pdf-ausgabe-2017-9 - Deutsche Gesundheits Nachrichten

Ausgabe 09
03. März 2017
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Gesundheitswirtschaft
Depressionen verursachen Schaden von einer Billion Dollar
Depressionen kosten die Wirtschaft rund eine Billion Dollar. Ein Problem ist die Stigmatisierung von mentalen Krankheiten
S
chätzungsweise 322 Millionen Menschen oder rund vier Prozent der
Weltbevölkerung litten an Depressionen,
zitiert Reuters Dan Chisholm von der
WHO-Abteilung für mentale Gesundheit
und Drogenmissbrauch. „Depressionen
sind heute der größte einzelne Grund
für Behinderungen.“ Betroffen seien
wesentlich mehr Frauen als Männer.
Depressionen verursachen weltweit
laut der Weltgesundheitsbehörde WHO
einen wirtschaftlichen Schaden von einer
Billion Dollar.
Die gesamtwirtschaftlichen Kosten
ergeben sich nach den Berechnungen der
WHO aus den Folgen eines Verlusts an Produktivität, Apathie und der Unfähigkeit
der Betroffenen, mit dem Alltagsleben
zurechtzukommen. Besonders betroffen
seien drei Gruppen: Jugendliche, Schwangere und junge Mütter sowie ältere Menschen. Rund 800.000 Menschen würden
sich jährlich wegen Depressionen selbst
töten. Ein Problem sei die Stigmatisierung
von mentalen Krankheiten. Die WHO star-
Ein Problem ist die Stigmatisierung von mentalen Krankheiten.
tete deshalb eine Kampagne „Depressionen:
Lass uns darüber reden“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte
bei einem Treffen mit internationalen Gesundheitsexperten angekündigt, dass in
Foto: Flickr/Victor/CC BY 2.0
Deutschland ein nationaler Aktionsplan
für Depressionen und mentale Krankheiten
geprüft werden solle. Gesundheitsprobleme sind ein Schwerpunkt der derzeitigen
deutschen G20-Präsidentschaft.
Analyse
Pflege ist wichtiges Thema für die Bundestagswahl 2017
Das Thema Pflege kann bei der Bundestagswahl eine erhebliche Rolle spielen. 43
Prozent der Deutschen sehen die Versorgung älterer hilfebedürftiger Menschen
als sehr wichtig dafür an, wie sie am 24.
September ihren Stimmzettel ausfüllen
wollen. In der für den Wahlausgang besonders maßgeblichen Altersgruppe 50+
sind es sogar 53 Prozent an. Dies ergab
eine repräsentative Bevölkerungsbefragung
der Stiftung Zentrum für Qualität in der
Pflege (ZQP).
Viele zweifeln offenbar an der Pflegequalität in Deutschland. Zwar glaubt fast die
Hälfte der Befragten (42 Prozent), die Pflege
in der Bundesrepublik sei gut oder sehr
gut. Die Mehrheit allerdings (55 Prozent)
hält die Pflegequalität für weniger gut oder
sogar schlecht. Personen mit persönlicher
Pflegeerfahrung sind hier mindestens genauso kritisch (59 Prozent). Entsprechend
wird Handlungsbedarf bei den Rahmenbedingungen in der Pflege gesehen. In
erster Linie betrifft das die Verbesserung
der Arbeitsbedingungen in der Pflege (71
Prozent). 42 Prozent der Befragten glauben,
dass pflegende Angehörige dringend besser
unterstützt werden müssen.
„Trotz aktueller Leistungsverbesserungen in der Pflegeversicherung darf niemand
glauben, die Herausforderungen in der
Pflege seien nun bewältigt. Die Befragung
zeigt, dass die Bürger Pflege als politisch
hochrelevantes Thema sehen. Die Wähler
werden auch nach der Bundestagswahl
genau verfolgen, welche Wege die Parteien
hier zukünftig gehen wollen. Zum Beispiel
bei den noch nicht ausgestalteten, aber
zentralen Aspekten der Pflegereformen
‚Personalausstattung‘ und ‚Transparenz
von Qualität‘ gilt es, überzeugende Lösungen zu präsentieren“, sagt Dr. Ralf Suhr,
Vorstandsvorsitzender des ZQP. Aber auch
auf anderen Feldern der Pflegequalität besteht aus Expertensicht dringender Handlungsbedarf: „Bei der Durchsetzung der
Rechte von pflegebedürftigen Menschen
- insbesondere beim Schutz vor Gewalt,
aber auch in den Bereichen Prävention
und Rehabilitation - gibt es sehr viel
zu tun.“
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03. März 2017
Politik
Merkel warnt vor Pandemie-Gefahr für die Welt
Die Welt ist nicht ausreichend auf eine Pandemie vorbereitet. Die Bundeskanzlerin fordert einen globalen Katastrophenschutz
D
eutschland wolle das Thema von Infektionskrankheiten, die sich sehr schnell
über Länder oder Kontinente ausbreiten
könnten, deshalb zu einem Schwerpunkt der
deutschen G20-Präsidentschaft machen, so
Angela Merkel. Erstmals würden in diesem
Jahr deshalb auch die G20-Gesundheits-
reichend vorbereitet gewesen seien und
schwerfällig reagiert hätten, sagte Merkel.
Deutschland habe dies deshalb ebenso wie
Antibiotika-Resistenzen und vernachlässigte
Tropenkrankheiten zum Schwerpunktthema
in seiner G7-Präsidentschaft vor zwei Jahren gemacht. Dies reiche aber nicht. „Unter
Die internationale Gemeinschaft muss sich in Gesundheitsfragen stärker verständigen.
Foto: Flickr/Jana Reifegerste/CC BY-SA 2.0
minister der wichtigsten Industriestaaten
zusammenkommen. Zuvor hatte bereits
Microsoft-Gründer Bill Gates in dramatischen Worten vor einer neuen Pandemie
gewarnt, berichtet Reuters.
Der Ebola-Ausbruch in Westafrika habe
gezeigt, dass die internationalen Gesundheitsorganisationen damals nicht aus-
heutigen Verhältnissen wären wir als Weltgemeinschaft nicht besonders gerüstet“,
so Merkel mit Hinweis auf die Spanische
Grippe, die Anfang des 20. Jahrhunderts
Millionen Opfer gefordert hatte.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz
hatte auch Gates vor einer Pandemie gewarnt.
„Jetzt besteht das unerhörte Risiko für uns,
dass eine gewaltige Pandemie ausbrechen
könnte“, hatte der Chef der Bill und Melissa
Gates-Stiftung auch im Deutschlandfunk
gesagt. „Ich halte dieses Thema für absolut
wichtig“, so die Kanzlerin. Merkel mahnte
eine Art globalen Katastrophenschutz an,
der regeln müsse, wie man im Falle einer
sich schnell ausbreitenden Infektion agiert.
Sie plädierte zudem für ein Versicherungsmodell, um Regionen abzusichern, in denen
eine Pandemie ausbricht. Die Ebola-Krise in
Liberia habe zudem gezeigt, dass es auch
eine enge Abstimmung zwischen zivilen
und militärischen Kräften geben müsse.
Merkel verwies darauf, dass sich die internationale Gemeinschaft insgesamt stärker über Gesundheitsfragen verständigen
müsse. Deutschland habe sich deshalb auch
den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen
und vernachlässigte Tropenkrankheiten auf
die Fahnen geschrieben, an denen 1,4 Milliarden Menschen litten. Das Antibiotika-Thema
werde „massiv“ unterschätzt, kritisierte die
Kanzlerin. Sie forderte auch globale Regeln
für die Landwirtschaft, damit etwa in der
Hühnerhaltung der Einsatz von Antibiotika
für die Tiere eingedämmt werden könne.
Merkel räumte mit Blick auf Forderungen
von Experten nach einem stärkeren Fokus
auch auf mentale Erkrankungen ein, dass
es auch in Deutschland noch keinen nationalen Aktionsplan gegen Depressionen und
andere mentale Erkrankungen gebe. Darüber
müsse nun nachgedacht werden, betonte sie.
Mentale Erkrankungen verursachen nach
Expertenschätzungen volkswirtschaftliche
Schäden in Milliardenhöhe.
Gesundheitswirtschaft
Unkundiges Personal gefährdet häusliche Pflege
Eine europaweite Ausschreibung von Leistungen kann die Qualität der Pflege in Deutschland beeinträchtigen und gefährden
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terbende haben seit 2007 einen Rechtsanspruch auf ambulante Palliativversorgung zuhause bei ihren Familien. Bisher gibt es aber keine flächendeckende
Versorgung. Krankenkassen verzögern
Verhandlungen mit SAPV-Teams. Durch
ein Urteil des OLG Düsseldorf droht nun
die europaweite Ausschreibung dieser
Leistungen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft SAPV e.V. warnt vor einer „Industrialisierung“ der ambulanten Versorgung
Sterbender.
Die Düsseldorfer Richter stellten in
ihrem Urteil am 15. Juni 2016 (Az: VIIVerg 56/15) fest, dass Verträge zwischen
Leistungserbringern der Spezialisierten
ambulanten Palliativversorgung (SAPV)
und Krankenkassen nach § 132d SGB V
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Das Urteil von Düsseldorf sorgt für Verunsicherung bei den Betroffenen.
Foto: Flickr/Markus Daams/CC BY-SA 2.0
grundsätzlich dem Vergaberecht unterliegen. „Dieses wenig beachtete Urteil
sorgt für große Verunsicherung bei den
Leistungserbringern und den Krankenkassen“, sagt Michaela Hach, Vorsitzende
der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG)
SAPV e.V.
„Bei der SAPV handelt es sich nicht
um eine abstrakte Idee, sondern vielmehr
um Personen und Netzwerke in regionaler
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Repräsentanz und Verlässlichkeit. SAPVTeams sollen und müssen daher eng in den
jeweiligen regionalen Kontext eingebunden
sein“, so Michaela Hach über die besonderen Anforderungen an die SAPV. „Dies ist
durch eine Industrialisierung, bei der der
Anbieter irgendwo in Europa ansässig ist
und unqualifiziertes Personal einsetzt, nicht
zu gewährleisten. Eher wird die Kooperation
und Koordination unnötig erschwert, wenn
ortsunkundige Pflegekräfte und Ärzte ohne
regionale Vernetzung zum Einsatz gebracht
werden“, so Hach.
Grundsätzlich befürwortet die BAG
SAPV e.V. ein transparentes Vergabeverfahren für die SAPV-Leistungserbringung.
Die im deutschen Vergabeverfahren vorgesehenen Regeln werden aber den besonderen Anforderungen nach Regionalität
nicht gerecht. „Wir fordern von den Gesundheitsministern des Bundes und der
Länder daher, ein eigenes Gesetz über die
Vergabe und Beauftragung von SAPV-Teams
zu erlassen. Das ist nach EU-Richtlinien
möglich und auch im § 69 Abs. 4 SGB V
vorgesehen.“
Umfrage
Schizophrenie: Stärkere Einbindung von Bezugspersonen nötig
Eine europaweite Befragung Erwachsener mit Schizophrenie zeigt die bedeutende Rolle von Betreuungspersonen in der Therapie
D
ie aktuelle Behandlung erwachsener
Schizophreniepatienten in Europa
weist einen deutlichen Optimierungsbedarf auf. Das ist das Fazit der von Janssen
beauftragten paneuropäischen Umfrage
„Talking About Treatment in Schizophrenia: A Patient and Carer Survey“ (*) unter
Schizophreniepatienten und ihren Betreuungspersonen. Unzureichend ist demnach
vor allem die Aufklärung der Patienten
und ihrer Betreuungspersonen hinsichtlich der verfügbaren Therapieoptionen
sowie ihre Einbindung in therapeutische
Entscheidungen.
So gaben 21 Prozent der Patienten an,
vor ihrer derzeitigen Behandlung keine
alternativen Therapieoptionen mit ihrem
Arzt besprochen zu haben. 27 Prozent
der Patienten und 25 Prozent der sie betreuenden Menschen meinten zudem,
nicht über alle zur Verfügung stehenden
Möglichkeiten informiert worden zu sein.
46 Prozent der Betreuer gaben darüber
hinaus sogar an, mit ihrer Einbindung
in Therapieentscheidungen unzufrieden
zu sein.
Dies ist vor allem deshalb bedeutsam,
da die Umfrage auch zeigt, welch wichtige
Rolle die betreuenden Personen hinsichtlich des Therapieerfolgs spielen. So gaben
Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung mit vielgestaltigem Erscheinungsbild.
Foto: Flickr/Ralph Buckley/CC BY-SA 2.0
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94 Prozent von ihnen an, dass sie die Patienten an die Einnahme ihrer Medikamente
erinnern müssten, was bei 49 Prozent sogar
häufig der Fall war. Ihre Hauptsorgen galten
dem Auftreten von Rückfällen und damit
verbundenen Hospitalisierungen (49 %),
der Einschränkung des Alltags durch eine
Verschlimmerung der Erkrankung (61 %)
sowie der fehlenden Unterstützung über
die Medikation hinaus (41 %).
„Bei der medikamentösen Behandlung
der Schizophrenie haben wir in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht“≠,
so Dr. Michael von Poncet, Medizinischer
Direktor und Mitglied der Geschäftsleitung
Janssen Deutschland. „Umso wichtiger ist
es, dass alle Beteiligten darüber informiert
sind, welche Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Heute gibt es neben kürzer
wirksamen zum Beispiel auch langwirk-
same Präparate. Sie können insbesondere
jenen Schizophreniepatienten helfen, die
mit einer täglichen Medikamenteneinnahme Schwierigkeiten haben. In jedem Fall
sollte die Behandlung auf die individuellen
Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten
sein und ihnen ein möglichst erfülltes
Leben ermöglichen.“
Mit der Krankheit Schizophrenie, ihren
Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten
befasst sich die interaktive Website www.
schizophrenie24x7.de, deren Inhalte von
Patienten, Therapeuten und Betreuungskräften erstellt wurden. Vielfältige Informationen und praktische Serviceangebote
können helfen, das tägliche Leben mit der
Krankheit besser zu meistern.
Eine weitere Form der Informationsvermittlung bietet die innovative E-LearningPlattform www.psychose-wissen.de. Dort
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führt der Hamburger Psychiater Professor
Dr. Martin Lambert Patienten und Angehörige auf strukturierte Weise durch sieben
multimediale und interaktive Wissensmodule zu den Ursachen, der Diagnostik und
der Therapie verschiedener Psychosen.
(*) An der vom unabhängigen Marktforschungsinstitut Fieldwork International in
zwölf europäischen Ländern durchgeführten Umfrage „Talking About Treatment in
Schizophrenia: A Patient and Carer Survey“
nahmen 166 Erwachsene mit Schizophrenie
und 468 sie betreuende Angehörige, Freunde oder Vormünder aus Belgien, Dänemark,
Deutschland, Frankreich, Großbritannien,
Italien, Niederlande, Österreich, Russland,
Schweden, der Schweiz, und Spanien teil.
Gesundheitswirtschaft
Milliardengeschäft: Kliniken werben um Auslandspatienten
Deutsche Krankenhäuser buhlen um reiche Patienten aus aller Welt. Das beschert Einnahmen von mehr als 1,2 Milliarden Euro
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rominenter geht es kaum: Ägyptens
damaliger Präsident Husni Mubarak
wählte die Uni-Klinik Heidelberg, als er
sich 2010 die Gallenblase entfernen ließ.
Kasachstans Machthaber Nursultan Nasarbajew folgte nur ein Jahr später mit einer
Prostata-Operation in Hamburg. Und die
frühere ukrainische Regierungschefin
Julia Timoschenko unterzog sich in Berlin
einem Eingriff am Rücken.
Jens Juszczak wundert sich nicht über
einen solchen Andrang. „Weil sie eine hervorragende Qualität, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und gut ausgebildete Ärzte haben, sind deutsche Kliniken weltweit
so beliebt“, zitiert die dpa den Wissenschaftler der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er
beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem
„Gesundheitstourismus“.
Russen, die ihrer Gattin eine neue
Brust bezahlen, oder Araber, die für eine
Botox-Kur anreisen: Wenige Sparten der
Branche scheinen so voller Klischees wie
der Aufenthalt ausländischer Patienten.
„Viele kommen zunächst zu einer anderen
medizinischen Behandlung“, sagt Benjamin Waschow vom Universitätsklinikum
Freiburg. Erst später stünde dann vielleicht
eine Beratung mit dem Schönheitschirurgen an.
Oft fragen Patienten mit ernsten Erkrankungen an, die kein Vertrauen in das
Gesundheitssystem ihres eigenen Landes
haben. Es geht etwa um Geburtsschäden,
Unfallverletzungen oder Kriegswunden.
Viele dieser Kunden kratzen ihr letztes
Geld zusammen. Für sie präsentiert sich
Deutschland als Paradies: top-ausgebildete
Das Werben um ausländische Patienten ist für deutsche Kliniken lukrativ.
Foto: Flickr/401(K) 2012/CC BY-SA 2.0
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Ärzte, moderne Kliniken. Der Markt ist
umkämpft - und lukrativ. Mehr als 250
000 Ausländer reisen jährlich an, um sich
behandeln zu lassen. „Das beschert dem
deutschen Gesundheitssystem Einnahmen
von mehr als 1,2 Milliarden Euro“, sagt Juszczak. Viele Medizintouristen stammen aus
früheren Sowjetrepubliken, vor allem aus
Russland. Patienten aus den Golfstaaten
ließen sich früher oft in den USA operieren, etliche zieht es inzwischen eher nach
Deutschland. Experten vermuten dahinter
Ressentiments gegen Muslime in den USA
nach den Anschlägen von 2001.
Mittlerweile werde aber die Türkei zunehmend interessant für arabischsprachige
Länder, erklärt Martin Schmidt von der
Freiburger Erich-Lexer-Klinik. „Die Ärzte
dort wurden sehr oft in Deutschland oder
den USA ausgebildet und arbeiten auf
einem ähnlichen Niveau wie zumindest
Deutsche - und gehören dem Islam an.“
Deutlich weniger Patienten kamen
zuletzt aus Russland. „Die wirtschaftliche
und die politische Krise führten zu einem
Rückgang von etwa 30 Prozent“, sagt Jus-
zczak. Die Zahlen von Kunden aus dem
arabischen Raum seien ebenfalls rückläufig.
Auslöser seien unter anderem geschrumpftes Kapital für Behandlungen
im Ausland sowie ein Skandal in Stuttgart.
Das dortige Klinikum blieb auf Forderungen
von 9,4 Millionen Euro sitzen. Hintergrund
sind Verträge mit Libyen und Kuwait.
Doch wenn der Patient seltener zur
Klinik kommt, kommt die Klinik eben zum
Patienten: Baden-Württemberg wirbt etwa
auf Fachmessen wie der „Arab Health“ in
Dubai. Anfang Februar präsentierten sich
dort die Region Freiburg, der Landkreis
Konstanz, die Region Schwarzwald und die
Metropolregion Rhein-Neckar. Sie werben
nicht nur mit Medizin, sondern auch mit
schöner Landschaft. Gesundheitstouristen
sollen nach einem Eingriff noch Urlaub
machen, lautet der Wunsch.
Mancher Kunde aus den Golfstaaten
bestehe darauf, von einem Mann oder - falls
es eine Frau ist - von einer Ärztin untersucht
zu werden, heißt es. Wichtig seien auch
Dolmetscher. „Wir haben ein ‚International Office‘, das sich um die Organisation,
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Betreuung und Übersetzung kümmert“,
sagt Paul-Georg Friedrich-Schmieder von
den Kliniken Schmieder in Allensbach am
Bodensee.
Er setzt auf den direkten Kontakt, nicht
auf Vermittler. Auch Doris Rübsam-Brodkorb vom Universitätsklinikum Heidelberg
betont, dass das Krankenhaus nur Vermittler mit speziellen Prüfungen akzeptiere
und Provisionszahlungen ablehne. Immer
wieder ist zu hören, dass nicht jeder Vermittler nur das Wohl seines Klienten im
Sinn habe.
Dass die Behandlung von Kunden aus
dem Ausland zu Nachteilen bei einheimischen Patienten führt, hält Juszczak
für unwahrscheinlich. „Bei sehr speziellen Therapien kann es einmal zu Wartezeiten kommen, aber insgesamt ist die
Zahl ausländischer Patienten vergleichsweise sehr gering“, sagt der Experte. Ein
ähnliches Bild zeichnet zum Beispiel
Heidelberg. 2015 hatte das Klinikum
nach eigenen Angaben 1200 stationäre
internationale Patienten - das waren 2,1
Prozent.
Forschung
Spenderorgane: Längere Aufbewahrung rückt etwas näher
Noch kann man gespendete Organe nicht längerfristig aufheben. US-Forscher wollen das mittels schonender Tiefkühlung ändern
U
S-Forscher haben einen möglichen
Ansatz zur längeren Aufbewahrung
von Spenderorganen entwickelt, berichtet
die dpa. Im Labor gelang es ihnen, tierische Gewebeteile mit einem besonderen
Verfahren schonend tiefzukühlen und
dann mittels magnetischer Nanopartikel
in einem Induktionsfeld ebenso schonend
und blitzschnell wieder zu erwärmen.
Dies könnte die Möglichkeit eröffnen,
Gewebe und Organe irgendwann langfristig
zu lagern, schreibt das Team um Navid Manuchehrabadi von der University of Minnesota im Fachjournal „Science Tranlational
Medicine“. Bislang müssen Spenderorgane
oft binnen Stunden verpflanzt werden,
weil sie sonst nicht mehr funktionsfähig
sind. Bis das neue System einsatzfähig ist,
dürfte es aber nach Ansicht eines deutschen
Experten noch Jahrzehnte dauern.
Die superschnelle Kühlung namens
Vitrifizierung (Verglasung) ist schon seit
einiger Zeit möglich. Den Zellen wird dabei Wasser entzogen und durch ein Kälteschutzmittel ersetzt. Das soll verhindern,
dass sich beim Einfrieren Eiskristalle bilden,
die das Gewebe schädigen. Das Verfahren
kommt auch beim Einfrieren von Eizellen
zum Einsatz.
Das Problem bei Organen ist bislang
vielmehr der Prozess des Auftauens. Es
muss schnell und gleichmäßig geschehen, damit dass Gewebe keinen Schaden nimmt und funktionsfähig bleibt.
Bislang gelang das nur im sehr kleinem
Maßstab.
Nun konnten die Forscher einen Erfolg
verbuchen, indem sie vor dem Einfrieren
Nanopartikel aus Eisenoxid zusammen
mit dem Kälteschutzmittel in das Gewebe
einbrachten. Sie konnten die Partikel mit
Hilfe von elektromagnetischen Wellen
gleichmäßig und schnell erwärmen. Das
Gewebe konnte dadurch in einer Minute
um 100 bis 200 Grad erwärmt werden. Das
sei 10 bis 100 Mal schneller als bei früheren
Methoden, schreiben die Forscher.
In den 1 bis 50 Millimeter umfassenden
biologischen Proben - darunter Haut-Bindegewebszellen, Stücke einer Arterie und
einer Herzklappe vom Schwein - zeigten
sich bei einer anschließenden Untersuchung keine Veränderungen der Gewebe.
Die Nanopartikel ließen sich später ohne
Rückstände auswaschen, berichten die
Forscher.
„Jetzt muss das Ganze aber auch auf
einer höheren Ebene gelingen“, betonte
Mitautor John Bischof in einer Telefonkonferenz. Größere, menschliche Organe
erforderten auch angepasste Lösungen, um
sie unversehrt tiefzukühlen und auch die
Kälteschutzflüssigkeit mit den EisenoxidPartikeln ausreichend zu verteilen.
Sieben bis zehn Jahre, so schätzt Koautor
Kelvin Brockbanck, werde es dauern, bis
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Bis zum Einsatz des neuen Verfahrens in der Praxis könnten noch Jahrzehnte vergehen.
diese Probleme gelöst und Organbanken
denkbar seien. Derzeit können Herzen
und Lungen etwa vier Stunden, Leber und
Bauchspeicheldrüse bis zu 12 Stunden und
Nieren bis zu 36 Stunden gelagert werden.
In den USA werden laut Studie 60 Prozent
der Spenderherzen und -lungen weggeworfen, weil sie nicht rechtzeitig an einen
Empfänger gelangen können.
Für Deutschland sehe die Situation
jedoch anders aus, betont Jan Gummert
(Universitätsklinik Bochum), Herzchirurg
und Vorstandsmitglied der Deutschen
Transplantationsgesellschaft. „Wir haben
gar nicht genug Spenderorgane für eine
Organbank. Auf jedes Organ warten fünf bis
zehn Empfänger.“ Der Anteil der Spenderorgane, die nicht verwendet würden, läge
im Promillebereich. In der Tat meldete die
Deutsche Stiftung Organspende im Januar
einen Tiefststand bei Organspenden.
Aktuell sei das Einfrieren von Organen
noch keine Hilfe, sagt Gummert. „Wenn es
Spenderorgane im Überfluss gäbe – beispielsweise durch Xenotransplantate - dann
wäre ein solches Verfahren im klinischen
Alltag sinnvoll.“ Xenotransplantate sind
in Tieren gewachsene Organe, die dann
Menschen eingesetzt werden. Noch ist das
aber keine etablierte Technik.
Gummert sieht noch viele offene Fragen
zu der neuen Lagertechnik der US-Forscher.
„Etwa ob die Lösung auch in komplexe Organe gespritzt werden kann.“ Bis ein solches
Verfahren konkret werde, dürfte es noch
Jahrzehnte an Forschung brauchen, schätzt
03. März 2017
Grafik: Flickr/Artur Bergman/CC BY-SA 2.0
der Transplantationsexperte. Dennoch sei
das Nanopartikel-Projekt grundsätzlich
spannend und habe großes Potenzial auch
für andere Bereiche.
So halten die US-Forscher es auch für
möglich, die induktive Erhitzung in der
Krebsmedizin anzuwenden. Voraussetzung: Die Nanopartikel müssten gezielt
in Tumorzellen eingebracht werden. Die
Krebszellen könnten so zerstört werden.
Ähnliche Verfahren werden bereits erprobt vor Jahren machte Charité-Forscher Andreas
Jordan einen solchen Ansatz im Kampf
gegen Hirntumore bekannt. Besonders
verbreitet ist die punktuelle Hyperthermie
mit Nanopartikeln aber nach Einschätzung
des Deutschen Krebsforschungszentrums
noch nicht.
Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Redaktion: Anika
Schwalbe, Julia Jurrmann, Cüneyt Yilmaz, Nicole Oppelt, Nicolas Dvorak. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Nora Lorz.
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