Stellungnahme der Zentralen Auslands- und

Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)
Bonn, den 1. März 2017
der Bundesagentur für Arbeit
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STELLUNGNAHME
16/4629
Stellungnahme
A19, A09, A18
der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung
der Bundesagentur für Arbeit
zur öffentlichen Anhörung des Integrationsausschusses
des Landtages Nordrhein-Westfalen
8. März 2017
„Für ein modernes Einwanderungsgesetz“
Entschließungsanträge der Fraktionen SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 16/13691)
Entschließungsanträge der Fraktion der FDP (Drucksache 16/13791)
Entschließungsanträge der Fraktion der PIRATEN (Drucksache 16/13787)
Stellungnahme der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung
08. März 2017
Stellungnahme der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) zur öffentlichen Anhörung des Integrationsausschusses des Landtages Nordrhein-Westfalen zum Thema
„Für ein modernes Einwanderungsgesetz“
Für die Einladung und die damit verbundene Möglichkeit, im Rahmen einer öffentlichen Anhörung zu einem modernen Einwanderungsgesetz Stellung nehmen zu können, bedanke ich
mich.
1 Vorbemerkung
Angesichts des demografischen Wandels in Deutschland wird ein Rückgang des Erwerbspotentials in Deutschland bis 2030 um rund 3,6 Mio. Personen erwartet. Damit der Fachkräftebedarf für den deutschen Arbeitsmarkt langfristig gesichert werden kann, hat die Bundesagentur
für Arbeit (BA) gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag verschiedene Handlungsfelder entwickelt:
Zunächst ist das inländische Potenzial voll auszuschöpfen. Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigen jedoch, dass auch unter voller Nutzung dieser Potenziale
eine zusätzliche Einwanderung von ca. 300.000 Personen pro Jahr aus dem Ausland notwendig sein wird. Mittelfristig werden dafür auch die derzeit hohen Einwanderungszahlen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten nicht ausreichen. Viele dieser Länder weisen eine ähnliche demografische Entwicklung wie Deutschland auf und im Zuge einer wirtschaftlichen Erholung sind
geringere Emigrationszahlen bzw. vermehrte Rückzüge in diese Länder zu erwarten. Mittelund langfristig benötigt Deutschland daher mehr erwerbsbezogene Einwanderung aus Drittstaaten, d.h. Ländern außerhalb der EU, des EWR und der Schweiz.
Trotz der gesenkten Einwanderungshürden für qualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten im
Rahmen der EU Blue Card, der Positivliste, des Jobseeker-Visums für ausländische Hochschulabsolventen und des Punktebasierten Modellprojekts für ausländische Fachkräfte
(PuMa) sind momentan die Wanderungsbewegungen von außerhalb der EU nach Deutschland nur zu einem sehr geringen Teil erwerbsbezogen. Im Jahr 2015 sind im Saldo, d.h. netto,
ca. 1,2 Mio. Menschen nach Deutschland gekommen, davon ca. 62% aus Drittstaaten (ca.
900.000) und davon wiederum nur ca. 10% aus Erwerbsgründen – dagegen aber ein Großteil
im Kontext Flucht und Asylsuche1. Geflüchtete in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren
und ihre Potentiale zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe für die BA, aber aufgrund der mangelnden Steuerbarkeit dieser Gruppe keine Grundlage für eine nachhaltige Fachkräftesicherung. Eine gesteuerte Fachkräfteeinwanderung ist darüber hinaus notwendig und eine wichtige Aufgabe der ZAV.
Um Deutschland im internationalen Wettbewerb mit anderen Industrieländern um Fachkräfte
als attraktiven Standort zu positionieren, gilt es, einwanderungsinteressierte Fachkräfte umfassend und neutral zu beraten und zu informieren, mündige Einwanderungsentscheidungen
herbeizuführen und dabei Arbeitgeber in Deutschland bei der Rekrutierung, Einstellung und
Integration internationaler Fachkräfte zu unterstützen. Hier liegt der Aufgabenbereich der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) und ihr Beitrag zu einer langfristigen Fachkräftesicherung in Deutschland. Die Migrationsbewegungen im Kontext Flucht und Asyl gehören zu
wichtigen Themen der BA. Der Aufgabenschwerpunkt der ZAV liegt jedoch auf der gesteuerten
erwerbsbezogenen Einwanderung.
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Hinweis: 45,0 % aller Zuzüge aus Drittstaaten fallen in die Kategorie „Sonstige“, darunter auch Personen, die einen Aufenthaltstitel beantragt, aber
noch nicht erhalten haben.
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08. März 2017
Die ZAV schöpft ihre Erfahrungswerte im Themenbereich Einwanderung aus ihrer Tätigkeit in
der Information, Beratung und Vermittlung von Personen im Ausland, die in Deutschland arbeiten, studieren oder eine Ausbildung machen möchten. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, durch
umfassende Information und Beratung Transparenz und somit eine realistische Einschätzung
der individuellen Einwanderungsmöglichkeiten zu schaffen, die die Grundlage einer mündigen
Migration bildet.
In der Zusammenarbeit mit Partnerländern gilt es, faire und für alle Seiten gewinnbringende
Strategien zu entwickeln, damit die Arbeitsmärkte in den jeweiligen Ländern nicht strapaziert,
sondern da wo Überschüsse an Fachkräften bestehen, entlastet werden.
2 Übersicht der legalen Zugangswege für eine erwerbsbezogene
Einwanderung
Für eine erwerbsbezogene Einwanderung nach Deutschland gibt es die folgenden Zugangswege:
1. Die EU Blue Card (§19a, AufenthG) bietet Personen mit einem ausländischen, anerkannten oder vergleichbaren Hochschulabschluss einen erleichterten Zugang zum deutschen
Arbeitsmarkt, solange die Voraussetzungen eines Mindestgehalts und eines der Qualifikation entsprechenden Arbeitsplatzangebotes erfüllt sind. Für Personen in Mangelberufen
gilt ein geringeres Mindestjahresbruttogehalt.
Im Juli 2016 zog die Europäische Kommission die Bilanz, dass die Regelung noch zu wenig genutzt wird und vermutet, dass hierfür u.a. restriktive Zulassungsbedingungen und
das Weiterbestehen paralleler Vorschriften, Bedingungen und Verfahren auf nationaler
Ebene die Ursache sind.
2. Über die Beschäftigungsverordnung (§ 6, Absatz 2,Satz 1,Nr. 2, BeschV) können qualifizierte Fachkräfte in Ausbildungsberufen, die auf der Positivliste als Mangelberufe vermerkt
sind, ohne eine Vorrangprüfung eine Aufenthalts- u. Arbeitserlaubnis in Deutschland erhalten. Voraussetzungen sind ein Arbeitsvertrag, die Gleichwertigkeit des Abschlusses
mit einer inländischen Ausbildung und eine Bezahlung entsprechend dem Gehalt eines
Deutschen in diesem Beruf.
3. Ausländische Absolventen deutscher Hochschulen haben im direkten Anschluss an ihr
Studium 18 Monate Zeit für die Arbeitsplatzsuche und können eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie zwei Jahre in einem ihrem Studienabschluss angemessenen
Beruf gearbeitet haben (§ 16 Abs. 4 AufenthG). Ausländische Hochschulabsolventen mit
ausländischem Abschluss können eine auf 6 Monate begrenzte Aufenthaltserlaubnis zur
Suche eines angemessenen Arbeitsplatzes erhalten, wenn der Lebensunterhalt gesichert
ist (§ 18c Abs. 1 AufenthG). Nach Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung kann
unter Vorbehalt der Vorrangprüfung eine Aufenthaltserlaubnis von bis zu einem Jahr erteilt
werden (§16(5b) AufenthG).
Dieses Jobseeker-Visum ist derzeit der einzige Zugangsweg der erwerbsbezogenen Einwanderung, der kein Arbeitsplatzangebot voraussetzt.
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4. Das Punktebasierte Modellprojekt für ausländische Fachkräfte (PuMa) in Baden-Württemberg bietet Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung einen zusätzlichen kriterienbasierten Einwanderungsweg neben der Positivliste. Es ergänzt die bisherigen bundesweiten
Voraussetzungen (Engpassberuf gemäß Positivliste) lediglich um allgemeine Kriterien
(Sprache, Voraufenthalte, etc.). Grundsätzlich besteht dadurch ein Zugang für alle Berufe,
unter Voraussetzung einer Arbeitsplatzzusage.
5. Für Personen aus den Staaten des sogenannten Westbalkans wurden über die Neufassung der Beschäftigungsverordnung (§26(2) BeschV) die Einreisebedingungen liberalisiert, sodass ein Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Personen aus allen Qualifikationsstufen unter Vorbehalt eines Arbeitsplatzangebots und der Vorrangprüfung besteht.
3 Hemmnisse und Hürden für eine Fachkräfteeinwanderung nach
Deutschland
Durch ihre operative Tätigkeit und im Austausch mit einwanderungsinteressierten Kundinnen
und Kunden im Ausland wie auch Unternehmen in Deutschland hat die ZAV einen Überblick
über die Hemmnisse und Hürden bei der Einwanderung gewonnen.
Die bestehenden Einwanderungsregelungen sind komplex und werden von Einwanderungsinteressierten häufig als intransparent wahrgenommen. Dies ist zum einen auf die Vielfalt der
Zugangskanäle, zum anderen auf die Verankerung in unterschiedlichen Gesetzbüchern und
zuständigen Bearbeitungsstellen zurückzuführen. Für viele ist auch nach der Einreise eine
Orientierung zwischen den unterschiedlichen zuständigen Stellen schwierig. Neben langen
Dauern der Einreise- und Anerkennungsverfahren entstehen zudem zum Teil hohe Kosten auf
Seiten der Bewerberinnen und Bewerber. Insbesondere im Anerkennungsverfahren besteht
dabei keine Sicherheit hinsichtlich eines positiven Bescheids beziehungsweise einer möglichen Einreise nach Abschluss des Verfahrens. Durch eine komplexe Gesetzgebung wird zudem ein klares Marketing und die Bewerbung des Standorts Deutschland für einwanderungsinteressierte Fachkräfte aus dem Ausland erschwert.
Die Einreise über einen erwerbsbezogenen Zugangsweg erfordert in der Regel ein Arbeitsplatzangebot. Derzeit ist nur für Absolventinnen und Absolventen deutscher oder ausländischer Hochschulen ein Zugang zur Arbeitssuche, d.h. ohne Arbeitsplatzangebot, möglich. Für
Bewerberinnen und Bewerber im Ausland wird der Bewerbungsprozess jedoch dadurch erschwert, dass beispielsweise ein persönliches Vorstellungsgespräch nicht möglich ist und
lange Einreiseprozesse eine Hürde für die Einstellung darstellen können.
4 Handlungsempfehlungen der Zentralen Auslands- und
Fachvermittlung
4.1
Transparenz der Einwanderungsgesetzgebung
Aus Sicht der Marktteilnehmenden ist eine transparente Einwanderungsgesetzgebung zu befürworten, die eine Integration in den deutschen Arbeitsmarkt und in Deutschland unterstützt.
Dies kann in Form einer Zusammenführung bestehender Gesetze in einer neuen, transparenten Struktur sowie in Form eines vollständigen Ersatzes der bestehenden Gesetzgebung durch
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ein neues Gesetz geschehen. So können legale Einwanderungswege im Sinne eines stringenten Marketings klar aufgezeigt und Deutschland im Wettbewerb um internationale Fachkräfte besser positioniert werden.
Dabei fungiert das Einwanderungsgesetz als die einzige und exklusive Form der Steuerung
für die erwerbsbezogene Einwanderung. Ein Einwanderungsgesetz als zusätzliche Option zu
bestehenden Einwanderungskanälen bietet die Gefahr, dass Transparenz und Vorteilsübersetzung hinsichtlich der neuen Regelung für Einwanderungsinteressierte nicht gegeben sind.
4.1.1
Vorrangprüfung
Der deutsche Arbeitsmarkt ist divers, Engpässe und Stellenangebote variieren zum Teil stark.
Um bei der Steuerung der erwerbsbezogenen Einwanderung auf die Bedarfe nationaler Arbeitgeber eingehen zu können, ist eine regionale Arbeitsmarktbewertung notwendig. Solange
diese sichergestellt ist, kann ggf. ein Verzicht auf die individuelle Vorrangprüfung als nicht
problematisch bewertet werden.
4.2
Einreise- und Anerkennungsverfahren
Die Prozesse in Verbindung mit einer Einreise nach Deutschland sind vielgestaltig und häufig
von langer Dauer. Eine klare Struktur der Zugangswege sowie eine entsprechende Information
und Beratung, wie sie derzeit durch das Onlineportal www.make-it-in-germany.com in Form
des Virtuellen Welcome Centers der ZAV angeboten werden, können durch klare Zuständigkeiten zu einer Beschleunigung der Prozesse führen.
Die Europäischen Kommission argumentierte im Juli 2016 in ihrem Vorschlag für eine Reformvorschlag der EU Blue Card-Richtlinie ebenfalls für eine Reduktion parallel bestehender Systeme (hier nationale Systeme für Hochqualifizierte parallel zur EU Blue Card), um mehr Transparenz zu schaffen.
Um die Hürde, die durch einen hohen Zeit- und Kostenaufwand einer Anerkennung entsteht,
zu reduzieren, muss eine größere Transparenz zu den Voraussetzungen einer Anerkennung,
eine Beschleunigung der Prozesse und ggf. eine Aufteilung der Kosten auf unterschiedliche
Stellen erfolgen.
4.3
Arbeitssuchvisa
Für Personen, die sich aus dem Ausland auf Arbeitsstellen in Deutschland bewerben kann ein
Visum zur Arbeitssuche eine Erleichterung der Integration in den Arbeitsmarkt darstellen. Ähnlich wie in Kanada, Australien und Neuseeland können somit nachfrageorientierte Komponenten um angebotsorientierter Komponenten, wie zum Beispiel ein ausgeweitetes Arbeitssuchvisum, ergänzt werden. Dieses besteht in Deutschland derzeit ausschließlich für Hochschulabsolventen bzw. Personen mit einer deutschen qualifizierten Berufsausbildung. Die Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit bietet bereits eine Übersicht über Bedarfe deutscher Arbeitgeber, die mit inländischem Potenzial nicht zu decken sind. Auf der Basis dieser
und ggf. weiterer Indikatoren können Kriterien für eine Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten, die im Rahmen der Arbeitssuche nach Deutschland kommen, entwickelt werden.
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Integrationsunterstützung
Für die Kundinnen und Kunden der ZAV ist es aufgrund der Komplexität der deutschen Einwanderungsgesetzgebung häufig schwierig, ihre Möglichkeiten für eine erwerbsbezogene Einwanderung selbst einschätzen zu können. Als erste Anlaufstelle für einwanderungsinteressierte Fachkräfte, Ausbildungs- und Studieninteressierte bietet die ZAV eine umfassende Beratung und Betreuung an und trägt so zu mündiger Migration und der Erarbeitung realistischer
Einwanderungsmöglichkeiten bei.
Die Erfahrungen der ZAV zeigen, dass oftmals Sprachkenntnisse eine große Hürde für die
Arbeitsaufnahme in Deutschland darstellen. Die Förderung von Sprachkursen und die flexible
Anpassung an die Bedarfe der Teilnehmenden wurden beispielsweise im Projekt MobiPro EU
erprobt. Eine Ausweitung von Sprachkursangeboten kann sowohl für Arbeitgeber als auch für
Bewerberinnen und Bewerber die Hürden für eine Einstellung bei geeigneter Qualifikation reduzieren.
Zudem hat sich die Kümmererfunktion in der operativen Tätigkeit der ZAV bewährt. Insbesondere im Rahmen des Projektes MobiPro EU wurde die Kümmererfunktion durch ein Betreuungskonzept institutionalisiert und Unterstützung beispielsweise bei der Wohnungssuche oder
durch muttersprachliche Ansprechpartner angeboten. Eine erfolgreiche Integration kann durch
persönliche Ansprechpartner und entsprechende Strukturen herbeigeführt werden.
In der EU gibt es bereits viele Möglichkeiten der Unterstützung, beispielsweise durch die Förderung von Sprachkursen oder Reisekosten. Außerhalb der EU sind diese Möglichkeiten noch
nicht ausreichend verfügbar. Zukünftig sollte daher insbesondere mit Blick auf Lohndifferenzen, Anerkennungskosten und höhere Einreisekosten auf die Schaffung solcher Möglichkeiten
hingewirkt werden.
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