„Ohne Studie keine wissenschaftliche Fundierung“ Herr - pistenkids

08.07.2011
In diesem Artikel
„Ohne Studie keine
wissenschaftliche Fundierung“
Herr Memmert, was reizt Sie
persönlich am pistenkids-Projekt?
Warum ist eine solche Studie
notwendig?
Was ist so neuartig an dem
pistenkids-Bewegungskonzept?
Kognition?
Warum sollten Kinder
sportartübergreifend gefördert
werden?
Und das schnellere Lernen beruht
auf Transferleistungen?
Diese Transferleistungen können
auch Einfluss nehmen auf soziale
Kompetenzen?
Wie soll die Studie in der Praxis
realisiert werden?
Welche konkrete Kompetenz
würden Sie beispielsweise fördern?
Sie setzen im pistenkids-Projekt auf
Vielfalt. Was bedeutet dies?
Wie viel Zeit wird die Studie in
Anspruch nehmen?
In welcher Form kann das Angebot
zur Verfügung gestellt werden?
Wie würde das Wissen im Winter und
im Sommer explizit vermittelt?
Das pistenkids-Konzept richtet sich
anders als Vereine schon an
Kleinkinder.
„Ohne Studie keine wissenschaftliche
Fundierung“
Prof. Dr. Daniel Memmert leitet an der Deutschen
Sporthochschule Köln das Institut für Kognitions- und
Sportspielforschung und hat die inhaltliche Fundierung
und
Ausarbeitung
des
pistenkids-Konzepts
übernommen. Über Motive, Vorgehensweise und Ziele
spricht er im pistenkids-Interview.
Herr Memmert, was reizt Sie persönlich
am pistenkids-Projekt?
Das einzigartige an diesem Projekt ist, dass es so etwas
einfach noch nicht gibt. Es gibt noch keine Ausbildung
und kein Konzept, dass berücksichtigt, dass sowohl bei
Schneesportarten als auch bei Sommersportarten
grundsätzliche Gemeinsamkeiten bestehen. Das gilt
für den Bereich der Motorik wie für den Bereich der
Kognition. Wir wollen deshalb einen wissenschaftlich
fundierten Lehrplan entwickeln, der eben diese
Gemeinsamkeit von Sommer- und Wintersport gezielt
fördert.
Warum ist eine solche Studie notwendig?
Ohne Studie gibt es keine wissenschaftliche
Fundierung. Unser Anspruch ist es, einen Lehrplan zu
entwickeln der empirisch fundiert ist. Wir wollen
zunächst prüfen, welche Spiele und Übungen wir mit
den Kindern durchführen müssen, um bestimme
übergreifende Kompetenzen zu schulen. In einem
zweiten Schritt wollen wir dann den Lehrplan für
pistenkids in der Praxis erproben.
Was ist so neuartig an dem pistenkidsBewegungskonzept?
Die Grundidee ist, dass wir sowohl motorische wie
kognitive Komponenten verwenden. Das Konzept wird
aus drei Bausteinen bestehen. Es geht um
sportartübergreifende Koordination, Technik und
Kognition.
1
NEWSLETTER FÜR MITARBEITER
Kognition?
Ja. Bewegung ist eine wesentliche Grundlage geistiger
Entwicklung. Sie fordert die kognitive Leistungsfähigkeit.
In zahlreichen Studien wird beschrieben, dass mehr
Bewegung tatsächlich Einfluss hat auf die Förderung
von kognitiven Faktoren.
Warum sollten Kinder
sportartübergreifend gefördert werden?
Wir glauben, dass die Kinder durch den Erwerb von
sportartübergreifenden Kompetenzen später schneller
und effektiver in der Lage sind, verschiedene
Techniken bei Sommersportarten wie Inline-Skaten,
Skateboardfahren und Mountainbike aber auch bei
Wintersportarten wie Ski- oder Snowboardfahren zu
erlernen.
In diesem Artikel
Die Kinder sollen Spaß haben.
Freie Entfaltung des Spieltriebs.
Ist pistenkids ein Konzept für alle
Kinder?
Ihr Bewegungskonzept schließt auch
Kinder mit motorischen Defiziten ein.
Inwieweit profitieren diese Kinder vom
pistenkids-Bewegungsprogramm?
Die Kinder lernen in den ersten drei
Jahren am meisten. Eignet sich das
pistenkids-Projekt auch für Kitas?
Und das schnellere Lernen beruht auf
Transferleistungen?
Ja. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass sowohl
motorischer Transfer als auch kognitiver Transfer
möglich ist. Dass man Kompetenzen, die man durch
eine Sportart erwirbt, diese auch auf andere
Sportarten übertragen kann. Diesen motorischkognitiven Transfer machen wir uns in diesem Projekt
zunutze.
Diese Transferleistungen können auch
Einfluss nehmen auf soziale Kompetenzen?
Wir wollen auch verschiedene soziale Kompetenzen in
unserem Projekt fördern, dazu zählt das Agieren in
einer
Gruppe.
Dass
sie
lernen
miteinander
Wettkämpfe auszutragen, miteinander Spaß zu
haben, Glück empfinden zu können, Erfolg zu
genießen und mit Niederlagen umzugehen.
Diese Transferleistungen können auch
Einfluss nehmen auf soziale Kompetenzen?
Wir wollen auch verschiedene soziale Kompetenzen in
unserem Projekt fördern, dazu zählt das Agieren in
einer
Gruppe.
Dass
sie
lernen
miteinander
Wettkämpfe auszutragen, miteinander Spaß zu
haben, Glück empfinden zu können, Erfolg zu
genießen und mit Niederlagen umzugehen.
2
NEWSLETTER FÜR MITARBEITER
SEITE 3
Wie soll die Studie in der Praxis realisiert
werden?
Die Studie soll aus zwei großen Teilen bestehen. In der
ersten Phase suchen wir nach den passenden Spielund Übungsformen, die gegebenenfalls neu gedacht
und konstruiert werden müssen, damit sie die
Kompetenzen bei den Kindern ideal fördern. Danach
kommt in der zweiten Phase die praktische Seite. Hier
wird überprüft, ob die Kinder durch die Spiel- und
Übungsformen tatsächlich gefördert werden. Ob also
Lernfortschritte zu erzielen sind.
Welche konkrete Kompetenz würden Sie
beispielsweise fördern?
Eine motorische Kompetenz wäre beispielsweise das
Gleiten. Dass die Kinder lernen auf verschiedenen
Untergründen tatsächlich richtig zu gleiten. Diese
Kompetenz
braucht
man
sowohl
bei
Schneesportarten
wie
beim
Skioder
Snowboardfahren wie bei Inline Skates zum Beispiel.
Wir glauben, dass dieser Baustein „Gleiten, Dosieren“
ein großes Transferpotential aufweist.
Sie setzen im pistenkids-Projekt auf
Vielfalt. Was bedeutet dies?
Wir versuchen durch viele verschiedene Anregungen
und Anforderungen, den Kindern ein facettenreiches
und vielfältiges Angebot zu präsentieren. Wir werden
sehr viele verschiedene Übungen zusammenstellen,
die alle verschiedene motorische Kompetenzen quasi
beiläufig provozieren. Gerade diese Vielseitigkeit wird
dazu führen, dass die Kinder einen sehr großen
Erfahrungsschatz erwerben.
Wie viel Zeit wird die Studie in Anspruch
nehmen?
Um die Spiel- und Übungssammlung für die Kinder zu
entwickeln und zu erproben, brauchen wir zwei bis
drei Jahre. Im Anschluss daran wollen wir relativ
schnell in die Praxis gehen, um den Eltern das
Angebot zur Verfügung stellen zu können.
NEWSLETTER FÜR MITARBEITER
In welcher Form kann das Angebot zur
Verfügung gestellt werden?
Ich glaube, dass unser Projekt beispielsweise von
vielen Vereinen als Chance begriffen wird, Kindern ein
sinnvolles Angebot unterbreiten zu können. Auf der
anderen Seite können durch das pistenkids-Projekt
auch neue Zielgruppen erreicht werden. Alle Vereine
für Sommersportarten und Skischulen können von
unserem Angebot profitieren.
Wie würde das Wissen im Winter und im
Sommer explizit vermittelt?
Wir stellen uns vor, dass wir das fertige Konzept in Form
eines Lehrplans an Interessierte weitergeben. Das
können Eltern sein, das können Vereinsvertreter sein.
Das können aber auch Lehrer sein, die bei uns dann
quasi
weitergebildet
werden
hinsichtlich
der
sportartübergreifenden Kompetenzvermittlung.
Das pistenkids-Konzept richtet sich
anders als Vereine schon an Kleinkinder.
Wir wissen, dass Kinder sich von Geburt an sehr gerne
bewegen und das wollen wir ausnutzen. Wir
versuchen sie schon frühzeitig mit spezifischen
Aufgaben, die sie natürlich nicht überfordern dürfen,
zu konfrontieren. Damit die Kinder ihre Freude an
Bewegung auch ausleben können.
Die Kinder sollen Spaß haben.
Genau. Ein wesentlicher Punkt ist, dass die Kinder
beiläufig die sportartübergreifenden Kompetenzen
erwerben. Wir werden weniger mit Instruktionen
seitens der Übungsleiter arbeiten, sondern vielmehr
Aufgaben präsentieren, die die verschiedenen
Kompetenzen provozieren. Dann lernen sie die
Kompetenzen beiläufig und dabei steht immer der
Spaß im Vordergrund. Nicht das man Regeln
beachten muss und ständig auf Feedback und
Korrekturen des Trainers achten muss.
Freie Entfaltung des Spieltriebs.
So ist es. Wir wollen den natürlichen Spieltrieb der
Kinder adäquat fördern. Dazu zählt auch, dass wir die
natürlichen Umgebungen, in denen Kinder sich frei
entfalten können, anbieten. Der Platz zur freien
Entfaltung von Bewegung ist vor allem in urbanen
Gebieten eingeschränkt.
4
NEWSLETTER FÜR MITARBEITER
SEITE 5
Wiesen, Wälder, Hinterhöfe sind spärlich gesät. Wir
versuchen die natürliche Spiellust, die wir noch von
Straßen und Wiesen kennen, neu zu beleben.
Ist pistenkids ein Konzept für alle Kinder?
Ja, es ist auf jeden Fall ein Konzept für den
Breitensport, das sich an alle Kinder richtet. Das kann
aber auch dazu führen, und das ist auch Ziel des
Projektes, das talentierte Kinder in besonderem Maße
davon profitieren können.
Ihr Bewegungskonzept schließt auch
Kinder mit motorischen Defiziten ein.
Inwieweit profitieren diese Kinder vom
pistenkids-Bewegungsprogramm?
Viele Kinder können nicht mehr auf einem Bein stehen
und hüpfen und auch nicht auf einer geraden Linie
balancieren. Neueste Studien besagen, dass über 30
Prozent der Vorschulkinder eine Haltungsschwäche
haben. Tendenz steigend. Das ist wirklich gravierend,
denn
motorische
Entwicklungsrückstände
im
Kindesalter ziehen häufig Lern- und Leistungsstörungen
in der Schule nach sich und sind mit verschiedenen
Erkrankungen im Erwachsenenalter assoziiert, wie
Fettleibigkeit,
Stoffwechselerkrankungen
und
Herzkreislauferkrankungen
sowie
degenerative
Rückenerkrankungen. Motorische und sensorische
Fähigkeiten können nur durch regelmäßige Übung
geschult werden, am besten schon ab Kleinkindalter.
Durch Urbanisierung und/oder Zeitmangel der Eltern
fehlen jedoch häufig die entsprechenden Freiräume.
Unser vielseitiges Bewegungsprogramm schafft daher
die Möglichkeit, diese Defizite zu kompensieren.
Davon profitieren Kinder und starten mit besseren
Chancen ins Leben.
Die Kinder lernen in den ersten drei Jahren
am meisten. Eignet sich das pistenkidsProjekt auch für Kitas?
Ja, das pistenkids-Konzept richtet sich an Kitas,
Grundschulen und wie gesagt auch an Vereine, die
schon frühzeitig Programme für die sogenannten
„Minis“ anbieten wollen.
Herr Prof. Dr. Memmert: Wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Loretta Langendörfer.