13. November 2006 EuRatio Akademie Zürich e-journal Jahrgang 7, Ausgabe 10 Inspiration Was machte Kai-Uwe Ricke falsch?. by Gerhard Zapke-Schauer Executive Summary: Kai-Uwe Ricke tritt zurück. Am 13. November 2006, vier Jahre nach Amtseinführung findet bei der Deutschen Telekom ein Führungswechsel statt. Die Zeit meldet am 13. November 2006 um 07:26 Uhr: Heftig kritisiert tritt Kai-Uwe Ricke zurück. Was hat er falsch gemacht? Blackstone, mit 4,5 % ein wichtiger Aktionär, hat auf Ablösung gedrängt. Die Wertentwicklung ist nicht zufrieden stellen und der neue Vorsitzende René Obermann spricht in seiner ersten Stellungnahme von: „Wir haben als Ziel eine bessere Marktkapitalisierung“. Marktanteile verliert man nicht einfach so. Es sind die Fehler im Portfolio, im Preis, in der Dienstleistung etc. die immer dann entstehen, wenn Führungskräfte aufhören auf ihre Mitarbeiter zu hören. Die Fokussierungen auf Kosteneinsparungen verstellen den Blick für den Einsatz der Kompetenzen von Mitarbeitern. Ist eine Investition in die Telekom tatsächlich ein Flop? Analysten glauben derzeit nicht an eine nachhaltige Erholung. Kann man durch Priorisierung eines geeigneten Führungsstils das Unternehmensschiff Telekom auf neuen Kurs bringen? „Angesichts ausbleibender Erfolge und wachsender Kritik ist Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke zurückgetreten. Die Deutsche Telekom AG teilte am Sonntagabend mit, das Präsidium des Aufsichtsrates und Ricke hätten sich einvernehmlich über sein Ausscheiden aus dem Unternehmen verständigt. Der Aufsichtsrat wollte sich demnach am Montag mit Rickes Nachfolge beschäftigen; ein Telekom-Sprecher wollte sich zur Nachfolge zunächst nicht äußern. Laut "Spiegel Online" und "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" soll T-Mobile-Chef René Obermann mit sofortiger Wirkung Rickes Nachfolge übernehmen. Ricke war wiederholt kritisiert worden, weil er einerseits massiv Personal abbaute, zugleich der Telekom aber weiter die Kunden wegliefen und der Aktienkurs seit vier Jahren nicht mehr nachhaltig stieg. Erst am Donnerstag hatte die Deutsche Telekom mitgeteilt, dass sie auch im dritten Quartal weniger verdient hatte als im Vorjahr und mit einem milliardenschweren Sparprogramm gegensteuern will. Der Nettogewinn sank zwischen Juli und September um 34 Prozent auf 980 Millionen Euro, wie das Unternehmen mitteilte. Noch kurz vor der Ankündigung der Telekom hatten mehrere Aufsichtsratsmitglieder noch Berichte über einen bevorstehenden Führungswechsel dementiert. Ricke hatte seinen Chefposten vor fast genau vier Jahren, Mitte November 2002, angetreten. Dabei hatte er von seinem Vorgänger Ron Sommer einen gigantischen Schuldenberg übernommen und deswegen einen harten Sanierungskurs eingeschlagen. Zuletzt hatte Ricke versucht, mit neuen Pauschaltarifen verlorene Kunden zurück zu gewinnen. Noch am Wochenende forderte Ricke zudem im Magazin "Focus" die Mitarbeiter von Call-Centern und Kundendienst auf, einer drastischen Anhebung der Wochenarbeitszeit von 34 auf 38 Stunden zuzustimmen. Damit solle ein Stellenabbau vermieden werden. Allerdings müssten die etwa 45.000 Betroffenen einen Wechsel von der T-Com zu schlechteren Konditionen in die neue Tochtergesellschaft T-Service und eine Call-Center-Gesellschaft akzeptieren.“ Financial Times Deutschland ergänzt um 11:30 Uhr: „Das Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), Reinhild Keitel, bezeichnete den Wechsel in der "Berliner Zeitung" als konsequent. Durch die rasante Entwicklung im Festnetzgeschäft drohe EuRatio Akademie Zürich ° www.euratio.ch ° Tel. +41 44 214 62 81 ° Fax +41 44 214 63 20 Seite 2 e-journal Inspiration die Telekom ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Ricke habe darauf keine Antwort gefunden, sagte Keitel. Ricke habe zwar den Schuldenabbau der Telekom vorangetrieben, doch ihm sei es nicht gelungen, die Geschäftsstrategie des Konzerns weiterzuentwickeln. ist das Verhältnis zu Ricke gestört", hieß es im Umfeld des Finanzinvestors, der 4,5 Prozent der TelekomAktien hält und einen Posten im Aufsichtsrat besetzt. Der Bund ist mit rund einem Drittel der wichtigste und mit Abstand größte Anteilseigner der Telekom. "Das Rekordhoch des Aktienkurses wird niemand mehr erleben" Ricke hatte vor vier Jahren den Chefposten bei Europas führendem Telekomkonzern von Ron Sommer übernommen. Ursprünglich wollte der Aufsichtsrat der Telekom am 5. Dezember über eine Verlängerung seines Vorstandsvertrags entscheiden.“ Michael Kunert, Sprecher der SdK, zweifelte auch daran, ob der Aktienkurs durch den neuen Vorstandsvorsitzenden langfristig stabilisiert werden könne: "So alt wird kaum jemand werden, dass er diesen Kurs mal wieder erleben wird", sagte Kunert auf die Frage, wann die Telekom-Aktie einmal wieder ihr Rekordhoch von mehr als 104 Euro erreichen wird. Märkte verliert man nicht einfach so… Für Rickes Abgang machten sich der Finanzinvestor Blackstone und der Bund stark, die mit seiner Führung nicht mehr einverstanden waren, wie eine mit den Vorgängen vertraute Person am Sonntag sagte. Blackstone habe schon im September auf einen Rauswurf von Ricke gedrängt, was Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel und der Bund aber abgelehnt hätten. Mittlerweile sei das Verhältnis zwischen Zumwinkel und Ricke aber merklich abgekühlt, hieß es. Auf einer inoffiziellen Sitzung des Aufsichtsrates nach der Vorlage der Quartalszahlen am Donnerstag habe Zumwinkel den Vorstandsvorsitzenden massiv kritisiert. "Da hat es richtig gekracht", hieß es.“ Sicherlich hat Ricke ein schweres Erbe angetreten. Die Schulden waren zum Amtsantritt immens und der Aktienkurs bereits von Euro 105 auf Euro 12 gefallen. Es gilt das Grundprinzip, Schulden kann man nur zurückzahlen, wenn man für weitere und höhere Einnahmen sorgt. Die Kundenorientierung, zeitgemässe attraktive Produkte zu attraktiven Preisen sind immer das Erfolgsgeheimnis in einer Sanierungsphase von Unternehmen. Ebenfalls steht ausser Zweifel, das Festnetzgeschäft ist in den letzten Jahren sehr hart geworden. Auch Siemens COM steht für diese Schwierigkeit als lebendiges Beispiel. Bereits seit Freitag wurde in der Öffentlichkeit wieder heftig über Rickes Zukunft an der TelekomSpitze spekuliert. Mehrere Zeitungen hatten übereinstimmend berichtet, Ricke solle schon bald durch Obermann ersetzt werden. Wer laufend Kunden verliert, der trifft in seinem Unternehmen Fehlentscheidungen welche die Marktnähe, also Portfolio, Dienstleistung und Preis betreffen. Der Kosten- und Schuldenblock ist dafür nicht verantwortlich. Wäre dem so, dann hätte man statt eines Value-Preises (der sich am Wert der Produkte und Leistungen beim Kunden bemisst) einen Cost-Plus-Preis (der sich an den eigenen Kosten und der Gewinnerzielungsabsicht bemisst) berechnet. "Verhältnis zu Ricke gestört" Die Telekom hatte vor allem wegen der Schwäche von T-Com im August ihre Prognose für 2006 und 2007 deutlich gesenkt, was den Aktienkurs einbrechen ließ. "Blackstone hat dabei viel Geld verloren und seitdem Customer Value gerät in bedrängten Zeiten des Unternehmens schnell aus dem Fokus, noch schneller, wenn das Unternehmen sehr gross ist. Die Konzentration auf Einsparungen lässt den Dialog mit den Mitarbeitern, welche täglich mit dem Kunden in Kontakt stehen, in den Hintergrund treten und damit zieht sich der Vorstandsvorsitzende zunehmend in den Elfenbeinturm zurück, obwohl er nach wie vor annimmt, er würde die Wünsche der Kunden sehr gut kennen. Ein Mensch allein kann niemals die Kundenwünsche ausreichend kennen. Es ist die Vielzahl an Kontakten, welche ein Unternehmen über verschiedene Schnittstellen zum Kunden pflegt, im Vertrieb, im Service, im CallCenter, usw. die für eine optimale Kenntnis über das, was Kunden gerade bevorzugen, aufbaut. Wer unter dem Zwang der Kosteneinsparung diese Kenntnis nicht mehr bündelt und zu einem aktuellen Konzept des Produktportfolios zusammenfasst, der hat auch bei massiven Erfolgen der Kosteneinsparung kein günstiges Unternehmensergebnis. Würde man Kai-Uwe Ricke eine einseitige, monokausale Idee zur Rettung der Telekom vorwerfen, würde er sicherlich massiv dagegen reden. Es kommt aber nicht darauf an, was er in seinem Kopf dachte, es kommt in der Unternehmensführung darauf an, wie dieses Denken in seinen Kopf hineinkommt. Führung ist immer dann zum Scheitern verurteilt, wenn man davon ausgeht, dass der Führende schon sehr genau weiss wo es lang gehen sollte und dieses Wissen auf Überlegungen aufbaut, die ohne ausreichendes Hören auf eigene Mitarbeiter beruht. Dabei ist – ob ausgesprochen oder nicht, ob bewusst oder nicht – auch ein Rollenverständnis gebildet, welches davon ausgeht, dass eine grosse Zahl der Unternehmensmitarbeiter eben nicht weiss wo es lang geht, der neue EuRatio Akademie Zürich ° www.euratio.ch ° Tel. +41 44 214 62 81 ° Fax +41 44 214 63 20 Seite 3 Chef eben genau dies besser weiss und nun dem Unternehmen verordnen oder überstülpen soll. Jeder, der am Erfolg seines Unternehmens oder seines Unternehmensbereichs interessiert ist, sollte sich von diesem „Besserwissen“ schnell verabschieden und Führung nicht als „Erst-Wissender“, der sein Wissen in die Organisation transportiert, verstehen, sondern als „Moderator“ verstehen, der die Kompetenzen und das Wissen seiner Mitarbeiter an die Oberfläche moderiert um dann, aus diesen Erkenntnissen, Entscheidungen für Visionen und Ziele zu treffen. Eine geplatzte Spekulationsblase? e-journal Inspiration Vor zehn Jahren, 1996 ging die Deutsche Telekom an die Börse. Viele erinnern sich noch an die Werbespots des Herrn Krug, der Tausende privater Anleger in die Telekom Aktie lockte und man freute sich anschliessend über Kurse von Euro 104 pro Aktie. Private Investoren sitzen ungünstig laufende Investments gerne aus und so mancher wartet noch heute geduldig bei Euro 14 auf eine baldige Erholung. Im April und Juli 2000 sind professionelle Investoren längst ausgestiegen, da – falls sie bei Euro 100 tatsächlich eingestiegen wären – eine Stopporder bei einem 23 %-igen Retracement sie längst schützend aus dem Markt genommen hätte. Wer gleitende Durchschnitte für sein Investmentkonzept verwendet, der hätte spätestens bei Euro 60 das Schiff verlassen. Dies alles noch lange bevor Ricke als CEO ver- pflichtet wurde. Dass Blackstone viel später mit 4,5 % eingestiegen ist, beruhte sicherlich auf der Annahme, bei Kursen um Euro 15 liegt eine so niedrige Marktkapitalisierung vor, die ein Value-Investing rechtfertigt. Steigende Umsätze bei niedrigen Kursen ab 2002 zeugen von grossem Interesse an der Telekom. An der Tatsache, dass 1,5 Millionen Kunden allein im Bereich Festnetz der Telekom den Rücken kehrten, ist erneut sichtbar, dass nicht Kosteneinsparung sondern Marktnähe das Hauptziel sein sollten. Selbst die gedankliche Brücke, man müsse die Kosten dramatisch senken um dadurch wieder attraktive Preise anbieten zu können, ändert nichts daran, dass Mitarbeiter von dieser Zielset- EuRatio Akademie Zürich ° www.euratio.ch ° Tel. +41 44 214 62 81 ° Fax +41 44 214 63 20 Seite 4 zung „Kundenorientierung“ nichts mitbekommen, sondern täglich die Massnahme „Kosten runter“ erleben. Dies verändert die psychische Situation von vielen tausenden der Mitarbeiter. Dies verändert den notwendigen Dialog zwischen Vorstandsebene und Basis. Dies verhindert offene Kommunikation und macht Vorstände zu „Besserwissern“ und Mitarbeiter zu „Unfolgsamen“. Blackstone sah schon seit vielen Monaten das eingegangene Investment gefährdet und drängt auf Ablösung von KaiUwe Ricke. Vorstände, die dem Mitarbeiter das Ohr nicht mehr leihen, die von Meeting zu Meeting mit Leitungskräften hetzen, darin aber Botschaften verteilen, statt Informationen sammeln, die verstärkt Templates zur Berichterstattung (wegen der einheitlichen Übersicht) ausgeben, die immer mehr nach Zahlen und Ergebnissen führen, bauen ein tribunalartiges Reporting auf, welches das knowhow von Mitarbeitern schnell und wirksam aus dem Entscheidungsprozess entfernt. Die damit verbundene Frustration und der Verlust an Ownership im mittleren Management sind katastrophal. Dabei treten Rollenspiele auf, die Attributen wie „Egomanie“, „Realitätsverlust“, „Sturheit“ und „Arroganz“ den Weg ebnen. e-journal Inspiration der richtigen Weise erneut in das Unternehmensgeschehen einzieht. Dem Führungsprozess kommt dabei eine deutlich grössere Bedeutung zu als dem Strategieprozess. ValueInvesting investiert in Werte nicht in Kostendegressionen, daher können Einsparungen niemals Ziel, sondern ein Teil der möglichen Wege zum Ziel der Kundenorientierung sein. Wir wünschen René Obermann viel Glück und ein entsprechendes Rollenverständnis in seinem Führungsprozess. Gerade sprach er in der Pressekonferenz von: „Wir müssen den Spagat zwischen Kundenorientierung und Kosteneinsparung bewältigen. Ich habe grosses Verständnis für die Sorgen der Aktionäre und wir benötigen das Vertrauen der Kunden.“ Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten können diesem Treiben kein Ende bereiten. Sie zeigen durch ihr Verhalten lediglich, wie sie die Gefolgschaft zunehmend verweigern. Wer hier Einhalt gebieten kann ist der Eigentümer. Blackstone hat dies am Wochenende des 12. November 2006 offensichtlich durchsetzen können. Analysten glauben derzeit nicht mehr an eine positive Entwicklung des Investments. Es wird erneut die Aufgabe grosser Investoren sein, auf Herrn Obermann als neuer CEO so einzuwirken, dass Profitabilität in EuRatio Akademie Zürich ° www.euratio.ch ° Tel. +41 44 214 62 81 ° Fax +41 44 214 63 20
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