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Vom Nordpol zum Südpol
Mumm für den Mann
Leid und Liebe
Extremsportler Robby Clemens will
25 000 Kilometer laufen. Seite 3
Wo Testosteron Mangelware ist, kann
ein Gel Abhilfe schaffen. Seite 10
»Moonlight« von Barry Jenkins
ist ein zärtliches Drama. Seite 15
Foto: Florian Schneider
Foto: DCM
Donnerstag, 9. März 2017
STANDPUNKT
Unterirdisch
Kurt Stenger über die Suche nach
einem Endlagersuchgesetz
Bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktiven Atommüll sind noch alle Fragen offen.
Dennoch kommen wir, zumindest
wenn es nach dem Willen der
Bundesregierung und der Grünen
geht, mit dem neuen Endlagersuchgesetz einen großen Schritt
voran: Geht es unverändert durch
den Bundestag, dann sind die
Fragen formuliert, um deren Beantwortung es künftig ausschließlich gehen soll.
Wie bei der Atomkraft üblich,
bleibt aber dennoch ein erhebliches Restrisiko: Was, wenn sich
keine einzige geologische Formation in Deutschland findet, in der
der strahlende Müll für sehr, sehr
lange Zeit relativ sicher eingeschlossen werden kann? Insofern
ist es eine verfrühte Festlegung
im Gesetz, dass der Müll möglichst tief unter der Erde wasserdicht und erdbebensicher verbuddelt werden soll. Dies schließt
nämlich die Suche nach etwaigen
Lagerungsalternativen aus.
Auch die von Umweltverbänden geforderte stärkere Bürgerbeteiligung, die das Gesetz nicht
allzu ernst nimmt, würde dieses
Problem nicht lösen. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass
am Ende das ganze Zeugs an einem nur halbwegs geeigneten
Standort vergraben wird, an dem
die Bevölkerung aber keinen Widerstand leistet. Die Parole
»Hauptsache nicht Gorleben« ist
auch keine Lösung.
Es geht darum, das Gesetz
gründlich zu überarbeiten. Zeitdruck haben nur die AKW-Betreiber, die ihren Abfall zunehmend
in Zwischenlagern ohne Genehmigung bunkern. Eine übereilte
Endlagersuche – das wäre nun
wirklich unterirdisch!
UNTEN LINKS
Vorbei ist er, der Frauentag. Gibt
es so etwas wie einen
Frauentagskater? Früher bekamen ihn Typen, damals noch
»Männer«, die die Blumen vergessen hatten. Frauen waren da
eigen. Heute werden extra Frauenkampftagstexte geschrieben. In
dieser Zeitung las man, dass die
einstigen Uga-Uga-Rufe sowie das
Sackkratzen des NeanderthalMannes heute vom Klappern mit
dem Schlüsselbund ersetzt seien.
Und vom Klimpern mit Kleingeld
in der Hosentasche. Trinken
Frauen keinen Kaffee? Wissen sie
nicht, dass die Funktionsfähigkeit
des Kaffeeautomaten sich umgekehrt proportional zur Menge des
Kleingelds in der Tasche verhält?
Nichts vom Spieltrieb, den eine
Handvoll Kleingeld auslösen
kann? Warum interessiert Frauen
eigentlich so, was Männer (sorry,
Typen) mit den Händen in ihren
Hosentaschen anstellen? Meine
Frau verwies tröstend auf ihre eigene Gewohnheit. Sie spielt in
ihrer Manteltasche stetig mit –
man wagt es kaum zu sagen –
zwei Kastanien. uka
ISSN 0323-3375
72. Jahrgang/Nr. 58
Brennstab sucht letzte Ruhe
Alles von vorn: Gesetzentwurf für Erkundung des Atommüll-Endlagers vorgestellt
Bundesausgabe 1,70 €
www.neues-deutschland.de
Bündnis fordert
von EU Achtung der
Grundwerte
Menschenrechtler fordern sichere
Zugangswege nach Europa
Brüssel. Vor dem EU-Gipfel in Brüssel haben
162 Nichtregierungsorganisationen aus mehr
als 20 Ländern die Regierungen aufgefordert,
in ihrer Flucht- und Migrationspolitik die
Menschenrechte zu achten. In dem am Mittwoch vorgestellten Appell der Organisationen – darunter Pro Asyl, Save the Children
und Oxfam – heißt es, die Regierungen müssten die Rechte und Werte hochhalten, »die seit
60 Jahren die Gründungsprinzipien der Europäischen Union bilden«. Flüchtlinge dürften nicht einfach abgewiesen werden.
Notwendig sei eine »nachhaltige, weitsichtige Migrationspolitik« gerade vor dem Hintergrund erstarkender rechtspopulistischer
Kräfte. Dazu gehöre, sichere und reguläre Zugangswege nach Europa mit humanitären und
anderen Visa auszuweiten, mehr Plätze für die
dauerhafte Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge zu schaffen und die Bedingungen für Familienzusammenführungen
zu verbessern. AFP/nd
Seite 2
Hawaii macht mobil
gegen Muslim-Bann
US-Bundesstaat klagt gegen neues
Einreisedekret von Präsident Trump
Foto: plainpicture/Anja Bäcker
Berlin. Union, SPD und Grüne haben am Mittwoch den Gesetzentwurf zur Suche nach einem Atommüll-Endlager in den Bundestag eingebracht. Es sei das vielleicht wichtigste umweltpolitische Gesetz dieser Wahlperiode, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Sie sei stolz, dass man sich fast
parteiübergreifend geeinigt habe. An der Ausarbeitung waren alle Bundestagsfraktionen beteiligt, die LINKE wollte den Entwurf am Ende
nicht mittragen. Unter anderem kritisierte sie
»Schlupflöcher« im Exportverbot für hoch radioaktiven Atommüll. Das Gesetz soll noch im
März von Bundestag und -rat verabschiedet
werden. Es folgt den Empfehlungen der Kommission zur Endlagersuche für 30 000 Kubikmeter hoch radioaktiven Abfall – hauptsächlich abgebrannte Brennstäbe aus AKW. Offen
ist, ob 300 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Stoffe, die in Forschung oder
Medizin anfallen, mit ins Endlager sollen.
Während der Suche soll Deutschland als
»weiße Landkarte« betrachtet und der beste
Standort nach wissenschaftlichen Kriterien
ausgewählt werden. Es kommen Salz, Ton oder
Granit in Frage. Damit bleibt das umstrittene
Zwischenlager Gorleben im Verfahren. AntiAtom-Initiativen hatten einen kompletten Aus-
schluss verlangt, auch die LINKE bemängelte
das. Zudem seien die Klagerechte für Bürger
unzureichend.
Nach der Verabschiedung sollen erste Gebiete erkundet werden. Die Endlagerkommission hatte eine Lagerung mindestens 300 Meter tief empfohlen. Das Lager soll 500 Jahre lang
bergbar sein, um den Müll notfalls herausholen zu können. Grund sind schlechte Erfahrungen mit dem Salzbergwerk Asse, in dem radioaktive Abfälle liegen. Bis 2031 soll ein Standort festgelegt, ab 2050 mit der Einlagerung begonnen werden. Es gibt aber Zweifel, dass der
Zeitplan einzuhalten ist. epd/nd
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CIA-Spione in der Wohnung
WikiLeaks enthüllt Hacker-Werkzeuge des US-Geheimdienstes / Frankfurt Zentrum von Cyberattacken
Nach der größten Veröffentlichung von CIA-Papieren zeichnet sich die enorme Reichweite
der Spionage-Tools ab.
Von Olaf Standke
Erst einmal herrschte Schweigen
im offiziellen Washington. Ein
CIA-Sprecher am Dienstagabend
(Ortszeit): »Wir kommentieren
keine angeblichen Geheimdienstdokumente.« Aber Michael Hayden, einst Chef des Auslanddienstes, meinte schon unmittelbar
nach den jüngsten WikiLeaksEnthüllungen: Das sei ein »sehr
umfangreicher Bericht von Taktik, Vorgehen, Zielen und politischen Regeln« zur Führung des
Geheimdienstes – mit großem
Schadenspotenzial. Auch Edward
Snowden schätzt die Dokumente
als glaubwürdig ein. Die »New
York Times« sieht sie in ihrer Bedeutung auf einer Stufe mit seinen und den Enthüllungen von
Chelsea Manning.
Insgesamt geht es um einen Datensatz von 7818 Webseiten und
943 Anhängen aus den Jahren
2013 bis 2016 mit Programmierund anderen Tricks aus der Welt
der Schlapphüte. Auf sie konnten
Angehörige des Center of Cyber
Intelligence (CCI) in einem separaten Netz zugreifen – eine auf
5000 Köpfe geschätzte Spezialtruppe für Hackerangriffe. Nicht
wenige von ihnen werden im europäischen CCI-Zentrum Frankfurt am Main verortet, wo sich einer der weltweit wichtigsten Internetknotenpunkte befindet. Der
Infrastrukturspezialist
DE-CIX
bündelt dort Datenströme vieler
Großkunden. Zu ihnen gehören
Facebook, Google, Microsoft,
Deutsche Telekom und Vodafone,
aber auch russische Firmen wie
Rostelekom oder Megafon. DECIX ist eigenen Angaben zufolge
zentrale Internetschnittstelle für
Osteuropa.
Die Cyberspione sollen vom USKonsulat aus u.a. gezielt Smart-
phones in Europa, Afrika, China
und Nahost angezapft haben.
Auch Fernseher, Notebooks, Tablets und internetfähige Haushaltsgeräte sind Ziele ihrer Malware, Viren und Trojaner. Programme, mit denen Bordcompu-
»Das sind Hintertüren
in unserer aller
Kommunikationswelt.«
Konstantin von Notz,
Grüne
ter von Fahrzeugen gekapert werden können, lassen sogar kaum
noch nachweisbare gezielte Tötungen befürchten. Kein Betriebssystem, keine Plattform oder Festplatte scheint noch sicher.
So bemühten sich Hersteller am
Mittwoch um Schadensbegrenzung: Viele Sicherheitslücken seien längst geschlossen. Nachrich-
tendienste wie WhatsApp bestritten, dass ihre Verschlüsselung geknackt worden sei. Ihr ohnehin
gestörtes Verhältnis zur US-Regierung dürfte sich durch die Enthüllungen aber kaum verbessern.
Beobachter vermuten zudem, dass
diese Präsident Trump neue Munition in seinem Privatkrieg mit
der CIA liefern könnten.
Die Dokumente belegen zudem eine enge Kooperation der
CIA mit FBI und befreundeten
Diensten wie dem britischen
GCHQ. Auch deutsche Spione sind
in Frankfurt seit Langem aktiv.
Deshalb klagte der Knotenbetreiber im Vorjahr vor dem Bundesverwaltungsgericht, um die »Praxis der strategischen Fernmeldeüberwachung« überprüfen zu lassen. Grünen-Politiker Konstantin
von Notz forderte »rechtsstaatliche Regeln für IT-Sicherheit«. Wie
WikiLeaks-Gründer Julian Assange jetzt erklärte, seien die Dokumente nur die erste Tranche einer größeren Sammlung.
Honolulu. Der US-Bundesstaat Hawaii will
gegen das von Präsident Donald Trump erlassene neue Einreiseverbot vor Gericht ziehen. Das kündigten Anwälte in Dokumenten
an, die sie bei Gericht einreichten. Der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates, Douglas Chin, bezeichnete das neue Dekret als
»Muslim Bann 2.0«: »Unter dem Vorwand der
nationalen Sicherheit zielt es nach wie vor
auf Migranten und Flüchtlinge ab.«
Trump hatte am Montag einen neuen Erlass für einen Einreisestopp unterzeichnet,
nachdem er mit dem ersten Dekret eine
Schlappe vor Gericht hinnehmen musste. Das
neue Verbot soll am 16. März in Kraft treten.
Dann dürfen Personen aus den vorwiegend
islamischen Ländern Iran, Jemen, Libyen, Syrien, Somalia und Sudan mindestens 90 Tage lang nicht in die USA einreisen – es sei
denn, sie besitzen eine Greencard oder sind
bereits vor Inkrafttreten des Stopps im Besitz
eines gültigen Visums. Das Programm zur
Aufnahme von Flüchtlingen wird zeitgleich
für 120 Tage gestoppt. dpa/nd
Kabul: IS-Angriff
auf Krankenhaus
Über 30 Menschen starben in der
größten Militärklinik des Landes
Kabul. Beim vierten großen Anschlag in diesem Jahr in Afghanistans Hauptstadt Kabul
sind mehr als 30 Menschen ums Leben gekommen. Unter ihnen seien auch die vier Täter, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Daulat Wasiri. Rund 60 Menschen seien bei dem Attentat in der größten
Militärklinik des Landes verletzt worden. Fast
alle Opfer seien Patienten, Besucher und Personal. Zu der Tat bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat. Die Attentäter schafften es als Ärzte verkleidet in das Hospital und
schossen dort stundenlang um sich.
Der Angriff hatte kurz nach 9 Uhr begonnen. Zuerst sprengte sich einer der Täter am
Tor. Ein weiterer wurde erschossen, zwei
drangen in die Klinik ein und verschanzten
sich. Fast sechs Stunden lang wurde Kabuls
Diplomatenviertel von Explosionen und
Schüssen erschüttert, über dem Krankenhaus
stieg Rauch auf. Erst am Nachmittag meldete
das Verteidigungsministerium, dass Patienten, Besucher und Personal aus dem Haus gerettet worden seien. dpa/nd