„Geile Party hier“ – Karneval in Ratingen Wie Deutschlands erstes afrodeutsches Prinzenpaar Jacinta I. und Samuel I. fröhlich schunkelnde Karnevalisten in die Gesellschaft integriert Seite 28 AUSGABE BERLIN | NR. 11261 | 8. WOCHE | 39. JAHRGANG SONNABEND/SONNTAG, 25./26. FEBRUAR 2017 | WWW.TAZ.DE Die Aussteiger € 3,50 AUSLAND | € 3,20 DEUTSCHLAND ANZEIGE „Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“ Jean Ziegler Spendenstichwort: Hilfe für Ostafrika www.medico.de/Spenden Spendenkonto IBAN: DE21 5005 0201 0000 0018 00 PR ESSEFR EI H EIT „Ohne rechtliche Grundlage“ „Welt“-Journalist Deniz Yücel wird weiter von der türkischen Polizei festgehalten. Sein Anwalt im Gespräch SEITE 3 AU FSTI EG Der Heilsbringer Martin Schulz gibt der SPD Hoffnung im Wahljahr. Wie konnte das passieren? SEITE 5 taz.berlin FLUCHT Minderjährig und allein: Wie finden sich junge Migranten zurecht? SEITE 41, 44, 45 ANZEIGE DIE GRÜNE BUNDESTAGSFRAKTION LÄDT EIN: Sie wollten Macht, wollten gestalten – und saßen viele Jahre im Deutschen Bundestag. Politik, heißt es, sei eine Droge. Jetzt haben sie genug und hören auf. Aber geht das so einfach? Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, die Grüne Bärbel Höhn und der Linke Jan van Aken über ihren Ausstieg aus dem Parlament SEITE 20–22 60608 4 190254 803208 Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.679 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 FEMINISMUS IM JAHR 2017 Parlamentarischer Abend 09. März 2017, 19 Uhr Deutscher Bundestag gruene-bundestag.de/fem2017 Redaktionsbesuch: Wolfgang Bosbach, Bärbel Höhn und Jan van Aken in der taz Foto: Karsten Thielker; Andreas Fechner (oben) TAZ MUSS SEIN NACH VORNE! tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 | [email protected] | [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de | twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 02 TAZ.AM WOCH EN EN DE Kompass SON NABEN D/SON NTAG, 25./26. FEBRUAR 2017 Aus dem Inhalt Politik SPD Die SPD befindet sich im Höhenrausch. Wie konnte das passieren? Seite 5 Autos Peugeot übernimmt Opel. Es entsteht ein neuer Autoriese. Ein Zukunftsmodell? Seite 7 Reportage Flüchtlings-Deal Sechs Milliarden Euro sollte die Türkei von der EU bekommen. Was ist aus dem Geld geworden? Seite 8, 9 Argumente Wahlkampf Warum die Kanzlerkandidatur von Martin Schulz gut für Angela Merkel ist Seite 10 Kultur Gesellschaft These Journalisten müssen sich mit einer Sache gemein machen! Seite 19 Titel Viele Bundestagsabgeordnete hören dieses Jahr auf. Drei sprechen über das Ende ihrer Macht Seite 20–22 DVB-T2 Brauchen wir wirklich neue Antennen zum Fernsehen? Eine Sachkunde Seite 24, 25 Bildwelt Afghaninnen dürfen nichts? Falsch! Einige trainieren in den Bergen den Kampfsport Wushu Seite 26, 27 Karneval Wie das erste afrodeutsche Prinzenpaar Werbung für Integration macht Seite 28 Medien Fernsehen Fördern deutsche Talkshows unsere Angst? Seite 33 Reise Pragmatismus Fremde sind der Schweiz nicht ganz geheuer – aber ein gutes Geschäft. Besonders im Tourismus Seite 34, 35 Leibesübungen Fußball Fangewalt in Spanien ist auch ein Zeichen der Politisierung Seite 39 TAZ.MEINLAND SEITE 30 AUS DER TAZ SEITE 31 LESERBRIEFE SEITE 37 TV-PROGRAMM SEITE 32 DIE WAHRHEIT SEITE 40 Ende eines Protestcamps LEKTIONEN 5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben 1. Jemand verfügt noch über VX-Vorräte! Kim Jong Nam, Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un, ist kürzlich ziemlich übel ums Leben gekommen. Die Atemmuskulatur gelähmt, Krämpfe, Schmerzen, tot. Jetzt kam heraus: Das Nervengift VX war die Ursache, eine Substanz, die über Augen und Atemwege in den Körper dringt; sie wirkt schnell. Waren’s die beiden Frauen, die man auf dem Video einer Überwachungskamera am Flughafen Kuala Lumpur sieht, wie sie sich Kim nä- G erade erst ist es für die Grünen – in BadenWürttemberg – richtig losgegangen als führende Volks- und Orientierungspartei. Und nun, so lese ich, sind sie schon erledigt? Na ja. Die Suggestion des Augenblicks besteht darin, dass ein omnipotenter Politiker namens Martin Schulz alles ändert. So dass im Grunde alles weitergehen kann wie bisher. Nur halt „gerechter“ als mit der moralisch tiefer stehenden, sparbesessenen Union. Das ist der LastCentury-Schwarz-Weiß-Film der SPD, für den sie nun den richtigen Hauptdarsteller zu haben glaubt, und der in den Kinos von Spiegel und Stern mit großem Brimborium angelaufen ist. An den Rändern der westlichen Länder wird am Umsturz der liberalen Gesellschaften gearbeitet. Auch wenn diese Entwicklung in der Bundesrepublik noch nicht so entwickelt ist wie in den USA, Frankreich und Österreich: Die Suggestion, dass die gute alte SPD zusammen mit den guten alten Gewerk- Das Oceti Sakowin Camp im US-Bundesstaat North Dakota am Mittwoch: Polizisten durchkämmen das Lager, das Tausende Protestler beherbergt hatte, die den Bau einer Ölpipeline durch das „Standing Rock“-Sioux-Reservat verhindern wollten. US-Präsident Obama hatte einen Baustopp angeordnet, um Alternativrouten zu prüfen. Präsident Trump verfügte den Weiterbau, nun kam das Räumkommando. Foto: Stephen Yang/reuters hern und mit einem Tuch über sein Gesicht wischen? Man weiß es nicht, sie sitzen dort in U-Haft. Und das Motiv? Vielleicht ist Kim, der Diktator, schuld, weil Kim, der Halbbruder, Nordkorea verließ und über ihn lästerte. VX dürfte es gar nicht mehr geben. In der Chemiewaffenkonvention von 1997 wurde die Vernichtung aller Vorräte beschlossen. 2. Lean Management – die Provinz macht’s vor EWE heißt Deutschlands fünftgrößter Energiekonzern, mit 9.000 Mitarbeitern aktiv vor allem im Nordwesten zwischen Weser und Ems. Seit Mitte der Woche wird dort ein neues Führungsmodell ausprobiert: Nur noch zwei der fünf Vorstandsposten sind besetzt, nachdem der Chef fristlos entlassen wurde. Er hatte einer Stiftung der Klitschko-Brüder 253.000 Euro versprochen, am Unternehmen vorbei. Zuvor hatte schon die Technikvorständin ihren Posten aufgegeben, kurz zuvor war schon der Personalvorstand zurückgetreten: Er soll einen ehemaligen Angestellten überwacht haben lassen. Mögliche Nachfolger aus einem EWETochterunternehmen müssen noch warten. Dort wird gerade wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt. 3. Obstbäume leiden Mistelzweige sind beliebt, in der Adventszeit werden sie an Türrahmen gehängt – wer sich darunter trifft, möge sich küssen. Aber: Misteln sind auch böse. Naturschützer warnen, die Pflanze breite sich so stark aus, dass heimische Obstbäume darunter litten. Misteln schmarotzen ihren Wirten nämlich Wasser und Nährstoffe weg. 4. Sperma-Eis unterliegt besonderen Einschränkungen Eine Witwe darf nach einem Urteil des OLG München das eingefrorene Sperma ihres verstorbenen Mannes nicht zur künstlichen Befruchtung benutzen. Wegen eines Krankenhausaufenthalts hatte er es einfrieren lassen, um weitere Versuche zu ermöglichen. Dann starb er. Nach dem Embryonenschutzgesetz sind Befruchtungen mit dem Sperma eines Verstorbenen verboten. Revision gegen das Urteil ist zulässig. 5. „Thomas“ war ein Softie Vor ihm wurde gewarnt: Sturmtief „Thomas“ werde in Orkanstärke übers Land fegen, „Thomas“ ließ uns fürchten. Dann aber blies es nur ein wenig, in Dortmund stürzte eine Oberleitung um, und „Thomas“ war FELIX ZIMMERMANN passé. Das Zitat „Wenn die SPD ernsthaft eine sozialere Politik verfolgen will, wird es an uns garantiert nicht scheitern“ SAHRA WAGENKNECHT, VORSITZENDE DER LINKSFRAKTION IM BUNDESTAG, MACHT IM „SPIEGEL“ DEM SPD-KANZLERKANDIDATEN MARTIN SCHULZ AVANCEN Foto: dpa Literatur Er kam als Flüchtling nach Kaiserslautern, wurde Beamter und hat jetzt seinen Debütroman veröffentlicht: Ein Besuch bei Tijan Sila Seite 12 Schau Das Lebenswerk der brasilianischen Fotografin Claudia Andujar Seite 13 DI E EI N E FRAGE Sind die Grünen am Ende? DI E SUGGESTION DES AUGEN BLICKS LAUTET, DASS SPD-KAN DI DAT SCHULZ ALLES ÄN DERT. N EI N, DAS TUT ER N ICHT schaften und mit einer nationalen Vor-Schröder-Industriegesellschafts-Gerechtigkeit die liberale Moderne verlängern oder gar neu definieren könne, ist doch wohl der Witz des Jahrhunderts. Des letzten Jahrhunderts. Man sieht jedenfalls an der Umfragenbewegung, welches Ausmaß an Bedeutung auch im liberaldemokratischen Spek trum der Politiker erreicht hat, der vorne dran steht und ein Band des Vertrauens mit der Gesellschaft zu knüpfen vermag. Das ist den Grünen ja auch nicht unbekannt: Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sie in Baden-Württemberg auf 30,3 Prozent gebracht. Dadurch stieg man auch im Bund auf die 14 Prozent, die man für Regierungsgewicht braucht. Doch auch dieses Momentum hat die Bundespartei kleingekriegt. Und PETER UNFRIED IST TAZ-CHEFREPORTER nun auch noch Schulz. Selbst der Intelligenteste der ganzen Partei sagte diese Woche, jetzt sei auch er „ratlos“. Das kam noch nie vor. Ein mutloser Rückbau zum Zwergenpartner der SPD wäre jedenfalls nach den verlorenen Wahlkämpfen von 2005, 2009 und 2013 der Beweis, dass man niemals mehr rauskommt aus dem Murmeltrittintag. Das nützt immer nur der SPD, die dann mit den rot-grünen Leihstimmen bei der Union unterschlüpft. Es ist vielleicht an der Zeit, einige Funktionäre an das demokratische Votum der eigenen Mitglieder zu binden. Sie haben sich mit über 70 Prozent für die Führung durch Cem Özdemir und Robert Habeck sowie Katrin Göring-Eckardt ausgesprochen. Diese Führungsfiguren wurden gewählt, weil sie die Grünen als zentrale und unverzichtbare Kraft der nächsten Regierung beschrieben haben, die auf die großen Fragen der Gegenwart Antworten geben kann, die sich mit denen der Union und der SPD messen können. Von der Verteidigung der liberalen europäischen Gesellschaft bis zur ihrem Sicherheitsbedürfnis. Und die den anderen voraus ist, weil sie die so- zialökologische Wende als Basis für Gerechtigkeit, Freiheit und Zukunft beschreiben kann. Zumindest theoretisch. Dafür braucht es aber einen Human Anchor, der das glaubhaft in der Gesellschaft verankert. Wenn man, nur als Beispiel, einen anatolischen Einwanderersohn hätte, der sich aus Arbeiterverhältnissen nach oben gearbeitet hat und heute außenpolitisch durch seine furchtlose Kritik am Autokraten Erdoğan im liberalen Europa eine Vorbildfunktion hat? Den möchten die Leute doch als zentrale Hauptfigur neben Merkel und Schulz im Wahlkampffilm sehen. Aber ohne Teleprompter, von dem er Parteigremienbeschlüsse ablesen muss. Jürgen Trittin musste an der Niederlage von 2013 schuld sein, aber dafür hatte er vorher auch die Richtlinienkompetenz im Wahlkampf. Letzteres sollte auch bei Cem Özdemir die Grundlage sein. Sonst können ihn die Parteilinken am Ende auch nicht verdammen. Die Drei SON NABEN D/ SON NTAG, 25. /26. FEBRUAR 2017 TAZ.AM WOCH EN EN DE 03 TÜRKEI Der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel befindet sich immer noch in Polizeigewahrsam in Istanbul. Ohne rechtliche Grundlage, meinen seine Anwälte „Deniz Yücel hätte längst freikommen müssen“ INTERVIEW DORIS AKRAP, FATMA AYDEMIR, ALI CELIKKAN taz.am Wochenende: Herr Ok, Sie vertreten den Journalisten Deniz Yücel, der sich seit dem 14. Februar 2017 in Polizeigewahrsam in Istanbul befindet. Wie lauten die konkreten Beschuldigungen gegen ihn? Veysel Ok: Wir sind nicht sicher. Als er sich bei den Behörden meldete, wurden ihm Fragen ge stellt. Anhand derer nehmen wir an, dass ihm möglicherweise die Mitgliedschaft in einer terroris tischen Vereinigung vorgewor fen wird sowie die illegale Be schaffung und Verbreitung per sönlicher Daten. Die konkreten Beschuldigungen kennen wir aber nicht, weil Deniz Yücels Er mittlungsakte einem Geheim haltungsbeschluss unterliegt. Allein das ist schon rechtswid rig. Laut dem Europäischen Ge richtshof für Menschenrechte (EGMR) müssen alle Informatio nen und Beweise aus einer Er mittlungsakte für die Anwälte des Verdächtigten zugänglich sein – sofern der Verdächtigte keine außerordentliche Gefahr darstellt. Und es ist offenkundig, dass ein Journalist wie Deniz Yücel keine außerordentliche Gefahr darstellt. Welche Fragen wurden ihm auf dem Polizeirevier gestellt? Yücel hat der Polizei gesagt, dass er lediglich vor einem Staatsan walt aussagen wird. Aufgrund des Geheimhaltungsbefehls kann ich auf die Fragen nicht im Detail eingehen. Nur so viel: Die ihm von der Polizei gestell ten Fragen sagen wenig über die Ermittlungen aus. Wenn wir al lein nach den bisherigen Fragen urteilen, hätte Deniz Yücel be reits am ersten Tag wieder frei gelassen werden müssen. Wir warten nur auf eine entspre chende Anweisung des Staats anwalts. Rechtlich gesehen gibt Reaktionen ■■Das Auswärtige Amt ließ am Freitag wissen: „Wir haben nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass Herr Yücel seine Tätigkeit als Journalist in irgendeiner Weise missbraucht hätte, sondern er ist engagiert seiner Arbeit nachgegangen“, sagte Ministeriumssprecher Martin Schäfer in Berlin. „Und wir hoffen und erwarten, dass eine Entscheidung durch die zuständigen türkischen Justizbehörden gefällt wird, die dem Rechnung trägt, und zwar so schnell wie irgend möglich.“ ■■160 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen haben in einem Brief an den türkischen Botschafter in Berlin, Ali Kemal Aydin, appelliert, sich für die Freilassung von Yücel einzusetzen. Initiatoren des Briefes sind Omid Nouripur (Grüne) und Niels Annen (SPD). Sie schreiben über Yücel: „Wie es bei jedem freien Journalisten und kritischen Geist der Fall ist, erregt seine Arbeit teilweise Anstoß. Es ist der Anstoß des freien Denkens und der offenen politischen Debatte. Diese geistige Debatte ist das beste Mittel gegen den Terrorismus, der ihm jetzt paradoxerweise vorgeworfen wird.“ ■■Interview auf Türkisch: www.gazete.taz.de „Yücel ist hier ein türkischer Staatsbürger und wird auch vor Gericht als solcher behandelt“ Foto: Can Merey/dpa es keinen Grund, Yücel in Ge wahrsam zu behalten. Das heißt, er könnte jederzeit frei kommen? Nochmal: Deniz Yücel hätte längst freikommen müssen. Die Ermittlungen gegen ihn ha ben schon im Dezember begon nen. Es hätten Beweise vorgelegt werden müssen, die die Gewahr sahmnahme begründen. Es ist nicht so, dass mit ihm eine große Gruppe aufgrund dersel ben Anschuldigungen zusam men in Gewahrsam säße. Es geht nur um Yücel. Es gibt keine Prozedur mehr, die man abwar ten müsste. Wenn die Ermittlungen gegen Deniz Yücel bereits im Dezember begonnen haben, was ist denn dann seither passiert? Yücel befand sich während die ser zwei Monate in Istanbul. So bald er erfuhr, dass nach ihm ge fahndet wird, begab er sich ins Polizeirevier, um auszusagen. Jedoch gab es keinen Haftbe fehl gegen ihn. In den besagten zwei Monaten wurde nicht ein mal seine Wohnung durchsucht. Sie wurde erst durchsucht, nach dem er in Gewahrsam genom men wurde. Es besteht auch keine Fluchtgefahr. Deniz Yü cels Job ist bekannt, seine Ad resse und sein Arbeitgeber auch. Es gibt also keine Unklarheiten. Denken Sie, dass Yücel bald vor einem Staatsanwalt aussagen wird? Wir haben bereits Widerspruch gegen den Polizeigewahrsam, gegen die Verlängerung des Gewahrsams und gegen den Geheimhaltungsbeschluss für Yücels Akte eingelegt. Wir war ten auf Antwort vom Gericht. Wir haben alles getan, was uns rechtlich möglich ist. Sowohl Yü cel als auch wir warten lediglich darauf, dass der Staatsanwalt ihn endlich vorlädt. Wie gesagt, es gibt überhaupt keine rechtli che Grundlage dafür, dass es so lange dauert. Dafür müssten Be weise vorliegen. Was für Beweise? Letztlich ist Deniz Yücel ein Jour nalist und nicht Mörder oder Drogendealer. Und er hat mit keiner Terrororganisation ir gendetwas zu tun. Bei Ermitt lungen gegen andere Journalis ten wurden meist Tweets oder publizierte Artikel als Beweise vorgelegt. Höchstwahrschein lich wird es auch im Fall von Yücel so sein. Wie steht es um die weiteren sechs Journalisten, die schon im Dezember in Polizeigewahrsam kamen, weil sie, wie Yücel, über die RedHack-Leaks berichtet hatten? Drei von sechs Personen befin den sich in Untersuchungshaft. Drei kamen nach 24 Tagen Poli zeigewahrsam frei. Wonach wurde entschieden, dass diese drei Personen in Untersuchungshaft kamen? Da auch diese Ermittlungsakten geheim gehalten werden, wis sen wir es nicht. Doch es liegen keinerlei Beweise gegen sie vor. Keiner weiß, mit welcher Be gründung der Richter die Un tersuchungshaft anordnete. Im Januar wurden die Notstandsdekrete überarbeitet. Demnach darf der Polizeigewahrsam nicht mehr bis zu 30 Tagen verlängert werden. Das stimmt. Der Polizeigewahr sam darf laut dem aktuellen Notstandsdekret nach sieben Tagen maximal um sieben wei tere Tage verlängert werden – wenn ein Terrorverdacht vor liegt. Deshalb gehen wir davon aus, dass Deniz Yücel die Mit gliedschaft in einer terroristi schen Vereinigung vorgewor fen wird. Um welche Vereini gung es sich handelt, geht aus den ihm gestellten Fragen je doch nicht hervor. Macht es in der Türkei rechtlich gesehen einen Unter- schied, dass Deniz Yücel die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt? Nein, die deutsche Staatsbürger schaft hat keine rechtlichen Fol gen. Yücel ist hier ein türkischer Staatsbürger und wird auch vor Gericht als solcher behandelt. Hat Deniz Yücel außer Ihnen noch weitere Anwälte? Ist ein deutscher Anwalt involviert? Um seinen Fall kümmern sich insgesamt drei Anwälte. Keiner von ihnen ist Deutscher. Wo befindet sich Deniz Yücel in Gewahrsam? Auf dem Polizeihauptrevier in Istanbul-Fatih, zusammen mit zwei weiteren Personen in ei ner Zelle. Wie beurteilen Sie die öffentliche Unterstützung für Deniz Yücel? Ich beobachte eine sehr ernst zu nehmende Solidarität seitens der deutschen Medien, der Zi vilgesellschaft und von Yücels türkischen Kollegen und Kolle ginnen. Das ist für Yücel natür lich sehr erfreulich. Wie geht es ihm? Ihm geht es ganz gut, auch ge sundheitlich. Er freut sich sehr über die Solidarität von außen und richtet herzliche Grüße an alle aus. Er ist sich sicher, dass er lediglich seine Arbeit als Jour nalist gemacht hat und ihm in sofern nichts vorzuwerfen ist. Er möchte so bald wie möglich seine Freunde wiedersehen. Kam es während des Gewahrsams zu Menschenrechtsverletzungen? Nein, so etwas gab es nicht. Trotzdem ist die Verlängerung des Polizeigewahrsams um eine weitere Woche an sich schon eine Menschenrechtsverlet zung. Laut dem EGMR müssen Personen, die sich in Gewahr sam befinden, in kürzester Zeit einem Richter vorgeführt wer den – selbst während des Aus nahmezustands. Veysel Ok ■■lebt und arbeitet als Anwalt für Presserecht und Meinungsfreiheit in Istanbul. Er ist im P24-Verein für Unabhängigen Journalismus tätig und hat unter anderem die Schriftstellerin Perihan Magden und den Journalisten Ahmet Altan Foto: privat vertreten „Paddy“ Eberhard Bort Wir trauern um unseren Reiseleiter in Schottland, der am 17. Februar plötzlich und völlig unerwartet im Alter von 62 Jahren in der schottischen Hauptstadt Edinburgh gestorben ist. Paddy, wir hätten gerne noch viele Schottlandreisen mit Dir gemacht. Thomas Hartmann, Ralf Sotscheck, Gaby Coldewey taz-Reisen in die Zivilgesellschaft
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