03_07_2017, Abrechnung mit Schlecker - Folgen einer

Manuskript
Beitrag: Abrechnung mit Schlecker –
Folgen einer Millionenpleite
Sendung vom 7. März 2017
von Christian Esser und Birte Meier
Anmoderation:
Die Anklage hat es in sich. Es geht um Schlecker, um eine der
größten Nachkriegspleiten der deutschen Wirtschaft, um
vorsätzlichen Bankrott und um Millionen. Millionen die angeblich
noch schnell zusammengerafft und beiseitegeschafft wurden. Zur
Erinnerung: Früher war Schlecker überall, die Schlecker-Filiale
gehörte zum Straßenbild und die Begegnung mit der „SchleckerFrau“ zum Alltag. Firmengründer Anton Schlecker stieg mit der
Billig-Drogeriekette zum Milliardär auf. Seinen Absturz haben
Tausende Verkäuferinnen teuer bezahlt – mit Arbeitslosigkeit.
Christian Esser und Birte Meier berichten.
Text:
Drei Frauen – elf gemeinsame Jahre bei Schlecker im bayrischen
Kastl. Den Laden gibt es nicht mehr.
O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin:
Der Schlecker war auf der ganzen Front, über die ganze
Seite. Super Kolleginnen, super Team. Zum Schluss hinaus
wurden die Stunden gekürzt, Ware kam nicht mehr.
Im Januar 2012 meldet Schlecker Insolvenz an.
O-Ton Frontal21:
Was haben Sie da gedacht?
O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin:
Im ersten Moment – gar nichts. Im zweiten Moment – wie
geht’s weiter? Gibt´s überhaupt ´ne Rettung? Ja, und dann
ging´s bergab.
Einst arbeiteten sie für Europas größten Drogerie-Discounter mit
über 10.000 Filialen. Viele Jahre war Schlecker berüchtigt.
Frontal 21 berichtete immer wieder über miese
Arbeitsbedingungen, schlechte Löhne, Behinderung von
Betriebsräten und Bespitzelung von Mitarbeitern. Filialen wurden
oft überfallen – zu wenig Personal.
Trotzdem bot Schlecker feste Arbeitsplätze. Immerhin. Susan
Kreisz und ihre Kolleginnen machten das Beste draus. Seit der
Pleite haben sie – wie viele Schlecker-Frauen – keinen regulären
Job mehr gefunden. Insgesamt verloren damals rund 23.000 ihre
Arbeit.
O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin:
Ich bin in ein Burnout. Wo wir den letzten Schleckermarkt
zugesperrt haben, bin ich zusammengebrochen, hatte ein
Burnout. Es hat zwei Jahre gebraucht, um dort wieder
rauszukommen. Also, es war wirklich eine ganz schwere Zeit.
O-Ton Gisela Prieschl, ehemalige Schlecker-Verkäuferin:
Ja, uns wurde alles Mögliche versprochen und ich hab
Bewerbungen geschrieben, stapelweise. Die Möglichkeit
eines Vorstellungsgesprächs hatte ich genau dreimal. Aber,
mit knapp 60, da schaut es am Arbeitsmarkt in Deutschland
für Frauen sehr schlecht aus.
O-Ton Renata Zietara, ehemalige Schlecker-Verkäuferin:
Jetzt bin ich 62 und mit so einer alten Frau will keiner reden
oder einstellen. Das ist einfach traurig.
Ihn machen sie mitverantwortlich für ihr persönliches Schicksal:
Anton Schlecker. Gestern begann vor dem Landgericht Stuttgart
der Prozess gegen ihn und seine Familie: Frau Christa und seine
Kinder Lars und Meike. Anton Schlecker soll vorsätzlichen
Bankrott begangen haben.
O-Ton Jan Holzner, Sprecher Staatsanwaltschaft Stuttgart:
Das Unternehmen Anton Schlecker befand sich seit dem
1.1.2010 in einer Liquiditätskrise, das wusste der
Hauptangeklagte auch. Ungeachtet dessen soll er in 36
Fällen Vermögenswerte, Teile seines Privatvermögens und
auch Teile des Firmenvermögens beiseitegeschafft und so
dem Zugriff der Gläubiger entzogen haben.
Mit der umfangreichen Klage hat sich für Frontal 21 der
Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel intensiv beschäftigt.
Seine Meinung:
O-Ton Prof. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni
Bremen:
Die Klage hat mich umgehauen, vor allem die Menge der
Anklagepunkte gegen Schlecker und seine beiden Kinder
und seine Frau. Was da sozusagen an Wirtschaftskriminalität
sich andeutet, was jetzt geprüft werden muss im Gericht, hat
es in diesem Ausmaß, glaube ich, in Deutschland noch nicht
gegeben. Ich interpretiere das so: Die Insolvenz ist bewusst
verschleiert worden, um ganz viel Vermögen rauszupacken,
um es sozusagen aus der Insolvenzmasse rauszunehmen
und das Privatvermögen zu erhöhen.
Schon im Juli 2009 – also zweieinhalb Jahre vor der Insolvenz soll Anton Schlecker seine Leitungsebene und die Kinder zu einer
Krisenbesprechung gerufen und - nach Informationen von Frontal
21 und der „WirtschaftsWoche“ - radikale Maßnahmen und
Einschnitte gefordert haben. Es sei „fünf vor zwölf“, so Schlecker
gegenüber seinen Vertrauten. Doch tatsächlich passierte viel zu
wenig, meinen Handelsexperten.
O-Ton Prof. Jörg Funder, Wirtschaftswissenschaftler,
Hochschule Worms:
Warum hat man an Altbewährtem festgehalten? Warum hat
man nicht Filialen nachhaltig geschlossen, als noch
Finanzmittel dafür zur Verfügung waren? Warum war
weiterhin das Wachsen die einzige Prämisse? Das sind
Thematiken, die sich tatsächlich wahrscheinlich auch Herr
Anton Schlecker heute stellt, ob er nicht hätte viel früher das
einsehen müssen. Stattdessen war ja die Maxime: Wir
machen weiter wie bisher. Und das war tatsächlich dann
eben auch das Ende der Geschichte.
Im März 2011 soll reichlich Geld in die Taschen der Familie
geflossen sein – vom Privatkonto des Unternehmers Anton
Schlecker erhalten laut Anklage die vier Enkel je 200.000 Euro –
geschenkt.
O-Ton Prof. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni
Bremen:
Was die Enkel bekommen, ist der Konkursmasse entzogen
worden. Und die Schlecker-Frauen, die eventuell aus der
Korrektur der Entnahmen, die da vorgenommen worden sind
durch Schlecker, etwas vielleicht aus der Insolvenzmasse
bekommen, denen ist es entzogen worden. Da stehen
begüterte, bevorteilte Enkel gegenüber den SchleckerFrauen, die sozusagen ihren Arbeitsplatz verloren haben und
am Ende nichts dafür aus der Insolvenzmasse bekommen.
Ende 2011 hat das Unternehmen massive Liquiditätsprobleme.
Während die Verkäuferinnen um ihre Jobs bangen, machen die
Schlecker-Kinder laut Klageschrift mit ihren Familien und
Personal Urlaub – auf der Karibik-Insel Antigua, in einem LuxusHotel. Bezahlt von Papa Anton - über 58.000 Euro.
Kurz vor der Insolvenz lässt Anton Schlecker dann noch sieben
Millionen Euro an die Logistikfirma LDG seiner Kinder Lars und
Meike zahlen. Davon ziehen sie noch am selben Tag jeweils 2,5
Millionen Euro ab - per Blitzüberweisung auf ihre Privatkonten.
Wenige Tage später ist Schlecker offiziell pleite. Vater Anton
schickt seine Tochter vor die Presse: Alles sei weg.
O-Ton Meike Schlecker am 30.01.2012:
Es ist kein signifikantes Vermögen mehr da, das dem
Unternehmen hätte helfen können.
In der Schlecker-Zentrale übernimmt der Insolvenzverwalter.
Aber die Logistikfirma LDG läuft weiter. Die Schlecker-Kinder
sollen dafür gesorgt haben, dass ihre Mutter von einem LDGKonto rund 52.000 Euro als Beratungshonorar bekam. Die
Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass Christa
Schlecker dafür nie eine Leistung erbracht habe.
Viele fragwürdige Geldflüsse - und ein schwerer Verdacht:
O-Ton Prof. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Uni
Bremen:
Hinter diesen Einzelmaßnahmen, wenn man sie summiert,
steckt ein klares System, nach dem Motto: Wenn wir schon
Pleite gehen, dann holen wir aber schnell noch das raus, was
wir rausholen können. Das ist die Strategie und das muss in
der Tat sozusagen gerichtlich überprüft werden.
Insgesamt soll die Familie rund 19 Millionen Euro
beiseitegeschafft haben, so die Anklage. Einen Teil davon musste
sie schon an den Insolvenzverwalter zahlen. Gestern Morgen im
Stuttgarter Landgericht: Anton Schleckers Verteidiger.
O-Ton Norbert Scharf, Strafverteidiger für Anton Schlecker:
Herr Schlecker weist die Vorwürfe zurück. Wir werden uns
damit auseinandersetzen. Es ist ein komplexes Verfahren.
Ein, denke ich mal, Verfahren, das man durchaus auch
juristisch in vielerlei Hinsicht sehr genau aufarbeiten muss.
Dem ehemaligen Drogeriekönig drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Auch seine Familie wies die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft
pauschal zurück. Nach wie vor lebt das Ehepaar Schlecker im
baden-württembergischen Ehingen, in ihrer Villa. Das sorgt bei
vielen ehemaligen Mitarbeiterinnen für Bitterkeit. Dass die Familie
jetzt vor Gericht steht, empfinden sie als Genugtuung.
O-Ton Susan Kreisz, ehemalige Schlecker-Verkäuferin:
Ich hoffe, er wird zur Rechenschaft gezogen. Ich hoffe, dass
er die gerechte Strafe bekommt, obwohl es keine gerechte
Strafe gibt, weil die Mitarbeiter, die auf der Straße gelandet
sind, keine Abfindung bekommen haben, keinen Job mehr
bekommen haben. Denen geht es jetzt genauso dreckig wie
uns. Und das, wenn man in einer Millionen-Villa wohnt, kann
es einem ja gar nicht so schlecht gehen, oder?
Susan Kreisz und ihre Kolleginnen werden weitersuchen nach
einem festen Job - ihr ehemaliger Chef Anton Schlecker muss am
kommenden Montag wieder vor Gericht.
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