Sei Du, was mir fehlt! - Boris Grundl

grundls grundgesetz
Boris Grundl
Paragraf 17
Sei Du, was mir fehlt!
„
Angestellte zum Chef: „Sorge für einen sicheren
Arbeitsplatz, obwohl ich mich bei freiwilligen Aufgaben in der hintersten Ecke verkrieche.“
In Unternehmen erkennen Sie diese Menschen
an ihrer Veränderungsresistenz in der Tiefe. Ihre
Haltung ist: Bevor ich etwas ändere, muss zuerst
ein anderer sich ändern. Auch viele Führungskräfte
sind so und an ihrer Vorwurfshaltung zu erkennen.
Stets wollen sie andere mehr in die Pflicht nehmen
als sich selbst. Sie demontieren gerne
die schwachen Ergebnisse öffentlicher
Moral ist die Krücke der Lahmen,
Personen. Sie genießen es, über schwämit der sie auf die letzten Tanzenden
chelnde Fußballstars oder wackelnde
einschlagen.
Oscar Wilde
Politiker herzuziehen. Wie kann man
diese Typen heilen? Sorgen Sie dafür,
dass diese Menschen härter an sich, an ihrer Entnen Brillenrand verloren an. „Was denken Sie“, lauwicklung arbeiten als an der Bewertung anderer.
tet meine nächste Frage, „was bringt mehr – eine
Gerade unter dem Druck schwacher Ergebnisse
Traumfrau zu suchen oder selbst immer mehr ein
entsteht die Lust, über andere zu reden. Lassen
Traummann zu werden?“ Ich ernte Ratlosigkeit.
Sie diese Führungs- und Charakterschwäche nicht
Was auffällt: Menschen wünschen sich DEN Traumzu! Bei Führungskräften ist das besonders schwer.
partner, DEN idealen Chef, DEN perfekten ArbeitsDa die Bewertung anderer ein Teil ihres Berufsplatz und DIE wundervollsten Kinder. Sie haben
bildes ist, hinterfragen sie sich selbst im Laufe der
eine lange Erwartungsliste, hinterfragen aber
Zeit immer weniger.
kaum, inwiefern sie diese Ansprüche selbst leben.
Bewerten Sie sich selbst konsequent härter als
Sie fragen sich, was habe ICH davon, dass es die
alle anderen. Wenn ich Führungskräfte frage, ob
anderen gibt, statt umgekehrt. Sie sagen etwa:
sie ihre Leistung genauso gnadenlos benoten wie
Du Egoist, Du kümmerst Dich zu wenig um mich!?
Philipp Lahms Leistung im Nationalteam, ernte ich
Damit outen sie sich selbst als egoistisch. Was
fragende Blicke. Es geht hier um ein hohes Niveau
sie selbst aus Charakterschwäche nicht leben,
gelebter Selbstverantwortung. Als auf einer priwerfen sie anderen vor. Oscar Wilde bemerkte
vaten Party über kriselnde Prominente hergezogen
hierzu: „Moral ist die Krücke der Lahmen, mit
wurde, habe ich den Anklageführer gefragt, ob er
der sie auf die letzten Tanzenden einschlagen.“
bei der Selbstbewertung genauso konsequent sei
Andere sollen ihnen das geben, was sie selbst
wie bei anderen? Es wurde still und die Unterhalnicht einbringen wollen. So der Patient zum Arzt:
tung wechselte in eine andere, tiefere Richtung.
„Mach mich gesund, obwohl ich Kette rauche, eine
Es wurde ein schöner Abend mit erfüllenden
Couchpotato bin und Cola wie Wasser trinke.“ Zum
Gesprächen. Probieren Sie es – beruflich oder
Partner: „Mach mich glücklich, obwohl ich bei Dir
privat. Es funktioniert!
immer nach Fehlern zum Beschweren suche.“ Der
Kürzlich im Vieraugen-Coaching: Ein Zahnarzt
beklagt sich, dass er seine Traumfrau nicht findet.
Keine erfülle seine klaren Kriterien. Auf meine
Nachfrage, was die Auserwählte denn so mitbringen sollte, folgt ein Wunschzettel von der Länge
des Amazonas. Bei Kriterium Nr. 16 unterbreche
ich ihn und frage: „Welche dieser Eigenschaften
bringen Sie selbst in die Beziehung ein?“ Zuerst
verblüfftes Schweigen, dann blickt er mich über sei-
„
Boris Grundl ist Managementtrainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt,
ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden. Grundl gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung).
Sein neues Buch heißt: „Die Zeit der Macher ist vorbei. Warum wir neue Vorbilder brauchen.“ (Econ Verlag, 2012, 304 Seiten, 19,99 Euro).
www.borisgrundl.de und www.diktatur-der-gutmenschen.de
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wirtschaft + weiterbildung 07/08_2013