Manuskript Beitrag: Dieselfahrer zahlen für Abgaslüge – Fahrverbot und Wertverlust Sendung vom 7. März 2017 von Hans Koberstein Anmoderation: Stuttgart macht dicht - zeitweise zumindest. Ältere Dieselautos dürfen ab 2018 nicht mehr in die Stadt fahren, wenn die Schadstoffbelastung an dem Tag alarmierend hoch ist. Im vergangenen Jahr waren das 63 Tage. Auch in anderen Städten drohen Fahrverbote. Unser Autor Hans Koberstein hat immer wieder über den Abgasskandal und die Folgen berichtet. Jetzt zeigt er, wie nach allem, was Regierung und Autoindustrie verbockt, verschwiegen und verdreht haben, diejenigen dran sind, die rein gar nichts dafür können: SIE, die Dieselfahrer! Text: Die Fahrverbote kommen. In Stuttgart wird es für DieselautoFahrer ab 2018 ernst. O-Ton Helga Stör, Dieselauto-Fahrerin: Wir haben uns jetzt einen Diesel angeschafft, ja, vor einiger Zeit, vor zwei Jahren. O-Ton Frontal21: Damit dürfen Sie nicht mehr in die Stadt? O-Ton Helga Stör, Dieselauto-Fahrerin: Jetzt dürfen wir nicht mehr in der Stadt mit dem Diesel rumfahren. So sieht‘s aus! O-Ton Thomas Bungardt, Dieselauto-Fahrer: Was muss ich jetzt machen, muss ich mir nächstes Jahr ein neues Auto kaufen? O-Ton Frontal21: Mit dem dürfen Sie nächstes Jahr nicht mehr reinfahren! O-Ton Murat Sararmis, Dieselauto-Fahrer: Ja, deswegen überlege ich mir auch, mein Auto zu verkaufen, und möchte mir ein Benzinauto kaufen. O-Ton Helga Stör, Dieselauto-Fahrerin: Ja, nun bin ich sauer! O-Ton Frontal21: Warum? O-Ton Helga Stör, Dieselauto-Fahrerin: Ja, weil die Autoindustrie uns das eingebrockt hat, weil geschummelt worden ist. Und wir dürfen das ausbaden. Immer mehr Gerichtsurteile erzwingen Diesel-Fahrverbote: in Stuttgart, aber auch in München und anderen Städten. O-Ton Oliver Krischer, B90/GRÜNE, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Mitglied Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Abgas: Die Autohersteller haben getrickst und getäuscht, die Bundesregierung hat das Ganze zugelassen und zum Teil befördert, und andere müssen nun für den Schaden gerade stehen. Der Untersuchungsausschuss Abgas im Deutschen Bundestag hat ein halbes Jahr lang nachgeforscht: Wer ist verantwortlich für das Diesel-Debakel? O-Ton Frontal 21: Hat der Staat versagt? O-Ton Kirsten Lühmann, SPD, MdB, Mitglied Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Abgas: Nein. Keiner der bis jetzt 55 Zeugen oder zwölf Sachverständigen haben uns Hinweise darauf gegeben, dass der Staat versagt hat. O-Ton Frontal 21: Und das glauben Sie? O-Ton Kirsten Lühmann, SPD, MdB, Mitglied Parlamentarischer Untersuchungsausschuss Abgas: Der Staat hat nach allem, was uns alle Zeugen erzählt haben, genau die rechtlichen Möglichkeiten, die er hatte, ausgeschöpft. Wir werfen einen Blick zurück. 2006. Das Umweltbundesamt lässt Dieselautos testen. Im Abschlussbericht vom TÜV Nord heißt es: „Alarmierend ist das Ergebnis der Messungen bei den Dieselfahrzeugen.“ Auffällig sind Dieselautos von VW. Grenzwertüberschreitung bei den Stickoxiden: über 100 Prozent. Rechtliche Konsequenzen: keine. Unverständlich, sagt Umweltrechtler Martin Führ. Er hat sich die Rechtslage für den Untersuchungsausschuss genauer angesehen. O-Ton Prof. Martin Führ, Umweltrechtler, Hochschule Darmstadt: Mit diesen Testergebnissen war klar, dass es sich hier um eine Abschalteinrichtung handeln muss. Es ging also nicht mit rechten Dingen zu, die Vorgaben der Verordnung wurden offenbar nicht eingehalten, die Fahrzeuge waren illegal unterwegs. 2008. Behörden handeln nicht, deshalb werden schmutzige Dieselautos zum Problem: Die giftigen Stickoxide belasten die Atemluft in den Städten. Deshalb sucht das Bundesumweltministerium schon 2008 das Gespräch mit dem Verband der Autoindustrie VDA und mit VW. Die „Luftqualitätsgrenzwerte für Stickstoffdioxid“, warnt das Umweltministerium, werden „an zahlreichen verkehrlich hoch belasteten Stellen ohne einschneidende Maßnahmen nicht zeitgerecht eingehalten.“ Das Umweltministerium schlägt vor, schmutzige Diesel sauber zu machen, durch eine „Nachrüstung mit NOxMinderungssystemen“, also speziellen Katalysatoren. Doch „VDA und VW erklärten, dass eine Nachrüstung (…) nicht sinnvoll machbar wäre“. Machbar, sehr wohl. Schon 2008 hätten alle Dieselautos sauber sein können, mit besonderen, sogenannten SCR-Katalysatoren. Die Technik war längst erprobt und einsatzbereit. O-Ton Prof. Stefan Bratzel, Center of Automotive Management: Ich glaube, dass die Autobauer damals auf den Einbau der SCR-Katalysatoren verzichtet haben, weil es schlicht eine Mehrausgabe, Mehrkosten gewesen wären, von vielleicht 500 bis 1.000 Euro. Die wollten sie sparen, weil das natürlich ansonsten den Kaufpreis der Fahrzeuge deutlich erhöht hätte. 2009. Für Dieselautos werden die Stickoxid-Grenzwerte immer strenger, um die Gesundheit der Bürger zu schützen. Und das Umweltbundesamt führt wieder Abgastests durch. In dem neuen Bericht vom TÜV Nord heißt es wieder: „Alarmierend ist das Ergebnis der Messungen bei den Dieselfahrzeugen.“ Besonders auffällig dieses Mal Dieselautos von Mercedes, Audi, Opel, Toyota und wieder VW. Grenzwertüberschreitung bei Stickoxiden: rund 300 Prozent. Konsequenzen für die Hersteller: keine. O-Ton Prof. Martin Führ, Umweltrechtler, Hochschule Darmstadt: Da haben die Behörden offenbar bewusst die Augen verschlossen und haben ihre gesetzlichen Pflichten nicht erfüllt. Sie hätten hier nachfassen und einschreiten müssen. Behörden und Bundesregierung verstehen sich als Partner der Autoindustrie – die sichert Arbeitsplätze, ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Dieseltechnologie soll ein Exportschlager werden: „Made in Germany“. 2010. In den USA will VW mit dem angeblich „sauberen Diesel“ Marktanteile gewinnen. Die Bundesregierung hilft, wo sie kann. Angela Merkel trifft 2010 den damaligen Gouverneur Kaliforniens, Arnold Schwarzenegger. Bei einem gemeinsamen Frühstück macht sie sich stark für deutsche Dieseltechnik. Mit am Tisch: die Präsidentin der kalifornischen Umweltbehörde, Mary Nichols. Sie erinnert sich: „Sie sagte [also die Bundeskanzlerin]: Eure Stickoxidgrenzwerte sind zu strikt. Und das schadet unseren deutschen Dieseln. Sie war dort, so schien es, als Sprecherin der Autoindustrie.“ (Quelle: Weserkurier) Das Kanzleramt will das nicht kommentieren. 2015. VW gesteht 2015 den Betrug ein: schmutzige Dieselautos mit illegaler Abschalteinrichtung - in den USA und in Europa. Das Bundeskanzleramt ist alarmiert und notiert in diesem Sachstandsbericht: I „Wegen der zentralen Rolle der Automobilindustrie für die dt. Wirtschaft hat der Skandal bei VW das Potenzial, gesamtwirtschaftlich relevant zu werden.“ Der Grund: So gut wie alle Dieselautos sind auf der Straße schmutzig und müssten mit einem Extra-Katalysator nachgerüstet werden, um wirklich sauber zu sein. O-Ton Prof. Stefan Bratzel, Center of Automotive Management: Die Konsequenzen wären erheblich, falls tatsächlich die Pflicht für eine Nachrüstung da wäre und die Autohersteller das bezahlen müssten. Das wären viele Milliarden Kostenbelastung, die dort auf einzelne Hersteller zukommen würden, die die Existenz des ein oder anderen Herstellers sicherlich bedrohen würde. Das will die Bundesregierung nicht. Sie setzt auf Schadensbegrenzung und verfasst diese Sprachregelung für alle Ministerien: „Der aktuelle Vorfall steht keineswegs symptomatisch für die deutsche Automobilindustrie. Und auch nicht für Volkswagen.“ 2016. VW findet gemeinsam mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt eine billige Lösung für das Problem. Kein ExtraKatalysator, ein einfaches Software-Update soll reichen. Das kostet VW 60 Euro pro Auto. Der Minister ist bei dem ersten Software-Update persönlich dabei. Ist der Diesel nach dem Update wirklich sauber? Die Zeitschrift „auto motor und sport“ hat die Abgase eines VW Amarok gemessen. Das Ergebnis: Die Stickoxidwerte sind nach dem Update so hoch wie zuvor: rund 400 Prozent über dem Grenzwert. Die Bundesregierung ernennt Minister Dobrindt zum Chefaufklärer im Abgasskandal. Er untersucht alle Automarken, nicht nur VW. Das Ergebnis seines Untersuchungsberichts: Von 53 untersuchten Dieselautos halten gerade einmal drei die StickoxidGrenzwerte auf der Straße ein. Alle anderen überschreiten die Grenzwerte um bis zu 1.800 Prozent. Betroffen sind alle großen Marken. Dobrindts Untersuchungsbericht kommt zu dem Schluss: „Alle Hersteller nutzen aber Abschalteinrichtungen.“ Das ist ein Problem. Abschalteinrichtungen sind nämlich verboten. Aber Minister Dobrindt hat auch für dieses Problem eine Lösung: O-Ton Alexander Dobrindt, CSU, Bundesverkehrsminister am 22.04.2016: Also, europäisches Recht sagt: Abschalteinrichtungen grundsätzlich untersagt, Ausnahme Motorschutzgründe. Diese Motorschutzgründe werden von den Herstellern formuliert. Und von Minister Dobrindt - ganz überwiegend - akzeptiert. So macht Dobrindt eine Ausnahme zur Regel, zum Schutz der Autoindustrie. O-Ton Prof. Martin Führ, Umweltrechtler, Hochschule Darmstadt: Hier gibt es praktisch kein Fahrzeug, was sich an die Regel hält, alle stützen sich auf die Ausnahme. Und eenn man die Verordnung in dieser Weise interpretiert, dann setzt man sich über den Wortlaut hinweg. Man duldet also ein illegales Vorgehen der Hersteller. Das ist in einem Rechtsstaat schlicht inakzeptabel. Jetzt müssen die Autofahrer die Folgen tragen: Fahrverbote für schmutzige Dieselautos. Die Autofahrer bleiben auf dem Schaden sitzen, den Autoindustrie, Behörden und Bundesregierung angerichtet haben. Morgen wird im Untersuchungsausschuss zum Abgasskandal der vorerst letzte Zeuge vernommen: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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