Supraventrikuläre und ventrikuläre Extrasystolen

208
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Das täglich Brot des Hausarztes
Supraventrikuläre und ventrikuläre
Extrasystolen
PD Dr. med. Jürg Schläpfer a , Dr. med. Philippe Staeger b
Peer
re
a r tic le
Service de Cardiologie, CHUV, Lausanne, b Centre de Médecine Générale, Policlinique Médicale Universitaire, Lausanne
v ie we
d
a
Atriale Extrasystolen und ventrikuläre Extrasystolen sind das täglich Brot des
Hausarztes. Sie kommen bei Patienten aller Altersklassen vor und sollten nicht vernachlässigt werden. Daher ist die systematische Suche nach ihrer Ursache sinnvoll.
Die nachfolgende Übersicht widmet sich diesem in der Literatur etwas vernachlässigten Thema, welches zwar banal erscheinen mag, jedoch aktuell ist wie eh und je.
Einleitung
Extrasystolen sind die in der Hausarztmedizin am
häufigsten vorkommende Arrhythmie. Oftmals stellt
sich Hausärzten, welche verfrühte oder fehlende Herzschläge bei ihren Patienten bemerken, die Frage nach
der besten Vorgehensweise. Kann das Auftreten von
Extrasystolen einfach verharmlost und der Pa­tient beruhigt werden? Sollte man in jedem Fall ein EKG anfertigen? Oder ist besser, sofort ein Holter-EKG während
24 Stunden durchzuführen? Sollte man die Zahl der
Extrasystolen und die Häufigkeit der Episoden erfassen, wenn diese nur zeitweilig auftreten? Auf all diese
Fragen, welche sich Allgemeinmediziner täglich stellen, versuchen wir in diesem Review einzugehen.
Bei Patienten ohne Kardiopathie entstehen AES meist
in den Lungenvenen. Durch Aufputschmittel wie Alkohol und Tabak oder Drogen kann sich ihre Inzidenz
­erhöhen. Ferner können sie durch Phylline und bei
­einigen Patienten durch Koffein ausgelöst werden.
Überdies werden AES durch alle Herzerkrankungen,
bei denen der Vorhofdruck erhöht ist oder bei denen
eine Vorhofdilatation vorliegt, begünstigt. Die häufigsten Ursachen sind eine akute oder chronische ischämische Herzkrankheit, Klappen­defekte, insbesondere der
Mitralklappe, und Kardiomyopathien. Auch chronische
Atemwegserkrankungen erhöhen das Risiko für AES.
Die klinische Manifestation AES ist sehr unterschiedlich. Sie können asymptomatisch sein, als fehlende,
unregelmässige Herzschläge oder Palpitationen wahrgenommen werden. Blockierte Ex­trasystolen haben
Supraventrikuläre Extrasystolen
­einen langsamen Puls zur Folge, welcher sich in Form
von Müdigkeit, Dyspnoe, Unwohlsein oder Präsynko-
Supraventrikuläre Extrasystolen (SVES) entstehen in
pen äussern kann. Sie treten meist isoliert auf und
den Vorhöfen oder im Atrioventrikularknoten (junk­
können atriale Tachyarrhythmien (Vorhofflimmern)
tionale Extrasystolen). Am häufigsten treten Extrasys-
oder supraventrikuläre Reentry-Tachykardien (nodale
tolen auf, deren Ursprungsort in den Vorhöfen liegt (at-
Tachykardie oder Tachykardie bei akzessorischem
riale Extrasystolen, AES). Junktionale Extrasystolen
Bündel) auslösen. Diese können sich als persistierende
sollen hier daher nur kurz behandelt werden.
regelmässige oder unregelmässige Palpitationen, deren
Symptomatik sich jedoch von der isolierter AES unter-
Jürg Schläpfer
Atriale Extrasystolen
scheidet, oder durch Unwohlsein unterschiedlicher
AES treten in allen Bevölkerungsklassen mit oder ohne
­Intensität, beziehungsweise in Form von Synkopen,
zugrunde liegende Kardiopathie auf. Ihr Vorkommen ist
äussern.
von der Dauer der Herzrhythmus­aufzeichnung abhän-
Bei fehlender zugrunde liegender Kardiopathie ist die
gig: Während sie in einem Standard-EKG von 10 Sekun-
klinische Untersuchung, bis auf einen unregelmässigen
den nur sehr selten auftreten, sind sie bei einem Holter-
Puls, häufig unauffällig.
EKG während 24 Stunden bei praktisch allen Patienten
Das EKG zeigt P-Wellen, deren Morphologie sich von
vorhanden. Sie nehmen mit steigendem Alter und bei
denen im Sinusrhythmus unterscheidet. Die AES kön-
einer bestehenden Herzerkrankung zu.
nen verspätet oder vorzeitig auftreten und so mit der
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(9):208–213
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
209
Übersichtsartikel AIM
­T-Welle des vorhergehenden QRS-Komplexes zusam-
suchen, um die Herzfunktion zu überprüfen und struk-
menfallen. Somit kann die versteckte P-Welle (P-auf-T-
turelle Störungen auszuschliessen. Diese Untersuchung
Phänomen) mit einer spitzen und deformierten T-Welle
sollte folglich bei allen Patienten mit diagnostizierten
nur anhand des Vergleichs der T-Wellen identifiziert
atrialen Estrasystolen durchgeführt werden. Entspre-
werden. Dazu muss das EKG von Patienten, die über bis
chend der Resultate sind gegebenenfalls weitere Unter-
dato undokumentierte Palpitationen oder Rhythmus-
suchungen (Ergometrie, Magnetresonanz­tomographie
störungen klagen, systematisch analysiert werden. Tat-
[MRT] usw.) anzuordnen.
sächlich können gerade vorzeitig einfallende P-Wellen,
Die Behandlung ist von den Symptomen und dem Vor-
deren Ursprungsort in den Lungenvenen liegt, Episoden
liegen einer eventuell zugrunde liegenden Kardio­
von paroxysmalem Vorhofflimmern auslösen (Abb. 1).
pathie abhängig.
Die P-Welle kann verlängert sein und sich entsprechend
Bei asymptomatischen Patienten ohne Herzerkrankung
des Ursprungsorts der atrialen Estrasystolen in ihrer
ist keine Behandlung erforderlich. Diesen sollte man
Morphologie unterscheiden. Sie kann mit unterschied-
empfehlen, äussere Faktoren, welche das Auftreten AES
lich langem PR-Intervall und Aberration auf die Herz-
begünstigen können, zu vermeiden, indem sie ihren
kammern übergeleitet werden, was sich in einem brei-
­Alkohol-, Tabak- und Koffeinkonsum einschränken. Der
ten QRS-Komplex äussert (meist handelt es sich um
Einfluss von Koffein auf AES ist umstritten, bei einigen
einen Rechtsschenkelblock). Dies darf nicht mit einer
Patienten kann sich ein Verzicht jedoch positiv auswir-
ventrikulären Extrasystole verwechselt werden.
ken. Obgleich bei den oben genannten Patienten keine
Die Diagnose AES erfolgt mittels EKG oder Langzeit-
Behandlung erforderlich ist, sollte in jedem Fall eine kli-
EKG (Holter-EKG während 24 oder 48 Stunden), wenn
nische Kontrolle erfolgen. Denn auch wenn das Auftre-
die Beschwerden des Patienten im Standard-EKG nicht
ten AES ohne zugrunde liegende Kardiopathie bis dato
nachweisbar sind. Im Holter-EKG kann die Häufigkeit
als gutartig beurteilt wurde, haben aktuelle Studien
der Extrasystolen festgestellt und bestimmt werden,
­ergeben, dass AES mit einem erhöhten Risiko für Vorhof-
ob es sich um vereinzelte oder multiple Extrasystolen
flimmern und Schlaganfall sowie einer erhöhten Sterb-
handelt. Dabei können ferner Vorhofarrhythmieepiso-
lichkeit assoziiert sind. So war in einer kürzlich veröf-
den (Tachykardie oder Vorhofflimmern) dokumentiert
fentlichten retrospektiven Kohortenstudie das Risiko
werden, die häufig asymptomatisch sind. Meist treten
für Vorhofflimmern ab 100 AES/Tag signifikant erhöht
AES bei der EKG-Aufzeichnung tagsüber auf.
[1]. Andere Studien haben gezeigt, dass das Rezidivrisiko
Zugleich sollte man sichergehen, dass die Laborergeb-
bei über 141 AES/Tag sechs Monate nach einer Lungen­
nisse unauffällig sind und zunächst mittels Echokar­
venenisolation (Ablationstherapie bei Vorhofflimmern)
diographie nach zugrunde liegenden Kardiopathien
signifikant erhöht war [2].
Abbildung 1: 12-Kanal-EKG im Sinusrhythmus mit linksanteriorem Hemiblock, unterbrochen durch vorzeitige atriale
­E xtrasystolen (P/T-Phänomen), von denen einige blockiert und andere aberrierend übergeleitet werden (Rechtsschenkelblock).
Beachten Sie die atrialen Tachykardieepisoden nach dem letzten QRS-Komplex in den peripheren und vor dem letzten QRSKomplex in den präkordialen Ableitungen.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(9):208–213
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
210
Übersichtsartikel AIM
Bei der klinischen Betreuung kommt es demnach darauf
Patienten, einer zugrunde liegenden Kardiopathie und
an, (1) aktiv nach kardiovaskulären Risikofaktoren wie
der Länge der EKG-Aufzeichnung zu. VES kommen bei
Hypertonie, Diabetes, Adipositas, Dyslipidämie und
zahlreichen Kardiopathien wie ischämischen, hyperten-
Schlafapnoe zu suchen und gegebenenfalls eine zielge-
siven, dilatativen, entzündlichen, infektiösen, kongeni-
richtete Behandlung zu beginnen und (2) zu kontrollie-
talen und anderen Herzerkrankungen vor. Sie werden
ren, ob eine bis dato inapparente Kardiopathie vorliegt.
durch Elektrolytstörungen (Hypokaliämie, Hypomag-
Und schliesslich ist es, insbesondere bei Patienten mit
nesiämie), toxische Wirkungen von Medikamenten
mehreren kardiovaskulären Risikofaktoren, sinnvoll,
(z.B. Digoxin) oder anderen legalen respektive illegalen
wiederholte Holter-EKGs durchzuführen beziehungs-
Substanzen (Nikotin, Alkohol, Amphetamine, Kokain
weise einen subkutanen Event-Rekorder zur Suche nach
usw.), chronische Lungen- oder Schilddrüsenerkran-
atrialen Tachykardieepisoden (Vorhofflimmern, -flat-
kungen begünstigt. Vor Kurzem wurde festgestellt,
tern) zu implantieren. Auf diese Weise kann gegebenen-
dass auch Feinstaubpartikel aus verschmutzter Luft
falls frühzeitig eine Antikoagulation begonnen werden,
VES auslösen können.
um embolische Ereignisse zu verhindern.
Die Symptome sind sehr unterschiedlich: Die Patienten
Die Therapie symptomatischer Patienten erfolgt zu-
können asymptomatisch sein, einen unregelmässigen
nächst medikamentös. Zudem muss natürlich die zu-
Puls bezwihungsweise Palpitationen aufweisen oder
grunde liegende Kardiopathie behandelt werden. Hier
sogar das klinische Bild einer fortgeschrittenen Herz-
sind Betablocker und Kalziumantagonisten die Medika-
insuffizienz zeigen. Sind die VES stark ausgeprägt, kön-
mente erster Wahl. Bei Nichtansprechen oder Ableh-
nen sie zu einer Arrhythmie-induzierten dilatativen
nung der medikamentösen Therapie und Fortbestehen
Kardiomyopathie führen (s. später). In der Anamnese
der Symptome wird eine Katheterablation vorgeschla-
ist nach kardiologischen Vorerkrankungen, Symptomen
gen. Die Risiken des Eingriffs unterscheiden sich je
für eine aktive Herzerkrankung und zeitgleich mit den
nachdem, ob der Ursprungsort der Extrasystolen im
VES aufgetretenen besonderen Ereignissen (Status fe-
rechten oder linken Vorhof liegt. Dementsprechend
brilis, Einnahme von Medikamenten oder anderen
muss der Patient, bevor er der Intervention zustimmt,
Substanzen) sowie nach dem genauen Zeitpunkt des
umfassend aufgeklärt werden.
Auftretens der VES zu suchen. Überdies sollte systematisch nach Fällen von plötzlichem Herztod in der Familie
Junktionale Extrasystolen
gesucht werden.
Junktionale Extrasystolen treten sehr viel seltener auf
Bei der körperlichen Untersuchung machen sich VES
als AES. Ihre Prävalenz ist unbekannt. In zahlreichen
durch einen unregelmässigen Puls und eine variierende
Publikationen werden sie den AES zugeordnet. Sie sind
Intensität des ersten Herztons bemerkbar. Die übrigen
meist durch eine abnormale Automatizität bedingt
Befunde der körperlichen Untersuchung richten sich
und manifestieren sich klinisch bei Herz- (ischämischen
natürlich nach der zugrunde liegenden Pathologie, auf-
Kardiopathien, Herzklappenerkrankungen, Kardiomyo-
grund derer der Patient zur Konsultation kommt.
pathien, nach Herzoperationen usw.) oder chronischen
Auch hier müssen im EKG Extrasystolen mit verbrei-
Lungenerkrankungen. Junktionale Extrasystolen wer-
tertem (>120 ms) und deformiertem QRS-Komplex vor-
den durch Stress, die Einnahme von Digitalispräparaten,
liegen, der keiner typischen Rechts- oder Linksschen-
übermässigen Koffein- oder Alkoholkonsum begüns-
kelblock-Morphologie (durch aberrante Überleitung)
tigt. Liegen Symptome vor, ähneln diese denen bei AES.
entspricht. VES werden gemeinhin nach ihrer Morpho-
Im EKG sind junktionale Extrasystolen häufig an einem
logie in V1 unterschieden: Linksverspätung, wenn die
schmalen vorzeitigen QRS-Komplex ohne sichtbare
S-Zacke, Rechtsverspätung, wenn die R-Zacke domi-
oder mit retrograder P-Welle erkennbar, die den Endteil
niert. Schematisch gesehen liegt der Ursprungsort der
des QRS-Komplexes deformiert oder in der ST-Strecke
VES bei einer Rechtsverspätung im linken und bei einer
liegt. Die klinische und therapeutische Behandlung ist
Linksverspätung im rechten Ventrikel. Manche VES
mit der bei atrialen Estrasystolen vergleichbar.
sind mit Werten von 110–120 ms nur leicht verbreitert
und können wie ein typischer Rechts- oder Links-
Ventrikuläre Extrasystolen
schenkelblock aussehen. In diesem Fall sind sie faszikulären Urpsrungs. Die Kopplungszeit der Extrasystole
Ventrikuläre Extrasystolen (VES) treten bei einem
mit dem vorhergehenden QRS-Komplex ist variabel.
Grossteil der Bevölkerung sowohl bei Personen mit ge-
Ist die VES kurz, fällt sie auf dem Gipfel der T-Welle ein,
sundem Herzen als auch mit zugrunde liegender Kar-
was zu einem «R-auf-T-Phänomen» führt, dessen Gefähr-
diopathie auf. Wie auch bei den SVES nimmt die VES-
lichkeit früher überbewertet wurde. Vorzeitige VES
Prävalenz im Allgemeinen mit steigendem Alter der
können jedoch eine maligne ventrikuläre Arrhythmie
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(9):208–213
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
211
Übersichtsartikel AIM
(polymorphe ventrikuläre Tachykardie) auslösen, wenn
liegende Ursache, ist stark zu vermuten, dass die VES
eine aktive Ischämie, eine lange QT-Zeit, eine Hypoka-
für die ventrikuläre Dysfunktion verantwortlich sind.
liämie oder eine Kanalopathie (z.B. Bru­gada-Syndrom)
Die Therapie zielt darauf ab, die Arrhythmie zu beseiti-
vorliegen.
gen, eventuelle Rezidive zu verhindern und gleichzeitig
Unabhängig vom Vorliegen von VES muss das EKG na-
die assoziierte ventrikuläre Dysfunktion zu behandeln.
türlich umfassend und systematisch analysiert werden.
Eine gute klinische Reaktion nach der Kontrollunter-
Dabei ist unter anderem auf Anzeichen eines früheren
suchung oder das Abklingen der Arrhythmie sind
Herzinfarkts, einer dilatativen oder hypertrophen Kar-
­Hinweise auf eine Arrhythmie-induzierte Kardiomyo-
diomyopathie oder Repolarisationsstörungen (lange
pathie. Die vollständige Wiederherstellung der Kammer-
QT-Zeit usw.) zu achten.
funktion dauert 4–6 Monate. Bei einem Wiederauftre-
Zur Abklärung einer eventuell zugrunde liegendenden
ten der Arrhythmie ist ein Rezidiv möglich, weshalb
Kardiopathie ist eine Echokardiographie erforderlich.
die Patienten unbedingt klinisch überwacht werden
Treten VES am gesunden Herzen auf, ist die Prognose
sollten (alle 6 Monate), um zu kon­trollieren, ob der
gut, bei einer zugrunde liegenden Kardiopathie jedoch
VES-Anteil weiterhin gering (<5%/24 Stunden) und die
weniger günstig. Entsprechend der Anamnese und des
Herzfunktion erhalten ist. Zur zielgerichteten Behand-
Resultats der Echokardiographie sollten ergänzend ein
lung der Arrhythmie werden vor allem Betablocker
Belastungstest, ein Herz-MRT respektive eine Koronar-
und Kalziumantagonisten eingesetzt, deren Neben­
angiographie durchgeführt werden.
wirkungen bei einer dilatativen Kardiomyopathie be-
Ein Holter-EKG während 24 oder 48 Stunden ist sinn-
grenzt sind, während die anderen, bekanntermassen
voll, um den Anteil der Extrasystolen an allen aufge-
wirksameren Antiarrhythmika (Sotalol, Amiodaron)
zeichneten QRS-Komplexen zu bestimmen, erstere zu
ein höheres proarrhythmisches Potenzial aufweisen.
dokumentieren, wenn sie im Langzeit-EKG nicht sicht-
Meist wird die Arrhythmie mittels Katheterablation
bar waren, ihre Tag-Nacht-Verteilung zu beobachten
beseitigt (kurative Lösung, jedoch mit einem geringen
(häufigeres Auftreten am Tag oder in der Nacht?) sowie
Risiko verbunden), wodurch die Extrasystolen sis­
abzuklären, ob sie monomorph oder polymorph sind,
tieren, wenn sie nicht durch multiple Herde verursacht
isoliert oder im Zusammenhang mit Salven oder Kam-
werden.
mertachykardieepisoden auftreten. Bei dieser Gelegenhang zwischen eventuellen vom Patient geschilderten
Idiopathische ventrikuläre Extrasystolie versus
arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie
Symptomen und dem Vorliegen von VES besteht.
Die in der klinischen Praxis am häufigsten vorkom-
Anhand des Belastungstests kann festgestellt werden,
menden VES sind Extrasystolen des gesunden Herzens,
wie sich die VES unter Belastung verhalten und gege-
auch idiopathische Extrasystolie genannt, deren Ur-
benenfalls können Situationen provoziert werden,
sprungsort sich im rechtsventrikulären Ausflusstrakt
welche VES auslösen. Letztere können bei Stress ver-
(Infundibulum pulmonale) befindet. Sie sollten auf
mehrt auftreten oder verschwinden. Ferner sollte un-
­einem Standard-EKG erkannt werden, da sie bei Haus-
tersucht werden, ob Kammertachykardien oder eine
ärzten regelmässig vorkommen. Ihre Morphologie ent-
ischämische Herzerkrankung vorliegen, was häufig bei
spricht einer Linksverspätung (die VES entstehen im
Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren der
rechten Ventrikel, die S-Zacke dominiert in V1) mit ei-
Fall ist.
ner Steil- oder Rechtsachse in der Frontalebene (grosse
heit kann auch überprüft werden, ob ein Zusammen-
R-Zacke in II, III, aVF: Erregung im hohen rechten Vent-
Einige Sonderfälle
rikel bei Orientierung des Vektors nach unten) (Abb. 2).
In diesem Sonderfall ist das Herz, ebenso wie das EKG
Die Arrhythmie-induzierte dilatative
­Kardiomyopathie
(bis auf das Vorliegen von VES), anatomisch unauffällig
Ein sehr hoher VES-Anteil (>10–24% je nach Studie)
logischen Befund einschliesslich Echokardiographie
kann eine Arrhythmie-induzierte Kardiomyopathie
bestätigt werden). Häufig reicht es aus, den Patienten
zur Folge haben: In diesem Fall kommt der Patient mit
dahingehend zu beruhigen, dass diese Arrhythmie
dem klinischen Bild einer globalen Herzinsuffizienz
gutartig ist. Als Behandlung stehen Betablocker oder
zur Konsultation, wobei die Arrhythmie bis zu diesem
Kalziumantagonisten sowie die Katheterablation zur
Zeitpunkt vollkommen unbemerkt geblieben ist [3].
Verfügung.
Auch eine unerkannte Arrhythmie, die keine Beschwer-
Die Differentialdiagnose dieser gutartigen VES ist die
den verursacht, kann jedoch eine kardiale Dekompen-
rechtsventrikuläre Dysplasie, bei der das Myokard
sation zur Folge haben. Besteht keine weitere zugrunde
durch Fett- und Bindegewebe ersetzt wird. Im Gegensatz
(die Diagnose kann nur nach einem normalen kardio-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(9):208–213
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
212
Übersichtsartikel AIM
zur idiopathischen VES weisen die Untersuchungsresul-
Frontalebene variiert jedoch, da sich der Ursprungsort
tate (Echokardiographie, Herz-MRT) auf strukturelle
der VES nicht auf den Ausflusstrakt beschränkt. Über-
Störungen und/oder eine ventrikuläre Dysfunktion
dies ist das EKG häufig auffällig mit negativen T-Wellen
hin. Die bei dieser Erkrankung auftretenden VES haben
oder Veränderungen des QRS-Komplexes in den
ebenfalls die Morphologie einer Linksverspätung, da
rechtspräkordialen Ableitungen (Abb. 3). Oftmals be-
sie im rechten Ventrikel entstehen. Ihre Achse in der
steht eine positive Familienanamnese für plötzlichen
Abbildung 2: 1
2-Kanal-EKG im Sinusrhythmus von 100/min mit bigeminiformen, m
­ onomorphen, ventrikulären Extrasystolen
(Linksverspätung, R/S-Umschlag in V4, Steilachse). Die schmalen QRS-Komplexe sind unauffällig und ohne Repolarisations­
störungen. Gesundes Herz.
Abbildung 3: A lternierende Sinus- und junktionale Bradykardie von 46/min mit komplettem Rechtsschenkelblock und diffusen
Repolarisationsstörungen. Drei ventrikuläre Extrasystolen, deren Morphologie einer Linksverspätung gleicht, R/S-Umschlag in
V4, Steilachse. Arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(9):208–213
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html
213
Übersichtsartikel AIM
Herztod. Hausärzte müssen diese Erkrankung erken-
oder Amiodaron zum Einsatz kommen. Diese unterlie-
PD Dr. med. Jürg Schläpfer,
nen, da ihre Prognose eher schlecht ist. Im fortge-
gen jedoch zahlreichen Anwendungseinschränkungen
MER
schrittenen Stadium ist neben einer medikamentösen
und einige, wie die Antiarrhythmika der Klasse Ic (Fle-
Behandlung mit einem Antiarrhythmikum oder einer
cainid, Propafenon), sind bei einer ischämischen Herz-
epikardialen Katheterablation die Implantation eines
krankheit kon­traindiziert. Bei Nichtansprechen auf die
internen Defibrillators sinnvoll.
medikamentöse Therapie oder Weigerung des Patien-
Korrespondenz:
Médecin-Adjoint,
Service de Cardiologie
CHUV
CH-1011 Lausanne
jurg.schlaepfer[at]chuv.ch
ten kann eine Katheterablation angeboten werden,
Frühphase eines Myokardinfarkts
nachdem letzterer umfassend über die Risiken des Ein-
In der Frühphase eines Myokardinfarkts können Ex­
griffs aufgeklärt wurde.
trasystolen, deren Ursprungsort im His-Purkinje-System, im ischämischen oder reperfundierten Myokard
Prognose
liegt, rezidivierende Episoden von Kammerflimmern
Das Vorliegen von VES ist selbst bei Patienten ohne of-
auslösen, die sich klinisch in Form von Salven äussern.
fensichtliche Herzerkrankung mit einem erhöhten Ri-
Mithilfe einer komplexen Notoperation mittels Kathe-
siko für Herzinsuffizienz und ischämischen Schlagan-
terablation der Extrasystolen nach sorgfältiger Karto-
fall sowie einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert [4, 5].
graphierung der Triggerpunkte ist eine Behandlung
Möglicherweise ist gerade diese scheinbare Herzge-
des arrhythmogenen Substrats möglich.
sundheit trügerisch und könnte als Erklärung für die
erhöhte Komorbidität dienen [6]. Die Definitionskrite-
Therapie
rien und Untersuchungen zum Ausschluss einer zu-
Im Allgemeinen richtet sich die Behandlung von VES
grunde liegenden Kardiopathie haben sich im Laufe
danach, ob eine zugrunde liegende Kardiopathie oder
der Jahre stark verändert. Mithilfe der den Kardiologen
Symptome bestehen. Eine zugrunde liegende Kardio-
heute zur Verfügung stehenden Technik können even-
pathie muss untersucht und zielgerichtet behandelt
tuell fortschreitende fokale oder umschriebene Anoma-
werden. Nur auf diese Weise kann die Prävalenz von VES
lien festgestellt werden, die bei einfachen Standardun-
positiv beeinflusst werden. Patienten mit Symptomen
tersuchungen, bei denen fälschlicherweise ein gesundes
aber ohne zugrunde liegende Kardiopathie sollten, wie
Herz bescheinigt wird, übersehen werden. Das «gesunde
weiter oben unter den AES beschrieben, zunächst äus-
Herz» von vor zwanzig Jahren ist nicht mehr mit dem
sere Faktoren meiden, welche eine Arrhythmie begüns-
«gesunden Herzen» von heute gleichzusetzen. VES
tigen können (Alkohol, Tabak, eventuell Kaffee, diverse
müssen, gleich vor welchem Hintergrund sie auftre-
Drogen). Betablocker oder Kalziumantagonisten sind
ten, regelmässig klinisch kontrolliert werden, um eine
die Medikamente erster Wahl und sollten in niedrigs-
bis dato inapparente Herzerkrankung feststellen und
ter wirksamer Dosis verordnet werden. Bei Nichtan-
zielgerichtet behandeln zu können.
sprechen auf die beiden erstgenannten können andere
Antiarrhythmika wie Flecainid, Propafenon, Sotalol
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Das Wichtigste für die Praxis
• Ventrikuläre und supraventrikuläre Extrasystolen sind Marker für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität, die überwacht werden sollten.
• Hausärzte müssen mittels Holter-EKG die Arrhythmiehäufigkeit feststellen und abklären, ob eine zugrunde liegende Kardiopathie besteht, die
eine zielgerichtete Behandlung erfordert.
• Auch wenn keine dokumentierte Herzerkrankung vorliegt und die Arrhythmie asymptomatisch ist, sollte eine regelmässige klinische Kon­
trolle erfolgen, um die Häufigkeit der Extrasystolen zu überprüfen bzw.
abzuklären, ob eine unerkannte ventrikuläre Dysfunktion oder andere bis
dato inapparente Herzerkrankungen («gesundes Herz») vorliegen.
• Die symptomatische Behandlung erfolgt zunächst in Form von Empfehlungen zur Lebenshygiene (Alkohol-, Tabak- und Drogenentwöhnung),
bevor eine medikamentöse Therapie (zunächst mit Betablockern oder
Kalziumantagonisten) oder eine Katheterablation des arrhythmogenen
Substrats erwogen wird.
Literatur
1 Acharya T, Tringali S, Bhullar M, Nalbandyan M, Ilineni VK,
Carbajal E, et al. Frequent Atrial Premature Complexes and Their
Association With Risk of Atrial Fibrillation. Am J Cardiol.
2015;116:1852–7.
2 Gang UJ, Nalliah CJ, Lim TW, Thiagalingam A, Kovoor P, Ross DL,
et al. Atrial ectopy predicts late recurrence of atrial fibrillation
after pulmonary vein isolation. Circ Arrhythm Electrophysiol.
2015;8:569–74.
3 Gopinathannair R, Etheridge SP, Marchlinski FE, Spinale FG,
Lakkireddy D, Olshansky B. Arrhtyhmia-induced cardiomyopathies.
Mechanisms, recognition, and management. J Am Coll Cardiol.
2015;66:1714–28.
4 Dukes JW, Dewland AT, Vittinghoff E, Mandyam MC, Heckbert SR,
Siscovick DS, et al. Ventricular ectopy as a predictor of heart failure
and death. J Am Coll Cardiol. 2015;66:101–9.
5 Agarwal SK, Chao J, Peace F, Judd SE, Kissela B, Kleindorfer D, et al.
Premature ventricular complexes on screening electrocardiogram
and risk of ischemic stroke Stroke 2015;46:1365–7.
6 Lee V, Hemingway H, Harb R, Crake T, Pier Lambiase P. The
prognostic significance of premature ventricular complexes in
adults without clinically apparent heart disease: a meta-analysis
and systematic review. Heart. 2012;98:1290–8.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2017;17(9):208–213
Published under the copyright license “Attribution – Non-Commercial – NoDerivatives 4.0”. No commercial reuse without permission.
See: http://emh.ch/en/services/permissions.html