SPECTACULAR CATASTROPHES, CATASTROPHIC SPECTACLES Internationale Abschlusstagung des DFG-Projekts „Die katastrophische Feerie“ Organisation: Jörg Dünne & Gesine Hindemith (Erfurt) in Zusammenarbeit mit Judith Kasper (München) Termin: 4.-7. März 2015 Tagungsort: Augustinerkloster in Erfurt Tagungssprachen: Englisch, Französisch Gegenstand der Tagung ist die spannungsreiche Verbindung, die Katastrophen und Spektakularität in ästhetischen wie auch politischen und anderen kulturellen Praktiken eingehen. Impliziert ist dabei die These, dass Katastrophen einerseits eine Tendenz zur spektakulären ZurSchau-Stellung, umgekehrt aber auch spektakuläre Inszenierungen eine besondere Affinität zur katastrophischen Wendung besitzen. Die Verschränkung von Spektakel und Katastrophe, so eine der Grundannahmen für die Tagung, beruht auf einer Konstellation der Sichtbarmachung von historischen Diskontinuitäten. Diese Sichtbarkeit tritt besonders ausgeprägt seit dem 18. Jahrhundert zu Tage, latent reichen die Grundlagen und Voraussetzungen dafür aber unter Umständen viel weiter zurück. Vergleichend sollen im Rahmen der Tagung darum auch andere historische Epochen und Zeitlichkeiten mit einbezogen werden. Besonders virulent ist dies, wenn sie zum Vergleichs- bzw. Ansatzpunkt einer Selbstvergewisserung der modernen katastrophischen Spektakularität bzw. spektakulärer Katastrophismen werden oder sogar die Frage nach „Gründungskatastrophen“ aufwerfen, auf die sich aktuelle Ordnungen berufen. Dieses Thema soll in vier Sektionen entfaltet werden: 1) Zur modernen „Spektakularisierung“ Spectacularization of Catastrophes von Katastrophen / The Modern Im 18. Jahrhundert setzt sich, so kann man annehmen, ein bestimmter Typ von spektakulärer Inszenierung (vgl. Moindrot, Röttger) durch, der bereits in der antiken Tragödientheorie angelegt war, aber darüber hinausreicht. Hinsichtlich der Vorgeschichte moderner Spektakularität entwickelt sich im Kontext der Empfindsamkeit das Melodram mit seinen abrupten ‚Glückswechseln‘ (vgl. Menke/Schäfer/Eschkötter). Der populäre Modus des Melodramatischen weist dabei in seiner spektakulären Inszenierung über den institutionellen Raum des Theaters hinaus. Es entwickelt sich die Spektakularität als Form kapitalistischer Vergesellschaftung (vgl. Debord), aber auch wahrnehmungsgeschichtliche Untersuchungen verorten das Spektakuläre in den modernen Medientechniken (vgl. Crary). Herauszuarbeiten wäre im Rahmen der Tagung insbesondere das moderne Spektakuläre als ein Ort, an dem in paradigmatischer Weise Brüche und gegenstrebige Fügungen sozialer und politischer Dynamiken verhandelt werden. 2) Spektakuläre Katastrophen als Denkform von Historizität zwischen Human- und Naturgeschichte / Spectacular Catastrophes as a Figure of Thinking Historicity Etwa gleichzeitig wird im 18. Jahrhundert auch ein neuer, nicht auf das Theater bezogener Begriff der Katastrophe „erfunden“ (vgl. Mercier-Faivre/Thomas), der sich insbesondere durch eine Doppelung von ereignis- und naturgeschichtlicher Bedeutung auszeichnet. Die ‚Spektakularisierung‘ unerwarteter katastrophischer Wendungen geht einher mit einer Ausdifferenzierung verschiedener Zeitlichkeiten, die für moderne Katastrophendiskurse, so ist anzunehmen, eine besondere Rolle spielt. Hier wäre einerseits die ‚deep time‘ der Naturgeschichte mit ihren (geologischen) Katastrophen (vgl. Rudwick) und andererseits die ‚kurze‘ Zeit der menschlichen Geschichte mit ihren als Katastrophen beschreibbaren Revolutionen (vgl. Koselleck) zu nennen. Es ist zu vermuten, dass ‚spektakuläre Katastrophen‘ als spezifische Form der Verzeitlichung von Wissen und Kultur um 1800 auftreten, und auch gegenwärtige Katastrophendiskurse, etwa in Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen, noch prägen (vgl. Dupuy, Welzer). 3) „Gründungskatastrophen“ / „Founding Catastrophes“ Ausgehend von dem Befund einer mutiplen Zeitlichkeit von spektakulären Katastrophen seit dem 18. Jahrhundert soll auch die Frage aufgeworfen werden, inwiefern Katastrophen unter Umständen nicht nur das apokalyptische Ende einer kulturellen Ordnung, sondern auch deren Neuanfang beschreiben können – möglicherweise können spektakuläre Katastrophen somit auch den Status kultureller ‚Gründungsakte‘ annehmen bzw. sich mit Figuren der Gründung überlagern. Gilles Deleuze’ Konzept des „effondement“, einer Hybridbildung aus Gründung (fondement) und Zusammenbruch (effondrement), wäre ein Beispiel dafür. In Zusammenhang damit stellt sich insbesondere die Frage in welchem Zusammenhang die Vergegenwärtigung von spektakulären Gründungskatastrophen mit den kulturtheoretisch bereits eingehend untersuchten ‚Gründungsnarrativen‘ (vgl. Koschorke) stehen. 4) Désastre, rupture & Co. - Alternative Denkfiguren von Diskontinuität / The Critique of Spectacular Catastrophes Die spektakuläre Katastrophe, wie sie im Rahmen der Tagung zur Diskussion steht, ist immer mit einer Exteriorisierung von Ereignissen verbunden, die mit einer Übertragung von Affektivität im Rahmen einer situativen Doppelung von Aufführungs- und ‚Zuschauersituation‘ einhergeht. Komplementär dazu soll die Tagung aber auch der Frage gewidmet sein, welche alternativen (und möglicherweise nicht bzw. in anderer Weise vom Spektakulären geprägte) Denkfiguren von Diskontinuität es gibt. In diesem Rahmen ist zu prüfen, inwiefern theoretische Reflexionen auf die moderne Kultur mit der Denkfigur der spektakulären Katastrophe konkurrieren. Mögliche Alternativmodelle, die das spektakuläre Moment der katastrophischen Wendung einklammern oder transformieren, wären etwa Maurice Blanchots unspektakuläres „désastre“, Gaston Bachelards wissensgeschichtliches Konzept der „rupture épistémologique“ u.a. Auswahlbibliographie: Bachelard, Gaston (2004/1947): La formation de l’esprit scientifique. Paris: Vrin. Blanchot, Maurice (1980): L’écriture du désastre. Paris: Gallimard. Crary, Jonathan (1999): Suspensions of Perception. Attention, Spectacle and Modern Culture. Cambridge: MIT Press. Debord, Guy (2007/1967): La société du spectacle. Paris: Gallimard. Deleuze, Gilles (1996/1968): Différence et répétition. Paris: PUF (S. 92 sq: „effondement“). Dupuy, Jean-Pierre (2002): Pour un catastrophisme éclairé. Quand l’impossible est certain. Paris: Points essais. Koschorke, Albrecht (2007): „Zur Logik kultureller Gründungserzählungen“. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 2, 5-12. Koselleck, Reinhart (2006/1979): Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am M.: Suhrkamp. Menke, Bettine/Schäfer, Armin/Eschkötter, Daniel (Hg.) (2013): Das Melodram. Ein Medienbastard. Berlin: Theater der Zeit. Mercier-Faivre, Anne-Marie/Chantal Thomas (2008): L'Invention de la catastrophe au XVIIIe siècle. Du châtiment divin au désastre naturel. Genève: Droz. Moindrot, Isabelle (Hg.) (2006): Le spectaculaire dans les arts de la scène du romantisme à la Belle Époque. Paris: CNRS Éditions. Röttger, Kati (2008): „Kritik des Spektakels“. In: Forum Modernes Theater, 23(2), 83-96. Rudwick, Martin (1992): Scenes from Deep Time. Early Pictorial Representations of the Prehistoric World. Chicago/London: Chicago University Press. Welzer, Harald (2008): Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Frankfurt a.M.: Fischer.
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