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H-Germanistik
CFP: Geld. Interdiskursive Ökonomien bei Grimmelshausen,
Bochum (31.5.2017)
Discussion published by Robert Schütze on Friday, March 3, 2017
„Geld muß da seyn / wenn für die schwangere Frau gebeten wird: Geld / wenn das Kind getaufft wird:
Geld wenn die Frau ihren Kirchengang hält: Geld oder Geschenck für Kinder-Lehr und Examen: Geld
oder Gaben / wenn sie zur Beicht und Communion gehen wollen: Geld / wenn sie eine Stelle in der
Kirchen haben wollen: Geld / wenn der Sohn oder Tochter für ihre Ehesach bitten lassen: Geld / wenn
Verlöbnüß gehalten wird: Geld / wenn die künfftige Eheleut aufgeboten werden: Geld / wenn sie
copuliret werden: Geld zu Opffer an den Festtagen / Hochzeit- und Leichpredigten: Geld / wenn ein
Krancker vor sich bitten läst: Geld / wenn der Krancke die Communion empfähet: Geld / wenn er
wieder aufkommt: Geld / wenn er ein Testament macht: Geld / wenn er stirbt: Geld / wenn er
begraben wird: Geld / für die Leichpredigt: Geld für die Glocken: Geld für das Begräbnüß: Geld /
wenn die Schüler darüber singen: Geld / wenn die Priester folgen: Geld für die Seelmessen[.]“ So
führt in einem furiosen Durchgang von der Geburt bis zum Tod eine 1663 unter dem Titel Regina
Pecunia, Mundi Politica, & Anti-Christi Theologia gedruckte Predigt Friedrich Brecklings das von der
Kirche regulierte Menschenleben als in Wahrheit vom Geld getaktet vor. Geld, Geld, Geld, das ist der
syntaktische Herzschlag auch dieser durchrhythmisierten Sequenz, und entsprechend mündet die
vom einzelnen ausgehende Redebewegung zuletzt bei der sprichwörtlich aufs Geld reimenden Welt:
„Geld ist die Welt: Geld schinden die Beampten: Geld wollen die Krieger: Geld suchen die Chimici:
Geld finden die Medici: Geld begehren die Juristen: Geld plaudern die Advocaten: Geld schachern die
Kaufleute: Geld holen die Schiffleute: Geld hoffen die Priester: Geld wünschen die Bauern: Geld
bitten die armen: Geld ist aller Welt höchstes Gut: mit dem Geld-Geist ist alle Welt besessen: mit Geld
kan man alles thun und zu wege bringen: Geld regieret die Welt[.]“ Die Zirkulation des Geldes macht
weder an Standesgrenzen halt, noch unterscheidet sie zwischen Geistlich und Weltlich.
Grimmelshausens Texte tragen dieser Omnipräsenz des universalen Tauschmittels Geld, das alles mit
allem in eine nicht naturgegebene, sondern gesetzte Wertrelation zu bringen vermag, das jedes in
etwas anderes übersetzbar macht, fast schon programmatisch Rechnung. Und dies nicht nur im
engeren Kanon der ‚simplicianischen Schriften‘, für den erste Studien, beispielsweise zu Geld und
Recht in der Courasche, zur Geldzirkulation und zum hermeneutischen Zirkel im Springinsfeld, zu
Ökonomie und Geld im Simplicissimus oder im Wunderbarlichen Vogel-Nest, bereits vorliegen,
sondern auch in von der Forschung weniger bis kaum untersuchten Texten wie dem Satyrischen
Pilgram, dem Keuschen Joseph, Simplicissimi Wunderlicher Gauckel-Tasche oder dem Rathstübel
Plutonis. Dabei stiftet der motivische Geldfluß gerade auch zu Querlektüren über Text- und
Gattungsgrenzen hinweg an, wenn etwa Joseph von seinen Brüdern und dann von den Kaufleuten
ebenso verkauft wird wie Simplicissimus auf seiner Reise nach Jerusalem oder die von den Massiliern
entführte Amelinde, deren Geschichte wiederum als Exempel im Geld-Gespräch des Rathstübels
Plutonis fungiert. Auffällig ist, daß das motivisch ungewöhnlich präsente Geld in Grimmelshausens
Texten von Anfang an dazu tendiert, auf der narrativen Makroebene strukturgebend zu werden
und/oder mikrostrukturell metaphorische Knotenpunkte auszubilden: wenn Fragen der
Erzählökonomie in der Sprache kaufmännischer Buchführung verhandelt werden, wenn
Menschenhandel und plagium litterarium enggeführt werden, wenn Textproduktion in das Bild echter
oder aber „falscher Sorten“ gefaßt wird. Die Pluralität von nach festgelegten Wechselkursen
Citation: Robert Schütze. CFP: Geld. Interdiskursive Ökonomien bei Grimmelshausen, Bochum (31.5.2017). H-Germanistik. 03-03-2017.
https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/169621/cfp-geld-interdiskursive-%C3%B6konomien-bei-grimmelshausen-bochum
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H-Germanistik
ineinander überführbarer Währungen lädt ebenso zur Analogisierung mit komplexen ‚Stoffwechsel‘Prozessen unterschiedlichster Provenienz ein wie Modi der Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit von
Geldzirkulation.
Damit stehen Grimmelshausens Texte im Schnittfeld seinerzeit hochaktueller Diskurse, wie sie sich
seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert „im Takt des Geldes“ ihrerseits metaphorisch aufeinander
beziehen: Geldwirtschaft, Anatomie, Musik(theorie), Mathematik, Krieg(skunst), Malerei oder
Astronomie, um nur einige zu nennen. Dieses vielfältig interdiskursiv geknüpfte Netz bestimmt die
Tagung als ihr Untersuchungsfeld und fragt nach (text)grenzenüberschreitenden
Austauschrelationen auf der Ebene der Sachen wie derjenigen der sprach(bild)lichen
Formulierungen. Geplant sind inter‑disziplinäre close readings, die Grimmelshausens Texte mit
zeitgenössischen Kon‑Texten zusammen- und gegenlesen und dabei, durchaus kompatibel mit deren
Machart, die Grenze zwischen Fiktion und Nichtfiktion ebenso überschreiten wie die der
Textgattungen. Erprobt werden soll, welchen Erkenntnisgewinn das Verfahren des Geldes, nach
gesetzten Regeln alles auf alles beziehbar zu machen und in gleichen Takt zu bringen, als Verfahren
von Lektüre birgt.
Die Tagungskapazitäten sind begrenzt. Die Auswahl der Vorträge übernehmen die Veranstalter in
Bochum und Duisburg/Essen in Verbindung mit dem Vorstand der Grimmelshausen-Gesellschaft.
Vortragsangebote bitte bis Ende Mai 2017 an:
Prof. Dr. Nicola Kaminski
Ruhr-Universität Bochum
Germanistisches Institut
Universitätsstr. 150
44780 Bochum
e-mail: [email protected]
und
Robert Schütze, M.A.
Ruhr-Universität Bochum
Germanistisches Institut
Universitätsstr. 150
44780 Bochum
e-mail: [email protected]
und
Prof. Dr. Jörg Wesche
Universität Duisburg-Essen
Fakultät für Geisteswissenschaften
Neuere deutsche Literaturwissenschaft
45117 Essen
e-mail: [email protected]
Citation: Robert Schütze. CFP: Geld. Interdiskursive Ökonomien bei Grimmelshausen, Bochum (31.5.2017). H-Germanistik. 03-03-2017.
https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/169621/cfp-geld-interdiskursive-%C3%B6konomien-bei-grimmelshausen-bochum
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