CARINOPHARM GmbH | Bahnhofstr. 18 | 31008 Elze | Tel. 05068 / 9 33 33 - 0 | Fax 05068 / 9 33 33 - 44 | www.carinopharm.de | [email protected] Klinik Apotheker News Nr.13 | Januar 2017 EDITORIAL THEMA Sehr geehrte Frau Apothekerin, sehr geehrter Herr Apotheker, Genderspezifische Gesundheit – Chancen und Risiken für das Medikationsmanagement zunächst einmal möchte ich zu Beginn des neuen Jahres die Gelegenheit nutzen, Ihnen an dieser Stelle im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Carinopharm ein gesundes und erfolgreiches 2017 zu wünschen. Wir freuen uns auf die Fortsetzung unserer guten und konstruktiven Zusammenarbeit auch in diesem Jahr! Zu dieser Ausgabe: Die Gendermedizin ist ein sehr spannendes Themengebiet, welches sich mit geschlechterspezifischen Gemeinsamkeiten / Unterschieden bei der Gesundheitserhaltung, Krankheitsentwicklung sowie Therapie- und Betreuungsmöglichkeiten beschäftigt. In dieser neuen - der mittlerweile 13. - Ausgabe der Klinik Apotheker News diskutiert Herr Dr. Keiner, Leiter der Krankenhausapotheke des SRH Zentralklinikums Suhl, in seinem Beitrag die „Genderspezifische Gesundheit – Chancen und Risiken für das Medikationsmanagement“. Wir sind sehr glücklich und dankbar, dass sich aus Ihren Reihen fortlaufend interessierte Kolleginnen und Kollegen finden, welche uns aktuelle und praxisrelevante Beiträge für dieses Informationsmedium und damit zu Ihrer aller Information zur Verfügung stellen. Denn das ist der Zweck der Klinik Apotheker News – in diesem Sinne hoffe ich, dass wir auch weiterhin viele Anregungen für weitere Themengebiete von Ihnen erhalten. Eine gute Zeit und herzliche Grüße aus Elze, Ihr Rainer Oelze Leiter Marketing und Vertrieb Dr. Dirk Keiner, Suhl Die Medizin steht im 3. Millennium vor einer „neuen“ Herausforderung – der Gendermedizin [1]. In vielen klinischen Gebieten finden geschlechterspezifische Aspekte vermehrt Berücksichtigung unter dem Begriff „Gender-Medizin“. Die Weltgesundheitsorganisation hat seit 1997 mit „Gender Mainstreaming“ die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Betrachtung von Gesundheit und Erkrankungen unterstützt. Epidemiologisch zeigen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern u.a. in der Krankheitshäufigkeit, der Krankheitsausprägung und Folgen von Erkrankungen, dem Risikoverhalten sowie dem Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Neben dem hormonellen Einfluss (biologisches Geschlecht) gibt es neurophysiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern. ››› CARINOPHARM GmbH | Bahnhofstr. 18 | 31008 Elze | Tel. 05068 / 9 33 33 - 0 | Fax 05068 / 9 33 33 - 44 | www.carinopharm.de | [email protected] Klinik Apotheker News Nr.13 | Januar 2017 ››› Die demographische Entwicklung führt derzeit schon zu einer Erhöhung des weiblichen Patientenanteils in der primärärztlichen Versorgung (50 – 61 %). Frauen stellen circa 55 Prozent der Krankenhauspatienten [29]. Nach eigenen Erhebungen von 2013 liegt der weibliche Patientenanteil in der Kardiologie bei 65 Prozent, da hier der Anteil der über 65-Jährigen mit 85 Prozent besonders hoch ist. Ähnliche Geschlechterverteilungen finden sich aus dem Jahr 2011 in geriatrischen Kliniken (62 Prozent) [2]. In Alten- und Pflegeheimen liegt der Frauenanteil über 70 Prozent [3]. Auch in pharmazeutischen Betreuungsstudien ist der Patientinnenanteil hoch (z.B. DISA-Projekt: 64,1 Prozent), was mit der Demographie und der allgemein höheren Frequenz an weiblichen Apothekenbesuchen begründet wird [4,5]. Die Beratungszeit bei teilnehmenden Männern war geringfügig höher, allerdings nicht statistisch signifikant [4]. In epidemiologischen Studien ist der Frauenanteil meist höher als in klinischen Studien. Die pharmazeutische Auseinandersetzung mit geschlechterspezifischen Unterschieden dient der Identifikation von Risikogruppen (z.B. Erkrankungsprävalenzen) und Risikomerkmalen (z.B. Arzneimittelgruppen, Rauchen). Die Gender-Medizin als Teil einer modernen, individualisierten Medizin umfasst viele Bereiche der Gesundheitsversorgung (siehe Definition) und hat alle Fachgebiete der Medizin erreicht. Am besten untersucht ist die Kardiologie. In Bezug auf die medikamentöse Therapie bestehen geschlechtsspezifische Aspekte vor allem hinsichtlich der Verträglichkeit von Arzneimitteln und dem Risiko von Arzneimittelnebenwirkungen. So sind Frauen beispielsweise anfälliger für arzneimittelinduzierte QT-Verlängerungen und Elektrolytveränderungen (Hyponatriämie, Hypokaliämie). Dosisbezogene unerwünschte Arzneimittelereignisse dominieren bei Frauen innerhalb der arzneimittelbezogenen Probleme [6]. So ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn unter den Consumer Report der Frauenanteil überwiegt [23,24]. DEFINITION: Datenquellen zu Genderunterschieden Gendermedizin befasst sich mit den Unterschieden aber auch Gemeinsamkeiten bei Gesundheitserhaltung und Krankheitsentwicklung sowie Therapie –und Betreuungsmöglichkeiten von Männern und Frauen. Informationsquellen Die klinische Datenbasis für Geschlechterunterschiede bei der medikamentösen Therapie wird immer breiter. Seit Änderung der GCP-Verordnung mit der 12. AMG Novelle im Jahr 2004 ist im Rahmen der klinischen Prüfung seit 2005 die Geschlechterverteilung so zu wählen, dass mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit des geprüften Arzneimittels festgestellt werden (§ 7 Abs. 2 Nr.12 GCP-VO). Dadurch wird der „Gender-Bias“ nivelliert und die klinische Evidenz erhöht. Im Rahmen der seit 2011 für alle neuen Medikamente obligatorischen Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss muss die pharmazeutische Industrie eine geschlechtsspezifische Auswertung ihrer Zulassungsstudien einreichen. Diese veröffentlichten Daten finden sich im Modul 4 (Unterkapitel 4.2.5.5 und 4.3.1). Bisher hat der G-BA allerdings in keinem Fall therapierelevante Unterschiede gefunden [7]. Datenquellen zu Genderunterschieden Für neue zugelassene Arzneimittel finden sich geschlechterspezifische Hinweise und Analysen vermehrt in der Fachinformation, auch wenn keine therapeutischen Konsequenzen daraus resultieren. Im EPAR sind ebenfalls geschlechterspezifische Aspekte zu finden. Der verstärkte Erkenntnisgewinn von Geschlechterunterschieden trägt wesentlich dazu bei, Defizite bei der Anwendung in der medizinischen Praxis und folglich in der Erstellung von Leitlinien abzubauen [8] www.frauengesundheit.de www.männergesundheit.de www.gendermed.info www.fg-gender.de PRAXISTIPP: EPAR, Fachinformation, Modul 4 der Nutzenbewertungsdossiers Versorgungssituation Wie schon ausgeführt, findet sich in epidemiologischen Studien ein höherer Frauenanteil. Mit zu den Hauptgründen, warum Männer seltener an Studien teilnehmen, zählt der Faktor Zeit [9]. Interessante Erkenntnisse zur geschlechtsspezifischen Arzneimittelanwendung liefern Bevölkerungsbefragungen und Krankenkassendatenanalysen. Bei Patienten über 65 Jahre belegen Krankenkassendatenanalysen einen Geschlechterunterschied bei potentiell inadäquaten Medikamenten (PIMs). Die altersstandardisierte Prävalenz lag bei Frauen (32 %) höher als bei Männern (23,3 %) [10]. Die GKV-Verordnungsausgaben für Arzneimittel liegen bei Frauen höher. Es ist schon lange bekannt, dass Frauen mehr Arztkontakte haben und dadurch auch mehr Arzneimittel verordnet bekommen. Im Arzneimittelreport der Barmer GEK 2014 lag das Durchschnittsalter der Frau bei 47,7 Jahre (Männer: 42,2 Jahre). Mit der altersbedingten höheren Krankheitslast steigen die Ausgaben). Betrachtet man die verschriebenen Arzneimittelkosten nach Geschlecht und Alter, dann bekommen pro Kopf Männer höhere Arzneimittelmengen verordnet [11]. Manche Erkrankungen treten bei Frauen durch CARINOPHARM GmbH | Bahnhofstr. 18 | 31008 Elze | Tel. 05068 / 9 33 33 - 0 | Fax 05068 / 9 33 33 - 44 | www.carinopharm.de | [email protected] Klinik Apotheker News Nr.13 | Januar 2017 Änderungen des Hormonhaushaltes später auf wie Herzerkrankungen. Aussagen zur Selbstmedikation finden sich in der bevölkerungsrepräsentativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) mit einer Zielpopulation im Alter von 18 bis 79 Jahren. Der Anteil Selbstmedikation lag bei Frauen höher als bei Männern. Bei beiden Geschlechtern steigt mit zunehmendem Alter die Prävalenz an Selbstmedikation wie auch von verschriebener Medikation an [12]. Analysen des Klinikum Nürnberg bestätigen deutliche Genderunterschiede bei der Aufnahmemedikation im Anteil an OTC-Arzneimittel zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit (F: 8,6 %; M: 4,7 %), der Einnahme an Schlafmitteln (F: 10,1%; M: 6,7 %), der Einnahme von Antidepressiva (F: 21,5 %; M: 12,4 %). Ebenso war der Anteil sonstiger Arzneimittel mit Abhängigkeitspotential bei Frauen höher (F: 12,5 %; M: 8,1 %) [13]. Die Anwendungsprävalenz bei der Selbstmedikation nimmt mit steigendem Sozialstatus zu [12]. Zudem gibt es regionale Unterschiede. In den neuen Bundesländern ist beispielweise die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen höher als in den alten Bundesländern und dabei wiederum von Frauen höher als von Männern. Das zeigte der Zahnreport 2014. Hier werden unterschiedliche soziale Einflüsse bei der Zahnvorsorge als Grund angeführt. In den Bildungseinrichtungen (Kindergarten, Schule) der ehemaligen DDR wurden Zahnpflege und Prophylaxe ernster genommen und konsequenter vermittelt als in westdeutschen Bildungseinrichtungen [14]. Während sich für die Arzneimittelanwendung insgesamt keine sozialschichtspezifischen Unterschiede zeigen, ist für die Selbst- und verschriebene Medikation ein Sozialgradient zu erkennen [12]. Medikationsmanagement Das Ziel nach einer Verbesserung der Versorgungsqualität der Patienten lässt sich nur erreichen, wenn geschlechterspezifische Unterschiede identifiziert und im klinischen Alltag berücksichtigt werden. Dazu ist eine stärkere Sensibilisierung für dieses Thema notwendig und die Aufnahme in die universitäre Apothekerausbildung unabdingbar. Innerhalb der Ärzteausbildung gibt es schon konkrete Vorschläge für das Medizinstudium. Eines steht aber schon fest, dass ohne Prüfungsrelevanz die Inhalte weder gelernt noch ernst genommen werden [15]. Die Ermittlung von Geschlechtsunterschiede in Dosierung, Wirksamkeit und Sicherheit ist ein essentieller erster Schritt zur personalisierten Therapie. Im Medikationsmanagement sind geschlechterspezifische Unterscheide unbedingt zu beachten. Die Datenbasis dazu wird immer besser. Das Geschlecht der Patienten hat Auswirkungen auf die Arzneimitteltherapie und das Krankheitsmanagement. Dabei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle (siehe Tabelle 2). Zum einen bestehen Risiken durch pharmakokinetische und pharmakodynamische Unterschiede (siehe Tabelle 3), zum anderen sind die Krankheitswahrnehmung und die Therapietreue zwischen den Geschlechtern sehr verschieden [16,17, 22, 29]. Medikationsmanagement: Geschlechterspezifische Unterschiede Literatur Polypharmazie (> 5 Arzneimittel) Frauen > Männer 12 PIM-Quote Frauen > Männer 10, 19 Nebenwirkungsrate Frauen > Männer 6, 22 Sturzrisiken/-häufigkeit Frauen > Männer 20, 21 Selbstmedikation/KAM Frauen > Männer 13, 32 Arzneimittelmissbrauch Frauen > Männer 13 orale Bioverfügbarkeit Frauen > Männer 16 Rauchen Frauen < Männer 28, 29 Alkoholkonsum Frauen < Männer 29, 30 Frauen > Männer 17 Adhärenz mit …. Augentropfen Antiretrovirale Therapie Frauen < Männer 27 Schon jetzt ist eine Feminisierung des Alters festzustellen [18]. Antihypertensive Therapie Frauen < Männer 25,26 Frauen sind anfälliger für arzneimittelbezogene Probleme und das weibliche Geschlecht stellt einen unabhängigen RisiOrale Zytostatika Frauen = Männer 31 kofaktor für unerwünschte Arzneimittelwirkungen dar. UAWs treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern. Das Risiko im Vergleich zu Männern liegt um den Faktor 1,5 bis 1,7 höher. Mögliche Effekte liegen in unterschiedlichen Medikamentenverschreibungen als auch in pharmakokinetischen Parametern [21]. Die Vigilanz für diese erhöhte Anfälligkeit gerade bei älteren Frauen muss verbessert werden [6]. Die Apotheke kann dies durch die Berücksichtigung im Qualitätsmanagement umsetzen. Im Medikationsmanagement sind Gender-Aspekte bei der Entwicklung von klinischen Behandlungspfaden, in Betreuungsstandards und der Arzneimittelauswahl stärker zu berücksichtigen und in die Versorgungspraxis von Krankenhausapotheken zu überführen. CARINOPHARM GmbH | Bahnhofstr. 18 | 31008 Elze | Tel. 05068 / 9 33 33 - 0 | Fax 05068 / 9 33 33 - 44 | www.carinopharm.de | [email protected] Klinik Apotheker News Nr.13 | Januar 2017 GESCHLECHTERSPEZIFISCHES RISIKO VON ARZNEIMITTELINTERAKTIONEN Angriffspunkte von Arzneimittelwechselwirkungen PK drug – drug drug – disease drug – alcohol drug – food drug – herbs drug – smoking Liberation x x Absorption x x x Distribution x Metabolisierung x x x x Elimination x x x F>M M>F PD Genderrisiko x x x x F>M F>M M>F F>M Literatur [1] Baggio G, Corsini A, Floreani A, Giannini S, Zagonel V: Gender medicine: a task for the third millennium. Clin Chem Lab Med 2013;51(4):713-727. [14] Rädel M, Hartmann A, Bohm S, Walter M: Barmer GEK Zahnreport 2014. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse Band 25, April 2014. [2] Lennartz FJ: Medikationsmanagement in der Geriatrie. Interprofessionelle Implementierung im Krankenhaus. PZ Prisma 2015;22:120-124. 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