Musik kann Menschen retten - Die Onleihe

Die Projekte
Die Künstler
Internationale
Opernstars gemeinsam
gegen Aids Seite III
Dem Alltag wieder
Struktur geben: Besuch
im Essener Café [iks] Seite II
DIENSTAG, 6. JANUAR 2015
SONDERAUSGABE OPERNGALA FÜR DIE DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG
UWE SAUERWEIN
H
Musik
kann
Menschen
retten
Zum 21. Mal treten
Opernstars in Berlin
für die Deutsche
Aids-Stiftung auf
GETTY IMAGES/STEPHANIE DALTON COWAN
ochkarätige Künstler auf
der Bühne, klangvolle Namen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft im Publikum:
Die Festliche Operngala Berlin für die
Deutsche Aids-Stiftung ist ein künstlerisches und gesellschaftliches Großereignis und zählt seit Jahren zu den wichtigsten
Charity-Veranstaltungen
in
Deutschland. Die 21. Gala findet am 10.
Januar mit mehr als 2000 Gästen in der
Deutschen Oper Berlin statt. Der Erlös
der Veranstaltung fließt erneut in Hilfsprojekte der Deutschen Aids-Stiftung in
Deutschland und Afrika.
6,2 Millionen Euro kamen in den letzten 20 Jahren bei der Berliner Gala zusammen. Doch sie bringt weit mehr als
materielle Hilfe. Der Hotelier Alfred
Weiss und der Konzertmanager Alard
von Rohr hatten nicht nur finanzielle
Unterstützung im Sinn, als sie die Gala
1994 mit Berlins unvergessener CharityLady Irina Pabst aus der Taufe hoben.
Auch dank der Operngala erfahren von
Aids und HIV Betroffene heute mehr Akzeptanz. Doch die Stigmatisierung gehört keineswegs der Vergangenheit an.
Durch den Einsatz moderner Medikamente können viele Menschen mit HIV
und Aids in Deutschland heute eine fast
normale Lebenserwartung haben. Doch
Heilung gibt es nach wie vor keine. Patienten bleiben Patienten – ihr Leben
lang. „Heute ist es das Ziel, den Betroffenen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen“, erklärt Ulrich Heide (61). Der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen
Aids-Stiftung meint, dass das Thema
HIV seit einigen Jahren in der breiten
Öffentlichkeit nicht mehr die Wahrnehmung habe, die es angesichts der aktuellen Problemsituation erfahren müsste.
„Dream“ in Mosambik verhindert, dass
sich Kinder bei ihren Müttern anstecken
DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG/KAULFUSS
BETTINA STÖSS
Unterhaltsame Anmerkungen zur Operngeschichte: Max Raabe moderiert die Gala
Nach dem Konzert wird in den Räumlichkeiten der Deutschen Oper gefeiert
ELI KELLER
PA/MIKE WOLFF
Donald Runnicles dirigiert Chor und
Orchester der Deutschen Oper Berlin
DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG
Nach den Zahlen des Robert-Koch-Instituts leben zurzeit mindestens 80.000
Personen mit der Infektion in unserem
Land, gut zweieinhalb Mal mehr als in
den 90er-Jahren, als noch intensiv über
dieses Thema berichtet wurde. Der
Grund dafür, so Ulrich Heide, sei zwar
letztlich positiv, denn es wird nicht
mehr so häufig und so schnell gestorben.
„In den letzten zehn Jahren ist aber auch
die Zahl der Neuinfektionen deutlich gestiegen. Wir gehen davon aus, dass wir
pro Jahr in Deutschland 3000 bis 3500
Neuinfektionen haben und ,nur’ noch
500 Todesfälle. Das bedeutet aber auch,
dass wir auch in den kommenden Jahren
weiterhin mit gut 2500 Betroffenen
mehr pro Jahr rechnen müssen.“
Viele Infizierte leben nicht nur länger,
sondern dank der Behandlung auch
deutlich besser. Doch gerade bei Langzeit-Therapien treten immer wieder Begleit- und Folgeerkrankungen auf. Ungefähr zwei Drittel aller Infizierten, sagt
Ulrich Heide, würden einer ganz normalen Berufstätigkeit oder Ausbildung
nachgehen. „Wir wissen aber auch, dass
es etwa 20 Prozent schlechtgeht. Körperlich, aber auch materiell, weil sie
DEUTSCHE AIDS-STIFTUNG/KAULFUSS
Spendenkonto:
IBAN: DE14 1005 0000 0190 4044 00
BIC: BELADEBEXXX
Berliner Sparkasse
Wer online spenden möchte:
www.aids-stiftung.de/spenden
Estragon Nürnberg: ein Qualifizierungsprogramm der Deutschen Aids-Stiftung
Ulrich Heide, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Aids-Stiftung
langfristig von staatlichen Transferleistungen abhängig sind, die nicht ausreichen, wenn man über viele Jahre von ihnen leben muss.“ Das gelte besonders
für Frauen. Obwohl von allen Infizierten
in Deutschland aktuell gerade 18,7 Prozent weiblich waren, sind unter den
Menschen, die sich im vergangenen Jahr
an die Stiftung wandten, 46,2 Prozent
Frauen. Also fast zweieinhalb Mal so
viel, wie statistisch zu erwarten wäre.
In den vergangenen fünf Jahren haben
nahezu 6000 verschiedene Personen
Hilfe bei der Stiftung beantragt. „Das
sind immerhin zehn Prozent von allen,
die von ihrer Infektion wissen“, erklärt
Ulrich Heide. Laut Robert-Koch-Institut
wüssten fast 20 Prozent aller Betroffenen nicht, dass sie infiziert sind. Sie haben sich bisher nicht testen lassen.
Global leben 35 Millionen Menschen
mit der Infektion. 1,5 Millionen sind 2013
weltweit an Aids gestorben, davon 1,1
Millionen in Afrika südlich der Sahara.
In Westafrika sind die Infektionszahlen
deutlich niedriger als in Ostafrika, am
höchsten sind sie im südlichen Afrika.
Ohne die Probleme gegeneinander verrechnen zu wollen, verweist Ulrich Heide auf die bloßen Zahlen: „Selbst in den
am stärksten von Ebola betroffenen Ländern, also Sierra Leone, Liberia und Guinea, sterben mehr Menschen an Aids als
an Ebola. Laut WHO, der Weltgesundheitsorganisation, sind die Prävalenzraten, also die Gesamtinfektionsraten, in
Westafrika die niedrigsten südlich der
Sahara.“ Zum Teil würden sie sich nicht
nennenswert von denjenigen in einigen
osteuropäischen Ländern unterscheiden,
so Heide. „Die Rate für Liberia wird von
der WHO mit 1,1 Prozent angegeben, für
Estland mit 1,3.“ Mit den nach wie vor
gewaltigen Herausforderungen durch
HIV und Aids in den meisten afrikanischen Staaten begründet Heide auch das
Engagement der Stiftung im Süden.
Die Deutsche Aids-Stiftung konzentriert sich bei ihrer Hilfe auf das am
stärksten betroffene südliche Afrika. „In
Südafrika unterstützen wir seit mehr als
zehn Jahren ,Hope Cape Town’. Das war
in Südafrika das erste Projekt, das Kindern den Zugang zur Therapie ermöglichte und das sich jetzt darauf konzentriert, die Weiterbehandlung zu verbessern und damit die Therapie langfristig
zu stabilisieren“, erklärt Heide.
Das zweite große Projekt sei das
Dream-Programm in Mosambik, das die
Übertragung des Virus von Mutter auf
Kind verhindern soll. „Auf dieses Programm sind wir deshalb so stolz, weil 98
von 100 Kindern infizierter Mütter gesund zur Welt kommen und es auch in
einem Kontroll-Zeitraum von drei Jahren bleiben. Außerdem bleiben auch die
Mütter in Therapien und können sich
somit weiter um ihre Kinder kümmern.“
In Mosambik könne man mit überschaubaren Mitteln Gravierendes verändern.
„Konkret liegen die Kosten für ein Jahr
Mutter-Kind-Begleitung, inklusive Medikamente, Diagnostik, Personal- und Infrastruktur-Kosten bei circa 500 Euro.
Das entspricht etwa dem Durchschnittspreis eines Tickets unserer Gala.“
Die „Aids-Gala“ 2015 hat einen neuen
Partner. Die Audi AG unterstützt die
Veranstaltung zunächst für drei Jahre.
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, übernimmt
wieder die Schirmherrschaft.
Sa, 10. Januar, 19 Uhr. Restkarten an der
Kasse der Deutschen Oper Berlin,
Tel.: 030 / 343 84 343
www.deutscheoperberlin.de
Hilfe zur
Selbsthilfe im
In- und Ausland
Projekte der Deutschen
Aids-Stiftung
Einzelhilfen in Deutschland
Die Deutsche Aids-Stiftung unterstützt Menschen mit HIV und Aids in ihrem Alltag. Dazu gehören die finanzielle
Hilfe für medizinische Hilfsmittel, die
Anschaffung von notwendigen Einrichtungsgegenständen oder für den Umzug
in behindertengerechte Wohnungen. Die
Einzelhilfe verbessert nicht nur die materielle Situation von Betroffenen, sie
kann ein erster Schritt zu Beratung und
Therapie sein, die zuvor aus Gründen
des Misstrauens, der Scham oder des
Nichtwissens nicht in Anspruch genommen wurden.
Projekte in Deutschland
Viele Betroffene benötigen auch eine
funktionierende Infrastruktur. Dabei
konzentriert sich die Aids-Stiftung auf
existenzielle Bereiche wie Wohnen, Arbeit, Ernährung und Qualifizierung, Genesungsreisen und Unterstützung für
HIV-positive Frauen und Migranten. So
fördert die Stiftung jedes Jahr rund 100
Projekte für Betroffene. Alleine in den
letzten zehn Jahren erhielten Wohnprojekte von insgesamt 33 verschiedenen
Trägern, mehrheitlich lokale Aids-Hilfen, finanzielle Hilfe. Die Deutsche AidsStiftung erwarb oder baute daneben eigene Wohnungen und Häuser: in Lahnstein bei Koblenz, Berlin, Essen und
Köln. Sie werden von lokalen Trägern
der Aids-Hilfe betrieben und bieten den
Bewohnern eine individuell auf ihre Bedürfnisse angepasste Betreuung.
Mit besonderer Unterstützung des
Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV) fördert die Stiftung
Hilfsprojekte, welche die Beratung, Begleitung und Gesundheitsförderung von
Migranten zum Ziel haben, etwa das BEKAM-Projekt der Berliner Aids-Hilfe, das
Projekt „Helping Hands“ des Uniklinikums in Frankfurt/M. oder den Aufbau
eines Frauen- und Familienzentrums für
Menschen mit Migrationshintergrund in
Essen. Um Betroffene nach langer
Krankheit und beschäftigungslosen Zeiten wieder an die Arbeitswelt heranzuführen, fördert die Deutsche Aids-Stiftung Projekte wie „HIVissimo“ in Köln
oder „Estragon“ in Nürnberg. Bei Genesungsreisen übernimmt die Stiftung die
Extrakosten für das Pflegepersonal und
bezuschusst die krankheitsbedingten
Mehrkosten. Einige der besonders bedürftigen Reisenden erhalten einen Reisekostenzuschuss.
Projekte im südlichen Afrika
Die Stiftung unterstützt die Organisation „Hope Cape Town“, die sich um
HIV-positive Kinder und deren Eltern
kümmert. Sie schafft notwendige Infrastrukturen in den Townships, um HIVinfizierte Menschen mit den lebensrettenden Medikamenten zu versorgen. In
Mosambik fördert die Stiftung das Programm Dream, dessen Ziel es ist, die Infektionsrate bei der Mutter-Kind-Übertragung drastisch zu reduzieren. Dream
wurde in Kliniken und Gesundheitszentren integriert. Eine große Rolle spielen
die ehrenamtlichen Helferinnen, sogenannte Activistas. Selbst betroffen von
der Krankheit, können sie ihre Erfahrungen glaubhaft weitergeben. usi
Lebensfreude, Hilfsbereitschaft und ein bisschen Voyeurismus
Ob Ball oder Gala, ob Sitzplatz oder Flanierkarte: Rauschende glamouröse Nächte folgen einer bestimmten Ordnung
ASTRID HEGENAUER
L
ange, rauschende Chiffonkleider,
elegante Hochsteckfrisuren mit
Haarspray fixiert, akkurate Smokings und auf Hochglanz polierte Schuhe
– es weht ein elitärer Hauch über dem
Roten Teppich, wenn die Gäste in Richtung Ballsaal oder ins festlich geschmückte Foyer schreiten. Anders als
bei einer Filmpremiere oder einem Party-Event folgt eine Gala oder ein Tanzball einer anderen Ordnung: Hier sind
Etikette und Stil besonders gefragt. Ist
man nicht in der Lage, die begehrten,
hochpreisigen Karten zu erstehen oder
erhält man keine Einladung, darf man
sein gesellschaftliches Standing schon
mal hinterfragen. Und wer nicht dabei
ist, verpasst mit Sicherheit etwas.
Zu den erlesenen Gästen bedeutender
Bälle gehören Politiker, Entscheidungs-
träger aus der Wirtschaft und Kulturgrößen, Finanz- und natürlich echter Adel.
Dass in Berlin auch „Normalbürger“ sparen, um der Operngala für die Deutsche
Aids-Stiftung beiwohnen zu können, ist
eine Besonderheit dieses Abends, der zu
den wichtigsten gesellschaftlichen Ereignissen in der Hauptstadt zählt.
Die Berliner Charity-Veranstaltung
war und ist so erfolgreich, dass die Deutsche Aids-Stiftung die Operngala seit einigen Jahren auch andernorts auf die
Beine stellt. Am 7. März feiert man im
Opernhaus in Düsseldorf zum sechsten
Mal einen Abend festlicher Stimmen
und großer Hilfsbereitschaft. Und zum
vierten Mal findet in Bonn die Aids-Gala
am 9. Mai im Opernhaus statt, erstmals
moderiert von dem Arzt und Entertainer
Eckart von Hirschhausen. Die künstlerische Gesamtleitung der Abende liegt wie
in den Jahren zuvor bei Alard von Rohr,
dem ehemaligen Direktor der Deutschen
Oper Berlin und einem der Initiatoren
der Berliner Festlichen Operngala.
Fungierte früher ein Ball als Heiratsmarkt in höheren, gesellschaftlichen
Kreisen, ist er heute eine glamouröse Benefizveranstaltung, stilvoller Treff- und
gesellschaftlicher Höhepunkt, der einmal im Jahr auch journalistische Beobachter auf sich zieht. Dabei gilt: Je hochkarätiger die Veranstaltung, desto ausgewählter die Gästeliste – und desto länger
der mediale Nachklang. Auch wenn Österreich nach wie vor in der Balltradition
die Nase vorn hat, genießen es auch
hierzulande die Gäste, sich schick zu
machen und sich dem besonderen Flair
hinzugeben. Ob nun in Fachkreisen wie
bei Ärzten, Juristen, Kaufleuten oder der
Feuerwehr – es ist etwas Besonderes.
Für den Erfolg einer rauschenden
Nacht jonglieren die Veranstalter gern
mit Superlativen. So wie etwa die Stiftung Deutsche Sporthilfe für den Ball
des Sports mit dem Motto „Arena für
Gipfelstürmer“. Am 7. Februar treffen
sich 1600 Gäste in Wiesbaden in einer
mobilen 4400 Quadratmeter großen
Arena. Über den Köpfen der Gäste sollen
spektakuläre Klettereinlagen stattfinden.
Eine besondere Atmosphäre herrschte
auch beim Bundespresseball im November vergangenen Jahres in der Abflughalle des Flughafen Tempelhof in Berlin.
Die 2000 Gäste hatten die schönste Zufahrt direkt über das Rollfeld vorbei am
Rosinenbomber zum Ort des Geschehens. Ob nun Originalität oder Sternekoch – kulinarisch muss es exklusiv sein,
wie etwa Austern vom Gepäckband
(Bundespresseball). Spektakuläre Showacts oder erlesen besetzte Konzertauftritte bestimmen das Flair. Und dennoch: Irgendeiner hat immer etwas zu
meckern, aber hier – bitte schön – hinter
vorgehaltener Hand.
Eine schillernde Plattform für perfektes Ballgeflüster bietet der Deutsche
Filmball in München. Im Bayerischen
Hof trifft sich am 17. Januar das „Who’s
Who“ des Films, Schauspielerin Anna
Loos bezeichnete den Abend als Klassentreffen der Branche. Die glamouröse
Gala der Eitelkeiten, mit meist wochenlangem Nachhall in Zeitungen und Illustrierten, erlebt das gemeine Volk im Anschluss mit. Anders in Dresden: Der
SemperOpernball ist nicht nur ein Ball
für die oberen Zehntausend, sondern
auch für Zaungäste. Am 30. Januar wird
der Ball über Leinwände auf den Theaterplatz übertragen, passend zum Motto
„Dresden jubelt“. In dem Medienrummel um solche Events schaffen es auch
immer wieder Filmsternchen, Möchtegernstars oder D-Promis vor die Kamera,
in der Hoffnung, der Glanz möge aufs eigene Image abfärben.
Selbst wer in den Genuss einer Sitzplatzkarte kommt, muss nicht immer zufrieden sein. So wie der Ex-Regierende
Klaus Wowereit einst bei einem Berliner
Presseball. Um der italienischen Filmdiva Gina Lollobrigida gegenüber sitzen zu
können, vertauschte er kurzerhand die
Tischkarten. Gelobt sei da die Flanierkarte, die es erlaubt, eine glamouröse
Nacht en passant zu genießen. Voyeurismus und Schadenfreude gehören zu den
Begleitern. Denn auch wenn der englische Dichter John Dryden behauptete,
„Tanzen ist die Poesie des Fußes“, ist
nicht jeder Gast ein Poet und der eine
oder andere Stolperschritt zu beobachten. Es gibt aber eine elegante Art sich
ganz aus der Affäre zu ziehen. Man
glänzt durch Abwesenheit – so wie stets
Bundeskanzlerin Angela Merkel.