpfte keinen Verdacht. Sie war Fred G. vollkommen verfallen. Eines Tages hatte Fred ihr in einem ihrer unzähligen esoterisch angehauchten Gespräche überraschenderweise erzählt, dass er ja, um ehrlich zu sein, eigentlich gar kein Mensch sei, sondern von einem fremden Stern stamme. Er sei Sirianer, also ein Bewohner des weit, weit entfernten Sternes Sirius. Vom Sirius? Ja! Und Heidrun T., der offensichtlich keine von Freds Storys zu a lbern war, glaubte ihm unvorstellbarerweise tatsächlich auch diese Geschichte. Fred G. erzählte ihr in den folgenden Tagen einiges von „seinem“ Planeten. Unter anderem berichtete er davon, dass die Sirianer eine Rasse seien, die philosophisch auf einer weit höheren Stufe stehen als die Menschen und er deswegen zur Erde gesandt worden sei, weil er den Auftrag habe, es einigen besonders brillanten Menschen zu ermöglichen auf dem Sirius weiterzuleben. Selbstverständlich gehörte auch die leichtgläubige aber geschmeichelte Heidrun T. zu dieser Elite. Freilich gab es ein klitzekleines Problemchen. Ein Weiterleben auf dem Sirius sei erst nach dem völligen Zerfall des eigenen Körpers möglich. Ihr Körper war also erneut im Weg, denn nur mit ihrer Seele könne sie auf einem fremden Planeten und natürlich auch auf dem Sirius weiterleben. Nun hatte Fred G. offensichtlich „Blut geleckt“. Voller Freude, dass ihm die junge Frau auch diese völlig aberwitzige Münchhausengeschichte glaubte, fasste er einen perfiden Plan. Laut Bundesgerichtshof lautete der wie folgt: „Der Angeklagte spiegelte ihr vor, in einem roten Raum am Genfer See stehe für sie ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als Künstlerin wiederfinden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne.“ Heidrun T. sollte sich also „von ihrem Körper trennen“. Für Außenstehende schwer verständlich. Fred G. erklärte ihr auch noch, 14 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 14 01.09.14 17:12 dass sie eine Lebensversicherung zu seinen Gunsten abschließen solle. Unglaublich, aber auch das schluckte das vertrauensselige Mädchen, denn es würde sich ja nicht wirklich umbringen, sondern sofort in einem neuen Körper aufwachen. Dem Körper einer Künstlerin! Auch in diesem neuen Leben bräuchte sie ja Geld, und Kunst ist bekanntlich brotlos. In welchen schillernden Farben Fred unserer leichtgläubigen Heidrun diesen neuen Körper vorher schilderte, geht aus dem Urteil leider nicht hervor. Es muss auf jeden Fall sehr überzeugend gewesen sein. Heidrun T. glaubte ihrem Sirianer ohne den Hauch eines Zweifels und ließ sich darauf ein, eine Lebensversicherung über 250.000 DM abzuschließen. Bei Unfalltod sollte sich die Summe auf 500.000 DM erhöhen. Daher musste der „Übergang in den neuen Körper“ wie ein Unfall aussehen. Jemanden zum Selbstmord zu überreden, um dann auch noch davon finanziell zu profitieren – schon der gesunde Menschenverstand findet es unverschämt habgierig, was sich unser Fred hier ausgeklügelt hat! Er allerdings schien nicht zu wissen, dass Habgier – neben Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs, Heimtücke, Grausamkeit, Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln oder aus niedrigen Beweggründen – eines der Mordmerkmale im Sinne des § 211 StGB ist. Eines davon genügt, um jemanden wegen Mordes zu verurteilen. Fred G. hatte mit Sicherheit nicht mit einer Anklage wegen Mordes gerechnet. Der Versicherungsschutz von Heidrun T. begann ab 1. Dezember 1979. Ihre monatliche Versicherungsprämie betrug 587,50 DM. Ein ganz schöner Batzen Geld bei ihren Einkommensverhältnissen. Aber bald wäre sie ja Künstlerin und die Versicherungsprämie wäre dann hinfällig. Ihr konnte es zu diesem Zeitpunkt egal sein. Heidrun T. bestimmte Fred G. zum Bezugsberechtigten und bereitete sich auf ihr neues Leben vor. Das Geld – so versprach Fred – werde er ihr nach Auszahlung der Versicherungssumme nach dem Unfall – den sie in Bälde erleiden würde – sofort überbringen. Sie glaubte ihm, bedingungslos. Vorab gab sie ihm schon ihre Ersparnisse in Höhe von 4.000 DM. 15 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 15 01.09.14 17:12 „… weil sie, wie er ihr sagte, nach dem Erwachen am Genfer See das Geld, das er ihr sofort überbringen werde, als ‚Startkapital‘ benötige. Die Auszahlung der Versicherungssumme könne sich verzögern. Ihr ‚jetziges Leben‘ sollte die Zeugin nach einem ersten Plan des Angeklagten durch einen vorgetäuschten Autounfall (…) beenden.“ Beide gemeinsam fanden den günstigsten Platz für den Auto unfall: den Brückenpfeiler eines Autobahnzubringers. Der „Unfall“ sollte Weihnachten 1979 stattfinden. Heidrun war zu diesem Zeitpunkt gerade 28 Jahre alt. Ihr Plan ging allerdings nicht sofort auf, denn tragischerweise durchkreuzte Freds Ehefrau Heike den Plan, indem sie sich kurz zuvor am 3. Dezember selbst erschoss. Fred hielt sich während des Selbstmordes seiner Frau in der Wohnung auf und hatte wegen der nachfolgenden Ermittlungen der Polizei erst einmal ganz andere Probleme zu bewältigen. Es liefen Ermittlungen gegen ihn, denn schon zuvor sollen Freundinnen von ihm auf recht dubiose Weise ums Leben gekommen sein. Ob seine Ehefrau Heike sich von ähnlichen Motiven wie Heidrun zu ihrem Selbstmord leiten ließ, blieb im Dunkeln, obwohl deren Mutter im späteren Gerichtsprozess die Ansicht vertrat, dass nur Fred an ihrem Tod schuldig sein konnte. Doch dem G. war vorerst nichts nachzuweisen. Fred bastelte aber schon bald wieder munter an seinen Plan, wie sich Heidrun am besten selbst umbringen könnte. Beide nannten es verniedlichend „Körpervernichtung“. Da sich Fred und seine ihm hörige platonische Beziehung nicht sicher waren, ob Heidrun bei einem Autounfall dann möglicherweise doch „nur“ schwer verletzt sein würde und die Familie seiner gerade erst verstorbenen Ehefrau von den Plänen Wind bekommen hatte, entschlossen sich die beiden es mit einem eingeschalteten Fön in der Badewanne zu versuchen. Anfang der 80er Jahre war das wohl noch eine sehr „angesagte“ Suizidart. Mit einem Stromstoß in ein neues Leben – ein energischer Anschub für einen neuen Körper. 16 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 16 01.09.14 17:12 So sollte es geschehen! „Evakuieren“ nannte Fred das. Evakuieren auf den Planeten Sirius. Weit, weit weg in ferne Galaxien sozusagen. Zuvor sollte Heidrun – damit es auch wirklich nach einem Unfall aussah – Wäsche waschen, einen Kuchen backen, eine Bekannte für den Abend einladen und das Telefon neben die Badewanne stellen. Fred gab telefonisch den Startschuss. Das Gericht fährt in seiner Tatbestandsschilderung unnachahmlich fort: „Auf Verlangen und nach des Anweisungen des Angeklagten versuchte die Zeugin, diesen Plan am 1. Januar 1980 in ihrer Wohnung in Wildbad zu realisieren, nachdem sie zuvor, einer A nregung des Angeklagten folgend, einige Dinge getan hatte, die darauf hindeu ten sollten, daß sie ungewollt mitten aus dem Leben gerissen worden sei. Der tödliche Stromstoß blieb jedoch aus. Aus ‚technischen Gründen‘ verspürte die Zeugin nur ein Kribbeln am Körper, als sie den Fön eintauchte.“ Blöd gelaufen! Doch Fred G. gab nicht auf! Er, der sich nach dem Tod der Gattin diesmal nicht am Tatort eines Selbstmordes aufhalten wollte, wartete am Telefon auf das nahende Ende seiner Freundin und war hörbar überrascht, als Heidrun T. bei seinem Kontroll anruf den Hörer abnahm. Sie saß immer noch mit ihrem Fön in der Badewanne und versuchte verzweifelt damit ihren Körper zu vernichten. Fred half ihr mehr oder weniger „uneigennützig“ dabei: „Etwa drei Stunden lang gab er ihr in etwa zehn Telefongesprächen Anweisungen zur Fortführung des Versuchs, aus dem Leben zu scheiden. Dann nahm er von weiteren Bemühungen Abstand, weil er sie für aussichtslos hielt.“ Nach stundenlangem erfolglosen Experimentieren also, doch noch mittels Stromschlag in der Badewanne ihr Leben auszuhauchen, stieg Heidrun aus dem – inzwischen wohl kalt gewordenen – Wasser und ging vermutlich frustriert ins Bett. Fred hatte zuvor den Befehl gegeben „Aufhören jetzt“, was sein Anwalt später in der Revision als 17 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 17 01.09.14 17:12 Rücktritt von der geplanten Tat gewertet sehen wollte. Damit hatte er allerdings keinen Erfolg. Der Gutachter des TÜV Karlsruhe hatte im Prozess festgestellt, dass Heidrun ihr Überleben einer Bauschlamperei zu verdanken hatte, denn die Badewanne war nicht geerdet! Möglicherweise wollte Heidrun T. im tiefsten Inneren ja denn doch nicht aus dem jetzigen Leben scheiden? Weitere Versuche sich das Leben zu nehmen – um auf dem Sirius weiter zu existieren – sind nämlich nicht gerichtsbekannt. Wie der Vorfall dann zur Polizei gelangte, lässt sich nur vermuten. Möglicherweise hatte jemand aus der Familie von Freds Ehefrau gepetzt. Sie hatte ihrem Leben ja kurz zuvor mit einer Pistole ein Ende gesetzt und wohl über Freds Pläne familienintern geplaudert. Jedenfalls hatte Heidrun bei einer ersten richterlichen Vernehmung im Februar 1980 noch wahrheitswidrig ausgesagt, dass nichts dergleichen am 1. Januar 1980 geplant war. Erst am 23. August 1980 ging Heidrun zur Polizei und brachte damit den ganzen Fall ins Rollen. Aus welchen Motiven dies geschah, blieb im Dunkeln. Wahrscheinlich war es der jungen Frau einfach unmöglich, die monatliche Versicherungsprämie von 587,50 DM zu zahlen, und sie plauderte ihre Problemlage aus. Die Polizei ermittelte, doch das größere Problem hatte die Justiz. Fred G. lachte sich wahrscheinlich erst einmal ins Fäustchen. Vielleicht war ihm auch ein bisschen mulmig zumute. Aber ein Selbstmord ist nun mal nicht strafbar. Da beißt die Maus keinen Faden ab! Betrug? Okay! Ein gewisses Sümmchen hatte er sich von der Heidr un ergaunert. Aber versuchter Mord? Nein, da war er sich sicher! Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Fred und warf der Kriminalpolizei einen „wüsten Amoklauf“ gegen seine Person vor und titulierte den gegen ihn ermittelnden Kriminalbeamten frech als „Zombiejäger“. Sein Anwalt trug vor, dass nur straflose Beteiligung am versuchten Selbstmord in Betracht gezogen werden könnte. Das war natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen. 18 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 18 01.09.14 17:12 Da stand die Justiz erst mal da. Doch ein Mann mit solch großer krimineller Energie und dieser dubiosen Vorgeschichte musste verurteilt werden. Straflos sollte so einer nicht ausgehen! Das war doch zu dreist gewesen. Das Gericht begründete: „Die Zeugin handelte in völligem Vertrauen auf die Erklärungen des Angeklagten. Sie ließ den Fön in der Hoffnung ins Wasser fallen, sofort in einem neuen Körper zu erwachen. Der Gedanke an einen ‚Selbstmord im eigentlichen Sinn‘, durch den ‚ihr Leben für immer beendet würde‘, kam ihr dabei nicht. Sie lehnt eine Selbsttötung ab. Der Mensch habe dazu kein Recht. Dem Angeklagten war bewußt, daß das Verhalten der ihm hörigen Zeugin ganz von seinen Vorspiegelungen und Anweisungen bestimmt wurde.“ Soll heißen, dass allein Fred G. eine mögliche Tötung zu verantworten hatte. Die leichtgläubige Heidrun T. dachte ja nicht mal an Selbstmord, sie glaubte ohne Weiteres tatsächlich, im Körper einer Künstlerin in einem roten Raum in Genf zu erwachen und mit diesem Körper dann endlich zum Sirius zu entfleuchen. Das Gericht war der Ansicht, dass die Abgrenzung einer „strafbaren Tötungstäterschaft von einer straflosen Selbsttötungsteilnahme“, die allein durch eine Täuschung zustande kam, nicht abstrakt beantwortet werden kann, sondern im Einzelfall bewertet werden muss. „Die Abgrenzung hängt im Einzelfall von Art und Tragweite des Irrtums ab. Verschleiert er dem sich selbst ans Leben Gehenden die Tatsache, daß er eine Ursache für den eigenen Tod setzt, ist der jenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führt oder führen soll, bewußt und gewollt ausgelöst hat, Täter eines (versuchten oder vollendeten) Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden lenkt, zum Werkzeug gegen sich selbst macht.“ Aha! So ist das also! 19 © Militzke Verlag GmbH – Leseprobe 868-9-Reuß-Mord-Druck.indd 19 01.09.14 17:12
© Copyright 2024 ExpyDoc