Inhalt I. Das Ziel: Die 3+ Sprachenformel II. Was ist Immersion? Immersion und bilingualer Unterricht im Elementarbereich III. Wie funktioniert Immersion? IV. Das Altenholzer Modell V. Das kann doch gar nicht funktionieren…! C. Möller & H. Wode VI. Organisatorische Voraussetzungen für erfolgreiche IM VII. Die Sprachenfolge 2. Fachkonferenz „Frühkindliche Mehrsprachigkeit: Option auf einen erfolgversprechenden Berufs- und Lebensweg“ VIII. Die Erfolgsformel Pasewalk, 15. Mai 2008 3+ Sprachformel Das Ziel: Die 3+ Sprachenformel (z.B. Wode 1998, 2000) “Every European should have meaningful communicative competence in at least two other languages in addition to his or her mother tongue” (The Commission of the European Communities 2003) • Was bedeutet das? Ein mündlich und schriftlich angemessenes funktionales Niveau in zwei Sprachen zusätzlich zur Muttersprache (L1) 3+ Sprachformel (z.B. Wode 1998, 2000) • Wie ist das zu erreichen? Nicht mit dem gegenwärtigen Fremdsprachenunterricht • Nicht effektiv • Besonders was die Kommunikationsfähigkeit in einer Zweitsprache (L2) anbelangt Was ist Immersion? Immersion (IM) als Alternative • Herausragende Ergebnisse in Kanada seit Mitte der 1960er • IM im Altenholzer Modell seit 1996 (Kita) und 1999 (Grundschule) sehr erfolgreich 1 Was ist Immersion? • „Sprachbad“ • Sprache (L2) nicht als Lehrgegenstand Arbeitssprache in der Kita Unterrichtssprache in der Grundschule Das Altenholzer Modell • Eine Person- eine Sprache • Andere Ansätze, z.B. Sprachräume Das Altenholzer Modell Kita Beginn mit 3 Jahren Das Altenholzer Modell Grundschule Unterricht zu ca. 70% auf Englisch • Nur der Deutschunterricht findet auf Deutsch statt Von den 2 vorgeschriebenen ErzieherInnen ist eine(r) MuttersprachlerIn des Englischen Lehrplaninhalte entsprechen denen der monolingualen Parallelklassen L2-Kraft spricht ausreichend Deutsch Prinzip: Eine Person- eine Sprache Die Kinder werden nicht gezwungen, Englisch zu sprechen oder an den englischsprachigen Aktivitäten teilzunehmen Die Kinder werden mehr und mehr ermuntert, die L2 zu verwenden • Aber auch hier keinerlei Zwang Lehrer sind ausgebildete Grund- und Hauptschullehrer Das Sprachlernkontinuum „naturalistisch“ „natürlich“ • Sprache als Medium der Kommunikation • vielfältiger Input • vielfältige Sprechanlässe • sehr früher Beginn • langer und intensiver Kontakt • keine räumliche Beschränkung FremdsprachenUnterricht (FU) „künstlich“ • Sprache als Lehrgegenstand • thematisch stark beschränkter Input • stark beschränkte Sprechanlässe • relativ später Beginn • kurze Kontaktzeit zur L2 • räumlich stark beschränkt (Schule) L1-Erwerb Immersion Wie funktioniert Immersion? 2 Immersion ist „naturalistisch“ IM nutzt die Mechanismen des L1-Erwerbs für den L2-Erwerb • innerhalb der strukturellen Rahmenbedingungen von Kita/ Schule Wir alle wissen, dass die L1-Mechanismen funktionieren! Die Ähnlichkeit zwischen L1- und L2-Erwerb lässt sich durch einen Blick auf die Forschung aufzeigen Exkurs: Erwerbsstadien I • Beim Erwerb der L1 werden entwicklungsspezifische Stadien durchgemacht • z.B. er kommte statt er kam • Bildung der Vergangenheitsform unregelmäßiger Verben analog zu regelmäßigen wie z.B. spielen- spielte • D.h. die Regel wurde gelernt, die Ausnahmen noch nicht • Diese Formen finden sich nicht im Input! • Dies gilt genauso für die L2 Zweitspracherwerb greift auf die gleichen biologischen und kognitiven Grundlagen zurück Exkurs: Erwerbsstadien II Lerner erschließen sich Lerninhalte ihrem eigenen Tempo und Entwicklungsstadium entsprechend • z.B. Verbflexion: L1-Deutsch Fehler er gebt er rufte wir schläfen geschwimmt er kommte L2-Englisch statt gibt rief schlafen geschwommen kam Exkurs: Erwerbsstadien III Fehler he cames he wents he shaked he ranned he catched rufing spieling Fokus auf Sprache hilft wenig statt he comes he goes he shook he ran he caught Erwerbsstadien lassen sich von außen nicht oder nur wenig beeinflussen kann sich stattdessen negativ auswirken wie z.B. demotivierend durch ständige Korrektur Immersion ermöglicht ein den Mechanismen des menschlichen Spracherwerbs angepasstes, „natürliches“ Lernen Tabelle 1: Entwicklungsspezifische Fehler aus dem L1-Erwerb des Deutschen und dem L2-Erwerb des Englischen. (Wode 2008) Häufige Vorurteile 1. Die Muttersprache leidet Das kann doch gar nicht funktionieren…! 2. Die Kinder haben kognitive Defizite 3. Das Sachwissen bleibt defizitär 4. IM ist aufwendig und teuer 5. Ohne sofortige Fehlerkorrektur leidet die L2 3 Wissenschaftliche Fakten 1. Die Muttersprache entwickelt sich altersgemäß Altenholz: Hamburger Lesetest (HAMLET) Untersucht das deutsche Leseverständnis IM-Schüler lagen ca. 10% über dem bundesdeutschen Durchschnitt der rund 3500 einsprachig Deutsch unterrichteten Kinder (Bachem 2004, von Berg 2005) 2. Kognitive Vorteile durch IM Wissenschaftliche Fakten 3. Keine langfristigen Defizite im Sachwissen Allerdings muss frühzeitig mit dem Erwerb der L2 begonnen werden, um ein für die Sachfächer ausreichendes Sprachniveau zu gewährleisten 4. IM ist innerhalb der gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen zu verwirklichen Gilt für Bilinguale allgemein Kita: MuttersprachlerIn als ein(e) der gesetzlich vorgeschriebenen ErzieherInnen E.g. schnellere Informationsverarbeitung im Gehirn bei nicht-sprachlichen Tests (Bialystok 2007) Grundschule: Unterrichten der Sachfächer in der L2, d.h. keine zusätzlichen Stunden oder Lehrkräfte Wissenschaftliche Fakten 5. Die L2 entwickelt sich überdurchschnittlich Altenholz: Cambridge Young Learners‘ English (CYLE) (Thielking 2006) • Test für 12-14-jährige, in der Grundschule durchgeführt • IM-Schüler schnitten deutlich besser ab als alle anderen 72.000 im Jahre 2004 getesteten Kinder Organisatorische Voraussetzungen für erfolgreiche IM Besonders die kommunikativen Fähigkeiten sind beachtlich Organisatorische Voraussetzungen Organisatorische Voraussetzungen 1. Lange Kontaktdauer 3. Vielfältiger Input Möglichst früher Beginn (Kita) Möglichst viele verschiedene Sachbereiche in der L2 Kontinuierlich über 6-7 Jahre E.g. in der Schule nicht nur Sport oder Biologie 2. Intensiver Kontakt 4. Regionalverbund Möglichst hoher Anteil der L2 Vernetzung von Kitas und Grundschulen im Sinne eines integrierten Konzepts Mindestens 60-70% der Regelunterrichtszeit in der Schule, in der Kita den ganzen Tag Möglichst unter Beteiligung der Sekundarstufe Nur so können die in der Kita gelegten Grundlagen über die erforderliche Anzahl von Jahren weiterentwickelt werden 4 Sprachenfolge • Die L1 wird in der Familie gelernt Evt. Förderung in Kita und Grundschule Defizite in der L1 bis Ende Kita/ Grundschule beheben Die Sprachenfolge Wann sollte welche Sprache gelernt werden? • Die L2 ist abhängig von örtlichen Gegebenheiten Eine Weltsprache, z.B. Englisch? Eine andere Nationalsprache, z.B. Französisch? In Grenzregionen ist die Nachbarsprache am Sinnvollsten • Die L3 wird je nach der L2 gewählt Weltsprache? Andere Nationalsprache? Regionalsprache? Die IM-Erfolgsformel: Früh Die IM-Erfolgsformel - Zusammenfassung - Intensiv Vielfältig (Vernetzt) Bibliographie Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Weitere Fragen und Anregungen gerne an: [email protected] Apeltauer, E. 2004. Sprachliche Frühförderung von zweisprachig aufwachsenden türkischen Vorschulkindern; Sonderheft 1 der Flensburger Papiere zur Mehrsprachigkeit und Kulturenvielfalt. Flensburg: Universität Flensburg Bachem, J. 2004. Lesefähigkeiten deutscher Kinder im frühen englischen Immersionsunterricht. MA Universität Kiel Bialystok, E., 2007. Cognitive benefits and linguistic costs of bilingualism across the lifespan. Vortrag auf dem 6ten Internationalen Symposium für Bilingualismus (ISB). Hamburg, 30.5.-2.6.2007. Geiger-Jaillet, A. 2005. Sprachunterricht im Elsaß: Die Modelle 3 – 6 - 13 und ihre Umsetzung. In: Schlemminger, G. (ed.) Aspekte bilingualen Lehrens und Lernens. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 95-135 Johnson, R.K. & Swain, M., 1997. Immersion Education: A Category within Bilingual Education. In R.K. Johnson & M. Swain (Hrsg.). Immersion Education: International Perspectives. Cambridge et al.: Cambridge UP, 1-16 Kuyumcu, R. 2006, Sprachlernvoraussetzugen zweisprachig aufwachsender türkischer Kinder: Zwei Einzelfallstudien. In: Ahrenholz, B. & Apeltauer, E. (ed.) Zweitspracherwerb und curriculare Dimensionen. Empirische Untersuchungen zum Deutsch lernen in Kindergarten und Grundschule. Tübingen: Stauffenburg Landeshauptstadt Kiel 2007. Das Kieler Modell: Literalität und Spracherwerb von zweisprachigen Kindern. Kiel: Amt für Schule, Kinder- und Jugendeinrichtungen. Pfaff, C. W. 1992. The isssue of grammaticalization in early German second language. Studies in Second Language Acquisition 14, 237-296. 5 Bibliographie Skutnabb-Kangas, T. & Toukomaa, P. 1976. Teaching migrant children’s mother tongue and learning the language of the host country in the context of the socio-cultural situation of the migrant family. Helsinki: The Finnish National Commission for UNESCO The Commission of the European Communities. Promoting Language Learning and Linguistic Diversity: An Action Plan 2004--2006 (Communication from the Commission to the Council, the European Parliament, the Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: COM (2003) 449 final, 24.07.2003) Thielking, D. 2006. Pilotuntersuchungen zum Sprachstand immersiv unterrichteter deutscher Viertklässler im Rahmen internationaler Zertifizierungstests. Unveröffentlichte Examensarbeit. Universität Kiel Von Berg, B. 2005. Muttersprachliche Lesefähigkeiten bei L2-Immersionsunterricht: Eine Pilotstudie. Unveröffentlichte Examensarbeit. Universität Kiel Wesche, M. B., 2002. Early French Immersion: How has the original Canadian model stood the test of time? In: P. Burmeister, T. Piske & A. Rohde (Hrsg.). An integrated view of language development. Papers in Honor of Henning Wode. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier, 357-379 Wode, H., 1998. A European Perspective on Immersion Teaching: The German Scenario. In J. Arnau & J.M. Artigal (Hrsg.). Els programes d’immersió: una perspectiva Europea/ Immersion Programmes: a European Perspective. Barcelona: Publicacions de la Universitat de Barcelona, 43-65 Wode, H., 2000. Mehrsprachigkeit durch Kindergarten und Grundschulen: Chance oder Risiko? Nouveaux Cahiers d’Allemand 19, 157-178 Wode, H. 2008. Immersion und bilingualer Unterricht im Elementarbereich. Unveröffentlichtes Manuskript: Universität Kiel. Zusatz Lernerszenarien a) Monolinguale Kinder der Mehrheitskultur Immersion für alle? b) Kinder sprachlicher Minderheiten, die schon lange in Deutschland heimisch sind beherrschen die Mehrheitssprache als L1 oder als ihre dominante Sprache sollen meist die Sprache ihrer Vorfahren lernen z.B. Friesen, Sorben oder Dänen Völlig unproblematisch z.B. Französisch für anglophone Kinder in Kanada (Wesche 2002), Deutsch für frankophone Kinder im Elsaß (Geiger-Jaillet 2005) Lernerszenarien c) Kinder aus Minderheiten, die erst seit kürzerer Zeit in der Region leben „Migranten“ Sollen die Sprache des Gastlandes, z.B. Deutsch, lernen bzw. verbessern und/oder ihre Herkunftssprache d) Weitere: Kinder mit pathologischen Auffälligkeiten oder anderen Behinderungen Problemgruppen Migrantenkinder • Soziokulturell bedingte Schwierigkeiten Geringes soziales Prestige der L1 • z.B. Türkisch-deutsche Kita in Berlin (Pfaff 1992) Angst vor Verlust der kulturellen Identität Offene Wertschätzung von L1 und Herkunftskultur! • Defizite in der L1 Gehen Hand in Hand mit kognitiven Defiziten da die kognitive Entwicklung stark mit der Sprache verknüpft ist Förderung der L1! 6 Migrantenkinder • (Familiäre) Einstellung zu Schule und Schriftlichkeit Schulsprache ist stark schriftsprachlich orientiert Förderung z.B. durch Literalitätsansatz (Apeltauer 2004, Kuyumcu 2006, Landeshauptstadt Kiel 2007) IM kann nur bei Beachtung der besonderen Vorbedingungen erfolgreich sein 7
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