Von der Erstvorstellung in den dauerhaften Kontakt: Ansätze zur Verbesserung der Haltequote in Beratung und Behandlung 5. Bayerischer Fachkongress Glücksspiel, 21.05.2014 Barbara Braun Institut für Therapieforschung München Überblick Institut für Therapieforschung München (1) „Risikopersonen“ a) Empirische Befunde b) Diskussion/Übung (2) Strategien zur Erhöhung der Haltequote a) Empirische Befunde b) Diskussion/Übung (3) Zusammenfassung und Fazit 2 Institut für Therapieforschung München Hintergrund Haltequoten und Abbruchraten 60 40 (Braun et al., 2013) ● Ähnliche Zahlen: in Deutschland (DHS, 2010; HLS, 2010) international (Grant, Kim & Kuskowski, 2004; Anzahl Kontakte 50 ● Bayerische Versorgungsstudie über 50% der Klienten: 1 bis 5 Kontakte ca. 70%: vorzeitige Beendigung 52 26 30 14 20 10 8 %0 Melville, Casey & Kavanagh, 2007) ● Häufig “Drop-out” vor Behandlungsbeginn! 1-5 regulär 6-10 11-25 26+ Beendigung vorzeitig (ca. 30%, Melville, Casey & Kavanagh, 2007) 3 Risikopersonen: Empirische Befunde Institut für Therapieforschung München Prädiktoren aus der Literatur I • (Teilweise) Vorhersage von Behandlungsabbrüchen durch Sensation Seeking (Smith et al., 2010), Impulsivität (Leblond et al., 2003) Mehr State Anxiety, Unzufriedenheit mit Behandlung, Alkoholmissbrauch, Neurotizismus (Echeburúa, Fernàndez-Montalvo & Báez, 2001) Höhere Einsätze, längere Spielzeiten, mehr verpasste Arbeitszeit wg. Spielen (Shaffer, LaBrie, LaPlante, Kidman & Donato, 2005) Früherer Erstkonsum, längere Problemdauer (Melville, Casey & Kavanagh, 2007), höhere Spielfrequenz (Tolchard & Battersby, 2013) 4 Risikopersonen: Empirische Befunde Institut für Therapieforschung München Prädiktoren aus der Literatur II • Hinweise, dass reguläre Beender eher: verheiratet (Steward & Brown, 1988), Männer (Grant et al., 2004) Soziale Unterstützung haben (Grant et al., 2004) Mehr Schulden haben (Selbsthilfegruppe; Brown, 1986) 5 Risikopersonen: Empirische Befunde Institut für Therapieforschung München Versorgungsstudie ● Vorhersage von Kontaktzahl und regulärer Beendigung (Regression) ● n= 337 Klienten Mehr Kontakte, wenn Soziodemographische Variablen • höheres Alter Spielverhalten / PG Substanzkonsum Psychische Faktoren Behandlung • • • • Besserung Glücksspielsymptomatik Einbezug der Familie Gruppengespräche reguläre Beendigung 6 Risikopersonen: Empirische Befunde Institut für Therapieforschung München Beendigung Reguläre Beendigung Behandlungsabbruch Soziodemographische Variablen • • • • mittlere Schulbildung vs. niedrig weibliches Geschlecht verheiratet, getrennt lebend nicht-deutsche Staatsbürgerschaft Spielverhalten / PG • höhere Spielfrequenz (wöchentlich+) Substanzkonsum Psychische Faktoren • mehr depressive Symptome • höhere psychische Belastung, GS Behandlung • Besserung Glücksspielsymptomatik • Vorbehandlung 7 Risikopersonen: Diskussion Institut für Therapieforschung München ● Wer ist für Sie die klassische Risikoperson (aus den Befunden)? ● Deckt sich das mit Ihren persönlichen Erfahrungen? ● Bei wem haben Sie den Eindruck, dass das Risiko für einen Abbruch hoch ist? Bei wem wissen Sie schon in der ersten Stunde, dass Sie in der zweiten nicht mehr mit ihm/ihr zu rechnen brauchen? ● (Wie) können Sie die relevanten Infos zur Einschätzung des Risikos schon beim Erstkontakt in Erfahrung bringen? D.h., wie können Sie jemanden schnell identifizieren? ● Was sind Gründe für Abbruch (aus Ihrer Sicht/Erfahrung)? ● Übung: Lesen Sie sich die drei Fallvignetten durch und schätzen Sie jeweils das Risiko für einen Behandlungsabbruch ein (auf einer Skala von 0-100) 8 Risikopersonen: Diskussion Institut für Therapieforschung München Die klassische Risikoperson Jüngeres Alter Frau evtl.: (frisch) getrennt lebend nicht-deutsche Staatsbürgerschaft hohe Spielfrequenz hohe psychische Belastung (aber weniger Depression) Vorbehandlungen Personen, die sowieso wenig in Behandlung kommen (Frauen, Personen mit Migrationshintergrund) Personen, die in akuter Krise vorstellig werden und bereits in Behandlung waren 9 Strategien: Empirische Befunde Institut für Therapieforschung München Übersichtsarbeit bei substanzbezogenen Störungen (Pulford et al, 2010) ● Motivational Interviewing: erhöht Kontaktdauer; eher weniger Einfluss auf kurzfristige Haltequote; keine Evidenz für mehr reguläre Beendigung ● Role induction (Klärung von Erwartungen / Einstellungen): erhöht kurzfristige Haltequote, langfristig eher kein Effekt ● Beschleunigte Aufnahme: erhöhte Rate eingehaltener Ersttermine; unklar, ob Effekte auf längerfristige Haltequote ● Kontaktaufnahme durch persönlichen (nicht Standard-)Brief/Telefonat: erhöht Wiederaufnahme nach Drop-Out ● Keine Effekte: Vorab-Informationen zur Behandlung; Erinnerung an Ersttermin; Vermittlung der Einstellung, dass längere Behandlung notwendig; Incentives für Therapieteilnahme 10 Strategien: Empirische Befunde Institut für Therapieforschung München Vorschlag (Pulford et al, 2010; 2011): Stepped Care Vorgehen ● Standardmäßig Kurzintervention, falls anschließend noch Bedarf/Klient noch in Behandlung weitere Interventionen ● Beispiel für einstündige Kurzintervention: Motivational Interviewing (MI; Diskin & Hodgins, 2009) Strategien MI: aktives Zuhören, Zusammenfassen, Selbstwirksamkeit und Change Talk unterstützen Interventionen: Vor-/Nachteile des Spielens, Entscheidungsbalance, „Readiness Rulers“ (Einschätzung Wichtigkeit, Zuversicht, Bereitschaft), bisherige erfolgreiche Veränderung besprechen Zum Abschluss Ausgabe von Selbsthilfematerial (für Ihren Gebrauch z.B.: http://agspielsucht.charite.de/gluecksspiel/selbsthilfemanual/ ) Sitzung war länger als üblich (75 min) Nach der Intervention (Messzeitpunkte 1, 3, 6, 12 Monate) weniger Geldeinsatz und weniger Spieltage als bei KG, weniger psychische Belastung 11 Strategien: Diskussion Institut für Therapieforschung München Vorgehen beim Erstkontakt und in den ersten Sitzungen ● Beschleunigte Aufnahme? ● Maßnahmen vor Ersttermin? (z.B. kurzes MI am Telefonat: zwar uneinheitliche Befunde, aber einen Versuch ist es wert) ● Soziale Verstärkung? (z.B. handschriftlicher Brief nach (1.) Sitzung, ohne dass Klient Termin verpasst hat) ● Bei Risikoperson möglichen Behandlungsabbruch ansprechen bzw. informieren (Psychoedukatives Informationsblatt)? ● Stepped Care: erste Stunde für MI-Interventionen nutzen, Ausgabe von Selbsthilfematerial; falls Klient wiederkommt, Behandlungsplanung und weitere Interventionen? ● Im Verlauf: immer und immer wieder Motivational Interviewing! ● Weitere Ideen?? 12 Strategien: Diskussion Institut für Therapieforschung München Vorgehen beim Erstkontakt und in den ersten Sitzungen Übung ● Bilden Sie 3 Gruppen, jede Gruppe entwirft für einen der Klienten einen „Behandlungsplan“, d.h.: Was machen Sie vor Behandlungsbeginn? Was sind Inhalte der ersten Stunde, nachdem Sie die wichtigsten Infos haben? Was passiert in den nächsten Stunden, a) wenn Sie stattfinden und b) wenn nicht? ● Sie haben 10 Minuten Zeit, anschließend stellen Sie bitte Ihre Ergebnisse in der Großgruppe vor 13 Institut für Therapieforschung München Vielen Dank für Ihre Mitarbeit!! Kontakt: [email protected] 14 Literatur I Institut für Therapieforschung München Braun, B., Ludwig, M., Kraus, L., Kroher, M., Bühringer, G (2013) . Ambulante Suchthilfe für pathologische Glücksspieler in Bayern: Passung zwischen Behandlungsbedarf und -angebot. Suchttherapie 14(1), 3745. Brown, R. I. F. (1986) Dropouts and continuers in Gamblers Anonymous: IV. Evaluation and summary. Journal of Gambling Studies 3, 202-210. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung: Modellprojekt des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) „Frühe Intervention beim Pathologischen Glücksspielen". 2010. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. Verfügbar unter: http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Projekt_Gl%C3%BCcksspiel/2011_01_17_ABSCHLUSSB ERICHT_FOGS_BMP_Pathologisches_Gl%C3%BCcksspielen_einseitig.pdf [19.01.2012]. Diskin, K. M., & Hodgins, D. C. (2009). A randomized controlled trial of a single session motivational intervention for concerned gamblers. Behaviour research and therapy, 47(5), 382-388. Echeburúa, E., Fernàndez-Montalvo, J., and Báez, C. (2001) Predictors of therapeutic failure in slotmachine pathological gamblers following behavioral treatment. Behavioural and Cognitive Psychotherapy 29, 379-383. Grant, J. E., Kim, S. Won, and Kuskowski, M. (2004) Retrospective Review of Treatment Retention in Pathological Gambling. Comprehensive Psychiatry 45(2), 83-87. Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS). Erhebung von Ansätzen guter Praxis zu Prävention, Beratung und Behandlung von Glücksspielgefährdeten/-abhängigen in Hessen - Abschlussbericht. 2010. Hessische Landesstelle für Suchtfragen e.V. Verfügbar unter: http://www.fogsgmbh.de/pdf/Abschlussbericht_Evaluation_Fachberatung_Gl%FCcksspielsucht_Hessen.pdf [19.01.2012]. 15 Literatur II Institut für Therapieforschung München Leblond, J., Ladouceur, R., and Blaszczynski, A. (2003). Which pathological gamblers will complete treatment? The British Journal Of Clinical Psychology / The British Psychological Society 42(Pt 2), 205209. Melville, K. M., Casey, L. M., and Kavanagh, D. J. (2007) Psychological treatment dropout among pathological gamblers. Clinical Psychology Review 27(8), 944-958. Pulford, J., Adams, P., & Sheridan, J. (2010). Responding to treatment dropout: A review of controlled trials and suggested future directions. Addiction Research & Theory, 18(3), 298-315. Pulford, J., Adams, P., and Sheridan, J. (2011) What do clients want from alcohol and other drug tretment services? A mixed methods examination. Addiction Research and Theory 19(3), 224-234. Shaffer, H. J., LaBrie, R. A., LaPlante, D. A., Kidman, R. C., and Donato, A. N. (2005 )The Iowa Gambling Treatment Program: Treatment Outcomes for a Follow-up Sample. Journal of Gambling Studies 21(1), 61-73. Smith, D., Harvey, P., Battersby, M., Pols, R., Oakes, J., & Baigent, M. (2010). Treatment outcomes and predictors of drop out for problem gamblers in South Australia: a cohort study. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry, 44(10), 911-920. Stewart, R. M., & Brown, R. I. (1988). An outcome study of Gamblers Anonymous. The British Journal of Psychiatry, 152(2), 284-288. Tolchard, B., & Battersby, M. W. (2013). Cognitive Behaviour Therapy for Problem Gamblers: A Clinical Outcomes Evaluation. Behaviour Change, 30(1). 16
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