EU-Front gegen Polen

WIKIMEDIA.ORG/NARA/COMMONS/PUBLIC DOMAIN
Kalter Krieger
Vor 70 Jahren verkündete US-Präsident Harry S. Truman die nach ihm
benannten Doktrinen. Vorrangiges
Ziel war die Militär- und Wirtschaftshilfe zugunsten antikommunistischer Kräfte im griechischen Bürgerkrieg. Von Knut Mellenthin
SEITEN 12/13
GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 10. MÄRZ 2017 · NR. 59 · 1,60 EURO (DE), 1,80 EURO (AT), 2,30 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
WWW.JUNGEWELT.DE
Verstrahlt
Verboten
Verladen
Verbrämt
3
4
6
9
Sechs Jahre nach »Fukushima«:
Bundesinnenministerium untersagt
Japans Regierung drängt Men­
Fahne der kurdischen Volks­
schen in belastete Gebiete zurück
verteidigungsein
heiten
In Südkorea hat die Stationierung des
US-Raketenabwehrsystems
THAAD begonnen
Kanzlerin warnt EU vor Abschottung,
für die Beziehungen zu Russland
soll das nicht gelten
Gabriel in Moskau:
Dissens mit Lawrow
US-Intervention in Syrien
Hunderte Marines sollen sich an Offensive auf Rakka beteiligen. Washington will
Zusammenstöße zwischen Kurden und Türken verhindern. Von Knut Mellenthin
D
ie US-Streitkräfte bereiten
sich auf ein direktes Eingreifen in Syrien vor. Wie
am Mittwoch bekanntwurde, hat das
Marine Corps mehrere hundert Soldaten in die Gegend von Rakka im
Norden des Landes geschickt. Dort
befindet sich das Hauptquartier der
Dschihadistenmiliz »Islamischer
Staat« (IS). Die Marines, deren genaue Zahl noch nicht genannt wurde,
sind mit Artillerie ausgerüstet und
sollen offenbar die von verschiedenen Kräften geplante Offensive gegen Rakka unterstützen. Darüber
hinaus sollen demnächst bis zu
1.000 US-Soldaten in Kuwait stationiert werden, um als Reserve für Einsätze gegen den IS sowohl in Syrien
als auch im Irak zur Verfügung zu
stehen. Diese Informationen waren
zwar bis Donnerstag mittag nicht
offiziell bestätigt, können aber nach
Art ihrer Übermittlung an einzelne
Medien als gesichert gelten.
In der Amtszeit von Präsident Barack Obama war die Obergrenze für
die Anwesenheit von US-Soldaten
in Syrien auf 503 festgelegt worden.
Sie sollten ausschließlich als »Berater« tätig werden, aber nicht selbst an
Kämpfen teilnehmen. Die zahlenmäßige Begrenzung kann auch ohne Zustimmung des Präsidenten »vorübergehend« überschritten werden. Die
jetzt vorgenommene Entsendung der
Marines, der klassischen Interventionstruppe der US-Streitkräfte, wurde
den Berichten zufolge als »temporary«, also »zeitweilig«, deklariert.
Um tatsächlich in die Kämpfe einzugreifen, wäre eine Anordnung von
Obamas Nachfolger Donald Trump erforderlich. Der Washington Post und
anderen US-Medien zufolge hat Trump
den Militärs weitgehende Vollmacht gegeben, Entscheidungen über Kampfeinsätze in Syrien selbst zu treffen. Im Irak,
wo mehr als 5.000 US-Soldaten stationiert sind, ist das schon länger der Fall.
In den vergangenen Tagen waren
bereits Fotos veröffentlicht worden,
die Fahrzeuge der US-Streitkräfte in
der zwischen Rakka und Aleppo gelegenen nordsyrischen Stadt Manbidsch
zeigen. Pentagon-Sprecher Jeff Davis
sagte dazu, dass es sich lediglich um
»einige Dutzend« Soldaten handele.
»Wir wollen ein sichtbares Zeichen
setzen, dass wir dort sind«, erklärte
Davis. Dadurch sollten »alle Seiten«
veranlasst werden, »sich auf den gemeinsamen Feind, nämlich den IS, zu
konzentrieren«.
Soweit bisher zu erkennen ist, geht
es den USA zunächst darum, militärische Zusammenstöße zwischen
den von ihnen unterstützten oder mit
ihnen zusammenarbeitenden Kräften
zu verhindern. Hauptsächlich sind das
zum einen die kurdischen »Volksverteidigungseinheiten« (YPG), die im
Rahmen der »Demokratischen Kräfte« (SDK) operieren, und auf der anderen Seite die Türkei und von ihr un-
terstützte arabische Gruppen. Es handele sich um einen »stark bevölkerten
Kampfraum«, in dem die rivalisierenden Kräfte zum Teil »buchstäblich
nur einen Handgranatenwurf voneinander entfernt« seien, kommentierte
Generalleutnant Steven Townsend, einer der für dieses Gebiet zuständigen
US-Kommandeure.
Dem Ziel, unbeabsichtigte Konfrontationen bei den bevorstehenden
Kämpfen um Rakka und Umgebung
zu vermeiden, diente auch ein außergewöhnliches Treffen im türkischen
Antalya, das am Dienstag stattfand.
Beteiligt waren der Chef der USStreitkräfte, General Joseph Dunford vom Marine Corps, und seine
Kollegen aus Russland und der Türkei, Waleri Gerassimow und Hulusi
Akar. Gesprochen wurde über die
Verbesserung der Kommunikation
auf Führungsebene und die gegenseitige Abstimmung militärischer Operationen.
EU-Front gegen Polen
Brüsseler Gipfel beginnt mit Streit über Wiederwahl von Ratspräsident Donald Tusk
V
or dem zweitägigen EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel begann, stellte Angela Merkel gegenüber Polen klar, wer Herr im
Hause ist. Die polnische Regierung der
konservativen Partei PiS lehnte bis zu
Beginn der Sitzung des Europäischen
Rats um 15.30 Uhr die Wiederwahl von
dessen Präsident Donald Tusk ab und
drohte damit, den Gipfel platzen zu
lassen. Die deutsche Bundeskanzlerin
hatte am Vormittag im Bundestag dagegen erklärt: »Deutschland wird die
Wiederwahl Tusks unterstützen«.
Wegen der Meinungsverschiedenhei-
ten traf sie sich in Brüssel eine halbe Stunde vor der Ratssitzung mit der
polnischen Ministerpräsidentin Beata
Szydlo, die aber noch beim Hineingehen an ihrer Linie festhielt. Sie erklärte: »Es gibt kein Einverständnis dafür,
dass der EU-Ratspräsident, wer auch
immer es wird, ohne die Einwilligung
seines Herkunftslandes ernannt wird«.
Und fügte hinzu: »Die Länder, die das
nicht verstehen, führen zur Destabilisierung.« Zuvor hatte Polens Außenminister Witold Waszczykowski damit gedroht, den Gipfel zu torpedieren. »Wir
werden alles tun, damit die Abstim-
mung heute nicht stattfindet«, sagte er
dem Fernsehsender TVN 24. Malta, das
zur Zeit den EU-Vorsitz stellt, lehnte
eine Verschiebung der Wahl aber ab.
PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski betrachtet Tusk als persönlichen Feind.
Die Partei nominierte am Wochenende den polnischen Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski als Kandidaten für das Amt. Er galt jedoch als
chancenlos und zog nach ungarischen
Angaben seine Kandidatur zurück.
Am späten Nachmittag wurde Tusk
von 27 Staats- und Regierungschefs
gegen die Stimme der polnischen
Ministerpräsidentin erneut berufen.
Die Wahl sollte als erster Tagesordnungspunkt eigentlich nur wenig Raum
einnehmen. Hauptthema des Frühjahrsgipfels ist traditionell die wirtschaftliche Lage. Merkel hob als wichtiges
Vorhaben den Ausbau des Freihandels
hervor. Verhandlungen zu einem entsprechenden Vertrag mit Japan seien
weit vorangekommen, auch mit China
gebe es in Handelsfragen Fortschritte. Ein zentrales Thema sei auch die
Zusammenarbeit in der Verteidigungsund Sicherheitspolitik. (AFP/dpa/jW)
Siehe Kommentar Seite 8
DELIL SOULEIMAN/AFP
KAY NIETFELD/DPA-BILDFUNK
Gepanzerte Fahrzeuge der US-Armee
am 5. März in einem Vorort von
Manbidsch im Norden Syriens
Moskau. Außenminister Sigmar
Gabriel (SPD/Foto l.) ist am Donnerstag zu einem Besuch in Moskau
eingetroffen. Bei einer gemeinsamen
Pressekonferenz mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow
(r.) kam es zu einem offenen politischen Dissens. »Seit unsere westlichen Partner das Gefühl haben, dass
Russland nicht blindlings ihrer Linie
folgen will«, beklagte Lawrow, stehe
Russland in den westlichen Medien
schlecht da. Er kritisierte die Stationierung von NATO-Truppen an
Russlands Grenzen sowie den vom
Westen unterstützten »Staatsstreich«
in der Ukraine 2014. Gabriel beklagte daraufhin eine »Verletzung von
Grenzen in der Mitte Europas«, dabei bezog er sich auf den Beitritt der
Krim zu Russland und den Konflikt
in der Ostukraine. Zugleich warnte
er vor einer »neuen Aufrüstungsspirale«. Am späten Nachmittag wurde
Gabriel auch von Präsident Wladimir Putin empfangen. (AFP/TASS/jW)
Regierung und Konzerne
einigen sich auf Atompakt
Berlin. Der Staat kann mit den großen
Energiekonzernen einen milliardenschweren Pakt zur Entsorgung
der atomaren Altlasten abschließen.
Die Bundesregierung und die vier
Energieriesen Vattenfall, E.on, RWE
und EnBW haben sich auf Details
für einen Vertrag verständigt. Wie
die Deutsche Presseagentur am
Donnerstag aus Regierungskreisen in
Berlin weiter erfuhr, lassen die Atomkonzerne jedoch nicht – wie von der
Politik angestrebt – alle noch anhängigen Klagen im Zusammenhang mit
dem Atomausstieg fallen. Der Entsorgungspakt sieht vor, dass der Staat
den Konzernen die Verantwortung
für die Zwischen- und Endlagerung
des Atommülls abnimmt. Dafür sollen die Stromkonzerne bis zum Jahr
2022 rund 23,55 Milliarden Euro –
einschließlich eines Risikoaufschlags
am 1. Juli 2017 – an einen staatlichen
Fonds überweisen, der die Zwischenund Endlagerung des strahlenden
Mülls organisiert. (dpa/jW)
wird herausgegeben von
2.022 Genossinnen und
Genossen (Stand 21.2.2017)
n www.jungewelt.de/lpg