Fremdpersonal im Betrieb Rechtliche und praktische Hinweise für M+E-Unternehmen Februar 2017 Impressum © Februar 2017 Arbeitgeberverband Gesamtmetall (Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie e. V.) Voßstraße 16, 10117 Berlin Telefon 030/55150-0 Telefax 030/55150-400 [email protected] www.gesamtmetall.de Ansprechpartner: Sibylle Talkenberg Bearbeitet: Sibylle Talkenberg, Kai Schattenberg Dieser Leitfaden ist mit großer Sorgfalt erstellt worden, er ersetzt jedoch nicht die Beratung im Einzelfall. Mit der Bitte um Verständnis wird darauf hingewiesen, dass keinerlei Haftung übernommen wird. I Vorbemerkung Fremdpersonaleinsatz ist als Zeitarbeit (Leiharbeit) oder im Rahmen von Werkverträgen / Dienstverträgen möglich. Für die Praxis ist es von entscheidender Bedeutung, diese beiden Formen voneinander zu unterscheiden, da sie völlig unterschiedlichen rechtlichen Regeln unterliegen. Diese Unterscheidung wird umso wichtiger, wenn der Einsatz des Fremdpersonals im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen auf dem auf dem eigenen Betriebsgelände erfolgt. Werden die Gestaltung des Werk- oder Dienstvertrages und dessen Durchführung nicht klar von der Arbeitnehmerüberlassung abgegrenzt, drohen erhebliche Sanktionen und fühlbare wirtschaftliche Nachteile. Dieser M+E-Leitfaden bedurfte einer grundlegenden Überarbeitung wegen der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), des Betriebsverfassungsgesetzes und anderer Gesetze. Diese neuen gesetzlichen1 Restriktionen und verschärften Sanktionen ab dem 1. April 2017 machen eine anfängliche und fortlaufende Kontrolle der Vertragsverhältnisse in der Praxis unabdingbar und verlangen größte Sorgfalt bei der Vertragsgestaltung und Vertragsdurchführung. Es kommen die folgenden Sanktionen in Betracht: Eine Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher unter gleichzeitiger Fiktion eines grundsätzlich unbefristeten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher Bußgeld von bis zu 500.000 EUR sowie ein Eintrag in das Gewerbezentralregister 2 Haftung für Sozialversicherungsbeiträge sowie Ausfallhaftung für die Lohnsteuer Mögliche Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB Entscheidend für die Bewertung des Fremdpersonaleinsatzes im Betrieb entweder als Arbeitnehmerüberlassung oder als Werk-/Dienstvertrag ist neben der Vertragsgestaltung die praktische Durchführung im Betriebsalltag! Eine fehlerfreie Vertragsgestaltung ist notwendig, aber allein nicht ausreichend. Die nachfolgenden Hinweise richten sich einerseits an Verbandsmitarbeiter in der Beratung und andererseits an alle Personen im Unternehmen oder Betrieb, die für den Einsatz fremder Arbeitnehmer Verantwortung tragen. In allen Zweifelsfällen sollte die Beratung des Verbandes rechtzeitig in Anspruch genommen werden. Praxishinweis: Die Handlungsmöglichkeiten bei der Arbeitnehmerüberlassung sind völlig andere als bei Beschäftigten von Werkvertragsunternehmen. Daher ist eine Schulung der Führungskräfte (bzw. weiterer Betriebsebenen) über die Unterschiede und die daraus resultierenden praktischen Folgen unbedingt zu empfehlen. Neben neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen sind gegebenenfalls auch tarifliche Regelungen zur Überlassungshöchstdauer der Tarifvertragsparteien der M+E-Industrie und zum Equal Pay der Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche zu beachten. 1 Für die folgenden Ausführungen basieren die Paragrafenangaben auf der Textfassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) ab dem 1. April 2017. 2 § 42d Abs. 6 EStG spricht nur von Arbeitnehmerüberlassung „im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist“. Eine Anpassung des § 42d Abs. 6 EStG erfolgte im Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze nicht. II INHALTSVERZEICHNIS .......................................................................................................... Seite Vorbemerkung ............................................................................................................................... I Kapitel A: Abgrenzung - Arbeitnehmerüberlassung oder Werkvertrag? .................................. 1 I. Grundsätze für die Abgrenzung ................................................................................................ 1 II. Vertragstypen für Fremdpersonaleinsatz ................................................................................ 2 1. Arbeitnehmerüberlassung ....................................................................................................... 2 2. Werkvertrag / Werklieferungsvertrag ...................................................................................... 3 3. Selbstständiger Dienstvertrag ................................................................................................. 3 III. Abgrenzung .............................................................................................................................. 4 1. Vorgehen bei Abschluss eines Werk-/Dienstvertrages ......................................................... 4 2. Abgrenzungskriterien .............................................................................................................. 5 a) Weisungsbefugnis des Werk-/Dienstleistungsunternehmers .................................................. 5 b) Genaue Beschreibung des herzustellenden Werks oder der Tätigkeit im Vertrag .................. 6 c) Werk-/Dienstvertragsfähige Leistung ..................................................................................... 6 d) Fachliche Kompetenz der Fremdfirma ................................................................................... 7 e) Keine Gestellung von Arbeitsmitteln und -materialien an die Fremdfirma............................... 7 f) Selbstständige Organisation des Arbeitsablaufs durch die Fremdfirma .................................. 7 g) Unternehmerrisiko ................................................................................................................. 8 h) Personalgestellung durch Fremdfirma als Nebenleistung ...................................................... 8 i) Personalgestellung durch Fremdfirma als Folgeleistung ........................................................ 8 j) Gewährleistung ...................................................................................................................... 9 k) Erfolgsorientierte Abrechnung ................................................................................................ 9 Kapitel B: Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG .............................................................. 10 I. Voraussetzungen rechtmäßiger Arbeitnehmerüberlassung ................................................. 11 1. Erlaubnis des Verleihers ........................................................................................................ 11 a) Erlaubnispflicht .................................................................................................................... 11 b) Ausnahme: Anzeigepflicht anstatt Erlaubnispflicht bei der sog. „Kollegenhilfe“ .................... 11 c) Rechtsfolgen bei fehlender Erlaubnis ................................................................................... 11 aa) Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags und Fiktion des Beschäftigungsverhältnisses zum Entleihbetrieb........................................................... 12 bb) Ausnahme von der Unwirksamkeit: Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers ........................................................................................................ 12 cc) Grundsatz des unbefristeten Arbeitsverhältnisses ......................................................... 14 dd) Arbeitsverhältnis in Teilzeit?.......................................................................................... 15 ee) Arbeitsbedingungen ...................................................................................................... 15 III ff) Ausschlussfristen und Verjährung ................................................................................. 16 gg) Geldbuße gemäß AÜG / Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), Strafbarkeit ................. 17 hh) Haftung für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer ............................................. 17 2. Anforderungen an die Überlassung und den Überlassungsvertrag ................................... 18 a) Schriftform ........................................................................................................................... 18 b) Inhalt des Vertrags ............................................................................................................... 18 c) Offenlegungspflichten im Rahmen der Überlassung für Entleiher ........................................ 19 aa) Bezeichnung als Arbeitnehmerüberlassung .................................................................. 19 bb) Konkretisierung des Leiharbeitnehmers vor der Überlassung ....................................... 20 cc) Rechtsfolgen bei Verletzung der Offenlegungspflichten ................................................. 21 d) Informationspflichten gegenüber dem Leiharbeitnehmer ...................................................... 24 3. Überlassungshöchstdauer (vorübergehende Überlassung) ............................................... 24 a) Gesetzliche Vorgaben.......................................................................................................... 24 aa) Gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ............................................... 24 bb) Begriff des Einsatzes .................................................................................................... 25 cc) Berechnung der Überlassungshöchstdauer .................................................................. 25 dd) Karenzzeit von drei Monaten......................................................................................... 29 ee) Bestandsschutz............................................................................................................. 30 b) Tarifliche Vorgaben .............................................................................................................. 30 aa) Öffnungsklausel für tarifliche und betriebliche Regelungen ........................................... 30 bb) Handlungsoptionen für T-Betriebe................................................................................. 31 cc) Handlungsoptionen für OT-Betriebe .............................................................................. 31 c) Rechtsfolgen bei Überschreiten der Überlassungshöchstdauer ........................................... 31 aa) Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher ............................... 32 bb) Ausnahme: Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers ............................................. 32 cc) Sonstige Sanktionen ..................................................................................................... 33 4. Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer (Verbot des Kettenverleihs) ................................................................................................... 34 5. Gleichstellungsgrundsatz (Equal Pay und Equal Treatment) ............................................. 34 a) Gesetzliche Vorgaben.......................................................................................................... 34 aa) Vorgaben des Equal Treatment Grundsatzes ............................................................... 34 bb) Das Arbeitsentgelt: Der Equal Pay Grundsatz ............................................................... 36 b) Ausnahmen vom Gleichstellungsgrundsatz ......................................................................... 37 aa) Tariföffnungsklausel ...................................................................................................... 37 bb) Drehtür-Klausel ............................................................................................................. 40 cc) Fristberechnung ............................................................................................................ 40 dd) Frist unternehmens- oder betriebsbezogen ................................................................... 41 ee) Karenzzeit ..................................................................................................................... 42 IV ff) Bestandsschutz............................................................................................................. 42 c) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Gleichstellungsgrundsatz ................................... 42 II. Ausnahmen vom Anwendungsbereich des AÜG.................................................................. 43 1. § 1 Abs. 1a AÜG - Abordnung zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) ................................ 43 2. Ausnahmen nach § 1 Abs. 3 AÜG ......................................................................................... 44 a) § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG – Überlassung zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassung ...... 45 b) § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG – Konzernprivileg ............................................................................... 45 c) § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG – Gelegentliche Überlassung zwischen Arbeitgebern ...................... 46 d) § 1 Abs. 3 Nr. 3 AÜG – Auslandsverleih aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen ..... 47 III. Fragen der Sozialversicherung und Lohnsteuer ................................................................. 47 1. Sozialversicherungsbeiträge ................................................................................................. 47 a) Rechtmäßige Arbeitnehmerüberlassung .............................................................................. 47 b) Rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung ............................................................................. 48 2. Lohnsteuer.............................................................................................................................. 49 IV. Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung .............................................................. 49 1. EU-Mitgliedsstaat oder EWR-Staat........................................................................................ 50 2. Beitrittsländer ......................................................................................................................... 50 3. Drittstaat ................................................................................................................................. 50 4. Ausländerbeschäftigung ....................................................................................................... 50 V. Rechtsbeziehungen zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer ......................................... 51 1. Arbeitgeberfunktion und Direktionsrecht ............................................................................. 52 2. Arbeitnehmererfindungen...................................................................................................... 52 3. Informationspflichten ............................................................................................................. 52 a) Auskunftspflicht über Arbeitsbedingungen ........................................................................... 52 b) Informationspflicht über freie Arbeitsplätze .......................................................................... 52 4. Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen.............................................................................. 52 5. Arbeitssicherheit .................................................................................................................... 53 6. Streikeinsatzverbot, § 11 Abs. 5 AÜG ................................................................................... 53 7. Betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Leiharbeitnehmer ......................................... 54 a) Betriebsratswahlen beim Entleiher ....................................................................................... 54 b) Betriebsverfassungsrechtliche Schwellenwerte im Entleiherbetrieb ..................................... 54 c) Sprechstunden und Versammlungen, Beschwerderecht ...................................................... 55 8. Fragen der Unternehmensmitbestimmung ........................................................................... 55 a) Beteiligung an den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ................................. 55 b) Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung.............................................................. 55 9. Beteiligung des Betriebsrats des Entleiherbetriebes .......................................................... 56 V a) Allgemeiner Unterrichtungsanspruch, § 80 Abs. 2 BetrVG ................................................... 56 b) Personalplanung – § 92 Abs. 1 S. 1 BetrVG ........................................................................ 57 c) Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen – § 99 BetrVG ...................................... 57 aa) Informationsumfang ...................................................................................................... 57 bb) Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat ........................................................ 59 d) Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ....................................................................... 60 10. Vermittlungsprovisionen ..................................................................................................... 60 Kapitel C: Hinweise zum Einsatz fremder Arbeitnehmer im Rahmen von Werk- und Dienstverträgen........................................................................................................................... 62 I. Vorgehen bei Abschluss eines Werk-/Dienstvertrages ......................................................... 62 1. Vertragsprüfung ..................................................................................................................... 63 2. Interne Prozesse..................................................................................................................... 63 3. Schulungskonzept ................................................................................................................. 63 4. Praktische Fehlerquellen vermeiden .................................................................................... 63 II. Sanktionen .............................................................................................................................. 64 III. Mitwirkungsrecht des Betriebsrats ....................................................................................... 65 1. § 80 Abs. 2 BetrVG ................................................................................................................. 65 2. § 99 BetrVG ............................................................................................................................. 68 3. § 92 BetrVG ............................................................................................................................. 68 IV. Arbeitssicherheit ................................................................................................................... 68 1. Verantwortlicher ..................................................................................................................... 68 2. Verkehrssicherungspflichten ................................................................................................ 69 3. Zusammenarbeit..................................................................................................................... 69 4. Verpflichtungserklärung ........................................................................................................ 69 Kapitel D: Hinweise für den Fall von Ermittlungen wegen unerlaubter Beschäftigung von Leiharbeitnehmern ..................................................................................... 70 1 Kapitel A: Abgrenzung – Arbeitnehmerüberlassung oder Werkvertrag? I. Grundsätze für die Abgrenzung Sind Arbeiten im Betrieb zu leisten, für die eigene Beschäftigte nicht zur Verfügung stehen oder nicht eingesetzt werden sollen, ist zunächst sorgfältig zu prüfen, auf welchem Weg der Einsatz von Fremdpersonal möglich und zweckmäßig ist. In Betracht kommt das Entleihen von fremden Arbeitnehmern zur Arbeitsleistung nach Weisung des Entleihers (Anwendungsfall des AÜG) oder die Beauftragung eines fremden Unternehmers im Rahmen eines Werk- bzw. Werklieferungsvertrages oder selbstständigen Dienstvertrages mit von diesem gestellten Personal (Rechte und Pflichten richten sich nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch – BGB). Für die Abgrenzung zwischen dem Einsatz eines Soloselbstständigen (Freier Mitarbeiter, Freelancer) und dem Arbeitnehmerbegriff wird auf den M+E-Leitfaden „Übertragung von Tätigkeiten auf Selbstständige“ verwiesen. 2 II. Vertragstypen für Fremdpersonaleinsatz 1. Arbeitnehmerüberlassung In der Gesetzesneufassung ab dem 1. April 2017 wird in § 1 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung nun legal definiert: „Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung) wollen, bedürfen der Erlaubnis. Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen.“ Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte hierdurch an der bestehenden Rechtslage nichts geändert werden:3 „In § 1 Absatz 1 wird im bisherigen Satz 1 durch den Klammerzusatz die Legaldefinition der Arbeitnehmerüberlassung hervorgehoben. Der bisherige Anwendungsbereich des AÜG und die Reichweite der Erlaubnispflicht werden hierdurch nicht verändert. Die Regelung des Satzes 2 bestimmt entsprechend der Rechtsprechung, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer überlassen wird und dient damit der Abgrenzung zwischen dem Einsatz eines Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung und als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Werk- beziehungsweise Dienstvertrages.“ Das Bundesarbeitsgericht (BAG)4 hat bislang Arbeitnehmerüberlassung wie folgt definiert: „Eine Überlassung zur Arbeitsleistung iSd. Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG aF liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen.“ Das heißt weiterhin: Werden die fremden Arbeitskräfte wie eigene Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert, um sie vor allem nach Weisungen der betrieblichen Vorgesetzten arbeiten zu lassen, handelt es sich bei dem beabsichtigten Einsatz von Fremdpersonal um Arbeitnehmerüberlassung5 (Leiharbeit/Zeitarbeit), vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Soweit sich der Vertrag und die Vertragsdurchführung widersprechen, kommt es wie bisher6 auf die tatsächliche Durchführung an (§ 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG). Zu beachten ist auch, dass die fremden Arbeitnehmer weiterhin nur von einem Unternehmen entliehen werden dürfen, das die für Arbeitnehmerüberlassung erforderliche behördliche Erlaubnis (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) besitzt. 3 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 19. BAG v. 13.08.2008 – 7 AZR 269/07. 5 Für die bessere Lesbarkeit des Textes werden entsprechend der EU-Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) im Text die Begriffe Leiharbeitnehmer, Verleiher und Entleiher verwandt. 6 BAG v. 15.04.2014 – 3 AZR 395/11. 4 3 2. Werkvertrag / Werklieferungsvertrag Soll ein anderer Unternehmer mit Hilfe seiner Arbeitnehmer selbstständig für den Auftraggeber ein Arbeitsergebnis herbeiführen (im juristischen Sprachgebrauch „ein Werkteil bzw. ein ganzes Werk herstellen“), ist ein Werkvertrag / Werklieferungsvertrag7 gewollt. Gegenstand eines solchen Vertrages muss entweder die teilweise oder komplette Herstellung oder Veränderung einer Sache oder ein anderer herbeizuführender Erfolg, also ein konkretes Arbeitsergebnis, sein (§§ 631, 651 BGB). Die fremden Arbeitnehmer (zum Beispiel auf dem Betriebsgelände) sind dann im juristischen Sinne „nur“ Erfüllungsgehilfen des Auftragnehmers gemäß § 278 BGB. Beispiel: Verträge mit Handwerkern, beispielsweise die Reinigung eines verstopften Abflussrohres. Die Herstellung von Armaturenbrettern, die in ein Auto eingebaut werden sollen. 3. Selbstständiger Dienstvertrag Soll ein anderer Unternehmer selbstständig mit Hilfe seiner Arbeitnehmer eine Dienstleistung unter eigener Verantwortung und nach eigenem Plan erbringen, ohne dass seine Arbeitnehmer in die Betriebsorganisation integriert werden müssen, ist ein selbstständiger Dienstvertrag gewollt.8 Beispiel: Ein selbstständiger Dienstvertrag (und damit keine Arbeitnehmerüberlassung) ist in der Regel 9 der Einsatz von Wachmännern eines Bewachungsunternehmens. Praxishinweis: Die Überlassung eines Leiharbeitnehmers als „freier Mitarbeiter“ ist nicht möglich. Die Eingliederung in den Betrieb des Entleihers als Leiharbeitnehmer, insbesondere die dortige Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort sowie Art und Weise der Arbeitsleistung ist mit dem Status eines freien Mitarbeiters unvereinbar, vgl. nun auch § 611 a BGB. Anders als die Überlassung kann die bloße Vermittlung von „freien Mitarbeiter“ dann in Betracht gezogen werden, wenn eine Eingliederung und die Weisungsgebundenheit dieser Person sicher ausgeschlossen werden können. Es ist jedoch eine genaue Prüfung in der Praxis notwendig, da besonders hohe sozialversicherungsrechtliche Risiken entstehen können. Der „Vermittler“ führt für den freien Mitarbeiter weder den Arbeitgeber- noch den Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ab. Wird der freie Mitarbeiter aufgrund der Eingliederung und der Weisungsgebundenheit als Arbeitnehmer des Einsatzbetriebes angesehen, können unter anderem auf diesen hohe Nachforderungen der Sozialversicherungsträger zukommen. 7 Der Werklieferungsvertrag ist als Sonderform des Werkvertrages dadurch gekennzeichnet, dass der Unternehmer sich verpflichtet, das Werk aus eigenen oder von ihm zu beschaffenden Stoffen herzustellen. 8 BAG v. 14.08.1985 – 5 AZR 225/84. 9 BAG v. 31.03.1993 – 7 AZR 338/92; BAG v. 05.05.1992 – 1 ABR 78/91; BAG v. 28.11.1989 – 1 ABR 90/88. 4 III. Abgrenzung Die Abgrenzungsfrage zwischen Arbeitnehmerüberlassung einerseits und Werk-/ Dienstvertrag andererseits kann sich insbesondere stellen, wenn beabsichtigt ist, einen Dienst-/Werkvertrag abzuschließen und die Arbeitsleistung der fremden Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände erbracht werden muss. 1. Vorgehen bei Abschluss eines Werk-/Dienstvertrages Dem Unternehmer steht die Entscheidung frei, welche Arbeiten er mit eigenen Arbeitnehmern erledigen möchte und für welche Tätigkeit er sich der Angebote anderer Firmen bedient. Dabei kann sowohl die aufgrund eines Dienstleistungsvertrages geschuldete Dienstleistung erbracht als auch das aufgrund eines Werkvertrages zu erbringende Werk auch im Betrieb des Arbeitgebers erstellt werden.10 Soll ein Auftrag vergeben werden, der zum Einsatz fremder Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände zur Verrichtung von Montage-, Reparatur-, Wartungs- oder sonstigen Arbeiten führt, ist die Abgrenzung insbesondere zur Arbeitnehmerüberlassung arbeitsrechtlich dringend geboten. Es empfiehlt sich, eine erste Überprüfung anhand der nachfolgend dargestellten Abgrenzungskriterien und des beigefügten Rasters (Prüfbogen für Werkvertrag, Anlage 2) vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat aufgrund heftiger Debatten auf gesetzliche Kriterien zur Abgrenzung verzichtet.11 Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales12 hat ferner festgestellt, „dass mit der Definition der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG die derzeitige Rechtslage nicht geändert werden solle, etwa bei der Beauftragung von Beratungsunternehmen. Das Gesetz ziele nicht darauf ab, die unternehmerische Tätigkeit beispielsweise von Beratungsunternehmen einzuschränken. Die Neuregelung solle dem sachgerechten Einsatz von Werk- und Dienstverträgen in den zeitgemäßen Formen des kreativen oder komplexen Projektgeschäfts nicht entgegenstehen, wie sie zum Beispiel in der Unternehmensberatungs- oder IT-Branche in Optimierungs-, Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekten anzutreffen sind.“ Folglich kommt es auch weiterhin auf die durch die Rechtsprechung entwickelten, zahlreichen und unterschiedlich gewichteten Abgrenzungskriterien an.13 Praxishinweis: Allein eine „saubere“ vertragliche Gestaltung des Einsatzes von Fremdpersonal ist nicht ausreichend, die tatsächliche Durchführung ist von erheblichem Gewicht. § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG stellt klar, dass für die rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend ist. Damit wird laut der Gesetzesbegründung14 die bisherige Rechtsprechung des BAG15 übernommen. 10 BAG v. 09.07.1991 – 1 ABR 45/90. vgl. ursprünglicher Referentenentwurf des BMAS v. 16.11.2015. 12 Beschlussempfehlung v. 19.10.2016 des Bundestagausschusses Arbeit und Soziales (BT-Drs. 18/10064, Seite 13/14). 13 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 31 f. 14 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 28. 15 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 395/11. 11 5 Aus dieser gesetzlichen Klarstellung folgt, dass beispielsweise in der betrieblichen Praxis die Durchführung der Vertragsverhältnisse fortlaufend geprüft werden sollte und Führungskräfte regelmäßig geschult werden sollten (siehe C. I. 3.). 2. Abgrenzungskriterien Über die für die Unterscheidung in der Praxis wesentlichen Gesichtspunkte unterrichtet zusätzlich das beigefügte Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit zur „Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen von Werk- und selbstständigen Dienstverträgen sowie anderen Formen drittbezogenen Personaleinsatzes“ (Anlage 1). In der betrieblichen Praxis empfiehlt es sich, neben den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien, von den im Merkblatt der Bundesagentur dargelegten Grundsätzen auszugehen, weil die Bundesagentur nach § 17 AÜG dafür zuständig ist, die Einhaltung der bei der Arbeitnehmerüberlassung zu beachtenden Regeln durchzusetzen. Das Merkblatt ist für die Praxis eine gute Hilfe und entspricht in wesentlichen Teilen 1:1 der Rechtsprechung. Wird ein Werk(-lieferungs)- oder Dienstvertrag abgeschlossen, obwohl es sich tatsächlich um Arbeitnehmerüberlassung handelt, hat dieser Fremdpersonaleinsatz nach neuer Rechtslage weitreichende Konsequenzen. Bei der Abgrenzung von Werk-/Dienstvertrag und Arbeitnehmerüberlassung sind – entsprechend der Praxis der Bundesagentur für Arbeit – vor allem die nachfolgenden Kriterien maßgebend, wobei jedoch nicht einzelne Gesichtspunkte, sondern das Gesamtbild den Ausschlag gibt. Zu beachten ist, dass einige der folgenden Kriterien nur auf Werkverträge, nicht jedoch auf Dienstverträge anwendbar sind (siehe A. III. 2. j) und k)). a) Weisungsbefugnis des Werk-/Dienstleistungsunternehmers Bei einem Werk-/Dienstvertrag dürfen die Fremdarbeitnehmer Weisungen in Bezug auf die Art und Weise, also wie und wo sie arbeiten, grundsätzlich nur von ihrem Arbeitgeber (dem Werk-/Dienstleistungsunternehmer) erhalten.16 Der Auftraggeber darf arbeitsrechtliche Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Fremdarbeitnehmern nicht ausüben. Soweit dem Auftraggeber geeignete Arbeitskräfte überlassen werden, die er nach eigenen betrieblichen Erfordernissen in seinem Betrieb nach seinen Weisungen einsetzt, liegt Arbeitnehmerüberlassung vor (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG).17 Unschädlich sind betriebsspezifische Hinweise (z. B. wegen besonderer Gefahrenquellen im Betrieb) und Anweisungen, die sich ausschließlich auf die Ausführung des Werkes beziehen, z. B. Umfang der vorzunehmenden Reparatur, und nicht auf die Art und Weise der Arbeit (sog. werkbezogene Weisungen gemäß § 645 Abs. 1 BGB). Praxishinweis: Die Arbeitnehmer des Dienst- oder Werkunternehmers bleiben auch bei ihrer Tätigkeit auf einem fremden Betriebsgelände in die Organisation ihres VertragsArbeitgebers eingegliedert und nur dessen Weisungen unterstellt. 16 17 BAG v. 09.11.1994 – 7 AZR 217/94. BAG v. 06.08.2003 – 7 AZR 180/03. 6 Da die Unterscheidung zwischen arbeitsvertraglichen Weisungen und werkbezogenen Anweisungen schwierig sein kann, sollten Wünsche oder Anforderungen, die die vereinbarte Leistung konkretisieren, nur direkt an die Leitung der Fremdfirma oder deren im Betrieb anwesenden Bevollmächtigten, nicht aber unmittelbar an einen Fremdarbeitnehmer gerichtet werden. Ein solches Repräsentantenprinzip sollte bereits im Vertrag vereinbart und im Betrieb etabliert werden. Gleiches gilt für die Erteilung von Einzelaufträgen bei der Durchführung einer Rahmenvereinbarung. Bereits bei Vertragsabschluss sollte der Ansprechpartner benannt werden. Im Rahmen von IT-Dienstleistungen beispielsweise ist ein sog. Ticket-System zu empfehlen, um Einzelanweisungen durch Mitarbeiter des Auftraggebers zu vermeiden. Ebenfalls sollte bei der Durchführung von Werk-/Dienstverträgen die namentliche Anforderung bestimmter Personen, z. B. bei Ingenieuren oder IT-Leistungen, vermieden werden. b) Genaue Beschreibung des herzustellenden Werks oder der Tätigkeit im Vertrag Unbestimmte Vertragsinhalte (z. B. „Kabelarbeiten“, „Montage“, „Schweißen“) sprechen für Arbeitnehmerüberlassung. Denn sie erschweren es, festzustellen, welches Werkergebnis bzw. welche Dienstleistung dem Auftragnehmer zuzuordnen ist und wer dessen Arbeitnehmer tatsächlich einsetzt. Deshalb muss dann, wenn der Auftrag bei Vertragsabschluss im Einzelnen nicht genau beschrieben wird, weil für die einzelnen Realisierungsschritte Leistungszeitpunkt, -inhalt oder -umfang noch nicht bestimmbar sind (z. B. bei Erstellung eines Personalabrechnungssystems, Reparaturarbeiten an einer Anlage), wenigstens das Ergebnis als Ziel klar definiert sein (z. B. „Reparatur der Anlage ... im Werk ...“ / „Schulung der Meister zum Thema Arbeitssicherheit“; nicht „Überlassung von zwei Monteuren für Reparaturarbeiten“ / „Schulung allgemein“). Eine bis ins Detail gehende Aufgabenbeschreibung, die kaum eigenen Gestaltungsspielraum für den Auftragnehmer lässt, spricht nicht gegen einen Werk-/ Dienstvertrag.18 c) Werk-/Dienstvertragsfähige Leistung Ein Werk-/Dienstvertrag ist nur möglich, wenn die zu erbringende Leistung für die Vergabe im Rahmen eines solchen Vertrages überhaupt geeignet ist.19 Daran kann es z. B. fehlen, wenn eine Fülle von Kleinstaufträgen (z. B. Schweißnähte, Verputzarbeit geringen Umfangs im Leistungslohn) oder einfache nicht erfolgsbezogene Arbeiten (z. B. Schreibarbeiten, einfache Zeichenarbeiten, Maschinenbedienung, Dateneingabe) vergeben werden; in vielen dieser Fälle wird der Vertrag auf die bloße Überlassung von Arbeitskräften gerichtet sein. Andererseits muss ein Werk-/Dienstvertrag nicht umfangreiche und komplizierte Arbeiten zum Gegenstand haben. So können werk-/dienstvertragsfähige Leistungen z. B. auch sein: Reinigen von Maschinen, Montieren kleiner Baugruppen, Putzen von Gussteilen, Lackieren von auszuliefernden Maschinen oder Anfertigen von Verpackungskisten. Ob die fremden Arbeitnehmer diese Arbeiten aufgrund eines Werk-/Dienstvertrages oder im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung verrichten sollen, ist unter Berücksichtigung der sonstigen Abgrenzungskriterien im Hinblick auf die vorgesehene Gestaltung und Abwicklung des Vertragsverhältnisses zu beurteilen. 18 19 BAG v. 18.01.2012 – 7 AZR 723/10. LAG Berlin-Brandenburg v. 12.12.2012 – 15 Sa 1217/12. 7 d) Fachliche Kompetenz der Fremdfirma Ein Werk-/Dienstvertrag setzt in der Regel voraus, dass die Fremdfirma über die fachliche bzw. personelle Ausstattung verfügt, um die vereinbarte Leistung selbstständig planen, organisieren, durchführen und überwachen zu können. e) Keine Gestellung von Arbeitsmitteln und -materialien an die Fremdfirma Beim Werkvertrag ist es üblich, dass die Arbeitskräfte des fremden Unternehmens das benötigte Werkzeug und die Arbeitsmaterialien selbst mitbringen. Auf der anderen Seite ist es aber kein Indiz für Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Auftraggeber nur für den Auftrag benötigtes Spezialwerkzeug oder Spezialmaterialien zur Verfügung stellt. Auf Arbeitnehmerüberlassung kann es dagegen hindeuten, wenn die Arbeitskleidung vom Auftraggeber gestellt wird.20 Praxishinweis: Ist es für die Vertragsdurchführung aus verschiedenen Gründen sinnvoller, dass der Auftragnehmer auch Arbeitsmaterialien des Einsatzbetriebes nutzt, so ist bei der Vertragsgestaltung zu empfehlen, Regelung zur Nutzungsgebühr und insbesondere zu Haftungsfragen nach den zivilrechtlichen Grundsätzen zu regeln. f) Selbstständige Organisation des Arbeitsablaufs durch die Fremdfirma Notwendiges Merkmal des Werk-/Dienstvertrages ist, dass der fremde Unternehmer Art, Ablauf und Einteilung der Arbeiten selbst bestimmt und überwacht. Typischerweise umfasst dies die Auswahl der eingesetzten Arbeitnehmer (Zahl, Qualifikation und Person), die Ausbildung und Einarbeitung, die Bestimmung der Arbeitszeit und die Anordnung von Überstunden, die Gewährung von Urlaub und Freizeit, die Durchführung der Anwesenheitskontrolle und die Überwachung des Arbeitsablaufs. Praxishinweis: Das Abrufen einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern sollte vermieden werden. Im Einzelfall kann ein solches aber auch zulässig sein, beispielsweise für das Sicherheitsgewerbe.21 Hingegen spricht die organisatorische Eingliederung der Fremdarbeitnehmer in die Arbeitsabläufe oder in den Produktionsprozess des Auftraggeberbetriebs grundsätzlich für Arbeitnehmerüberlassung. Eine solche organisatorische Eingliederung ist aber nicht schon allein deshalb gegeben, weil die Fremdarbeitnehmer besondere, nur für den Betrieb des Auftraggebers geltende Sicherheitsvorschriften beachten müssen oder weil die Arbeiten auf den Betriebsablauf abgestimmt werden, um Störungen soweit wie möglich zu vermeiden (z. B. bei Instandhaltungsarbeiten, Anlageanbauten oder -erweiterungen). Gegen einen Werk-/Dienstvertrag spricht auch nicht, dass die eigenen und die fremden Arbeitnehmer vergleichbare Arbeiten durchführen, sofern die Ergebnisse voneinander abgrenzbar sind (z. B. Softwareerstellung durch eigene und fremde Arbeitnehmer für verschiedene Projekte). Dagegen sollte der Auftrag keine Aufgaben enthalten, die früher von eigenen Beschäftigten des Einsatzbetriebes ausgeführt wurden. 22 20 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 30.09.2014 – 2 Sa 76/14. BAG v. 18.01.2012 – 7 AZR 723/10. 22 ErfK/Wank, § 1 AÜG, Rn. 14. 21 8 Praxishinweis: Die Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen oder die gemeinsame Benutzung derselben Räume bei vergleichbaren Tätigkeiten (z. B. eigene und fremde Konstrukteure im selben Büro; nicht aber Montagearbeit eines fremden Elektrikers im Konstruktionsbüro) kann für Arbeitnehmerüberlassung sprechen und sollte vermieden werden: Des Weiteren sprechen die Ausstattung der fremden Arbeitnehmer mit Telefonnummern und E-Mail-Adressen des Auftraggebers sowie die Aufnahme in die jeweiligen Telefon-/ Mailverzeichnisse für Arbeitnehmerüberlassung. Von einer solchen betrieblichen Handhabung ist dringend abzuraten. g) Unternehmerrisiko Typisch für einen (Werk-/Dienstleistungs-)Unternehmer ist auch, dass er sich in der Regel gegen Haftungs- und Gewährleistungsrisiken absichert (Versicherung, Rückstellungen). Praxishinweis: Daher sollte ein wesentliches Merkmal auf der Vertragsgestaltung liegen – etwa durch die Verpflichtung zum Nachweis einer verkehrsüblichen Haftpflichtversicherung. h) Personalgestellung durch Fremdfirma als Nebenleistung Wird als Nebenleistung eines Kauf- oder Mietvertrages über Anlagen, Geräte, Systeme oder Programme Bedienungs-, Wartungs-, Montage- oder Einweisungspersonal überlassen (z. B. Computer und Programme mit Einweisungspersonal, Spezialbaumaschine mit Fahrer, Flugzeug mit Pilot), ist in der Regel nicht von Arbeitnehmerüberlassung auszugehen.23 Maßgebend ist, ob nach Sinn und Zweck des Vertrages die Gebrauchsüberlassung des Gerätes im Vordergrund steht und die Zurverfügungstellung des Personals nur die Funktion hat, den Einsatz des Gerätes erst zu ermöglichen, oder ob der Vertrag schwerpunktmäßig auf die Verschaffung der Arbeitsleistung des Personals gerichtet ist und die Überlassung des Gerätes nur untergeordnete Bedeutung hat. Die Bundesagentur für Arbeit misst für die Frage, ob die Personalgestellung bloße Nebenleistung ist, dem wirtschaftlichen Wert erhebliche Bedeutung zu. Der wirtschaftliche Wert der Anlagen, Geräte, Systeme oder Programme muss hiernach erheblich höher sein als der der Arbeitsleistung. Die Personalgestellung muss eindeutig als Nebenleistung anzusehen sein. Bei der Vermietung eines Computers mit Schreibkraft wird daher in der Regel Arbeitnehmerüberlassung vorliegen. i) Personalgestellung durch Fremdfirma als Folgeleistung Soweit eine Fremdfirma eigenes Personal als Folgeleistung stellt, ist in der Regel nicht von Arbeitnehmerüberlassung auszugehen. Beispiele: Eine Fremdfirma, die technische Produktionsanlagen, Einrichtungen oder Systeme herstellt und errichtet, entsendet eigenes Stammpersonal zu einem Betreiber derartiger Anlagen, Einrichtungen oder Systeme, um typische Revisions-, Beratungs-, Reparatur-, Änderungs-, Erweiterungsarbeiten oder Ingenieurleistungen daran durchzuführen. Voraussetzung ist, dass die Fremdfirma das Unternehmerrisiko trägt und ihre unternehmerische Dispositionsfreiheit gewährleistet ist. 23 BAG v. 16.06.1982 – 4 AZR 862/79; BAG v. 17.02.1993 – 7 AZR 167/92. 9 Ein Zulieferer stellt eigenes Personal zum Einbau der gelieferten Teile oder Komponenten, weil dies zur vertraglich vereinbarten Gesamtleistung gehört. Voraussetzung ist, dass der wirtschaftliche Wert der einzubauenden Teile denjenigen der Arbeitsleistung erheblich übersteigt. Ein Unternehmen, das Software-Programme herstellt, stellt einem Anwender eigene Mitarbeiter zur Verfügung, um ein solches Programm auf dessen Anlagen ablauffähig zu machen oder zu entwickeln. Auch hier ist Voraussetzung, dass das Software-Unternehmen das Unternehmerrisiko trägt und seine unternehmerische Dispositionsfreiheit gewährleistet ist. Die folgenden Kriterien sind nur auf Werkverträge anwendbar: j) Gewährleistung Zu einem Werkvertrag gehört auch, dass die gesetzlichen Gewährleistungspflichten des Werkunternehmers nicht vertraglich abbedungen und dass sie, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, auch tatsächlich durchgesetzt werden. Modifikationen der gesetzlichen Gewährleistung durch „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ oder durch die „Verdingungsordnungen für Bauleistungen - VOB“ oder ähnliche Regelungswerke („Leistungs- und Honorarordnung der Ingenieure - LHO“, „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure - HOAI“) sind unschädlich. k) Erfolgsorientierte Abrechnung Bei Werkverträgen wird in der Regel ein Pauschalpreis oder die Berechnung der Vergütung nach Einheitspreisen für Material- und Zeitaufwand, Aufmaß, Regiekosten oder ähnlichem vereinbart. Die Abrechnung nach Stundensätzen kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn objektiv feststellbare Tatsachen vorliegen, die einer Kalkulierbarkeit entgegenstehen oder wenn im Rahmen bestimmter Regelungswerke (z. B. HOAI) die Abrechnung nach Stundensätzen zugelassen wird. Auch in diesen Fällen deutet es aber auf Arbeitnehmerüberlassung hin, wenn nicht projektbezogen, sondern personenbezogen und periodisch (z. B. monatlich) abgerechnet wird. 10 Kapitel B: Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG Neben den zahlreichen bereits im AÜG vorhandenen Regelungen muss ab dem 1. April 2017 unter anderem besonders beachtet werden, dass Verleiher und Entleiher die Arbeitnehmerüberlassung zukünftig ausdrücklich als solche im schriftlichen Überlassungsvertrag zu bezeichnen haben, bevor sie den Leiharbeitnehmer24 tätig werden lassen (Bezeichnungspflicht in § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG). dass vor der Überlassung die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf den Vertrag konkretisiert werden muss (Konkretisierungspflicht in § 1 Abs. 1 Satz 6 AÜG). Praxishinweis: Ist zwar ein Werkvertrag vereinbart, werden die fremden Arbeitnehmer aber im Laufe des Einsatzes in die Betriebsorganisation eingegliedert und vom Auftraggeber bzw. den betrieblichen Führungskräften wie eigene Arbeitnehmer behandelt – ihnen insbesondere Weisungen erteilt, ist mit großer Wahrscheinlichkeit von Arbeitnehmerüberlassung auszugehen. Die neu eingeführte Bezeichnungs- und Konkretisierungspflicht führt in diesen Fällen zu einem erheblichen Risiko für Entleiher- und Verleiher, da die Verletzung der formalen Pflichten nun auch zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führt und Bußgelder drohen. Die „auf Vorrat“ vorgehaltene Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis (sog. Vorratserlaubnis) bietet keinen Schutz mehr vor dieser Rechtsfolge.25 dass direkt zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis bestehen muss, ein sog. Kettenverleih nun gesetzlich untersagt ist. dass für die Überlassung zudem zukünftig eine gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten nach § 1 Abs. 1b AÜG gilt und von dieser nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen durch Tarifvertrag oder darauf basierend in einer Betriebsvereinbarung abgewichen werden kann. dass trotz Anwendung eines Entgelttarifvertrages der Zeitarbeitsbranche grundsätz- lich gemäß § 8 AÜG nach neun Monaten der sog. Equal Pay Grundsatz gilt und davon nur durch Branchenzuschlagstarifverträge unter bestimmten Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt abgewichen werden kann. 24 Für die bessere Lesbarkeit des Textes werden entsprechend der EU-Leiharbeitsrichtlinie (2008/104/EG) die Begriffe Leiharbeitnehmer, Verleiher und Entleiher verwandt. 25 Kock in BeckOK (Beck'scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching 42. Edition), AÜG § 1 Rn. 24. 11 I. Voraussetzungen rechtmäßiger Arbeitnehmerüberlassung Mit § 1 AÜG in der neuen Fassung ergänzt der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Arbeitnehmerüberlassung, die ab dem 1. April 2017 wegen weitreichender Sanktionen unbedingt zu beachten sind. 1. Erlaubnis des Verleihers a) Erlaubnispflicht Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG bedürfen Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung) wollen, grundsätzlich einer Erlaubnis. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Verleiher Erwerbszwecke verfolgt. Die Gewerbsmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung ist keine Voraussetzung (mehr), sondern allein das Kriterium der „wirtschaftlichen Tätigkeit“. Eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vor, wenn Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt angeboten werden.26 Davon ist bei der Zurverfügungstellung von Personal regelmäßig auszugehen. Dies hat zur Folge, dass auch Verleiher, die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgen (z. B. karitative Unternehmen) sowie konzerninterne Verleihunternehmen die Arbeitnehmer zum „Selbstkostenpreis“ ohne Gewinnerzielungsabsicht überlassen und ausschließlich ihre Kosten konzernintern in Rechnung stellen, vom AÜG erfasst werden.27 Die Erlaubnis muss vor dem ersten Verleih vorliegen. Sie kann bei den Regionaldirektionen der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden, wobei überregional tätige Teams der Agenturen für Arbeit in Düsseldorf, Kiel oder Nürnberg zuständig sind.28 b) Ausnahme: Anzeigepflicht anstatt Erlaubnispflicht bei der sog. „Kollegenhilfe“ Anders als die Privilegien des § 1 Abs. 1a und Abs. 3 AÜG (siehe B. II.) befreit § 1a Abs. 1 AÜG Arbeitgeber nur von der Einholung einer Erlaubnis im Falle der sog. „Kollegenhilfe“ (Kleinunternehmerprivileg). Gemäß der Norm bedarf es keiner Erlaubnis, wenn ein Arbeitgeber mit weniger als 50 Beschäftigten zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen für höchstens 12 Monate Arbeitnehmer überlässt und die Arbeitnehmer nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt werden. Erforderlich ist jedoch eine vorherige Anzeige an die zuständige Regionaldirektion. Bei der „Kollegenhilfe“ finden darüber hinaus alle übrigen Vorgaben des AÜG Anwendung.29 c) Rechtsfolgen bei fehlender Erlaubnis Für den Fall einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis drohen sowohl dem Verleiher als auch dem Entleiher wie schon zur alten Rechtslage zahlreiche Konsequenzen. 26 EuGH v. 10.01.2006 – C-222/04. Küttner, Personalbuch 2016, Nr. 34, Rn. 12. 28 Broschüre „Informationen zur Arbeitnehmerüberlassung“ der Bundesagentur für Arbeit, 12/2015. 29 Kock in BeckOK, AÜG § 1a, Rn. 5. 27 12 aa) Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags und Fiktion des Beschäftigungsverhältnisses zum Entleihbetrieb Bei Arbeitnehmerüberlassung ohne erforderliche Erlaubnis wird der Leiharbeitnehmer kraft Gesetzes mit allen rechtlichen Konsequenzen Arbeitnehmer des Entleihers ab der Aufnahme der Tätigkeit (§ 10 AÜG). Der Arbeitsvertrag des Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher ist gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG unwirksam. Diese Folge tritt auch dann ein, wenn der Verleiher seine Arbeitgeberpflichten gegenüber dem Leiharbeitnehmer korrekt erfüllt. Wie das BAG bestätigte, knüpfen die Rechtsfolgen des § 10 AÜG – und damit auch des § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG – an die tatsächliche Überlassung des Arbeitnehmers beim Einsatzbetrieb und damit an die Erbringung von Arbeitsleistungen für den Einsatzbetrieb an.30 Der Eintritt der Rechtsfolgen der §§ 9, 10 AÜG hängt damit nicht vom Vertragsabschluss, sondern von dem (i. d. R. nachgelagerten) Zeitpunkt ab, ab dem der Leiharbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert ist und für diesen Arbeitsleistungen erbringt. Eine nachträgliche Erteilung der Erlaubnis hat hierbei keinen Einfluss auf die Unwirksamkeit und das kraft Gesetzes begründete Arbeitsverhältnis zum Entleiher.31 Ebenso unwirksam ist neben dem Arbeitsvertrag zum Verleiher der Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher. Praxishinweis: Diese Regelung ist nicht vertraglich abdingbar.32 Die Fiktion tritt auch unabhängig vom Willen oder von der Kenntnis des Verleihers und des Entleihers ein, d.h. auch dann, wenn beide der Auffassung sind, es handele sich um einen Werk- oder Dienstvertrag und nicht um unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung. bb) Ausnahme von der Unwirksamkeit: Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers Der Leiharbeitnehmer kann sich von dem kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnis durch eine sog. Festhaltenserklärung wieder lösen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). Dafür muss er innerhalb eines Monats nach Beginn der Überlassung gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher schriftlich erklären, dass er an dem Vertrag mit dem Verleiher festhalten will (Festhaltenserklärung). Ein im Vorfeld abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam (§ 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG). (1) Weitere Formale Voraussetzungen Hierfür müssen nach § 9 Abs. 2 AÜG folgende Voraussetzungen gewahrt sein: der Leiharbeitnehmer muss die Erklärung persönlich einer Agentur für Arbeit vorlegen (Nr. 1), die Agentur für Arbeit muss die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versehen, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat (Nr. 2) und die Erklärung muss spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Verleiher oder dem Entleiher zugehen (Nr. 3). 30 BAG v. 20.01.2016 – 7 AZR 535/13. LAG Schleswig-Holstein v. 19.07.2012 – 5 Sa 474/11. 32 BAG v. 19.03.2003 – 7 AZR 267/02. 31 13 Praxishinweis: Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorlage der Festhaltenserklärung bei der Agentur für Arbeit automatisch zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens führt, da die Arbeitsagenturen gemäß § 17 Abs. 1 AÜG die zuständige Verfolgungsbehörde für die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 16 AÜG ist (hier konkret § 16 Abs. 1 Nr. 1a AÜG). Im jeweiligen Einzelfall kann deshalb erwogen werden, einen Aufhebungsvertrag mit dem betroffenen Arbeitnehmer abzuschließen (siehe B. I. 1. c) cc)). (2) Fristablauf Für den Zugang der Festhaltenserklärung an den Verleiher oder den Entleiher ist der Leiharbeitnehmer verantwortlich, „dem es damit obliegt, die einzuhaltende Monatsfrist zu wahren“.33 Unklar ist derzeit, ob die Monatsfrist unabhängig von der Kenntnis des Leiharbeitnehmers abläuft. Der Gesetzeswortlaut spricht für einen solchen rein objektiven Fristenlauf.34 Der Sinn und Zweck dieser Festhaltenserklärung spricht hingegen eindeutig gegen einen rein objektiven Fristenlauf. Ausweislich der Gesetzesbegründung35 soll damit die Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers nach Art. 12 des Grundgesetzes geschützt werden. Auch dem Verjährungsrecht ist beispielsweise eine subjektive Kenntnis für den Fristenlauf gemäß § 199 BGB bekannt. Ein Freiheitsrecht in diesem Sinne kann nur gewahrt sein, wenn es von der Kenntnis des zu Schützenden ausgeht. Rechtssicher lässt sich diese Frage jedoch derzeit nicht beantworten. Praxishinweis: Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG ist eine vor Beginn der Frist abgegebene Festhaltenserklärung unwirksam. Eine solche Erklärung des Leiharbeitnehmers kann also nicht vorab und hilfsweise erklärt werden und ist nur über die Beteiligung der Arbeitsagentur wirksam. (3) Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse Während der Monatsfrist bzw. bis zum Zugang der wirksamen Festhaltenserklärung entsteht mit dem Entleiher kraft Gesetzes ein Arbeitsvertrag; der Arbeitsvertrag zum Verleiher ist unwirksam. Praxishinweis: Der Einsatz im Entleiherbetrieb muss mit dem Tag des Eingangs der Festhaltenserklärung sofort beendet werden. Sofern auch weiterhin keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorliegt, stehen eine Weiterbeschäftigung oder ein erneuter Einsatz aufgrund der § 9 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AÜG unter der Sanktion der §§ 9, 10 AÜG. Für den Fall der Fortführung des Einsatzes im Entleiherbetrieb wird das Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher erneut unwirksam und ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher erneut fingiert. Für diesen Fall steht dem Leiharbeitnehmer aber das sog. Festhaltensrecht nicht mehr zu.36 Zwischen dem Verleiher und dem Entleiher müssen Informationswege sichergestellt werden, die eine sofortige gegenseitige Information über den Zugang einer solchen Festhaltenserklärung sicherstellen. 33 Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/10064 v. 19.10.2016, S. 15. Motz in BeckOK, AÜG § 10, Rn. 1.4. 35 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 25. 36 Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/10064 v. 19.10.2016, S. 15. 34 14 Es stellt sich die Frage, ob durch die wirksame Erklärung des Festhaltenswillens die Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher rückwirkend wieder aufgehoben wird.37 Ebenso stellt sich die Frage, ob gleichzeitig die Fiktionswirkung zum Entleiher rückwirkend – also ex-tunc entfällt, so dass ein temporäres Arbeitsverhältnis zum Entleiher nicht rückabgewickelt werden muss. Für eine solche Rückwirkung der Festhaltenserklärung spricht der Gesetzeswortlaut und der Sinn und Zweck. Dem Leiharbeitnehmer soll die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Arbeitsverhältnis zum Verleiher ohne jede Veränderung festzuhalten. Das ist rein sprachlich nicht mit einer Unterbrechung dieses Vertragsverhältnisses verbunden. Zudem ist der Leiharbeitnehmer durch eine solche ex-tunc-Wirkung aufgrund des Weiterbestehens seines Arbeitsvertrags mit dem Verleiher nicht schutzlos gestellt. Außerdem spricht für eine Rückwirkung der Festhaltenserklärung der Vergleich zum ebenfalls rückwirkenden Widerspruch des § 613a BGB.38 In beiden Fällen entspricht die Rückwirkung am besten der Interessenslage des Betroffenen, dessen Wille es gerade ist, keinerlei Rechtsbeziehungen zu einem anderen Arbeitgeber einzugehen, sondern bei seinem „alten Arbeitgeber“ zu verbleiben. Damit wird dem durch Art. 12 GG geschützten Wahlrecht des Arbeitnehmers entsprochen. Mangels eindeutiger Gesetzesfassung oder einschlägiger Rechtsprechung, lässt sich auch diese Frage nicht abschließend rechtssicher beantworten. Praxishinweis: Der Fortfall der Fiktionswirkung zum Entleiher lässt jedoch nicht die gesamtschuldnerische Haftung des Entleihers für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV entfallen (siehe B. III), § 9 Abs. 3 Satz 4 AÜG. cc) Grundsatz des unbefristeten Arbeitsverhältnisses War die Tätigkeit des Arbeitnehmers bei dem Entleiher nicht befristet vorgesehen oder fehlt ein für die Befristung sachlich rechtfertigender Grund, läuft das Arbeitsverhältnis beim Entleiher unbefristet und kann nur durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG). Ausnahmsweise kann nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG auch ein nur befristetes Arbeitsverhältnis fingiert sein, wenn der Einsatz befristet vorgesehen war und ein die Befristung sachlich rechtfertigender Grund vorlag. Da die Einsätze der Leiharbeitnehmer wegen der Überlassungshöchstdauer immer befristet vorgesehen sein werden, ist insbesondere maßgeblich, ob daneben ein Sachgrund vorlag. Die Prüfung des Sachgrundes knüpft an die Tatbestände des § 14 Abs. 1 TzBfG an. 39 Praxishinweis: Da ab dem ersten Einsatztag ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert wird, kann die sechsmonatige Wartezeit des § 1 KSchG abgelaufen sein. In diesem Fall greift der Schutz des KSchG, so dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss (Gründe in der Person, im Verhalten oder dringende betriebliche Gründe). Aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit kommt ein Aufhebungsvertrag in Betracht, wenn auch der Leiharbeitnehmer kein Interesse an einem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher hat. 37 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 25. Hierzu BAG v. 13.07.2006 – 8 AZR 305/05. 39 Henssler/Willemsen/Kalb, § 10 AÜG, Rn. 9. 38 15 Um wegen des formalen Verfahrens zur Festhaltenserklärung den Verdacht eines nach § 134 BGB unwirksamen Umgehungsgeschäftes zu vermeiden, sollte kein dreiseitiger Vertrag mit Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer geschlossen werden.40 dd) Arbeitsverhältnis in Teilzeit? Bisher rechtlich ungeklärt ist der Fall, dass der Leiharbeitnehmer regelmäßig nur tageweise beim Entleiher tätig wird, z. B. wegen abwechselnder Einsätze in mehr als einem Unternehmen. Es stellt sich die Frage, ob auch ein Teilzeitarbeitsverhältnis zu einem Entleiher entstehen kann. Beispiel Ein Zulieferer schickt seinen Mitarbeiter zur Lagerhaltung seiner Kleinteile, montags und dienstags zu Kundenbetrieb A sowie mittwochs und donnerstags in Kundenbetrieb B. Freitags ist die Kontrolle und Dokumentation der einzelnen Lagerbestände beim Arbeitgeber vorgesehen. Im Kundenbetrieb A wird entgegen der vertraglichen Absprachen der Mitarbeiter wie ein eigener Mitarbeiter behandelt und erhält Weisungen von den dortigen Führungskräften. Der Einsatz beim Kundenbetrieb A wird als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung ohne die erforderliche Erlaubnis eingestuft. Eine rechtliche Klärung dieser Frage ist bislang nicht erfolgt. Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass zumindest zu demjenigen Unternehmen ein Arbeitsverhältnis entsteht, in dem die Vorschriften der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne der §§ 9, 10 AÜG verletzt wurden. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der „fingierten“ vertraglichen Arbeitszeit sprechen gute Argumente dafür, dass die Dauer der Arbeitszeit sich dabei nach den Regelungen der Überlassungsverträge/des Überlassungsvertrags richtet; also ein Teilzeitarbeitsverhältnis fingiert wird. Aus der Einschränkung zur Befristung in § 10 Abs. 1 S. 2 AÜG kann entnommen werden, dass der Gesetzgeber das fingierte Arbeitsverhältnis auch von den tatsächlichen Verhältnissen abhängig machen wollte. Aus Sicht des (vermeintlichen) Verleihers kann eine Sanktion ihn nur insoweit treffen, wie rechtswidriges Verhalten vorwerfbar ist. Der Verleiher verliert sonst einen Mitarbeiter vollständig, obwohl das Vertragsverhältnis zu ihm nur teilweise rechtswidrig durchgeführt wurde. Praxishinweis: Gegebenenfalls ist es zweckmäßig, mit dem „ehemaligen Leiharbeitnehmer“ eine schriftliche Vereinbarung über die Begründung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses zu treffen, in dem die von dem Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit fixiert ist. ee) Arbeitsbedingungen Folge der Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis ist zudem, dass sich der Inhalt des fingierten Arbeitsverhältnisses, insbesondere die Höhe des Arbeitsentgelts, nach den für den Betrieb des Entleihers geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen (§ 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG) richten. Der Arbeitnehmer hat hierbei mindestens Anspruch auf das mit dem Verleiher vereinbarte Arbeitsentgelt (§ 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG). Dabei ist der Begriff des Arbeitsentgelts weit zu verstehen. Darunter fallen Entgelt, Urlaubsgeld, Provision und Auslösung sowie Sachleistungen.41 40 41 BAG v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04 zu § 613a BGB. ErfK/Wank, AÜG, § 10, Rn. 13. 16 Die für den Entleiherbetrieb geltenden tariflichen Entgeltregelungen sind anzuwenden, wenn Leiharbeitnehmer und Entleiher tarifgebunden sind, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Ohne tarifvertragliche Regelung bemisst sich das Gehalt nach dem, was ein Stammarbeitnehmer mit vergleichbarer Tätigkeit im Betrieb erhält, ansonsten nach dem Arbeitsentgelt von Stammarbeitnehmern in vergleichbaren Betrieben. Ist in dem Entleiherbetrieb die Anwendung der tariflichen Arbeitsbedingungen über eine sog. Bezugnahmeklausel üblich, so ist die tarifliche Vergütung auch ohne beiderseitige Tarifbindung maßgeblich. Ebenso kommen alle jeweils einschlägigen Betriebsvereinbarungen zur Anwendung und etwaige Ansprüche aufgrund betrieblicher Übung im Entleihbetrieb bestehen ebenfalls. Praxishinweis: Es empfiehlt sich, für die Rechtsklarheit in dem unvermeidbaren Fall eines fingierten Arbeitsverhältnisses mit dem „neuen“ Mitarbeiter einen Arbeitsvertrag mit den vergleichbaren Konditionen eines (Stamm-)Beschäftigten im Entleiherbetrieb abzuschließen; zumal der „neue“ Mitarbeiter nach § 2 Abs. 1 NachwG einen entsprechenden Anspruch auf Nachweis seiner Arbeitsbedingungen hat.42 Zu beachten ist, dass es für die Vergangenheit in der Regel um Entgeltdifferenzansprüche geht, da der Verleiher dem Leiharbeitnehmer ein Entgelt ausgezahlt43 hat. Rückwirkend muss die Differenz zwischen dem bereits durch den Verleiher gezahlten Entgelt und dem tatsächlichen einem Stammarbeitnehmer mit vergleichbarer Tätigkeit zustehenden Entgelt gezahlt werden. ff) Ausschlussfristen und Verjährung (1) Ausschlussfrist Soweit der Leiharbeitnehmer Entgeltdifferenzansprüche für die Vergangenheit geltend macht, können ggf. beim Entleiher anzuwendende tarifliche Ausschlussfristen greifen. Allerdings setzt die Anwendung der tariflichen Ausschlussfristen beidseitige Tarifbindung voraus. Zudem wird vertreten, dass die Ausschlussfristen erst dann beginnen, sobald die Arbeitgeberstellung des Entleihers gegenüber dem Arbeitnehmer klargestellt worden ist.44 Vertragliche Ausschlussfristen kommen mangels vertraglicher Grundlage nicht in Betracht. Solche Fristen finden auch nicht über den Grundsatz der gleichen Arbeitsbedingungen nach § 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG Anwendung.45 (2) Verjährung Unabhängig vom Bestehen einer Ausschlussfrist kann sich der Entleiher auf die Verjährung berufen. Diese richtet sich nach den §§ 194 ff. BGB. Es gilt nach § 195 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist ergibt sich wiederum aus § 199 BGB. Der Lauf der regelmäßigen Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von dem den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. 42 Boemke/Lembke, § 10 AÜG, Rn. 47. BGH v. 08.11.1979 – VII ZR 337/78. 44 BAG v. 27.07.1983 – 5 AZR 194/81. 45 BAG v. 23.03.2011 – 5 AZR 7/10. 43 17 gg) Geldbuße gemäß AÜG / Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG), Strafbarkeit Im Entleiherbetrieb kann sowohl dem unmittelbar Verantwortlichen als auch dem Betriebsinhaber, den Mitgliedern des Vorstandes oder der Geschäftsführung, den vertretungsberechtigten Gesellschaftern (einer Personengesellschaft) oder sonstigen für den Personaleinsatz verantwortlichen Führungskräften, wenn ihnen eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorgeworfen werden kann, eine Geldbuße gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 und Abs. 2 AÜG, §§ 9, 130 OWiG auferlegt werden (Einsatz ohne Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis bis zu 30.000 Euro, Einsatz ausländischer Leiharbeitnehmer ohne entsprechende Erlaubnis bis zu 500.000 Euro). Zudem wird der von dem Unternehmen durch die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung erlangte Vermögensvorteil durch eine Geldbuße abgeschöpft (vgl. §§ 30, 17 Abs. 4 OWiG), was teilweise aufgrund überhöhter Schätzungen geschieht und daher zu empfindlichen wirtschaftlichen Einbußen führen kann. Außerdem erfolgt eine Eintragung in das Gewerbezentralregister (§ 149 Abs. 2 Nr. 3 Gewerbeordnung). Eine solche Eintragung kann auch zur Folge haben, dass die Firma keine öffentlichen Aufträge mehr erhält. Zu denken ist unter Umständen auch an § 266a StGB, der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Nach Abs. 1 wird bestraft, wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorsätzlich vorenthält. Nach Abs. 2 wird der Arbeitgeber ebenso bestraft, wenn er der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Abgaben macht (Nr.1) oder die zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (Nr. 2). Praxishinweis: Zur Vermeidung einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung empfiehlt es sich, vom Verleiher den Nachweis der Erlaubnis durch Vorlage der Originalurkunde oder Aushändigung einer beglaubigten Kopie zu verlangen. In Zweifelsfällen – etwa bei Vorlage nur einer unbeglaubigten Kopie – sollte bei der zuständigen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit nachgefragt werden. In jedem Fall muss der Verleiher im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag ausdrücklich bestätigen, dass er die Erlaubnis besitzt (§ 12 Abs. 1 Satz 3 AÜG). Er hat den Entleiher unverzüglich über den Zeitpunkt des Wegfalls der Erlaubnis zu unterrichten (§ 12 Abs. 2 AÜG). Verfügt der Verleiher nur über eine befristete Erlaubnis und sollen nach Ablauf der Frist erneut Arbeitnehmer von ihm entliehen werden, muss darauf geachtet werden, dass er zuvor die Verlängerung der Erlaubnis nachweist. Für im Zeitpunkt des Erlöschens der Erlaubnis bereits abgeschlossene Arbeitnehmerüberlassungsverträge gilt die Erlaubnis während einer Dauer von 12 Monaten als fortbestehend, wenn der Antrag auf Verlängerung abgelehnt wude (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 4 AÜG). Kein oder ein verspäteter Verlängerungsantrag ist wie ein Neuantrag zu behandeln46, sodass im Falle der Verspätung die zwölfmonatige Abwicklungsfrist des Abs. 4 S. 4 keine Anwendung findet47. hh) Haftung für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer Der Entleiher haftet auf der Grundlage des fingierten Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 AÜG für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV. 46 47 Thüsing/Kämmerer, § 2 AÜG, Rn. 21. Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit AÜG vom 20.01.2016, S. 39, Ziff. 2.4, Abs. 9. 18 Es entsteht jedoch ein Gesamtschuldverhältnis mit dem Verleiher bezüglich des auf das Arbeitsentgelt zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrages gemäß § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV, soweit der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt gezahlt hat. Zahlt der Verleiher kein Arbeitsentgelt, so obliegt die Zahlungspflicht ausschließlich dem Entleiher.48 Praxishinweis: Der Entleiher haftet im Gesamtschuldverhältnis nur (noch) für den „offenen“ Sozialversicherungsbeitrag. Dieser wird sich im Regelfall aus der das ursprüngliche Entgelt übersteigenden Entgeltdifferenz errechnen. Die gesamtschuldnerische Haftung ist auch dann vom Gesetzgeber angeordnet, wenn der Leiharbeitnehmer der Fiktion des Arbeitsverhältnisses nach § 9 AÜG wirksam durch eine sog. Festhaltenserklärung widersprochen hat (§ 9 Abs. 3 Satz 4 AÜG).49 Bei der Lohnsteuer trifft den Entleiher eine nachrangige Ausfallhaftung für die Zahlungen des Verleihers als ursprünglicher Arbeitgeber, vgl. § 42d Abs. 6 EStG.50 Weiterführende Ausführungen siehe B. III. 2. Anforderungen an die Überlassung und den Überlassungsvertrag a) Schriftform Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bedarf der Schriftform (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Schriftform verlangt nach § 126 Abs. 2 BGB, dass der Vertrag durch die Parteien auf derselben Urkunde eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet wird. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden erstellt, so genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Schriftform kann gemäß § 126 Abs. 3 BGB entweder durch die elektronische oder gem. § 126 Abs. 4 BGB durch die notarielle Beurkundung ersetzt werden. Praxishinweis: Bei elektronischen Systemen ist darauf zu achten, dass die Form des § 126a BGB gewahrt wird; entsprechende Systeme bedürfen daher der elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz. b) Inhalt des Vertrags Der Entleiher muss in der Vertragsurkunde erklären, welche besonderen Merkmale die für den Leiharbeitnehmer vorgesehene Tätigkeit hat welche berufliche Qualifikation dafür erforderlich ist und welche wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts für einen vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers gelten (§ 12 Abs. 1 Satz 4 AÜG); diese Pflichtangabe entfällt, wenn ein Entgelttarifvertrag der Zeitarbeitsbranche zur Anwendung kommt (§ 12 Abs. 1 Satz 4 a. E. AÜG). 48 KassKomm/Wehrhahn, SGB IV § 28e Rn. 22. Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/10064 v. 19.10.2016, S. 15. 50 § 42d Abs. 6 EStG spricht nur von Arbeitnehmerüberlassung „im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist“. Eine Anpassung des § 42d Abs. 6 EStG erfolgte im Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze nicht. 49 19 Praxishinweis: Für den Einzelfall, dass durch den Verleiher kein anwendbarer Entgelttarifvertrag der Zeitarbeitsbranche im Sinne von § 8 Abs. 4 AÜG zur Anwendung gebracht wird (siehe B. I. 5.), ist der Verleiher zur Feststellung seiner konkreten Equal Pay Entgeltverpflichtungen auf Information durch den Entleiher angewiesen. Es bestehen für den Entleiher insofern Haftungsrisiken, dass er vom Verleiher für Schäden in Regress genommen werden kann, die letzterem aufgrund der unzureichenden Information entstehen Bei der Gestaltung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages sollten deshalb Haftungsrisiken für den Entleiher genau geprüft werden. Dies ist insbesondere geboten, weil die Rechtsbegriffe des vergleichbaren Arbeitnehmers, aber insbesondere des vergleichbaren Arbeitsentgelts nicht abschließend geklärt sind und eine erhebliche Rechtsunsicherheit hervorrufen. Der Vertragsschluss mit einem tarifgebundenen und tarifanwendenden Verleiher minimiert dieses Risiko erheblich. c) Offenlegungspflichten im Rahmen der Überlassung für Entleiher Durch § 1 Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 AÜG hat der Gesetzgeber Offenlegungspflichten für den Entleiher und den Verleiher eingeführt. Ziel ist es, eine missbräuchliche Gestaltung des Fremdpersonaleinsatzes in Form der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern. Ausdrücklich sollen hierdurch die Fälle der „Verleihlaubnis auf Vorrat“ sanktioniert werden.51 Für eine Arbeitnehmerüberlassung ohne das Fiktionsrisiko haben Verleiher und Entleiher den Vertrag vor der Überlassung als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen und die Person des Leiharbeitnehmers vor der Überlassung zu konkretisieren. aa) Bezeichnung als Arbeitnehmerüberlassung Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG müssen Verleiher und Entleiher die Überlassung von Leiharbeitnehmern im Überlassungsvertrag vor der Überlassung oder dem TätigwerdenLassen ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnen. Da der Überlassungsvertrag schriftlich gemäß § 12 Abs. 1 AÜG abzuschließen ist, gilt das Schriftformerfordernis auch für diese Bezeichnungspflicht. Hierdurch ist ein Wechsel vom Werk-/ Dienstvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung (mit einer „Vorratserlaubnis“) nicht mehr möglich. Praxishinweis: Im schriftlichen Überlassungsvertrag muss daher ausdrücklich die Bezeichnung Arbeitnehmerüberlassung aufgenommen werden. Es empfiehlt sich, Prozesse zu etablieren, die die formgerechte Verfassung des Überlassungsvertrags sicherstellen. Eine besondere Prüfung ist für master-vendor-Systeme zu empfehlen. In einem solchen System übernimmt ein Verleiher als Master die Steuerung mehrerer Verleiher für den Entleiher. Der Master koordiniert die individuellen Kundenwünsche und übernimmt die gesamte Kommunikation mit den verschiedenen Verleihern. Hier muss die Schriftform und die Bezeichnung des Überlassungsvertrages zwischen dem tatsächlichen Verleiher und dem Entleiher vor dem Einsatz beachtet werden und nicht zwischen dem sog. Master und dem Entleiher. Wegen des Gesetzeswortlauts und dem Inkrafttreten am 1. April 2017 ist davon auszugehen, dass diese Bezeichnungspflicht nur für Neuverträge ab dem 1. April 2017 gilt. Rechtssicher lässt sich eine Überprüfung aller Altverträge nicht auszuschließen. 51 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 19; Bissels, DB 2017, 246. 20 Praxishinweis: Wegen dieser ungeklärten Rechtslage ist aufgrund einer innerbetrieblichen Risikoabwägung zu entscheiden, ob gleichwohl sämtliche laufenden Arbeitnehmerüberlassungsverträge auf diese Bezeichnungspflicht hin überprüft werden sollen und ggf. vor dem 1. April 2017 die Bezeichnung nachgeholt werden soll. bb) Konkretisierung des Leiharbeitnehmers vor der Überlassung Ferner haben Verleiher und Entleiher gemeinsam die Person des Leiharbeitnehmers vor der Überlassung unter Bezugnahme auf den Überlassungsvertrag zu konkretisieren (§ 1 Abs. 1 Satz 6 AÜG). Hintergrund der Regelung ist, dass auch bei Rahmenverträgen zwar der Vertrag als Arbeitnehmerüberlassung bezeichnet wird, aber die Person des Leiharbeitnehmers erst später konkretisiert wird. Diese Vertragsgestaltung soll einerseits weiterhin möglich sein und andererseits durch die Konkretisierungspflicht Klarheit auch im Hinblick auf die Person des Leiharbeitnehmers geschaffen werden. 52 Praxishinweis: Es sollte bei der Konkretisierung der Person des Leiharbeitnehmers auf einen ausdrücklichen Bezug zum Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geachtet werden („ … unter Bezugnahme auf den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vom … (AZ …..) wird Ihnen Herr /Frau …. [vgl. Anlagen] überlassen.“) Das erscheint zwar als bloße Formalie, der Gesetzestext verlangt es aber. Eingesetzte Leiharbeitnehmer müssen vor der Überlassung durch den Verleiher und Entleiher bestimmt werden. Sofern ein Leiharbeitnehmer im Einzelfall nicht überlassen werden kann – beispielsweise aufgrund Krankheit – entfällt die Überlassungsschuld des Verleihers gegenüber dem Entleiher nicht. Der ersatzweise überlassene Leiharbeitnehmer muss aufgrund § 1 Abs. 1 Satz 6 AÜG dann erneut – und zwar vor der Überlassung – konkretisiert werden.53 Sofern kein Rahmenvertrag vorliegt, sondern nur ein bestimmter Leiharbeitnehmer im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet ist, kann die Konkretisierungspflicht vor der Überlassung als gewahrt angesehen werden, da eine erneute „klarstellende“ Konkretisierung eine „bloße Förmelei“ darstellen würde.54 Die Konkretisierung hat zwischen Verleiher und Entleiher „unter Bezugnahme auf den Überlassungsvertrag“ zu geschehen. Nicht klar ist, ob die Konkretisierung eine Nebenabrede zum Überlassungsvertrag darstellt und damit der Schriftform nach § 12 AÜG i .V. m. § 126 BGB unterfällt. Allein eine Missachtung der formwahrenden Konkretisierung könnte den Bußgeldtatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 1c AÜG („nicht richtig konkretisiert“) auslösen. Praxishinweis: Nur wenn die Bundesagentur für Arbeit als zuständige Aufsichtsbehörde keine Schriftform für die Konkretisierung verlangt, entfällt das Bußgeldrisiko. Eine Nichtigkeit des Überlassungsvertrages und ein fingiertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher drohen nur, wenn sowohl die Bezeichnungspflicht als auch die Konkretisierungspflicht kumulativ verletzt werden (siehe B. I. 2. b) cc) (2)). 52 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 19/20. Motz in BeckOK, AÜG, § 12, Rn. 3.3. 54 Motz in BeckOK, AÜG, § 12, Rn. 3.2. 53 21 Gegen die Schriftform spricht, dass die Konkretisierung eine bloße Leistungsbezeichnung und keine Nebenabrede darstellt. Auch der Sinn und Zweck der Konkretisierung, nämlich die Bekämpfung verdeckter Arbeitnehmerüberlassung,55 verlangt die Wahrung der Schriftform nach § 126 BGB nicht. Ein solcher Zweck kann auch durch bloße Textform i. S. d. § 126b BGB oder durch eine zumindest nachweisbare Konkretisierung (Dokumentation) erreicht werden. Praxishinweis: Aufgrund der Rechtsunsicherheit lässt sich nicht ausschließen, dass die Rechtspraxis die Konkretisierung zukünftig der Schriftform des § 126 BGB unterwirft. Ergibt eine innerbetriebliche Risikoabwägung, dass in diesem Punkt Rechtssicherheit angestrebt werden soll, empfiehlt es sich derzeit, die Konkretisierung schriftlich nach § 126 BGB vorzunehmen. Entleiher und Verleiher sollten dann die Konkretisierung (durch vertretungsberechtigte Bevollmächtigte) auf einer gemeinsamen Urkunde unterzeichnen. In der Praxis kann ggf. der Leiharbeitnehmer mit einer bereits vom Verleiher unterzeichneten Urkunde im Personalbüro des Entleihers vorstellig werden, wo die Urkunde gegengezeichnet wird. Erst dann wird dem Leiharbeitnehmer sein konkreter Arbeitsplatz zugewiesen und er beginnt mit seiner Tätigkeit im Entleiherbetrieb. Bei master-vendor-Systemen muss in Zukunft sichergestellt werden, dass die Konkretisierung vor dem Einsatz zwischen dem tatsächlichen Verleiher und dem Entleiher erfolgt und nicht zwischen dem sog. Master und dem Entleiher. Ebenfalls unklar ist, ob diese Konkretisierungspflicht nur für Neuverträge ab dem 1. April 2017 gilt. Für laufende Überlassungsverträge und Überlassungen mit konkret eingesetzten Leiharbeitnehmern spricht der Gesetzeswortlaut („vor der Überlassung“) und das Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April 2017 gegen eine nachzuholende Konkretisierung in laufenden Altverträgen. Praxishinweis: Wegen dieser ungeklärten Rechtslage sollte nach einer innerbetrieblichen Risikoabwägung entschieden werden, ob ggf. sämtliche laufenden Arbeitnehmerüberlassungsverträge auf eine ordnungsgemäße Konkretisierung zu überprüfen sind und ggf. vor dem 1. April 2017 die Konkretisierung nachzuholen ist. Im Hinblick auf schon bestehende Rahmenverträge, aufgrund derer ab dem 1. April 2017 Leiharbeitnehmer überlassen werden, ist die Konkretisierungspflicht jedoch zu beachten. Der Rahmenvertrag sollte ab dem 1. April 2017 vorsorglich auch den Begriff „Arbeitnehmerüberlassung“ enthalten. cc) Rechtsfolgen bei Verletzung der Offenlegungspflichten Durch die Offenlegungspflichten wird das Risiko des Abschlusses von Dienst- und Werkverträgen erhöht, da Abgrenzungsschwierigkeiten zukünftig dazu führen können, dass neben anderen Sanktionen ein Arbeitsverhältnis zum Einsatzbetrieb entsteht. Bei den Rechtsfolgen ist wie folgt zu unterscheiden: 55 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 19 f. 22 (1) Alternative Verletzung der Bezeichnungs- (Satz 5) oder der Konkretisierungspflicht (Satz 6) Bei alternativer Verletzung der Bezeichnungs- oder Konkretisierungspflicht kann gegen den Entleiher ein Bußgeld bis zu 30.000 EUR erhoben werden (§§ 16 Abs. 1 Nr. 1c und/oder d, Abs. 2 AÜG i. V. m. §§ 9, 130 OWiG). Die Verhängung eines 200 Euro übersteigenden Bußgelds ist nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO in das Gewerbezentralregister einzutragen. Die Verletzung der Bezeichnungspflicht begründet einen Formmangel im Sinne der §§ 125, 139 BGB. Dieser hat im Zweifel die zivilrechtliche Nichtigkeit des Überlassungsvertrags zur Folge.56 Diese Nichtigkeit betrifft dann allein das Rechtsverhältnis zwischen Verleiher und Entleiher. Ob ein solcher Formmangel auch bei der Verletzung der Konkretisierungspflicht angenommen werden kann, hängt davon ab, ob man die Pflicht aus Satz 6 dem Schriftformerfordernis nach § 12 AÜG i. V. m. § 126 BGB unterwirft oder nicht (siehe B. I. 2. c) bb)). (2) Kumulative Verletzung der Bezeichnungs- (Satz 5) und der Konkretisierungspflicht (Satz 6) (a) Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher Die kumulative Verletzung der Bezeichnungs- und Konkretisierungspflicht führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG zur Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher unter gleichzeitiger Fiktion eines grundsätzlich unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher (§ 10 Abs. 1 AÜG). Das Arbeitsverhältnis entsteht dabei rückwirkend zum Zeitpunkt der Überlassung. Ausnahmsweise kann nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG auch ein nur befristetes Arbeitsverhältnis fingiert sein, wenn der Einsatz befristet vorgesehen war und ein die Befristung sachlich rechtfertigender Grund vorlag. Insbesondere maßgeblich ist, ob ein Sachgrund daneben vorlag. Die Prüfung des Sachgrundes knüpft an die Tatbestände des § 14 Abs. 1 TzBfG an. 57 Es richtet sich nach den geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen für den Betrieb des Entleihers. Da der Verleiher den Leiharbeitnehmer bezahlt hat, werden Zahlungen für die Vergangenheit i. d. R. Entgeltdifferenzansprüche betreffen. Rückwirkend muss damit die Differenz zwischen dem bereits durch den Verleiher gezahlten Entgelt und dem tatsächlichen einem Stammarbeitnehmer mit vergleichbarer Tätigkeit zustehenden Entgelt gezahlt werden (siehe B. I. 1. c).58 Praxishinweis: Da rückwirkend ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher fingiert wird, kann es wie bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung vorkommen, dass bereits die sechsmonatige Wartezeit des § 1 KSchG abgelaufen ist. Eine Kündigung müsste dann aus betriebs-, verhaltens- oder personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sein. Aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit kommt ein Aufhebungsvertrag in Betracht, wenn auch der Leiharbeitnehmer kein Interesse an einem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher hat. Um wegen des formalen Verfahrens zur Festhaltenserklärung den Verdacht eines nach § 134 BGB unwirksamen Umgehungsgeschäftes zu vermeiden, sollte kein dreiseitiger Vertrag mit Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer geschlossen werden.59 56 Brors in Schüren, AÜG, § 12, Rn.12. Henssler/Willemsen/Kalb, § 10 AÜG, Rn. 9. 58 BGH v. 08.11.1979 – VII ZR 337/78. 59 BAG v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04 zu § 613a BGB. 57 23 (b) Ausnahme von der Unwirksamkeit: Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers Der Leiharbeitnehmer kann sich von dem kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnis durch eine sog. Festhaltenserklärung wieder lösen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG). Dafür muss er innerhalb eines Monats nach Beginn der Überlassung gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher schriftlich erklären, dass er an dem Vertrag mit dem Verleiher festhalten will (Festhaltenserklärung). Ein im Vorfeld abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam (§ 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG). Praxishinweis: Für den Fall, dass ein sorgfältig gestalteter Werk-/Dienstvertrag vereinbart wurde und dieser im Laufe der Zeit in der betrieblichen Praxis jedoch nicht korrekt durchgeführt wurde, insbesondere das Fremdpersonal eingegliedert und ihnen arbeitsrechtliche Weisungen erteilt wurden, kann auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung angenommen werden. Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht dann ein Arbeitsverhältnis zum Einsatzbetrieb/Entleiher kraft Gesetzes (§ 10 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AÜG), da der Vertrag nicht als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet wurde und der Beschäftigte nicht unter Bezugnahme auf einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag konkretisiert wurde. Zwar beginnt dann auch erst ab diesem Zeitpunkt die Monatsfrist, dieser Zeitpunkt wird sich jedoch in der Praxis nur sehr schwer ermitteln lassen. Ob im Einzelfall die Monatsfrist abgelaufen ist, kann dann nur schwer beurteilt werden. Deshalb empfiehlt sich eher der Weg über einen Aufhebungsvertrag, wenn der „neue Mitarbeiter“ kein Interesse an einem Arbeitsvertrag zum Einsatzbetrieb/Entleiher hat (siehe B. I. 1. c)). Für die Festhaltenserklärung müssen nach § 9 Abs. 2 AÜG zusätzlich folgende Voraussetzungen gewahrt sein: der Leiharbeitnehmer muss die Erklärung persönlich einer Agentur für Arbeit vorlegen (Nr. 1), die Agentur für Arbeit muss die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versehen, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat (Nr. 2) und die Erklärung muss spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Verleiher oder dem Entleiher zugehen (Nr. 3). Praxishinweis: Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorlage der Festhaltenserklärung bei der Agentur für Arbeit automatisch zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens führt, da die Arbeitsagenturen gemäß § 17 Abs. 1 AÜG die zuständige Verfolgungsbehörde für die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 16 AÜG ist (hier konkret § 16 Abs. 1 Nr. 1c und 1d AÜG). Im jeweiligen Einzelfall kann deshalb erwogen werden, einen Aufhebungsvertrag mit dem betroffenen Arbeitnehmer abzuschließen (vgl. Kapitel B I. 1. c) cc)). Für die Fragen zum Fristenlauf, dem weiteren Einsatz des Leiharbeitnehmers und zur Wirkung einer solchen Festhaltenserklärung wird auf die Ausführungen zur unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung verwiesen (siehe B. I. 1. c) bb)). Praxishinweis: Der Einsatz im Entleiherbetrieb muss mit dem Tag des Eingangs der Festhaltenserklärung sofort beendet werden. Eine Weiterbeschäftigung oder ein erneuter Einsatz stehen aufgrund des § 9 Abs. 3 S. 2 AÜG unter der Sanktion der §§ 9, 10 AÜG. 24 Für den Fall der Fortführung der Beschäftigung wird das Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher erneut unwirksam und ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher erneut fingiert. Für diesen Fall steht dem Leiharbeitnehmer aber das sog. Festhaltensrecht nicht mehr zu.60 Zwischen dem Verleiher und dem Entleiher müssen Informationswege sichergestellt werden, die eine sofortige gegenseitige Information über den Zugang einer solchen Festhaltenserklärung sicherstellen. (c) Sonstige Sanktionen Gemäß §§ 16 Abs. 1 Nr. 1c und 1d, Abs. 2 i .V. m. §§ 9, 130 OWiG kann gegen den Entleiher ein Bußgeld bis zu 30.000 EUR verhängt werden. Gemäß § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO sind Bußgelder über 200 EUR in das Gewerbezentralregister einzutragen. Gemäß 28e Abs. 2 S. 3 und 4 SGB IV haftet der Entleiher neben dem Verleiher für die Sozialversicherungsbeiträge als Gesamtschuldner. Bei der Lohnsteuer trifft den Entleiher eine nachrangige Ausfallhaftung gemäß § 42d Abs. 6 EStG.61 Abschließend kommt nach § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB i. V. m. § 28e Abs. 2 S.4 SGB IV auch eine Strafbarkeit für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Betracht. d) Informationspflichten gegenüber dem Leiharbeitnehmer Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AÜG muss der Verleiher den Leiharbeitnehmer vor der Überlassung darüber informieren, dass er als Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb eingesetzt wird. Diese Pflicht ist für den Verleiher bußgeldbewehrt und kann mit bis zu 1.000 EUR belegt werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 AÜG). 3. Überlassungshöchstdauer (vorübergehende Überlassung) a) Gesetzliche Vorgaben § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG stellt klar, dass eine Arbeitnehmerüberlassung nur zulässig ist, wenn sie vorübergehend unter Einhaltung der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG erfolgt. aa) Gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten Gesetzlich darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer durch die Neueinführung des § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate demselben Entleiher überlassen bzw. der Entleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. 60 61 Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/10064 v. 19.10.2016, S. 15. § 42d Abs. 6 EStG spricht nur von Arbeitnehmerüberlassung „im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist“. Eine Anpassung des § 42d Abs. 6 EStG erfolgte im Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze nicht. 25 bb) Begriff des Einsatzes Für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer ist vorab zu klären, welche Zeiten als Einsatzzeiten im Sinne des AÜG gelten. Hier lassen sich grundsätzlich zwei Ansätze unterscheiden: Zum einen kann es ausschließlich auf die echten Einsatztage des Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb ankommen; d. h., dass Krankheitstage oder Urlaubstage für die Ermittlung der Überlassungshöchstdauer unberücksichtigt bleiben (materielle Sichtweise). Zum anderen kann es auf den Inhalt des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages ankommen (formale Sichtweise).62 Die Zeiten, in denen der Einsatz des konkreten Leiharbeitnehmers von einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorgesehen ist, gelten als Einsatzzeiten. Das heißt, (erst) wenn ein Leiharbeitnehmer abgemeldet wird, endet der Zeitraum der Überlassung. Zur Überlassungshöchstdauer von drei Monaten ging das BAG63 wohl von der formalen Ansicht aus, auch wenn die damalige Rechtslage keinen gesetzlichen Unterbrechungszeitraum (Karenzzeit) vorsah. Allerdings stellt das BAG fest, dass die rein formale Ansicht dann an ihre Grenzen stößt, wenn sie missbräuchlich verwendet wird.64 Es liegt nahe, dass das BAG diesem Ansatz auch für die nun geltende 18monatige Überlassungshöchstdauer mit Unterbrechungszeitraum (Karenzzeit) folgt. Derzeit lässt sich die Frage jedoch nicht abschließend beantworten. Praxishinweis: Es sollte deshalb davon ausgegangen werden, dass es grundsätzlich auf die im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorgesehenen Einsatzzeiten (bzw. das An- und Abmelden) ankommt. Allerdings besteht das Risiko, dass bei zeitlich sehr kleinteiligen Anund Abmeldungen von Leiharbeitnehmern ein Sachzusammenhang gebildet wird, der zur umfassenden Anrechnung des gesamten Zeitraums auf die Überlassungshöchstdauer führt. cc) Berechnung der Überlassungshöchstdauer (1) Fristberechnung Das allgemeine Zivilrecht kennt für die Frage der Fristenberechnung Ausgangslage verschiedene Normen zur Fristberechnung; §§ 187, 188 BGB auf der einen und § 191 BGB auf der anderen Seite. § 188 Fristende … (2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. 62 Ulber, AÜG, § 1, Rn. 230p. BAG v. 23.11.1988 – 7 AZR 34/88, Rn. 23. 64 BAG v. 23.11.1998 – 7 AZR 34/88, Leitsatz. 63 26 (3) Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats. § 191 Berechnung von Zeiträumen Ist ein Zeitraum nach Monaten oder nach Jahren in dem Sinne bestimmt, dass er nicht zusammenhängend zu verlaufen braucht, so wird der Monat zu 30, das Jahr zu 365 Tagen gerechnet. Nach § 188 Abs. 2 BGB wird eine Monatsfrist bei einem ununterbrochenen Verlauf immer monatsweise berechnet (kalendarische Berechnung). Nach § 191 BGB ist der Monat in der Fristberechnung immer mit 30 Tagen zu berücksichtigen (kaufmännische Berechnung), zumindest wenn es um einen unterbrochenen Fristenverlauf geht. Die kalendarische Berechnung führt im Vergleich zur kaufmännischen Berechnung regelmäßig zu einer längeren Frist. Bei der kaufmännischen Berechnung entspricht der Monat immer 30 Tagen, also 30 x 18 = 540 Tage. Bei der kalendarischen Berechnung endet die Monatsfrist hingegen mit Ablauf des vorangehenden Tages, der in seiner Benennung oder Zahl dem Tag vorhergeht, an dem der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb erstmalig eingesetzt wurde. Ein Monat kann hierbei mit 28, 29, 30 oder 31 Tagen zu berechnen sein. Beispiel: Einsatzzeit für 18 Monate ab 1. April 2017 Berechnung nach Kalendermonaten (§ 188 BGB) 30. September 2018 (548 Kalendertage) Berechnung mit 30 Tagen pro Kalendermonat (§ 191 BGB) 22. September 2018 (540 Kalendertage) Die Entscheidung für die richtige Fristberechnung ist für die Praxis wegen der Sanktion eines fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleiher bei Überschreiten der Überlassungshöchstdauer von erheblicher Relevanz. Weder im Gesetzeswortlaut zur Überlassungshöchstdauer noch in der Gesetzesbegründung lassen sich Anhaltspunkte finden, die auf eine gesetzgeberische Intention zur Berechnung der Überlassungshöchstdauer hinweisen. Zudem ist für eine solche Fallkonstellation ungeklärt, in welchem Verhältnis die beiden Vorschriften aus dem BGB zu einander stehen.65 Da der § 191 BGB von unterbrochenen Fristenverläufen spricht, liegt es nahe, im Ausgangspunkt zwischen dem unterbrochenen Verlauf der Einsätze und einem ununterbrochenen Höchstdauereinsatz zu unterscheiden. (a) Ununterbrochener Höchstdauereinsatz Für den ununterbrochenen Höchstdauereinsatz stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Zum einen wird der Wortlaut des § 191 BGB so verstanden, dass es allein darauf ankommt, dass der Fristenlauf theoretisch unterbrochen werden kann.66 Das ist bei der 18monatigen Überlassungshöchstdauer der Fall, da § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG eine Regelung zum Umgang mit Unterbrechungszeiten enthält. Der 18monatige ununterbrochene Höchstdauereinsatz dürfte 540 Tage nicht überschreiten. 65 66 Ermann, BGB, § 191, Rn. 1 ff; Palandt, § 191 BGB, Rn. 1; Staudinger, § 191 BGB, Rn. 1 f. OVG Saarlouis v. 12.01.2010 – 3 A 325/09, Rn. 41 f; VG Bremen v. 26.03.2009 – 2 K 1309/08, Rn. 25 f; OLG München, Beschluss vom 30. Januar 2008 – 33 Wx 10/08, Rn. 19. 27 Zum anderen wird das Verhältnis zwischen § 188 BGB und § 191 BGB so verstanden, dass die kaufmännische Berechnung nach § 191 BGB nur zur Anwendung kommt, wenn das Fristende nicht anders ermittelbar ist67, d. h. § 191 BGB wird als bloße Hilfsnorm verstanden. Eine 18monatige ununterbrochene Höchstüberlassung ist ohne weiteres kalendarisch berechenbar, so dass volle 18 Kalendermonate nicht überschritten werden dürften. Das BAG68 hat in einer Entscheidung zu einer tarifvertraglichen Fristenregelung zwischen einem ununterbrochenen Verlauf und einem unterbrochenen Verlauf im Hinblick auf die Fristenberechnung unterschieden. Diese tarifliche Vorschrift war ähnlich aufgebaut wie § 1 Abs. 1b AÜG. Im Satz 1 der tariflichen Regelung war eine Mindestfrist für den Anspruch auf eine Zulage geregelt. Im Satz 2 der tariflichen Regelung wurden Feststellungen für den Fall eines unterbrochenen Verlaufs getroffen. In diesem Fall hat das BAG den Satz 1 isoliert für die Frage der Fristenberechnung bewertet und für den ununterbrochenen Verlauf § 188 BGB angewandt. Auch wenn gute Argumente für die Anwendung der kalendarischen Berechnungsweise nach § 188 BGB sprechen, lässt sich die Frage derzeit nicht rechtssicher beantworten. Praxishinweis: Die kalendarische Berechnung führt im Vergleich zur kaufmännischen Berechnung regelmäßig zu einer längeren Frist. Da die Überschreitung der Überlassungshöchstdauer mit der Fiktion des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher sanktioniert wird, bestehen bis zur höchstrichterlichen Klärung dieser Berechnungsfrage erhebliche Rechtsrisiken. Mit einer Berechnung auf Grundlage von 540 Tagen können diese Risiken vermieden werden. Gegebenenfalls sprechen auch Praktikabilitätserwägungen für eine Berechnung aufgrund von 540 Tagen, da dann unterbrochene und ununterbrochene Einsatzverläufe betrieblich einheitlich abgewickelt werden können. Für Unternehmen, die die Berechnung einer Höchsteinsatzzeit mit 540 Tagen scheuen, könnte in diesen Fällen auch die betriebliche Entscheidung für maximale Einsatzzeiten bis 17 Monaten praktikabel sein, da damit die Risiken der Rechenunterschiede vermieden werden. (b) Unterbrochene Einsätze Für unterbrochene Einsätze lässt sich aus dem Wortlaut des § 191 BGB der Schluss ziehen, dass für die Ermittlung der Überlassungshöchstdauer Einsatzzeiten bis 540 Tage (18 x 30 Tage) möglich sind. Wegen der in der Praxis zum Teil stark unterschiedlichen Einsatzrhythmen wäre die kalendarische Berechnung von Datum zu Datum kaum möglich. Es steht auch in der Diskussion, volle Einsatzmonate als einen Monat für die Ermittlung der Überlassungshöchstdauer zugrunde zu legen, angebrochene Monate dagegen mit „x“/30 in die Berechnung einfließen zu lassen. Beispiel: Der Leiharbeitnehmer ist vom 1. Mai bis zum 30. September im Einsatzbetrieb, im Anschluss nochmals vom 15. November bis 10. Dezember. Es ergeben sich Einsatzzeiten von fünf vollen Kalendermonaten sowie 25/30 (15/30 + 10/30). 67 68 Bayreuther, NZA 2017, 18; Lembke, NZA 2017, 1. BAG v. 19.01.1977 – 4 AZR 560/75, Rn. 13. 28 Praxishinweis: Mit einer Berechnung auf Grundlage von 540 Tagen können auch bei unterbrochenen Einsatzverläufen die Risiken vermieden werden. Gegebenenfalls sprechen besonders in diesen Fällen Praktikabilitätserwägungen für eine Berechnung aufgrund von 540 Tagen, da dann der Wechsel in der Berechnung zwischen vollen Kalendermonaten des Einsatzes und angebrochenen Monaten vermieden werden kann. (2) Überlassungshöchstdauer arbeitnehmerbezogen Laut Gesetzesbegründung69 konkretisiert die Überlassungshöchstdauer das Kriterium der vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung und der bisherigen Rechtsprechung des BAG hierzu.70 Die Überlassungsdauer ist mit der Neufassung des Gesetzes arbeitnehmerbezogen und nicht arbeitsplatzbezogen bestimmt.71 Praxishinweis: § 1 Abs. 1 Satz 4 erlaubt weiterhin den flexiblen Einsatz von Leiharbeitnehmern u. a. zur Deckung von Auftragsspitzen.72 Auch zukünftig ist es somit möglich, einen Arbeitsplatz länger als 18 Monate mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, solange die Person des Leiharbeitnehmers wechselt.73 Auch wenn die 18 Monate sich nicht auf einen Arbeitsplatz beziehen, ist ein rollierendes System mit dem ständigen Austausch von Leiharbeitnehmern, jeweils nach 18 Monaten mit einem bereits zuvor eingesetzten Leiharbeitnehmer, rechtlich nicht gänzlich risikofrei. Es ist nicht auszuschließen, dass Arbeitsgerichte bei langfristigen Systemen eine Parallele zur Befristung mit Sachgrund ziehen. Hier hat die Rechtsprechung74 entschieden, dass an sich zulässige langjährige Befristungen mit Sachgrund einer Missbrauchskontrolle zu unterziehen sind, und an sich gesetzlich zulässige Befristungen gleichwohl als unzulässig eingestuft. Ausdrücklich abzuraten ist von einem Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung in einem Gemeinschaftsbetrieb in der Weise, dass erst GmbH A einen Leiharbeitnehmer für 18 Monate ausleiht und anschließend GmbH B des Gemeinschaftsbetriebs 18 Monate diese Person ausleiht usw., der Leiharbeitnehmer also ununterbrochen auf dem gleichen Arbeitsplatz einsetzbar ist. Rein orientiert am Gesetzeswortlaut ist wohl diese betriebliche Gestaltung nicht untersagt, insbesondere wegen des fehlenden Arbeitsplatzbezugs; die Grundsätze des institutionellen Rechtsmissbrauchs sind für die Bewertung einer solchen betrieblichen Vorgehensweise jedoch nicht fernliegend. (3) Überlassungshöchstdauer betriebs- oder unternehmensbezogen Für die Praxis ebenfalls von großer Bedeutung ist die Frage, ob die Überlassungshöchstdauer betriebsbezogen oder unternehmensbezogen zu verstehen ist. Zum einen wird für einen Unternehmensbezug plädiert.75 Für eine solche Annahme spricht, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des AÜG die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre Kernfunktion hin orientieren wollte.76 69 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 20. BAG v. 10.7.2013 – 7 ABR 91/11. 71 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 20; Lembke, NZA 2017, 1. 72 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 20. 73 Kock in BeckOK, AÜG § 1 Rn. 53. 74 EuGH v. 26.01.2012 – C-586/10 [Kücük] und BAG v. 19.02.2014 – 7 AZR 260/12; BAG v. 15.05.2013 – 7 AZR 525/11. 75 Lembke, NZA 2017, 1; Bayreuther, NZA 2017, 18. 76 Koalitionsvertrag v. 27.11.2013, S. 69. 70 29 Auch der Begriff „Entleiher“ in § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG könnte eher auf einen Bezug zur juristischen Person, also zum Unternehmen, schließen lassen. Zum anderen kommt aber auch ein Betriebsbezug in Frage. Für eine solche Auslegung des Gesetzes sprechen folgende Argumente: Der Wortlaut des § 1 Abs. 1b AÜG ist nicht eindeutig. Neben dem Begriff „Entleiher“, werden auch die Begriffe „Entleiherbetrieb“ und „Entleiherunternehmen“ an unterschiedlichen Stellen im unterschiedlichen Kontext verwandt. Die zeitlichen Abläufe sprechen eher für einen Betriebsbezug. Das Gesetzgebungsverfahren hat mit den ersten Entwürfen aus dem BMAS im Herbst 2015 begonnen. Noch im Januar 2016 hat die zuständige Aufsichtsbehörde, die Bundesagentur für Arbeit, ihre Geschäftsanweisung77 neu aufgelegt und den Begriff Entleiher als „Entleiherbetrieb“ definiert; also während der zum Teil sehr kontroversen politischen Diskussionen. Das dürfte dem BMAS als Rechtsaufsicht der Bundesagentur für Arbeit bekannt gewesen sein. Gleichwohl hat das BMAS den Begriff in seinen Gesetzesentwürfen nicht anderslautend im Sinne des Entleiherunternehmens definiert, weder im Text noch in der Gesetzesbegründung. In der Systematik des § 1 Abs. 1b AÜG wird die Regelungskompetenz zur Überlassungshöchstdauer bis zur Betriebsebene delegiert. Das könnte für einen Betriebsbezug sprechen. In der Praxis kann es aufgrund dessen nur eine Überlassungshöchstdauer im jeweiligen Betrieb geben. Eine einheitliche für den Entleiher geltende Überlassungshöchstdauer existiert bei unterschiedlichen betrieblichen Regelungen dann nicht. Rechtssicher lässt sich diese Frage derzeit ebenfalls nicht beantworten. Praxishinweis: Bei einem Betriebsbezug besteht das Risiko, dass die Überlassungshöchstdauer überschritten wird und kraft gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher entsteht. Angesichts der Rechtsunsicherheit und der erheblichen Risiken empfiehlt es sich eher, den Entleiherbegriff des § 1 Abs. 1b AÜG unternehmensbezogen zu verstehen werden. Zur genauen und fehlerfreien Erfassung der Überlassungshöchstdauer sollten Arbeitgeber eine überbetriebliche Datenbank über alle beschäftigten Leiharbeitnehmer führen und vor jedem Einsatz die persönliche Überlassungsdauer sowie die Karenzzeit nach § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG überprüfen. Gegebenenfalls ist für eine einheitliche Regelung im Unternehmen eine Gesamtbetriebsvereinbarung zu erwägen (§ 50 Abs. 2 BetrVG). Irrelevant ist, von welchem Verleiher der Leiharbeitnehmer überlassen wird. dd) Karenzzeit von drei Monaten Bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer wird ein Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher vollständig angerechnet, wenn zwischen den Einsätzen nicht mehr als drei Monate liegen (Karenzzeit), § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG. Hier stellt sich die Frage, wie die Formulierung „mehr als drei Monate“ zu interpretieren ist. Unklar ist, ob der Gesetzgeber damit eine Karenzzeit von drei Monaten zum Ausdruck bringen wollte, oder ob drei Monate und ein Tag erst zu einer beachtlichen Unterbrechung führen. 77 Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit v. 20.01.2016, Punkt 1.1.2 (4). 30 Beispiel: Ende des vorherigen Einsatzes am 31. Dezember Unterbrechung von drei Monaten Einsatz ab dem 1. April des Folgejahres möglich Unterbrechung von mehr als drei Monaten Einsatz ab 2. April des Folgejahres möglich Das allgemeine Verständnis der Karenzzeit kann zwar eine Unterbrechung von drei Monaten sein. Wegen des Gesetzeswortlauts ist jedoch wohl eher von einer Karenzzeit von drei Monaten und einem Tag auszugehen. Praxishinweis: Da bei Fehlinterpretation ein fingiertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher droht, wird in der Praxis zu empfehlen sein, mit drei Monaten und einem Tag zu rechnen (z. B. Ende 31. Dezember – Beginn erst wieder am 2. April). Die Karenzzeit muss immer ein zusammenhängender Zeitraum sein und damit kalenderbezogen nach § 188 Abs. 2 BGB berechnet werden. ee) Bestandsschutz Gemäß der Übergangsregelung des § 19 Abs. 2 AÜG bleiben Einsatzzeiten vor dem 1. April 2017 unberücksichtigt. Die gesetzlich maßgebliche (ununterbrochene) Überlassungshöchstdauer endet daher erstmals im September 2018. b) Tarifliche Vorgaben aa) Öffnungsklausel für tarifliche und betriebliche Regelungen Nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG können die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine abweichende Überlassungshöchstdauer festlegen. Hierbei können sie die Verlängerung der „zulässigen Einsatzzeiten“ näher ausgestalten. Tarifvertragspartei in diesem Sinne kann neben den Arbeitgeberverbänden auch der Arbeitgeber im Rahmen eines Haustarifvertrages sein. Der Bezug zur Einsatzbranche sollte gesetzeshistorisch (nur) klarstellen, dass die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche keine Regelungsmacht zu dieser Materie haben sollen, die weitergehende Aussage, dass Haustarifverträge ausgeschlossen sind, war damit nicht verbunden. Tarifvertragspartei im Sinne von § 2 Abs. 1 TVG ist auch der Arbeitgeber. Zudem war es Sinn und Zweck dieser Option, den Tarifvertragsparteien, die den Schutz der Stammbeschäftigten vor Augen haben, die Regelungshoheit zu übertragen, das gilt für die sachnächsten Tarifvertragsparteien in Haustarifverhandlungen umso mehr. Praxishinweis: Wird eine haustarifliche Lösung erwogen, sollte der Verband zur Unterstützung hinzugezogen werden. Abweichende Regelungen nach § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG können auch durch Betriebsvereinbarung getroffen werden, allerdings nur wenn und soweit der Tarifvertrag dies vorsieht. Hier ist im Ausgangspunkt zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Entleihern zu unterscheiden. 31 bb) Handlungsoptionen für T-Betriebe Anwendung einer tarifliche Regelung zur Überlassungshöchstdauer (z. B. des Tarifvertrages Leih-/Zeitarbeit) Abweichende Regelung gemäß der tariflichen Öffnungsklausel mit dem Betriebsrat cc) Handlungsoptionen für OT-Betriebe Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage wurden die Handlungsoptionen für OT-Betriebe deutlich eingeschränkt. Es verbleiben die folgenden Optionen: die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten zu nutzen, die vollständige Übernahme der tariflichen Festlegungen durch Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat (§ 1 Abs. 1b Satz 4 AÜG) oder Schaffung eines weitergehenden Spielraums im Rahmen der tariflichen Vorgaben durch eine Betriebsvereinbarung In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wer als „nicht tarifgebunden“ im Sinne von § 1 Abs. 1b Satz 4 und 6 AÜG anzusehen ist. Diese Frage ist insbesondere für Unternehmen relevant, die zwar verbandspolitisch als OT-Unternehmen gelten, die jedoch über Haus-/ Anerkennungstarifverträge Tarifbindung nach § 2 Abs. 1 TVG besitzen. Zugleich aber nicht pauschal alle Regelung der M+E-Fläche anerkannt haben, sondern nur bestimmte tarifliche Regelungen der M+E-Branche. An einen gegebenenfalls abgeschlossenen neuen Tarifvertrag Leih-/Zeitarbeit wären sie deshalb nicht gebunden. Im Sinne des reinen Wortlauts wären solche Unternehmen gegebenenfalls als tarifgebundene Unternehmen anzusehen, so dass ihnen ein Handlungsspielraum zur Überlassungshöchstdauer nur über einen weiteren Haus-/ Anerkennungstarifvertrag möglich wäre. Vom Sinn und Zweck der Regelung ließe sich jedoch auch argumentieren, dass es nur um die Tarifbindung an einen Tarifvertrag zur Überlassungshöchstdauer gehen kann; ein Tarifvertrag zur Überlassungshöchstdauer als Flächentarifvertrag würde mangels T-Mitgliedschaft jedoch keine Tarifbindung vermitteln. Dann könnten diese OT-Unternehmen mit ihren Betriebsräten ebenfalls die Tariföffnungsklausel eines Tarifvertrags zu Überlassungshöchstdauer wie OT-Unternehmen ohne jegliche (haus-)tarifliche Regelung nutzen. Für diese Ansicht spricht auch, dass der Gesetzgeber grundsätzlich Tarifbindung fördern möchte. Wären diese OT-Unternehmen, obwohl sie mit der IG Metall Arbeitsbedingungen ausgehandelt haben, nur auf die tarifliche Ebene verwiesen, wären sie schlechter gestellt, als OTUnternehmen gänzlich ohne tarifliche Regelung. Praxishinweis: Da diese Frage derzeit nicht rechtssicher beantwortet werden kann und die Folgen des Überschreitens der zulässigen Überlassungshöchstdauer erheblich sind, ist eine Risikoabwägung vorzunehmen. Gegebenenfalls können gemeinsam mit dem Verband zur Risikominimierung Optionen für einen Haustarifvertrag zur Überlassungshöchstdauer abgeklärt werden. c) Rechtsfolgen bei Überschreiten der Überlassungshöchstdauer Die Rechtsfolgen bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer laufen weitgehend gleich mit den Rechtsfolgen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung (siehe B. I. 1. c)): 32 aa) Fiktion eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher Gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 AÜG führt das Überschreiten der Überlassungshöchstdauer zur Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher unter gleichzeitiger Fiktion eines grundsätzlich unbefristeten Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher. Das Arbeitsverhältnis entsteht dabei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AÜG ab dem Zeitpunkt der Überschreitung und nicht rückwirkend („tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen“). Der Inhalt des Arbeitsverhältnisses richtet sich nach den geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen für den Betrieb des Entleihers (§ 10 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AÜG). Ausnahmsweise kann nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AÜG auch ein nur befristetes Arbeitsverhältnis fingiert sein, wenn der Einsatz befristet vorgesehen war und ein die Befristung sachlich rechtfertigender Grund vorlag. Da die Einsätze der Leiharbeitnehmer wegen der Überlassungshöchstdauer immer befristet vorgesehen sein werden, ist insbesondere maßgeblich, ob daneben ein Sachgrund vorlag. Die Prüfung des Sachgrundes knüpft an die Tatbestände des § 14 Abs. 1 TzBfG an. 78 Praxishinweis: Da z. B. anders als bei der Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis bei der Überschreitung der Überlassungshöchstdauer erst am Tag nach Ablauf der Überlassungshöchstdauer ein Arbeitsverhältnis entsteht, stellt sich ggf. die Frage nach dem Ablauf der Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BAG79 ist die Einsatzzeit als Leiharbeitnehmer regelmäßig irrelevant für die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG.80 Es kann jedoch nicht sicher prognostiziert werden, ob die Rechtsprechung in diesem Kontext bei der grundsätzlichen Aussage zur Wartezeit bleibt. Daneben könnte auch § 612a BGB – Maßregelungsverbot – für die Unzulässigkeit der Kündigung einschlägig sein. Von einer Kündigung in unmittelbarer Nähe zur Aufforderung des Leiharbeitnehmers, das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher aufgrund der Fristüberschreitung anzuerkennen, ist eher abzuraten. Aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit kommt ein Aufhebungsvertrag in Betracht, wenn auch der Leiharbeitnehmer kein Interesse an einem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher hat. Um wegen des formalen Verfahrens zur Festhaltenserklärung den Verdacht eines nach § 134 BGB unwirksamen Umgehungsgeschäftes zu vermeiden, sollte kein dreiseitiger Vertrag mit Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer geschlossen werden.81 bb) Ausnahme: Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers Der Leiharbeitnehmer kann sich von dem kraft Gesetzes entstandenen Arbeitsverhältnis durch eine sog. Festhaltenserklärung wieder lösen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG). Dafür muss er innerhalb eines Monats nach Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer gegenüber dem Verleiher oder dem Entleiher schriftlich erklären, dass er an dem Vertrag mit dem Verleiher festhalten will (Festhaltenserklärung). Ein im Vorfeld abgegebene Festhaltenserklärung ist unwirksam (§ 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG). 78 Henssler/Willemsen/Kalb, § 10 AÜG, Rn. 9. BAG v. 20.02.2014 – 2 AZR 859/11. 80 Thüsing, AÜG, 3. Aufl. 2012, § 10, Rn. 46. 81 BAG v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04 zu § 613a BGB. 79 33 Praxishinweis: Eine Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers führt nicht zur „Verlängerung der Überlassungshöchstdauer“. Der Einsatz im Entleiherbetrieb muss trotzdem sofort beendet werden. Eine Weiterbeschäftigung oder ein erneuter Einsatz stehen aufgrund der § 9 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AÜG unter der Sanktion der §§ 9, 10 AÜG. Für den Fall der Fortführung der Beschäftigung wird das Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher erneut unwirksam und ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher erneut fingiert. Für diesen Fall steht dem Leiharbeitnehmer aber das sog. Festhaltensrecht nicht mehr zu.82 Für die Festhaltenserklärung müssen nach § 9 Abs. 2 AÜG folgende weitere Voraussetzungen gewahrt sein: der Leiharbeitnehmer muss die Erklärung persönlich einer Agentur für Arbeit vorlegen (Nr. 1), die Agentur für Arbeit muss die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versehen, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat (Nr. 2) und die Erklärung muss spätestens am dritten Tag nach der Vorlage in der Agentur für Arbeit dem Verleiher oder dem Entleiher zugehen (Nr. 3). Praxishinweis: Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorlage der Festhaltenserklärung bei der Agentur für Arbeit automatisch zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens führt, da die Arbeitsagenturen gemäß § 17 Abs. 1 AÜG die zuständige Verfolgungsbehörde für die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 16 AÜG ist. Allerdings kann nach dem Wortlaut von § 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG) nur dem Verleiher ein Bußgeld auferlegt werden. Im jeweiligen Einzelfall kann erwogen werden, einen Aufhebungsvertrag mit dem betroffenen Arbeitnehmer abzuschließen (siehe B I. 1. c) cc). Für die Fragen zum Fristenlauf, dem weiteren Einsatz des Leiharbeitnehmers und zur Wirkung einer solchen Festhaltenserklärung wird auf die Ausführungen zur unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung verwiesen (siehe B. I. 1. c) bb)). cc) Sonstige Sanktionen Gemäß §§ 16 Abs. 1 Nr. 1e, Abs. 2 i .V. m. §§ 9, 130 OWiG kann gegen den Verleiher ein Bußgeld bis zu 30.000 EUR verhängt werden. Gemäß § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO sind Bußgelder über 200 EUR in das Gewerbezentralregister einzutragen. Gemäß § 28e Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB IV haftet der Entleiher neben dem Verleiher für die Sozialversicherungsbeiträge als Gesamtschuldner. Bei der Lohnsteuer trifft den Entleiher eine nachrangige Ausfallhaftung gemäß § 42d Abs. 6 EStG 83. Abschließend kommt nach § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB i. V. m. § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV auch eine Strafbarkeit für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Betracht. 82 83 Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/10064 v. 19.10.2016, S. 15. § 42d Abs. 6 EStG spricht nur von Arbeitnehmerüberlassung „im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist“. Eine Anpassung des § 42d Abs. 6 EStG erfolgte im Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze nicht. 34 4. Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer (Verbot des Kettenverleihs) Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG ist die Überlassung und das Tätigwerdenlassen von Leiharbeitnehmern nur zulässig, soweit direkt zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht. Soweit beim (Weiter-)Verleih durch eine andere Person keine Verleiherlaubnis vorliegt, die Überlassungshöchstdauer überschritten wird oder die Arbeitnehmerüberlassung verdeckt erfolgt, greifen die Schutzbestimmungen des AÜG.84 Auch auf Ketten-, Zwischen- oder Weiterverleih finden gemäß § 10a AÜG damit die Vorschriften der §§ 9, 10 AÜG Anwendung.85 Ein Verstoß führt besonders wegen der Verletzung der Bezeichnungs- und Konkretisierungspflicht zwischen Vertragsarbeitgeber des Leiharbeitnehmers und dem Entleiher ebenfalls zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher. Gemäß der Gesetzesbegründung soll sichergestellt werden, dass Leiharbeitnehmer nur vom vertraglichen Arbeitgeber verliehen werden und ein Ketten-, Zwischen- oder Weiterverleih untersagt bleibt.86 Für die weiteren Einzelheiten zu den Rechtsfolgen siehe B. I. 1. c). Praxishinweis: Diese gesetzliche Neuregelung bedeutet in der Praxis, dass Master Vendor Systeme im Detail geprüft und ggf. umgestellt werden müssen. Mit jedem einzelnen Personaldienstleister, dessen Arbeitnehmer verliehen werden soll, muss in Zukunft vor dem Einsatz ein Vertrag mit der Bezeichnung Arbeitnehmerüberlassung geschlossen sein und der Leiharbeitnehmer muss mit diesem konkreten Personaldienstleister gemeinsam vorher konkretisiert werden. Ferner sollte durch Vorlage der Originalurkunde oder Aushändigung einer beglaubigten Kopie sichergestellt sein, dass der Personaldienstleister über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt (siehe B. I. 1. c) gg)). 5. Gleichstellungsgrundsatz (Equal Pay und Equal Treatment) Im neuen § 8 AÜG wird unter Streichung der bisherigen Meldevorschrift der Gleichstellungsgrundsatz (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG a. F.) in einer Norm zusammengeführt. a) Gesetzliche Vorgaben Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist der Verleiher verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz).87 Der Gleichstellungsgrundsatz ist gleichbedeutend mit Equal Treatment. Gleiche Arbeitsbedingungen umfassen dabei als Schnittmenge auch das Arbeitsentgelt (Equal Pay). aa) Vorgaben des Equal Treatment Grundsatzes (1) Vergleichbare Arbeitnehmer Mit dem Leiharbeitnehmer vergleichbar im Sinne des Gleichstellungsgrundsatzes sind solche Arbeitnehmer des Entleihers, die die gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten ausführen. 84 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 27. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 26. 86 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 19. 87 Nach alter Rechtslage über § 9 Nr. 2 AÜG. 85 35 Es kommt also insbesondere auf die Vergleichbarkeit der vom Arbeitnehmer auszuführenden Tätigkeiten an. Eine in der Person (oder einzelner Personen) liegende Unter- oder Überqualifizierung kann kein Maßstab sein. Für den Fall, dass es im Betrieb des Entleihers keinen vergleichbaren Arbeitnehmer gibt, sind die Arbeitsbedingungen zu gewähren, die vergleichbaren Arbeitnehmern im Entleiherbetrieb gewährt werden würden (fiktive Eingruppierung).88 Demnach ist zu ermitteln, welche Arbeitsbedingungen der Entleiher einem fiktiven eigenen Arbeitnehmer zahlen würde, wenn er die Tätigkeit, die nun der Leiharbeitnehmer ausführen soll, mit eigenen Arbeitnehmern ausführen würde. (2) Wesentliche Arbeitsbedingungen Was unter dem Begriff der „wesentlichen Arbeitsbedingungen“ zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher definiert. Arbeitsbedingungen sind grundsätzlich alle nach dem allgemeinen Arbeitsrecht geltenden Bedingungen, die sich aus Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag ergeben und den Leistungsaustausch im Arbeitsverhältnis gestalten.89 Ob eine Arbeitsbedingung wesentlich ist, bestimmt sich nach Art. 3 Abs. 1 lit. f und dessen Erweiterung in Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG.90 Wesentlich sind danach die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, TV und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen, die sich auf folgende Bedingungen beziehen: Arbeitsentgelt, Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen und Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub und arbeitsfreie Tage, den Schutz Schwangerer, Kinder und Jugendlicher sowie den Schutz vor Diskriminierung im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Männern und Frauen und sämtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Als unwesentlich sind dagegen alle sonstigen Arbeitsbedingungen anzusehen. Dies betrifft insbesondere Ausschlussfristen.91 Praxishinweis: Das AÜG ermöglicht beim Gleichbehandlungsgrundsatz auch weiterhin nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG eine unbefristete Möglichkeit, durch Tarifvertrag abzuweichen (siehe B. 5. b)). „Nur“ hinsichtlich des Arbeitsentgelts hat der Gesetzgeber grundsätzlich die Grenze von neun Monaten – mit weiteren Ausnahmen – gezogen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG). Das bedeutet, dass ein tarifanwendender Verleiher beispielsweise hinsichtlich der Arbeitszeit oder der Regelungen zum Urlaub weiterhin auf die manteltariflichen Regelungen der Zeitarbeitsbranche zurückgreifen kann. 88 BAG v. 19.02.2014 - 5 AZR 1047/12; Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit, Stand: Januar 2016, 3. § 3 3.1.5 (6), S. 53. 89 Ulrici in NK-ArbR, AÜG, § 3 Rn. 31. 90 BAG 23.3.2011 – 5 AZR 7/10. 91 BAG v. 23.03.2011 – 5 AZR 7/10. 36 bb) Das Arbeitsentgelt: Der Equal Pay Grundsatz (1) Equal Pay Der Begriff des Arbeitsentgelts gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 wird grundsätzlich weit verstanden.92 In einer Antwort93 auf eine Kleine Anfrage94 zur Definition von „Equal Pay“ hat die Bundesregierung auf die Gesetzesbegründung95 verwiesen und klargestellt, dass: das Entgelt die Leistungen umfasst, die der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre, hierbei sämtliche auf den Lohnabrechnungen vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers ausgewiesene Bruttovergütungsbestandteile maßgebend seien und zum Arbeitsentgelt damit jede Vergütung zähle, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird beziehungsweise aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss, insbesondere o Urlaubsentgelt, o Entgeltfortzahlung, o Sonderzahlungen, o Zulagen und Zuschläge o sowie vermögenswirksame Leistungen. Die Gesetzesbegründung lehnt sich an die Rechtsprechung des BAG an.96 Unter das Arbeitsentgelt fallen insoweit auch Sozialleistungen des Entleihers.97 Sofern Geld- oder Sachleistungen an bestimmte Voraussetzungen, z. B. an eine bestimmte Betriebszugehörigkeitsdauer, geknüpft sind, muss der Leiharbeitnehmer diese genauso wie die Stammbelegschaft des Entleihers erfüllen, damit ein Anspruch auf sie besteht. Unklar ist, ob die betriebliche Altersversorgung ebenfalls vom Equal Pay Grundsatz erfasst wird.98 Leiharbeitnehmer hätten in diesem Fall jedoch nur gegenüber dem Verleiher rechtlich einen Verschaffungsanspruch. Der Verleiher müsste die zum Erwerb einer Versorgungsanwartschaft notwendigen Beiträge im Betrieb des Entleihers entrichten.99 Faktisch muss der Verleiher aber in der Regel keine Beiträge entrichten.100 Denn Anwartschaften in der betrieblichen Altersversorgung werden erst nach einer gewissen Beschäftigungsdauer unverfallbar (§ 1b BetrAVG: bis 31. Dezember 2017: fünf Jahre, ab 01. Januar 2018: drei Jahre). Aufgrund der regelmäßig kürzeren Einsatzzeit beim Entleiher erwerben die Leiharbeitnehmer daher in der Regel keine Ansprüche. Kommt der Equal Pay Grundsatz zur Anwendung, ist ein Gesamtvergleich der Geld- und Sachleistungen im Überlassungszeitraum anzustellen101. 92 BAG v. 23.03.2011 – 5 AZR 7/10, vgl. auch Wank in ErfK, AÜG, § 10, Rn. 13. Antwort der Bundesregierung BT-Drs. 18/9723 v. 22.09.2016, S. 3. 94 Kleine Anfrage BT-Drs. 18/9559 v. 05.09.2016. 95 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 23. 96 BAG v. 19.02.2014 – 5 AZR 1046/12; BAG v. 24.09.2014 – 5 AZR 254/13, BAG v. 13.03.2013 – 5 AZR 294/12; BAG v. 19.02.2014 – 5 AZR 1046/12 sowie 5 AZR 1047/12. 97 BAG v. 13. März 2013 – 5 AZR 294/12; BAG v. 21.09.1989 – 1 AZR 454/88. 98 BAG v. 17.10.1995 – 3 AZR 882/94. 99 Bauer/Krets, NJW 2003, 537. 100 Bauer/Krets, NJW 2003, 537. 101 BAG v. 23.03.2011 – 5 AZR 7/10; BAG v. 13.03.2013 – 5 AZR 294/12; Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit, Stand: Januar 2016, 3. § 3 3.1.5 (3), S. 52. 93 37 Praxishinweis: Der Gleichstellungsgrundsatz gilt nur zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher. Der Leiharbeitnehmer hat grundsätzlich keinen Entgeltanspruch gegenüber dem Entleiher. Der Überlassungsvertrag sollten im Hinblick auf das Equal Pay auf Haftungsrisiken für den Entleiher gegenüber dem Verleiher geprüft werden. (2) Vermutungsregelung Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 AÜG wird (widerleglich) vermutet, dass der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts gleichgestellt ist, wenn er das tarifvertragliche Arbeitsentgelt im Betrieb oder das tarifvertragliche Arbeitsentgelt in der Einsatzbranche eines vergleichbaren Arbeitnehmers erhält. Unklar ist, wie sich die Zahlung von übertariflichen bzw. außertariflichen Leistungen auf die Vermutungsregelung auswirkt. Fraglich ist, ob die Anwendung der Vermutungsregelung in dieser Konstellation vollständig ausgeschlossen ist. Häufig honoriert der Arbeitgeber mit übertariflicher Zahlungen eine individuelle Leistung. Diese Honorierung müsste deshalb bei dem zu bildenden Vergleichsmaßstab außer Betracht bleiben. Der Wortlaut der Vermutungsregelung gibt zu dieser Frage jedoch keine Antwort. Praxishinweis: Da es sich um eine widerlegliche Vermutung handelt und bezüglich der Anwendung der Norm Rechtsunsicherheit besteht, kann die Vermutungsregelung bei der Zahlung von außer- oder übertariflichen Leistungen für vergleichbare Arbeitnehmer im Entleiherbetrieb nicht ohne weiteres „zuverlässig“ angewendet werden. (3) Sachleistungen Werden im Entleiherbetrieb Sachbezüge gewährt, so können Sie nach der ausdrücklichen Formulierung in § 8 Abs. 1 Satz 3 durch einen Wertausgleich gewährt werden. Beispiele: 102 Firmenwagen, Personalkauf- oder Aktienoptionen Praxishinweis: Bei der Umrechnung der Sachleistungen besteht ebenfalls Rechtsunsicherheit. Es ist nicht ersichtlich, ob bei der Ermittlung des wirtschaftlichen Werts der Leistungen der Einkaufswert, der Verkaufswert oder der steuerliche Wert der Sachleistung zugrunde zu legen ist. Den Verleiher trifft zudem bei der Feststellung und Umrechnung der Sachleistungen im Entleiherbetrieb ein erheblicher bürokratischer Mehraufwand. b) Ausnahmen vom Gleichstellungsgrundsatz aa) Tariföffnungsklausel Vom Gleichstellungsgrundsatz (Equal Treatment) kann zeitlich unbegrenzt unter den Voraussetzungen des. § 8 Abs. 2 AÜG durch Tarifvertrag abgewichen werden (unkonditionierte Tariföffnungsklausel). Eine Abweichung vom gleichen Arbeitsentgelt (Equal Pay) hat der Gesetzgeber in zwei Stufen gestaltet: für die ersten neun Monate der Überlassung: Tariföffnungsklausel für einen Entgelttarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche ohne weitere Konditionen (gilt für die bestehenden Entgelttarifverträge der Zeitarbeitsbranche), 102 Lembke, BB 2003, 89. 38 zeitlich unbegrenzt: Tariföffnungsklausel für die Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche mit zwei zusätzlichen Voraussetzungen: o Festlegung eines gleichwertigen (Tarif-)Entgelts nach spätestens 15 Monaten durch die Tarifvertragsparteien, o Stufenweise Heranführung an das gleichwertige Tarifentgelt der Einsatzbranche (sog. Branchenzuschläge) nach spätestens sechs Wochen Einsatzzeit. Praxishinweis: Durch den Manteltarifvertrag Zeitarbeitsbranche (IGZ/BAP und der Tarifgemeinschaft Zeitarbeit des DGB) vom 17.9.2013 wurden tarifliche Abweichungen vom gesetzlichen Equal Treatment vereinbart (insbesondere bei Urlaub und Arbeitszeit). Vom Equal Pay Grundsatz kann zum einen durch die reinen Entgelttarifverträge der Zeitarbeitsbranche (Tarifverträge zwischen Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit (VGZ) mit der Tarifgemeinschaft Leiharbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes), die derzeit bis zum 31.12.2019 vereinbart sind, in den ersten neun Monaten abgewichen werden. Bestehen in der Einsatzbranche Branchenzuschlagstarifverträge und gibt es eine Festlegung des gleichwertigen Entgelts nach 15 Monaten, kann zeitlich unbegrenzt vom Equal Pay Grundsatz abgewichen werden. Sollen die Equal Pay Pflicht ausgeschlossen werden, so empfiehlt es sich, mit einem Verleiher zusammenzuarbeiten, der tarifgebunden ist und/oder der die Tarifanwendung in den Arbeitsverträgen mit den Leiharbeitnehmern durch Bezugnahmeklauseln sicherstellt (§ 8 Abs. 2 Sätze 1 und 3 AÜG). (1) Anforderungen an den Inhalt der Tarifverträge Die Bundesagentur für Arbeit differenziert in ihren Durchführungsanweisungen hinsichtlich der Art abweichender Tarifverträge prinzipiell wie folgt: Trifft ein Tarifvertrag im Wesentlichen Regelungen zu allen Arbeitsbedingungen und bleiben nur kleine Teile (z. B. Reisekosten, Verpflegungsmehraufwand) unerwähnt, ist der Gleichstellungsgrundsatz suspendiert. Hinsichtlich der ungeregelten Arbeitsbedingungen gelten dann nicht diejenigen des Entleihers, sondern die allgemeinen vertraglich begründeten oder gesetzlichen Ansprüche gegen den Verleiher. Lässt dagegen ein Tarifvertrag wichtige Teile der wesentlichen Arbeitsbedingungen unerwähnt (z. B. Entgelt, Urlaub), suspendiert er nur bezüglich der tariflich geregelten Arbeitsbedingungen vom Gleichstellungsgrundsatz. Hinsichtlich der ungeregelten Arbeitsbedingungen ist dagegen der Gleichstellungsgrundsatz zu beachten. Nach dieser Auffassung verdrängt z. B. ein reiner Entgelttarifvertrag den Gleichstellungsgrundsatz nur bezüglich des Arbeitsentgelts nicht dagegen für die sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen. (2) DGB-Tarifgemeinschaft Der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) unterhält neben dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) Tarifverträge mit der DGBTarifgemeinschaft (BAP-DGB und iGZ-DGB). Der BAP ist im Frühjahr 2011 aus einem Zusammenschluss des Arbeitgeberverbandes Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und des Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V. (BZA) hervorgegangen. Innerhalb des BAP bestehen bzw. bestanden die Tarifverträge BZA-DGB und AMP-CGB. 39 Praxishinweis: Behauptet der Verleiher, einen Tarifvertrag mit der DGB-Tarifgemeinschaft und dem BAP bzw. iGZ kraft Tarifbindung oder einzelvertraglicher Vereinbarungen anzuwenden, sollte bei Zweifeln von ihm ein geeigneter Nachweis – z. B. Kopie einer schriftlichen Bestätigung der Mitgliedschaft im Zeitarbeitsverband bzw. schriftliche Erklärung des Verleihers bzgl. der verwendeten Bezugnahmeklausel – verlangt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die DGB-Tarifgemeinschaft und der BAP bzw. iGZ die Fähigkeit besitzen, Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche vereinbaren zu können. Verbindlich klären können diese Frage aber letztlich nur die Arbeitsgerichte.103 Praxishinweis: Bei einem Einsatz in M+E-Unternehmen gilt der Equal Treatment Grundsatz unbefristet nicht, wenn der Verleiher die Manteltarifverträge des DGB anwendet. Bei einem Einsatz in M+E-Unternehmen gilt der Equal Pay Grundsatz in den ersten neun Monaten des Einsatzes nicht, wenn der Verleiher den Entgelttarifvertrag des DGB anwendet. Vom Equal Pay Grundsatz kann nur dann unbefristet abgewichen werden, wenn die Zeitarbeitsbranche von der Ausnahme des § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG Gebraucht macht und eine weitere Entgeltstufe nach 15 Monaten vereinbart. (3) Sonderfall: CGZP Die obigen Ausführungen gelten nicht für die mit der CGZP geschlossenen Tarifverträge. Die CGZP war ein Zusammenschluss von ursprünglich sechs Gewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB), die mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) Flächentarifverträge abgeschlossen hat. Das BAG hat festgestellt, dass die CGZP nie tariffähig war.104 Dies bedeutet, dass die CGZP abweichende Tarifverträge i. S. d. §§ 3 und 9 AÜG nicht wirksam abschließen konnte, mit der Folge, dass der Grundsatz des „Equal Pay / Equal Treatment“ rückwirkend Anwendung findet. (4) M+E-Industrie – Verleihbetriebe Damit auch Betriebe der M+E-Industrie, die neben ihrem eigentlichen Betriebszweck (gelegentlich) Arbeitskräfte an andere branchenzugehörige oder –fremde Unternehmen überlassen (sog. Mischbetriebe), nicht an den Gleichstellungsgrundsatz gebunden sind, hat Gesamtmetall mit der IG Metall am 23. Dezember 2003 einen Zusatztarifvertrag zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geschlossen. Dieser Tarifvertrag ist seit 1. Januar 2004 in Kraft und enthält eine Ergänzungsklausel, nach der die M+E-Tarifverträge auch für solche Leiharbeitnehmer gelten.105 Verbandsangehörige Mischbetriebe sind damit vom gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz suspendiert. Der Tarifvertrag soll an die neue Gesetzeslage angepasst werden. 103 BAG v. 20.03.2012 – 1 AZB 72/12. BAG v. 22.05.2012 – 1 AZB 58/11; v. 23.05.2012 – 1 AZB 58/11. 105 Auszug aus dem ErgTV: II. Ergänzungsklausel: „Werden Beschäftigte von tarifgebundenen Mitgliedsunternehmen der Metall- und Elektroindustrie auf der Grundlage des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) an andere Betriebe oder Unternehmen überlassen, sind die oben bezeichneten Tarifverträge [Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in ihrer jeweiligen Fassung und ihrem Rechtszustand] abweichende Regelungen im Sinne der §§ 3 I Nr. 3 und 9 Nr. 2 AÜG.“ 104 40 bb) Drehtür-Klausel Trotz Tarifvertrag scheidet eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz gem. § 8 Abs. 3 AÜG aus, wenn der Leiharbeitnehmer zuvor beim Entleiher oder bei einem anderen Unternehmen desselben Konzerns im Sinne des § 18 AktG, dem der Entleiher angehört, vor weniger als sechs Monaten beschäftigt war (Verhinderung des „Drehtüreffekts“). Bei einer früheren freien Mitarbeit, einem Praktikum oder einem Ausbildungsverhältnis sind Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz möglich. Gegen die Einbeziehung von ehemaligen Auszubildenden spricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Umstand, dass im Gesetzgebungsverfahren der Antrag auf die Einbeziehung von Ausbildungsverhältnissen in die Regelung abgelehnt worden ist. Die bis April 2011 geltende Regelung, wonach der Verleiher mit einem zuvor arbeitslosen Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher für insgesamt höchstens sechs Wochen andere Arbeitsbedingungen vereinbaren kann, existiert nicht mehr. cc) Fristberechnung Ähnlich wie bei der Überlassungshöchstdauer stellt sich bei der neunmonatigen Frist des § 8 Abs. 4 AÜG die Frage, wie die Frist zu berechnen ist (siehe B I 3 a) cc)). Auch hier kommt die kalendarische Berechnung nach §§ 187, 188 BGB oder die kaufmännische Berechnung nach § 191 BGB (30 Kalendertage pro Monat) in Betracht. Für den ununterbrochenen neunmonatigen Einsatz stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Zum einen wird der Wortlaut des § 191 BGB so verstanden, dass es allein darauf ankommt, dass der Fristenlauf theoretisch unterbrochen werden kann.106 Das ist bei der neunmonatigen Frist der Fall, da § 8 Abs. 4 Satz 4 AÜG eine Regelung zum Umgang mit Unterbrechungszeiten enthält. Für einen die neunmonatige Equal Pay Frist wären 270 Tage zugrunde zu legen. Zum anderen wird das Verhältnis zwischen § 188 BGB und § 191 BGB so verstanden, dass die kaufmännische Berechnung nach § 191 BGB nur zur Anwendung kommt, wenn das Fristende nicht anders ermittelbar ist107, d.h. § 191 BGB wird als bloße Hilfsnorm verstanden. Ein neunmonatiger ununterbrochener Dauereinsatz ist ohne weiteres kalendarisch berechenbar, so dass volle neun Kalendermonate nicht überschritten werden dürften. Das BAG108 hat in einer Entscheidung zu einer tarifvertraglichen Fristenregelung zwischen einem ununterbrochenen Verlauf und einem unterbrochenen Verlauf im Hinblick auf die Fristenberechnung unterschieden. Diese tarifliche Vorschrift war ähnlich aufgebaut wie § 1 Abs. 8 AÜG. Im Satz 1 der tariflichen Regelung war eine Mindestfrist für den Anspruch auf eine Zulage geregelt. Im Satz 2 der tariflichen Regelung wurden Feststellungen für den Fall eines unterbrochenen Verlaufs getroffen. In diesem Fall hat das BAG den Satz 1 isoliert für die Frage der Fristenberechnung bewertet und für den ununterbrochenen Verlauf § 188 BGB angewandt. Auch wenn gute Argumente für die Anwendung der kalendarischen Berechnungsweise nach § 188 BGB sprechen, lässt sich die Frage derzeit nicht rechtssicher beantworten. 106 OVG Saarlouis v. 12.01.2010 – 3 A 325/09, Rn. 41 f; VG Bremen v. 26.03.2009 – 2 K 1309/08, Rn. 25 f. OLG München, Beschluss vom 30. Januar 2008 – 33 Wx 10/08, Rn. 19 107 Bayreuther, NZA 2017, 18; Lembke, NZA 2017, 1. 108 BAG v. 19.01.1977 – 4 AZR 560/75, Rn. 13. 41 Praxishinweis: Die kalendarische Berechnung führt im Vergleich zur kaufmännischen Berechnung regelmäßig zu einer längeren Frist. Allerdings führt der Verstoß gegen den Equal Pay Grundsatz (nur) auf Seiten des Verleihers zu einer Nachzahlungspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer und ist (nur) für den Verleiher bußgeldbewährt. Mit einer Berechnung auf Grundlage von 270 Tagen können diese Risiken für den Verleiher vermieden werden. Gegebenenfalls sprechen auch Praktikabilitätserwägungen auf Seiten des Entleihers für eine Berechnung aufgrund von 270 Tagen, da dann unterbrochene und ununterbrochene Einsatzverläufe betrieblich einheitlich abgewickelt werden können. Für unterbrochene Einsätze lässt sich aus dem Wortlaut des § 191 BGB der Schluss ziehen, dass für die Ermittlung der neun Monate 270 Tage (9 x 30 Tage) als Grundlage dienen. Wegen der in der Praxis zum Teil stark unterschiedlichen Einsatzrhythmen wäre die Berechnung (zudem) von Datum zu Datum kaum möglich. Es steht auch in der Diskussion, volle Einsatzmonate als einen Monat für die Ermittlung der Überlassungshöchstdauer zugrunde zu legen, angebrochene Monate dagegen mit „x“/30 in die Berechnung einfließen zu lassen (siehe B. I. 3. a) cc) (1) (b)). Praxishinweis: Grundsätzlich bleibt auch im Zusammenhang mit dieser Frage die Empfehlung in der M+E-Branche bei entsprechenden M+E-Branchentarifverträgen auf Verleiher zurückzugreifen, die die Tarifanwendung gegenüber den Leiharbeitnehmer auch über die neun Monate hinaus sicherstellen. dd) Frist unternehmens- oder betriebsbezogen Wie bei der Überlassungshöchstdauer (siehe B. I. 3. a) cc) (3).) ist für die Praxis ebenfalls von Bedeutung die Frage, ob die Fristberechnung für Equal Pay betriebsbezogen oder unternehmensbezogen zu verstehen ist. Zum einen wird für einen Unternehmensbezug plädiert.109 Für eine solche Annahme spricht, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des AÜG eine Ausnahme vom Equal Pay Grundsatz nur noch unter engen Voraussetzungen zulassen wollte.110 Auch der Begriff „Entleiher“ in § 8 Abs.4 AÜG könnte eher auf einen Bezug zur juristischen Person, also zum Unternehmen, schließen lassen, da im selben Paragrafen in § 8 Abs. 1 AÜG explizit vom „Entleiherbetrieb“ in Bezug auf das Vergleichsentgelt gesprochen wird. Zum anderen kommt aber auch ein Betriebsbezug in Frage. Für eine solche Auslegung des Gesetzes sprechen folgende Argumente: Der Wortlaut des § 8 Abs. 4 AÜG ist nicht eindeutig. Neben dem Begriff „Entleiher“, werden auch die Begriffe „Entleiherbetrieb“ und „Entleiherunternehmen“ an unterschiedlichen Stellen im unterschiedlichen Kontext verwandt. Die zeitlichen Abläufe sprechen eher für einen Betriebsbezug. Das Gesetzgebungsverfahren hat mit den ersten Entwürfen aus dem BMAS im Herbst 2015 begonnen. Noch im Januar 2016 hat die zuständige Aufsichtsbehörde, die Bundesagentur für Arbeit, ihre Geschäftsanweisung111 neu aufgelegt und den Begriff Entleiher als „Entleiherbetrieb“ definiert; also während der zum Teil sehr kontroversen politischen Diskussionen. Das dürfte dem BMAS als Rechtsaufsicht der Bundesagentur für Arbeit bekannt gewesen sein. 109 Lembke, NZA 2017, 1; Bayreuther, NZA 2017, 18. Koalitionsvertrag v. 27.11.2013, S. 69. 111 Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit 20.01.2016, Punkt 1.1.2 (4) 110 42 Gleichwohl hat das BMAS den Begriff in seinen Gesetzesentwürfen nicht anderslautend im Sinne des Entleiherunternehmens definiert, weder im Text noch in der Gesetzesbegründung. Rechtssicher lässt sich diese Frage derzeit ebenfalls nicht beantworten. Praxishinweis: Auch wenn der Verstoß gegen den Equal Pay Grundsatz (nur) auf Seiten des Verleihers zu einer Nachzahlungspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer führt und (nur) für den Verleiher bußgeldbewährt ist, sollte zur genauen und fehlerfreien Erfassung der Fristen eine überbetriebliche Datenbank über alle beschäftigten Leiharbeitnehmer geführt werden und vor jedem Einsatz die persönliche Einsatzzeiten sowie die Karenzzeit nach § 8 Abs. 4 Satz 4 AÜG überprüft werden. Bei der Zusammenarbeit mit einem tarifgebundenen oder tarifanwenden Verleiher, der die (noch zu vereinbarenden) Branchenzuschlagstarife mit der letzten Stufe ab dem 16. Monat anwendet, entfällt das Berechnungsrisiko. Irrelevant ist, von welchem Verleiher der Leiharbeitnehmer überlassen wird. ee) Karenzzeit Gemäß § 8 Abs. 4 Satz 4 AÜG werden vorherige Einsatzzeiten an denselben Entleiher auf die Equal Pay Frist des § 8 Abs. 4 AÜG angerechnet, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als 3 Monate liegen (Karenzzeit). Hier stellt sich erneut die Frage, wie die Formulierung „mehr als drei Monate“ zu interpretieren ist. Unklar ist, ob der Gesetzgeber damit eine Karenzzeit von drei Monaten zum Ausdruck bringen wollte, oder ob drei Monate und ein Tag erst zu einer beachtlichen Unterbrechung führen. Das allgemeine Verständnis der Karenzzeit kann zwar eine Unterbrechung von drei Monaten sein. Wegen des Gesetzeswortlauts ist jedoch wohl eher von einer Karenzzeit von drei Monaten und einem Tag auszugehen. Praxishinweis: Auch hier wird wegen des Restrisikos in der Praxis zu empfehlen sein, mit drei Monaten und einem Tag zu rechnen (z. B. Ende 31. Dezember – Beginn erst wieder am 2. April) Die Karenzzeit muss immer ein zusammenhängender Zeitraum sein und ist damit kalenderbezogen nach §§ 187, 188 Abs. 2 BGB zu berechnen. ff) Bestandsschutz Gemäß § 19 Abs. 2 AÜG werden bei der Berechnung der Überlassungszeiten nach § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG (neun Monate) Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 nicht berücksichtigt. c) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Gleichstellungsgrundsatz Beachtet der Verleiher den Gleichstellungsgrundsatz nicht oder nicht vollständig, ist die Vereinbarung der nach § 8 unzureichenden Arbeitsbedingungen im Verhältnis zum Leiharbeitnehmer gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG unwirksam. Der Verleiher hat gem. § 8 Abs. 1 AÜG dem Leiharbeitnehmer stattdessen die wesentlichen Arbeitsbedingungen eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Entleihers zu gewähren. 43 Darüber hinaus handelt der Verleiher gem. § 16 Abs. 1 Nr. 7a AÜG ordnungswidrig, wenn er dem Leiharbeitnehmer nicht die Arbeitsbedingungen im Sinne der § 8 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Sätze 2 und 4 gewährt (Nr. 7a) oder entgegen § 8 Abs. 5 das vorgesehene Mindeststundenentgelt nicht oder nicht rechtzeitig zahlt (Nr. 7b). Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 EUR (§ 16 Abs. 2) und einem Eintrag in das Gewerbezentralregister nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO belegt werden. Vordergründig ist also nur das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer betroffen. Insbesondere wird durch die unwirksame Vereinbarung nicht der gesamte Arbeitsvertrag des Leiharbeitnehmers mit dem Verleiher unwirksam und ein entsprechendes Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert.112 Den Entleiher trifft jedoch folgendes Risiko: Der Nachzahlungsbetrag ist sozialversicherungsrechtlich zu verbeitragen. Gerade bei kleineren Verleihern kann eine solche Nachzahlungspflicht zur Insolvenz führen. In diesem Fall kann sich das Haftungsrisiko für den Entleiher gem. § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV verwirklichen (siehe B. III.). II. Ausnahmen vom Anwendungsbereich des AÜG 1. § 1 Abs. 1a AÜG - Abordnung zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Gem. § 1 Abs. 1a Satz 1 AÜG liegt keine Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn die Abordnung zu einer zur Herstellung eines Werks gebildeten Arbeitsgemeinschaft erfolgt, der Arbeitgeber Mitglied dieser Arbeitsgemeinschaft ist, für alle Mitglieder die Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges gelten und alle Mitglieder zur selbstständigen Erbringung von Vertragsleistungen verpflichtet sind. Der Begriff „Werk“ ist i. S. v. § 631 BGB zu verstehen (siehe A. III. 2. b)). Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber insbesondere den Bedürfnissen der Bauwirtschaft Rechnung tragen. Damit sind Arbeitsgemeinschaften sowohl gem. Satz 3 als auch Satz 4 von der Ausnahme ausgeschlossen, deren Zweck auf die Erfüllung einer Dienstleistung gerichtet ist. Die Ausnahme gilt ebenfalls nicht, wenn ein Mitglied keine Vertragsleistungen zur Arbeitsgemeinschaft erbringt. Für einen Arbeitgeber mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedsstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes enthält § 1 Abs. 1a Satz 2 AÜG eine Besonderheit. Für ihn ist die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft auch dann keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn für ihn die deutschen Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges nicht gelten, er aber die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1a Satz 1 AÜG erfüllt. Für die Zugehörigkeit zum selben Wirtschaftszweig kommt es nicht darauf an, in welchem Wirtschaftszweig sich der ausländische Betrieb im Inland betätigt, sondern darauf, zu welchem Wirtschaftszweig er nach seiner Gesamttätigkeit im Europäischen Wirtschaftsraum gehört. 112 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 26. 44 Beispiel: Werksarbeitsgemeinschaften kommen vor allem im Baugewerbe vor. Dabei handelt es sich um den vorübergehenden Zusammenschluss rechtlich selbstständiger Unternehmen desselben Wirtschaftszweigs zum Zwecke der gemeinsamen Herstellung eines Werks (z. B. Großauftrag), im Hinblick auf eine stärkere Leistungsfähigkeit der damit zusammengeschlossenen Unternehmen, aus Gründen der Risikominderung durch entsprechende Haftungsverteilung oder zum Zwecke der Erlangung von Kostenvorteilen durch entsprechend rationellere Arbeitsweise. 2. Ausnahmen nach § 1 Abs. 3 AÜG Bestimmte Fallgestaltungen werden gemäß § 1 Abs. 3 AÜG vom Anwendungsbereich des AÜG teilweise ausgenommen. Ausdrücklich finden nur die Normen des § 1b Satz 1, des § 16 Abs. 1 Nr. 1b und Abs. 2 bis 5 sowie die §§ 17 und 18 AÜG Anwendung. Die folgende Übersicht stellt den Inhalt des § 1 Abs. 3 AÜG tabellarisch dar. Sie listet die Paragrafen des AÜG auf und gibt an, welche Regelungen des AÜG trotz des Privilegs zu beachten sind und welche nicht: Inhalt Norm Anwendung Erlaubnispflicht § 1 Abs.1 S. 1 NEIN Verbot des Kettenverleihs § 1 Abs. 1 S. 3 NEIN Bezeichnungspflicht § 1 Abs. 1 S. 5 NEIN Konkretisierungspflicht § 1 Abs. 1 S. 6 NEIN Überlassungshöchstdauer § 1 Abs. 1b NEIN Einschränkungen im Baugewerbe § 1b JA Behördliches Erlaubnisverfahren §§ 2 – 7 NEIN Lohnuntergrenze § 3a (wohl) NEIN Beachtung des Gleichstellungsgrundsatze §8 NEIN Unwirksamkeit und Fiktion §§ 9, 10 NEIN Informationspflichten § 11 NEIN Streikeinsatzverbot §11 Abs. 5 NEIN Vorgaben für Arbeitnehmerüberlassungs- § 12 vertrag NEIN Ansprüche des Leiharbeit-nehmers gegen §§ 13 – 13 b den Entleiher NEIN Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte § 14 der Betriebsräte NEIN Ordnungswidrigkeit für das Baugewerbe § 16 Abs.1 Nr. 1f, JA Abs. 2 - 5 Ordnungswidrigkeiten im Übrigen § 16 NEIN Durchführungsvorschriften der BA und der §§ 17, 18 Zollverwaltung JA Meldepflichten, Dokumentationspflichten NEIN § 17b und § 17c 45 Neben, den für die M+E-Branche nicht relevanten Ausnahmen für den öffentlichen Dienst (Nr. 2b und Nr. 2c) unterfallen die folgenden Fallgestaltungen der Ausnahmeregelung: a) § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG – Überlassung zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassung Das AÜG findet nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG keine Anwendung wenn, ein für den Entleiher und Verleiher geltender Tarifvertrag dies vorsieht, die Arbeitgeber demselben Wirtschaftszweig angehören und die Personalausleihe zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen erfolgt. Dabei muss es sich um denselben Tarifvertrag handeln. Verschiedene Tarifverträge genügen nicht. Möglich ist jedoch, dass ein nicht tarifgebundener, aber vom Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasster Arbeitgeber die Geltung des Tarifvertrages individualrechtlich vereinbart. Allerdings bleibt es auch hier bei der Voraussetzung „desselben Wirtschaftszweigs“. Nach dem Zweck der Vorschrift genügt nicht die subjektive Absicht des Verleihers, sondern die Arbeitnehmerüberlassung muss objektiv geeignet sein, Kurzarbeit oder Entlassungen zu verhindern. b) § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG – Konzernprivileg Ausgenommen vom Anwendungsbereich des AÜG ist die Überlassung von Arbeitnehmern zwischen Konzernunternehmen im Sinne von § 18 Aktiengesetz, soweit der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Der Ausnahmetatbestand soll weiterhin den vorübergehenden Einsatz von Arbeitnehmern bei anderen Konzernunternehmen ohne bürokratische Hürden ermöglichen.113 In diesem Fall ist nämlich nur „der interne Arbeitsmarkt des Konzerns betroffen [und] eine soziale Gefährdung der Leiharbeitnehmer nicht gegeben.“114 Entsendungen von Arbeitnehmern bzw. Entsendungen durch reine Verleihunternehmen (Personalführungsgesellschaften) im Konzern sind von der umfassenden Anwendung des AÜG hingegen nicht ausgenommen. Trotz des Bezugs auf das Aktiengesetz muss es sich bei den Konzernunternehmen nicht um Aktiengesellschaften handeln.115 Voraussetzung ist nach der Gesetzesfassung lediglich, dass es sich um mindestens zwei rechtlich selbstständige Unternehmen unter einheitlicher Leitung handelt.116 Der Konzern kann sowohl ein Überordnungskonzern (§ 18 Abs. 1 AktG) als auch ein Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs. 2 AktG) sein. Das Konzernprivileg greift dann ein, wenn der Arbeitnehmer nicht ausschließlich zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt, sondern ggf. gelegentlich auch beim anderen Konzernunternehmen eingesetzt wird. 113 Kock in BeckOK, AÜG, § 11, Rn. 111. Gesetzesbegründung BT-Drs. 10/3206 v. 17.04.1985, S. 33. 115 BAG v. 05.05.1988 – 2 AZR 795/87. 116 Wank in ErfK, § 1 AÜG, Rn. 58. 114 46 Eine Einstellung zum Zwecke der Überlassung liegt vor, wenn der Leiharbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrags oder mit einer entsprechenden Änderung die Erklärung abgibt, in Abweichung von § 613 Satz 2 BGB ausschließlich als Leiharbeitnehmer tätig zu werden.117 Mit dem Merkmal „beschäftigt sein“ möchte der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Arbeitnehmer auch nicht später ausschließlich zum Zwecke der Überlassung beschäftigt wird.118 Für die Anwendbarkeit des Konzernprivilegs ist es damit unschädlich, wenn der Arbeitnehmer z. B. aufgrund einer Konzernversetzungsklausel auch als Leiharbeitnehmer eingesetzt werden kann. Beispiel: Der konzernintern überlassene Arbeitnehmer wird als „normaler“ Arbeitnehmer eingestellt und beschäftigt, er wird jedoch aufgrund einer Konzernversetzungsklausel auch als Leiharbeitnehmer in einem anderen Konzernunternehmen im Rahmen einer Karriereentwicklungsmaß119 nahme eingesetzt. Praxishinweis: Die Berufung auf das Konzernprivileg ist in der Praxis nicht gänzlich ohne Risiko. Denn die Regelung wird in der juristischen Fachliteratur teilweise für europarechtswidrig gehalten, weil die europäische Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG keine Ausnahmetatbestände für konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG enthält.120 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass das EU-Recht auch keine Erlaubnispflicht für die Arbeitnehmerüberlassung kennt und eine Ausnahme von der Erlaubnispflicht mithin tatbestandlich schon gar nicht europarechtswidrig sein kann. Grundsätzlich müsste jeder Ausnahmetatbestand mit der Leiharbeitsrichtlinie abgeglichen werden. So etwa auch eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten — die jedoch nicht von der Richtlinie gefordert wird. Zum Tatbestandsmerkmal der vorübergehenden Überlassung hatte die EU-Kommission ein gegen die Bundesrepublik eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren mit der Begründung eingestellt, dass „die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, eine Höchstdauer für die Überlassung von Leiharbeitnehmern an entleihende Unternehmen festzulegen“.121 c) § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG – Gelegentliche Überlassung zwischen Arbeitgebern Die Überlassung muss gelegentlich erfolgen und es darf keine Einstellung zum Zweck der Überlassung stattfinden. „Gelegentlich“ bezieht sich nicht auf die Dauer des Einsatzes, sondern darauf, ob die Übernahme planmäßig oder nur gelegentlich, bei besonderem Bedarf, erfolgt.122 Unter die Ausnahmevorschrift fallen daher nur spontane Überlassungsfälle, beispielsweise der Fremdeinsatz aufgrund eines kurzfristigen Spitzenbedarfes eines anderen Unternehmens.123 117 Ulber, AÜG, § 1, Rn. 370. Boemke/Lembke, § 1 AÜG, Rn. 231 f. 119 Lembke, DB 2011, 414. 120 Lembke, BB 2012, 2497. 121 EU-Kommission v. 20.07.2015, Az. CHAP (2015)00716. 122 Wank in ErfK, § 1 AÜG, Rn. 61. 123 BT-Drs 17/4808, S 8 – „fehlende Wiederholungsabsicht“. 118 47 Eine lediglich gelegentliche Arbeitnehmerüberlassung liegt deshalb wohl nur dann vor, wenn das überlassende Unternehmen den Arbeitnehmer nur ausnahmsweise und nicht wiederholt demselben Entleiher zur Arbeitsleistung überlässt.124 Auch bei diesem Ausnahmetatbestand ist umstritten, ob er überhaupt mit der EU-Richtlinie vereinbar ist, da diese auch für gelegentliche Aushilfen keinen Ausnahmetatbestand vorsieht. Praxishinweis: Die Bundesagentur für Arbeit führt in Ziff. 1.3.3 Abs. 2 ihrer Geschäftsanweisung zum AÜG aus, dass das Merkmal „gelegentlich“ bezwecke, Bagatellfälle von dem Erlaubniserfordernis zu befreien.125 Ein Bagatellfall wird daher nicht mehr vorliegen, wenn die Überlassung nachhaltig und planmäßig erfolgt. d) § 1 Abs. 3 Nr. 3 AÜG – Auslandsverleih aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen Ein weiterer Ausnahmetatbestand greift bei Arbeitnehmerüberlassung in das Ausland, soweit der Leiharbeitnehmer in ein auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen begründetes deutsch-ausländisches Gemeinschaftsunternehmen verliehen wird, an dem der Verleiher beteiligt ist. Hiervon erfasst ist nur die Entsendung eines oder mehrerer Arbeitnehmer durch ein im Inland ansässiges Unternehmen ins Ausland, nicht jedoch der umgekehrte Fall. Voraussetzung für die Ausnahme ist, dass der Verleih an ein deutsch-ausländisches Gemeinschaftsunternehmen erfolgt, das auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen gegründet worden ist. Beispiel: Zwei selbstständige Unternehmen (darunter ein deutsches und ein ausländisches) beteiligen sich gesellschaftsrechtlich auf der Grundlage einer zwischenstaatlichen Vereinbarung an einem weiteren, rechtlich selbstständigen Unternehmen (mit Sitz im Ausland), um ein Joint Venture zu gründen (z. B. Bau eines Montagewerks zur Herstellung von Autos). Das deutsche Unternehmen entsendet im Rahmen von Arbeitnehmerüberlassung einen Mitarbeiter an das Gemeinschaftsunternehmen. III. Fragen der Sozialversicherung und Lohnsteuer 1. Sozialversicherungsbeiträge a) Rechtmäßige Arbeitnehmerüberlassung Bei der wirksamen Arbeitnehmerüberlassung besteht ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis nur zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer. Der Verleiher hat somit gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. 124 125 Leuchten, NZA 2011, 608. Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit v. 20.01.2016. 48 Der Entleiher haftet jedoch neben dem Verleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit, in der ihm der Leiharbeitnehmer überlassen war, rückständig sind. Gemäß §§ 771, 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann der Entleiher die Zahlung daher nicht deswegen verweigern, weil die Einzugsstelle nicht zuvor die Zwangsvollstreckung gegen den Verleiher betrieben hat. Die Zahlungspflicht des Entleihers setzt allerdings erst dann ein, wenn die Einzugsstelle den Verleiher gemahnt hat und die Mahnfrist abgelaufen ist (§ 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Praxishinweis: Um das Risiko der Inanspruchnahme zu minimieren, kann gegebenenfalls erwogen werden, vor Vertragsschluss vom Verleiher die Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Krankenkasse über die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge zu verlangen. Entscheidet sich der Entleiher dafür, sollte er sich auch das Recht ausbedingen, während der Vertragslaufzeit die Vorlage einer solchen Bescheinigung zu fordern. Zwar kann das Haftungsrisiko dadurch weder rechtlich noch faktisch ausgeschlossen werden. Der Entleiher hat insofern einen Anhaltspunkt für die Zuverlässigkeit des Verleihers, als er den Nachweis hat, dass in der Vergangenheit überhaupt Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden. Der Entleiher kann sich für den eventuellen Fall der Inanspruchnahme durch den Sozialversicherungsträger nur dann vor dem finanziellen Risiko schützen, wenn und soweit der Verleiher bereit und in der Lage ist, ihm Sicherheiten (z. B. eine Bankbürgschaft) zu stellen. Zudem sollte dem Entleiher im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vorsorglich das Recht eingeräumt werden, die Überlassungsvergütung im Umfang der Beitragsforderung einzubehalten. Auch können im Fall des Rückgriffs Verhandlungen mit der Einzugsstelle hilfreich sein. Der Beitragsbescheid sollte angefochten werden, wenn sich ihm nicht im Einzelnen entnehmen lässt, welche Beiträge für welche Arbeitnehmer und für welche Zeiträume geltend gemacht werden. b) Rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung Bei der rechtswidrigen und damit unwirksamen Arbeitnehmerüberlassung können ab der Fiktion des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher nebeneinander ein faktisches Arbeitsverhältnis zum Verleiher und ein fingiertes Arbeitsverhältnis zum Entleiher bestehen, wenn alle beteiligten Vertragsparteien diese Fiktion nicht erkennen bzw. in der Praxis nicht umsetzen.126 Aufgrund der Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist grundsätzlich der Entleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers und daher gemäß § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV zahlungspflichtig bezüglich des Gesamtsozialversicherungsbeitrages.127 In den Fällen der Unwirksamkeit der Arbeitnehmerüberlassung gemäß § 9 Nr. 1 bis 1b) AÜG ist der Verleiher allerdings gemäß § 28e Abs. 2 Satz 3 SGB IV für die Sozialversicherungsbeiträge abführungspflichtig, die auf das Entgelt entfallen, welches er dem Leiharbeitnehmer zahlt. Insoweit sind Verleiher und Entleiher Gesamtschuldner gemäß § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV. Bis zur vollständigen Erfüllung kann die Einzugsstelle sowohl vom Verleiher als auch vom Entleiher den vollen Gesamtsozialversicherungsbetrag fordern. 126 127 Wehrhahn in KassKomm, SGB IV, § 28e Rn. 22. BeckOK SozR/Wagner, SGB IV § 28e Rn. 10. 49 2. Lohnsteuer Bezüglich der Lohnsteuer ist grundsätzlich der Verleiher als Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers Abführungspflichtiger gegenüber dem Finanzamt. Dies gilt sowohl für die wirksame, wie auch für die unwirksame Arbeitnehmerüberlassung. Die Fiktion des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher gemäß § 10 Abs. 1 AÜG schlägt nicht auf das Steuerrecht durch.128 Der Entleiher haftet aber ersatzweise neben dem Verleiher für rückständige Lohnsteuer der Leiharbeiter (§ 42d Abs. 6 Einkommensteuergesetz – EStG).129 Es handelt sich hierbei um eine nachrangige Ausfallhaftung. Der Entleiher kann erst dann in Anspruch genommen werden, wenn die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Verleihers fehlgeschlagen ist oder keinen Erfolg verspricht. Gemäß § 42d Abs. 6 Satz 2 EStG haftet der Entleiher nicht, wenn der Verleiher eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat und seiner Mitwirkungspflicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 2d) EStG nachgekommen ist. Die Haftung auf Zahlung der rückständigen Lohnsteuer entfällt auch dann, wenn der Entleiher über das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung ohne Verschulden irrte (§ 42d Abs. 6 Satz 3 EStG). Allerdings werden an das Fehlen des Verschuldens hohe Anforderungen gestellt, so dass diese Befreiungsmöglichkeit in der Praxis kaum eingreift. IV. Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung Das AÜG folgt dem Territorialitätsprinzip und gilt damit nur für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Erlaubnis ist, soweit keine der oben genannten Ausnahmen vorliegt, damit auch dann erforderlich, wenn Arbeitnehmer ins Ausland oder vom Ausland ins Inland verliehen werden. Ausländische Verleiher, die Arbeitnehmer an Betriebe in der Bundesrepublik verleihen wollen, bedürfen neben einer ggf. erforderlichen Erlaubnis ihres Heimatstaates auch der Erlaubnis der deutschen Arbeitsverwaltung.130 Keine Erlaubnis der deutschen Behörden ist bei einem reinen Auslandssachverhalt erforderlich, also wenn ein ausländischer Verleiher ausländische Arbeitnehmer an ein deutsches Unternehmen im Ausland überlässt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Entleiher den Arbeitnehmer tatsächlich im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland einsetzt.131 Praxishinweis: Ist die Überlassung an einen ausländischen Arbeitgeber beabsichtigt, müssen zusätzlich eventuelle Beschränkungen und Zulässigkeitsvoraussetzungen der Leiharbeit im Einsatzstaat berücksichtigt werden. 128 NomosKommentar-ArbR/ David Hummel, § 42d EStG, Rn. 35. § 42d Abs. 6 EStG spricht nur von Arbeitnehmerüberlassung „im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist“. Eine Anpassung des § 42d Abs. 6 EStG erfolgte im Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze nicht. 130 Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit, Stand: Januar 2016, 3. § 3 3.2 (6), S. 59. 131 Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit, Stand: Januar 2016, 3. § 3 3.2 (6), S. 59. 129 50 1. EU-Mitgliedsstaat oder EWR-Staat Nach der Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit (Stand: Januar 2016) bedarf die Arbeitnehmerüberlassung innerhalb der EU-Staaten bzw. der EWRStaaten (Island, Liechtenstein, Norwegen) grundsätzlich einer Erlaubnis. Ein in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes ansässiger Verleiher benötigt dann eine deutsche Verleiherlaubnis, wenn er Leiharbeitnehmer an einen Entleiher in Deutschland überlässt. Verleiher aus EU-Staaten und EWR-Staaten erhalten die Erlaubnis unter den gleichen Voraussetzungen wie inländische Verleiher (§ 3 Abs. 4 AÜG). Praxishinweis: Eine Ausnahme kann dann bestehen, wenn ein Leiharbeitnehmer aber von einem Verleiher in einem anderen Mitgliedstaat und EWR-Staat an einen ebenfalls dort ansässigen Entleiher überlassen wird und von diesem tatsächlich im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland eingesetzt wird. Hier bedarf es keiner gesonderten Erlaubnis nach dem AÜG. 2. Beitrittsländer Welche Arbeitnehmer verliehen werden können, richtet sich nach den Bestimmungen des Arbeitserlaubnisrechts. Spätestens mit dem Wegfall der letzten Übergangsregelungen am 1. Juli 2015 können nun alle Unternehmen der EU-Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa (Polen, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Slowenien, die Slowakische Republik, die Tschechische Republik, Bulgarien, Rumänien, Kroatien sowie Malta und Zypern) ihre Arbeitnehmer grenzüberschreitend an Entleiher mit Sitz in Deutschland überlassen. Dies gilt seit dem Wegfall der Übergangsregelungen am 1. Januar 2014 auch für Unternehmen aus den EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien. 3. Drittstaat Verleiher aus einem Drittstaat können aufgrund internationaler Abkommen mit inländischen Verleihern gleich zu behandeln sein (§ 3 Abs. 5 AÜG).132 Ansonsten muss die Erlaubnis Verleihern aus Drittstaaten versagt werden, sofern nicht die Betriebsstätte, von der aus sie die Überlassung betreiben, in einem EU- oder EWR-Staat liegt (§ 3 Abs. 2 AÜG). In diesem Fall steht die Erteilung im Ermessen der Behörde (§ 3 Abs. 3 AÜG). 4. Ausländerbeschäftigung Ausländische Leiharbeitnehmer aus sog. Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union (ausgenommen Island, Liechtenstein und Norwegen als Mitglieder des EWR) dürfen in der Bundesrepublik grundsätzlich ohne Genehmigung keine Beschäftigung ausüben. Wie im vorigen Kapitel beschrieben, richtet sich die Entscheidung, welche Arbeitnehmer grenzüberschreitend verliehen werden können, also grundsätzlich nach den Bestimmungen des Arbeitserlaubnisrechts. 132 Derartige Assoziierungsabkommen der EU bestehen zurzeit z. B. mit der Türkei (AnkaraAbkommen: 1963) und den Westbalkanstaaten (Mazedonien: 2004; Albanien: 2009; Montenegro: 2010; Serbien: 2013; Bosnien-Herzegowina: 2015; Kosovo: 2016). In jüngster Zeit sind ähnliche Vereinbarungen mit drei Ländern der Östlichen Partnerschaft (Ukraine, Georgien und der Republik Moldau) getroffen worden. 51 Das ehemals doppelt ausgestaltete Genehmigungsverfahren für die Aufenthaltsgenehmigung (Ausländerbehörde) einerseits und die Arbeitsgenehmigung (Arbeitsverwaltung) andererseits ist weggefallen und wurde durch ein konzentriertes Verwaltungsverfahren ersetzt (sog. one-stop-shop-Verfahren). Die §§ 285 und 286 SGB III wurden dazu aufgehoben, und stattdessen hat die Ausländerbehörde nun mit der Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis auch zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine Erwerbstätigkeit nach den Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes und der Verordnungen gem. § 42 AufenthG erlaubt wird. Von dem Genehmigungserfordernis ausgenommen sind Ausländer, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und Ausländer, für die aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen oder aufgrund von besonderen Rechtsvorschriften eine solche Genehmigung nicht erforderlich ist (§ 284 SGB III i. V. m. AufenthG/Beschäftigungsverordnung). Seit dem 28. Oktober 2015 gelten erleichterte Bedingungen zum Arbeitsmarktzugang für Asylbewerber und Geduldete. So ist z. B. für diese Gruppe der Drittstaatsangehörigen das generelle Leiharbeitsverbot entfallen. Frühestens nach drei Monaten können daher Asylbewerber und Geduldete alle Beschäftigungen in einem Mangelberuf auch als Leiharbeitnehmer aufnehmen, spätestens nach 15 Monaten steht der gesamt Arbeitsmarkt offen. Es bleibt aber bei der Pflicht zur Prüfung der Arbeitsbedingungen und der erforderlichen Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Ein generelles Beschäftigungsverbot besteht zudem, solange der Ausländer verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Der Entleiher, der einen ausländischen Leiharbeitnehmer beschäftigt, dem die erforderliche Genehmigung nicht erteilt worden ist, kann mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro belegt werden, in besonderen Fällen drohen auch Freiheits- und Geldstrafen (vgl. §§ 15a und 16 Abs. 1 Nr. 2 AÜG). Außerdem haftet der Entleiher für die Kosten der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers (§ 66 Abs. 4 AufenthG), wenn der Verleiher nicht die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzt.133 Praxishinweis: Vom Verleiher sollte unbedingt Auskunft über die Staatsangehörigkeit der Leiharbeitnehmer und zum Nachweis der Arbeitsberechtigung der Aufenthaltsstitel oder der Voraussetzungen für die Befreiung von der Genehmigungspflicht gefordert werden. Zudem sollte man sich unbedingt später den Aufenthaltstitel bzw. die Berechtigung vom Drittstaatangehörigen selbst vorlegen lassen, um im Rahmen der Entleiherpflichten auch tatsächlich prüfen zu können, ob die Erwerbstätigkeit im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung gestattet ist. In jedem Aufenthaltstitel ist direkt vermerkt, ob und in welchem Umfang eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden darf! Außerdem sollte man eine Kopie des Aufenthaltstitels zur Akte nehmen und auch das Gültigkeitsdatum des Aufenthaltstitels notieren. V. Rechtsbeziehungen zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer Auf Grund der Tatsache, dass bei der Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) von seinem Arbeitgeber (Verleiher) einem Dritten (Entleiher) zumeist gegen ein Entgelt zur Arbeitsleistung überlassen wird, entsteht aus der „üblichen“ Zweierbeziehung eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Verleiher, dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer, in der die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers teilweise auf den Entleiher übertragen werden: 133 BVerwG v. 13.11.1979 – 1 C 31/78. 52 1. Arbeitgeberfunktion und Direktionsrecht Der Entleiher hat Anspruch auf die vereinbarte Arbeitsleistung des Leiharbeitnehmers. Er kann daher dem Leiharbeitnehmer im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung stehende Weisungen erteilen. Ein Arbeitsverhältnis besteht jedoch nur zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer. Der Entleiher ist nicht Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers. Vergütungsansprüche des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher bestehen daher nicht. 2. Arbeitnehmererfindungen § 11 Abs. 7 AÜG fingiert den Entleiher als Arbeitgeber i. S. d. Arbeitnehmererfindungsgesetzes, soweit der Leiharbeitnehmer während der Dauer der Tätigkeit eine Erfindung oder einen technischen Verbesserungsvorschlag macht. 3. Informationspflichten a) Auskunftspflicht über Arbeitsbedingungen Der Leiharbeitnehmer kann im Fall der Überlassung vom Entleiher eine Auskunft über die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts verlangen (§ 13 AÜG). Diese Verpflichtung entfällt, soweit der Verleiher einen vom Gleichstellungsgrundsatz (§ 8 Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 AÜG) abweichenden Tarifvertrag zur Anwendung bringt. b) Informationspflicht über freie Arbeitsplätze Außerdem trifft den Entleiher gem. § 13a AÜG eine Informationspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer über im Betrieb oder im Unternehmen134 zu besetzende Arbeitsplätze. Gehören zum Unternehmen auch ausländische Betriebe, sind die Leiharbeitnehmer auch über dortige freie Stellen zu informieren.135 Zweck dieser im Vergleich zur Stammbelegschaft weitergehenden Regelung soll es sein, Leiharbeitnehmer aufgrund dieser Information die Bewerbung um eine Stelle im Entleihunternehmen zu ermöglichen.136 Die Informationsverpflichtung besteht unabhängig von einem Verlangen des Leiharbeitnehmers oder des Betriebsrates gem. § 93 BetrVG und wohl auch unabhängig davon, ob diese für die Leiharbeitnehmer geeignet erscheinen.137 Praxishinweis: Die Information kann durch Aushang am Schwarzen Brett ebenso wie durch das Intranet oder durch die Werkszeitung erfolgen, wenn alle Leiharbeitnehmer auch hierzu einen Zugang haben.138 Bei Verletzung der Informationspflicht kann ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber aus § 280 Abs. 1 BGB bestehen.139 4. Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen § 13b AÜG gewährt dem Leiharbeitnehmer einen Anspruch gegenüber dem Entleiher auf Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie vergleichbaren Arbeitnehmern im Betrieb. 134 Kock in BeckOK ArbR, AÜG § 13a Rn. 4. Kock in BeckOK ArbR, AÜG § 13a Rn. 4. 136 BR-Drs. 847/10, S. 10. 137 A.A. Kock in BeckOK, § 13a, Rn. 8. 138 Geschäftsanweisung zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit v. 20.012016, S. 84. 139 ErfK § 13a AÜG, Rn. 3. 135 53 Was unter Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten zu verstehen ist, definiert das Gesetz nicht. Die Begriffe dürften i. S. v. Art 6 der EU-Richtlinie auszulegen sein. Hierunter können Erholungsheime, Parkplätze oder Einrichtungen zum verbilligten Personaleinkauf fallen.140 Nicht erfasst werden wohl vom Entleiher an seine Arbeitnehmer gewährte Geldleistungen oder -surrogate (Essens-, Fahrtkosten-, Mietzuschüsse, Tankgutscheine usw.).141 Praxishinweis: Verstöße können auch hier Schadensersatzansprüche des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher begründen und stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 250.000 EUR belegt werden kann (§ 16 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 AÜG). 5. Arbeitssicherheit Der Entleiher ist neben dem Verleiher verantwortlich für die Arbeitssicherheit des Leiharbeitnehmers. Er hat auch beim Leiharbeitnehmer für die Beachtung der für seinen Betrieb geltenden Vorschriften des Arbeitsschutzrechtes, insbesondere der Unfallverhütungsvorschriften zu sorgen (§ 11 Abs. 6 AÜG). Er hat ihn über Sicherheit und Gesundheitsschutz zu unterweisen (§ 12 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz). Insbesondere hat er ihn vor Beginn der Beschäftigung und bei Veränderungen in seinem Arbeitsbereich über Gefahren für Sicherheit und Gesundheit, denen er bei der Arbeit ausgesetzt sein kann, sowie über die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwehr dieser Gefahren zu unterrichten. Zusätzlich hat er ihn gegebenenfalls über die Notwendigkeit besonderer Qualifikationen oder beruflicher Fähigkeiten oder einer besonderen ärztlichen Überwachung sowie über erhöhte besondere Gefahren des Arbeitsplatzes zu informieren. Einen Unfall des Leiharbeitnehmers müssen sowohl der Verleiher als auch der Entleiher der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (Zuständigkeit gemäß § 3 I Ziffer 32 der Satzung der VBG) anzeigen. Der Entleiher sollte vorsorglich auch eine Meldung an die für ihn zuständige Berufsgenossenschaft abgeben. Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind über den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu unterrichten (§§ 2 Abs. 2 und 5 Abs. 2 Arbeitssicherheitsgesetz). 6. Streikeinsatzverbot, § 11 Abs. 5 AÜG Der Gesetzgeber hat in der Neufassung des § 11 Abs. 5 AÜG ein gestuftes Streikeinsatzverbot normiert. In der ersten Stufe nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG dürfen Entleiher Leiharbeitnehmer nicht tätig werden lassen, wenn ihr Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Ein Wahlrecht des Leiharbeitnehmers, ob er im bestreikten Betrieb (weiterhin) mit Aufgaben tätig werden will, die bislang von Streikenden wahrgenommen wurden, besteht nicht mehr.142 In einer zweiten Stufe macht § 11 Abs. 5 Satz 2 AÜG von diesem Verbot eine Ausnahme. Entleiher dürfen nach § 11 Abs. 5 Satz 2 AÜG Leiharbeitnehmer grundsätzlich einsetzen, wenn der Einsatz streikneutral erfolgt. Der Entleiher muss sicherstellen können, dass keine Tätigkeiten von Streikenden übernommen werden. Selbst in diesem Ausnahmefall scheidet ein Einsatz jedoch aus, wenn der Leiharbeitnehmer von seinem auch bisher bestehenden Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch macht. 140 Lembke, NZA 2011, 319. Küttner, Personalbuch 2016, Nr. 34, Rn. 46. 142 Motz in BeckOK, AÜG, § 11, Rn. 3.3. 141 54 Praxishinweis: In der Arbeitskampfsituation kann es erhebliche Schwierigkeiten bereiten sicherzustellen, dass keine Tätigkeiten von Streikenden durch weiter arbeitende Leiharbeitnehmer übernommen werden, da es eine solche klare Zuordnung von Tätigkeiten im Produktionsablauf kaum gibt. Wegen der drohenden Sanktion in § 16 Abs. 1 Nr. 8a, Abs. 2 AÜG (Geldbuße bis zu 500.000 Euro) sollte hier sorgfältig vorgegangen werden. Hinzu kommt, dass nach geltender Rechtslage die Manteltarifverträge der Zeitarbeitsbranche zwischen BAP/DGB sowie iGZ/DGB dem Verleiher verbieten, Leiharbeitnehmer zum Einsatz in einem bestreikten Entleiherbetrieb zu überlassen. Ein Einsatz von Leiharbeitnehmern in einem bestreikten Betrieb war für den Verleiher aber möglich, wenn auf das Arbeitsverhältnis keiner der beiden Tarifverträge Anwendung fand und der Arbeitnehmer nicht von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machte. Der Einsatz erfolgte dann unter Anwendung des Equal Pay/Equal Treatment Grundsatzes. Der Entleiherbetrieb ist unmittelbar betroffen, wenn der Betrieb in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich des angestrebten Tarifvertrags fällt und selbst von einem Streikbeschluss erfasst wird oder an einer Aussperrung teilnimmt.143 Unklar ist, ob der Streikbeschluss auch rechtmäßig sein muss.144 Hierfür spricht, dass ein rechtswidriger Streikbeschluss „nicht dadurch unterstützt werden kann“, dass es dem Betrieb verboten bleibt trotz der rechtswidrigen Maßnahme den Streik durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern „abzufedern“. Ansonsten würde die Kampfparität zu Lasten der Arbeitgeberseite unverhältnismäßig gestört. Hinzu kommt, dass der einzelne Leiharbeitnehmer durch die Anforderung auch nicht schutzlos gestellt ist, da ihm in jedem Fall ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 11 Abs. 5 S. 3 AÜG zusteht. 7. Betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Leiharbeitnehmer Betriebsverfassungsrechtlich bleiben die Leiharbeitnehmer grundsätzlich Arbeitnehmer des Verleihers (§ 14 Abs. 1 AÜG). Da der Leiharbeitnehmer Arbeitnehmer des Verleihers ist, stehen Mitbestimmungsrechte grundsätzlich dem Betriebsrat des Verleiherbetriebs zu. a) Betriebsratswahlen beim Entleiher Leiharbeitnehmer können auch an den Betriebsratswahlen im Entleihbetrieb teilnehmen, wenn sie dort zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl für einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr als drei Monate eingesetzt werden (§ 7 Satz 2 BetrVG). Sie sind jedoch nur aktiv wahlberechtigt. Sie können nicht in den Betriebsrat des Entleihbetriebes gewählt werden (§ 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG). b) Betriebsverfassungsrechtliche Schwellenwerte im Entleiherbetrieb Bis 2012 galt der betriebsverfassungsrechtliche Grundsatz: „Leiharbeitnehmer wählen, aber zählen nicht.“ Diesen Grundsatz hat das BAG durch seine Rechtsprechung geändert.145 Mit Einführung der § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung nun fortgeschrieben. Demnach sind Leiharbeitnehmer bei betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen. Allerdings gilt hierfür – wie bei für jedem Schwellenwert im Betriebsverfassungsgesetz – zu prüfen, ob die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt vor allem auch für das Erfordernis, dass der Leiharbeitnehmer „in der Regel“ im Betrieb eingesetzt wird. 143 Ulrici in NK-ArbR, AÜG § 11 Rn. 28. Ulrici in NK-ArbR, AÜG § 11 Rn. 28. 145 BAG v. 13.03.2013 – 7 ABR 69/11; zum KSchG: BAG v. 24.01.2013 – 2 AZR 140/12. 144 55 In der Gesetzesbegründung146 wird ausdrücklich klargestellt, dass diese Voraussetzung nicht durch § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG aufgehoben wird. Nach der Rechtsprechung des BAG147 setzt eine solche Formulierung voraus, dass die Arbeitnehmer „normalerweise während des größten Teil des Jahres“ im Betrieb sind. Dementsprechend sind die Arbeitsplätze von Leiharbeitnehmern bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten nur zu berücksichtigen, wenn sie länger als sechs Monate besetzt sind. Die Verletzung der Schwellenwerte durch Nichtberücksichtigung von Leiharbeitnehmern kann u. a. folgende Rechtfolgen auslösen: Bußgeld bis zu 10.000 EUR §§ 121 Abs. 1, §§ 99, 106, 110, 111 BetrVG i .V. m. §§ 9, 130 OWiG sowie Eintrag in das Gewerbezentralregister ab einem Bußgeld von 200 EUR nach § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG Anfechtung der Betriebsratswahl nach § 19 BetrVG Unwirksamkeit einzelner Arbeitgebermaßnahmen nach der von der Rechtsprechung entwickelten sog. Unwirksamkeitstheorie, wenn die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nicht beachtet werden. c) Sprechstunden und Versammlungen, Beschwerderecht Des Weiteren sind Leiharbeitnehmer berechtigt, im Entleihbetrieb die Sprechstunden des Betriebsrates aufzusuchen und an den Betriebs- und Jugendversammlungen teilzunehmen. Außerdem gelten die §§ 81, 82 Abs. 1 und 84 bis 86 BetrVG (Mitwirkungs- und Beschwerderechte des Arbeitnehmers) im Entleiherbetrieb auch für die Leiharbeitnehmer (§ 14 Abs. 2 Satz 3 AÜG). 8. Fragen der Unternehmensmitbestimmung a) Beteiligung an den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Auch bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des entleihenden Unternehmens sind die Leiharbeitnehmer wahlberechtigt, wenn sie dort zum Zeitpunkt der Wahl für einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr als drei Monaten eingesetzt werden (vgl. z. B. §§ 10 Abs. 2 Satz 2, 18 Satz 2 Mitbestimmungsgesetz).148 Sie sind jedoch nicht wählbar (§ 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG). b) Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung Nach § 14 Abs. 2 Satz 5 AÜG sind Leiharbeitnehmer nunmehr auch bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung zu berücksichtigen. Sofern die Gesetze der Mitbestimmung eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern erfordern, legt das Gesetz ausdrücklich fest, dass Leiharbeitnehmer nur zu berücksichtigen sind, wenn deren Einsatzdauer im Entleiherunternehmen sechs Monate übersteigt (§ 14 Abs. 2 S. 6 AÜG). Die Nichtbeachtung der Leiharbeitnehmer bei den unternehmensrechtlichen Schwellenwerten kann u. a. zur Anfechtung der Aufsichtsratswahl nach den §§ 21 f. MitbestG oder § 11 DrittelbG führen. 146 Gesetzesbegründung vom 20.07.2016, BT-Drs. 18/9232, S. 29. BAG v. 07.05.2008 – 7 ABR 17/07, Rn. 17. 148 BAG v. 04.11.2015 – 7 ABR 42/13. 147 56 Praxishinweis: Mangels klarstellender Herausnahme gilt die Mitberücksichtigung wohl grundsätzlich auch für „Eingangsschwellenwerte“ der Unternehmensmitbestimmung. Allen KMUs ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. April 2017 damit eine Prüfung anzuraten, ob sie unter die mitbestimmungsrechtlichen Vorgaben fallen. Offen ist, was passiert wenn sich die Arbeitnehmeranzahl während der laufenden Wahlperiode aufgrund der Gesetzesänderung ab 1. April 2017 i. S. d. § 14 Abs. 2 Sätze 5 und 6 AÜG relevant ändert. Nach der bisherigen Praxis ist davon auszugehen, dass die aktuelle Wahlperiode grundsätzlich zu Ende geführt werden kann. Sofern ein Unternehmen in die Mitbestimmung jedoch erst „reinwächst“ sind die relevanten Vorschriften ab dem Tag, an dem die Schwellenwerte überschritten wurden, zu beachten. Aufgrund der Neufassung muss im Einzelfall mit einer größeren Anzahl von Statusverfahren (§ 98 AktG) gerechnet werden. 9. Beteiligung des Betriebsrats des Entleiherbetriebes a) Allgemeiner Unterrichtungsanspruch, § 80 Abs. 2 BetrVG Durch den Gesetzesentwurf wurde klargestellt, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Unterrichtung über Fremdpersonal i. S. v. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG insbesondere auch über den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben der eingesetzten Personen informieren muss (Rechtsanspruch des Betriebsrats). Relevant sind u. a.: Einsatztage und -zeiten, Einsatzbereiche, vertragliche Vereinbarungen mit Werkunternehmern und Auftragnehmern und der Hinweis auf das Weisungsrecht sowie Überlassungsverträge (§ 80 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Der Unterrichtungsanspruch beinhaltet gem. § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG auch die Vorlage von für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Unterlagen auf Verlangen des Betriebsrats. Unterlagen sind hierbei alle Schriftstücke, Fotos und elektronische Datenträger, die der Arbeitgeber im Besitz hat und die Angaben erhalten, welche für die Aufgabe des Betriebsrats von Belang sind.149 Durch die Einschränkung der für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Unterlagen hat der Arbeitgeber ein Vorprüfungsrecht. Angaben, die in keinem Zusammenhang mit der geltend gemachten Überwachungsaufgabe oder Betriebsratsaufgaben stehen, können nach der Rechtsprechung des BAG unkenntlich gemacht werden.150 Dem Betriebsrat müssen nur diejenigen Unterlagen vorgelegt werden, die der Arbeitgeber zur Zeit des Verlangens auch tatsächlich besitzt. Einen Anspruch nicht vorhandene Unterlagen erst zu erstellen oder zu beschaffen, kennt das Gesetz nicht.151 Trotz der Gesetzesänderungen gilt weiterhin, dass diese Rechtsprechung des BAG Anwendung findet und den Entleiher auch keine Beschaffungspflicht trifft. Das wird aus dem Protokoll152 der Beratungen des Gesetzes im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales deutlich. Dort wird betont, dass die Neuregelung „nicht bedeute, dass der Unternehmer seinem Betriebsrat auch die Arbeitsverträge vorlegen müsse“. 149 BAG v.17.03.1983 – 6 ABR 33/80. BAG v. 16.08.2011 – 1 ABR 22/10. 151 Vgl. BAG v. 30.09.2008 – 1 ABR 54/07. 152 Ausschussdokument vom 19.10.2016, BT-Drs. 18/10064, S. 14. 150 57 b) Personalplanung – § 92 Abs. 1 S. 1 BetrVG Auch in § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wurde aufgenommen, dass der Arbeitgeber die Unterrichtung des Betriebsrats über die Personalplanung auf die geplante Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, erstrecken muss. Bei Werk- und Dienstverträgen kann und muss nicht über konkrete Personen oder die konkrete Personenanzahl informiert werden. In diesen Fällen wird eine Aufgabe vergeben und kein Arbeitsvolumen. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat an Hand von Unterlagen unterrichten, wodurch den Betriebsratsmitgliedern Einblick in die Unterlagen zu gewähren ist, auf die der Arbeitgeber seine Entscheidung zum Einsatz von Leiharbeitnehmern stützt. Hierbei findet § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG keine Anwendung,153 weshalb der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, dem Betriebsrat die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. c) Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen – § 99 BetrVG Vor dem Einsatz eines Leiharbeitnehmers ist der Betriebsrat des Entleiherbetriebes nach § 99 BetrVG zu beteiligen. Dies auf Grund des § 14 Abs. 3 AÜG sogar unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten im Entleihbetrieb (Rechtsfolgenverweis auf § 99 BetrVG). Praxishinweis: Aus dem § 2 Ziff. 4 des TV LeiZ 2012 ergibt sich die Besonderheit, dass vorläufige personelle Maßnahmen nach § 100 BetrVG frühestens zehn Kalendertage nach Antragsstellung oder frühestens drei Kalendertage nach erfolgter Zustimmungsverweigerung durchgeführt werden können. In dieser Zeit soll eine betriebliche Lösung angestrebt werden. Notfälle wie kurzfristiger Vertretungseinsatz etc. sind hiervon ausgeschlossen. Diese Einschränkung gilt nach dem § 3 Ziff. 2 TV LeiZ 2012 dann nicht, wenn eine Betriebsvereinbarung nach § 3 abgeschlossen worden ist (vgl. oben). Wird ein neuer Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der M+E-Industrie abgeschlossen, sind gegebenenfalls gleichlauftende tariflichen Abweichungen zu prüfen und zu beachten. aa) Informationsumfang Das Mitbestimmungsrecht wird durch jeglichen Einsatz ausgelöst. Auf die zeitliche Dauer der geplanten Überlassung kommt es nicht an. Der Entleiher muss dem Betriebsrat alle Informationen geben, die für eine Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 BetrVG relevant sein können. Von den Betriebsräten werden verstärkt umfangreiche Informationskataloge abgefordert. Welche Informationen und Unterlagen er verlangen kann, damit die Frist des § 99 BetrVG in Gang gesetzt wird, wird in der folgenden Auflistung dargestellt: Anzahl der Leiharbeitnehmer154 JA Beabsichtigte Dauer des Einsatzes155 JA vorgesehener Arbeitsplatz156 JA Art der Tätigkeit157 JA 153 Thüsing in Richardi, BetrVG, § 92, Rn. 32; Kania in ErfK, BetrVG § 92 Rn. 7. BAG v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09. 155 BAG v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09. 156 BAG v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09. 157 BAG v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09. 154 58 Namen der Leiharbeitnehmer158 JA Qualifikation des Leiharbeitnehmers159 JA Weitere Informationen über die Person (Alter, Anschrift) NEIN160 Arbeitsvertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer NEIN161 Vorlage / Einsicht der Überlassungsverträge § 14 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 12 Abs. 1 S. 3 AÜG, § 80 Abs. 2 S.2 BetrVG sowie TV LeiZ 2012 (§ 5 Ziff. 4) 2012162 JA Aktuelle Erklärung des Verleihers über Besitz einer Verleiherlaubnis (§ 14 Abs. 3 S. 2 AÜG) JA Detaillierte Darlegung, dass es sich nicht um einen dauerhaft zu besetzenden Arbeitsplatz handelt, sondern nur ein vorübergehender Bedarf besteht163 NEIN Nachweis einer Kontaktaufnahme mit den zuständigen Behörden der Arbeitsverwaltung gemäß § 81 SGB IX zwecks Überprüfung, ob schwerbehinderte Arbeitnehmer in Frage kommen164 JA Nachweis über erfolgte Stellenausschreibung gemäß § 93 BetrVG und Vorlage aller eingegangenen Bewerbungen165 JA (nach der BAG-Rspr. (TV LeiZ 2012: Nach 3 Monaten auf Verlangen des Betriebsrats) genügt hierfür schon ein AÜ-Einsatz von 4 Wochen) Nachweis über unternehmensweite Information der Leiharbeitnehmer über die zu besetzenden Arbeitsplätze gemäß § 13 AÜG NEIN Mitteilung über die Auswirkung auf die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, einschließlich Auswirkung auf Beschäftigungsmöglichkeiten für Schwerbehinderte, NEIN leistungsgeminderte Arbeitnehmer, NEIN Teilzeitbeschäftigte mit Erhöhungswünschen sowie NEIN166 auf die Übernahme von Auszubildenden und NEIN befristet Beschäftigten NEIN 158 BAG v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09. BAG v. 09.03.2011 – 7 ABR 137/09. 160 ablehnend zu Bewerbungsunterlagen LAG Niedersachsen v.19.11.2008 – 15 TaBV 159/07. 161 BAG v. 06.06.1978 – 1 ABR 66/75; Düwell /Dahl, NZA-RR 2011, 1. 162 BAG v. 23.01.2008 – 1 ABR 74/06; BAG vom 06.06.1978 – 1 ABR 66/75; ebenso LAG Niedersachsen vom 09.08.2006 – 15 TaBV 53/05. 163 Überlassungshöchstdauer wird arbeitnehmerbezogen bestimmt: vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 20; Antwort der Bundesregierung auf kleine Anfrage der GRÜNEN BT-Drs. 18/9723 v. 22.09.2016, S. 6. 164 BAG v. 23.06.2010 – 7 ABR 3/09. 165 BAG v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12; anders: BAG v. 01.02.2011 – 1 ABR 79/09, das noch von einem Jahr ausging; jeder kurzzeitige Einsatz: LAG Schleswig-Holstein v. 29.02.2012 – 6 TaBV 43/11. 166 BAG v. 01.06.2011 – 7 ABR 117/09. 159 59 Praxishinweis: Zu berücksichtigen ist, dass Betriebsgeheimnisse oder kalkulatorische Grundlagen bei der Einsicht durch den Betriebsrat in den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschwärzt werden können.167 Ein Mitbestimmungsrecht zur Eingruppierung des Leiharbeitnehmers besteht hingegen nicht.168 bb) Zustimmungsverweigerung durch den Betriebsrat Der Betriebsrat kann der Übernahme unter den Voraussetzungen des § 99 Abs. 2 BetrVG widersprechen. Exemplarisch kommen hier in Betracht: (1) Gleichstellungsgrundsatz (§ 8 AÜG) Nach ständiger Rechtsprechung des BAG169 konnte der Betriebsrat die Zustimmung nach alter Rechtslage nicht gem. § 99 Abs. 2 BetrVG mit der Begründung verweigern, die Arbeitsbedingungen des Leiharbeitnehmers verstießen gegen das Gleichstellungsgebot (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2 AÜG a.F.). Da der bisherige Gleichstellungsgrundsatz nun lediglich in § 8 AÜG zusammengeführt worden ist, dürfte sich an der Entscheidungslage des BAG nichts geändert haben. (2) Überlassungshöchstdauer (§ 1 Abs. 1b AÜG) Die Rechtsprechung ging zur Vorgabe des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a.F. davon aus, dass die Vorgabe „vorübergehend“ Basis für einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sein kann170 Der Betriebsrat wird seine Zustimmung nach § 99 BetrVG deshalb insbesondere dann verweigern können, wenn der Arbeitgeber mit der Einstellung die Vorgaben zur Überlassungshöchstdauer nachweislich verletzt.171 Mit Einführung des § 1 Abs. 1b AÜG hat der Gesetzgeber die Verbotsnorm zur vorübergehenden Überlassung im Sinne des § 99 BetrVG weiter konkretisiert. Praxishinweis: Der TV LeiZ 2012 trifft abweichende Bestimmung zu den Fristen des § 100 Abs. 1 BetrVG. Eine vorläufige personelle Maßnahme kann frühestens zehn Kalendertage nach Antragstellung oder frühestens drei Kalendertrag nach erfolgter Zustimmungsverweigerung durchgeführt werden. (3) Zustimmungsverweigerung bei gesetzlicher Fiktion nach §§ 9, 10 AÜG? Entsteht aufgrund §§ 9, 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher aufgrund gesetzlicher Fiktion, steht dem Betriebsrat hiergegen kein Zustimmungsverweigerungsrecht zu. Sein Mitbestimmungsrecht entfällt insoweit.172 Hintergrund ist, dass der Arbeitgeber auf das Entstehen des Arbeitsverhältnisses keinen (unmittelbaren) Einfluss hat und das Kontrollrecht des Betriebsrats insoweit fehl geht. Der Betriebsrat kann daher dem Arbeitgeber über das § 101-Verfahren auch nicht aufgeben lassen, dass er die Maßnahme aufzuheben hat. Allerdings kann durch die Fiktion eine mitbestimmungspflichtige Ein-/Umgruppierung des Leiharbeitnehmers in Betracht kommen.173 167 BAG v. 16.08.2011 – 1 ABR 22/10. BAG v. 17.06.2008 – 1 ABR 39/07. 169 BAG v. 01.06.2012 – 7 ABR 117/09; v. 21.07.2009 – 1 ABR 35/08. 170 BAG v. 21.07.2009 – 1 ABR 35/08. 171 Zuletzt BAG v. 30.09.2014 – 1 ABR 79/12. 172 Fitting, BetrVG, § 99, Rn. 60. 173 Fitting, BetrVG, § 99, Rn. 60. 168 60 d) Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten Gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat des Entleiherbetriebs in mitbestimmungspflichtigen sozialen Angelegenheiten nach der Rechtsprechung des BAG nur dann zu beteiligen, wenn der Entleiher die mitbestimmungspflichtige Entscheidung trifft. 174 Das ist denkbar bei der Eingliederung in die betriebliche Organisation bzw. beim ausgeübten Direktionsrecht des Entleihers, wie z. B. Fragen der Ordnung des Betriebs, Fragen zur technischen Überwachung, Unfallverhütung und Angelegenheiten des Gesundheitsschutzes, Sozialeinrichtungen, Vorschlagswesen und Gruppenarbeit. In Bezug auf die tägliche Arbeitszeit oder die Anordnung vorübergehender Mehrarbeit hat das BAG dem Betriebsrat des Verleihers das Mitbestimmungsrecht zugeordnet.175 10. Vermittlungsprovisionen Vermittlungsprovisionsklauseln verpflichten den Entleiher dann zur Zahlung einer Vergütung an den Verleiher, wenn der Entleiher den bei ihm eingesetzten Leiharbeitnehmer nach ordentlicher Beendigung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis übernimmt. Nachdem der BGH diese Vermittlungsprovisionsvereinbarungen für unwirksam gehalten hat,176 hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2004 durch eine Ergänzung des § 9 Nr. 3, Halbs. 2 AÜG klargestellt, dass die Vereinbarung einer angemessenen Vergütung zulässig ist. Vermittlungsprovisionsklauseln im Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher sind somit möglich. Gesetzliche Voraussetzung ist, dass die Provision eine angemessene Vergütung darstellt. Bei der Frage der Angemessenheit ist nach der Gesetzesbegründung die Dauer des vorangegangenen Verleihs, die Höhe des vom Entleiher für den Verleih bereits gezahlten Entgelts und der Aufwand für die Gewinnung eines vergleichbaren Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Ob eine Provisionsvereinbarung angemessen ist, bedarf somit jeweils einer Einzelfallprüfung. Da aber nach dem Willen des Gesetzgebers das vom Entleiher bereits gezahlte Entgelt zu berücksichtigen ist, muss eine zulässige Provisionsklausel degressiv gestaffelt sein. Der Provisionsbetrag muss sich also entsprechend der Einsatzdauer des Leiharbeitnehmers verringern.177 Praxishinweis: Es ist von einem maximal zulässigen Zeitraum von bis zu 12 Monaten auszugehen. Branchenüblich sind Provisionen in Höhe von ein bis drei Monatsgehältern bei degressiver Gestaltung. Als Vermittlung nach einem vorangegangenen Verleih gilt immer der Fall, in dem während des Einsatzes des Leiharbeitnehmers der Arbeitsvertrag mit dem Entleiher abgeschlossen wird. Dieser zeitliche Zusammenhang besteht auch dann, wenn der Leiharbeitnehmer das Arbeitsverhältnis zum Verleiher kündigt, um später einen Arbeitsvertrag mit dem Entleiher zu schließen.178 174 BAG v. 19.06.2001 – 1 ABR 43/00. BAG v. 15.12.1992 – 1 ABR 38/92. 176 BGH v. 03.07.2003 – III ZR 348/02. 177 BGH v. 11.03.2010 – III ZR 240/09. 178 Ulber, AÜG, 2011, § 9, Rn. 385. 175 61 Für die Frage, ob das Vermittlungshonorar nur zu bezahlen ist, soweit das neue Arbeitsverhältnis noch während der Arbeitnehmerüberlassung begründet worden ist oder erst im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang danach, kommt es auf die genaue Formulierung im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher (bzw. deren AGB) an.179 Praxishinweis: Der Überlassungsvertrag und ggf. die Geschäftsbedingungen des Verleihers sollten vor Vertragsabschluss daraufhin überprüft werden, ob sie eine solche Vermittlungsprovisionsklausel enthalten. Ist dies nicht der Fall, kann kein Provisionsanspruch entstehen. Nach § 9 Nr. 5 AÜG sind hingegen Vereinbarungen über Vermittlungsprovisionen zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unwirksam. 179 Auch unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang möglich: BGH v. 07.12.2006 – III ZR 82/06. 62 Kapitel C: Hinweise zum Einsatz fremder Arbeitnehmer im Rahmen von Werkund Dienstverträgen I. Vorgehen bei Abschluss eines Werk-/Dienstvertrages Der Abschluss von Werk- und Dienstverträgen ist ein ganz selbstverständlicher Bestandteil unternehmerischen Handelns. Der Unternehmer entscheidet selbst, welche Arbeiten er mit eigenen Arbeitnehmern erledigen möchte und für welche Tätigkeit er sich der Angebote anderer Firmen bedient. Soll ein Auftrag vergeben werden, der zum Einsatz fremder Arbeitnehmer auf dem Betriebsgelände180 führt, ist die Abgrenzung insbesondere zur Arbeitnehmerüberlassung arbeitsrechtlich geboten. Es empfiehlt sich, eine erste Überprüfung anhand der oben dargestellten Abgrenzungskriterien (siehe A. III. 2.) und des beigefügten Rasters (Prüfbogen für Werkvertrag, Anlage 2). Soweit nicht alle Fragen positiv beantwortet werden können, bedarf es einer eingehenderen Prüfung gem. den oben genannten Abgrenzungskriterien. Praxishinweis: Die Beratung des Verbandes ist dringend zu empfehlen. Bleiben nach Abwägung aller Umstände Hinweise, dass es sich um Arbeitnehmerüberlassung handeln könnte, erscheint es geboten, vom Abschluss eines Werk-/ Dienstvertrages Abstand zu nehmen. Aufgrund der Konkretisierungs- und Bezeichnungspflicht gem. § 1 Abs. 1 Sätze 5 und 6 AÜG hilft es ab dem 1. April 2017 für alte und neue Werk-/ Dienstverträge nicht mehr, wenn die Fremdfirma zur Sicherheit eine gültige Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besitzt. Die mangelnde Bezeichnung und oder Konkretisierung des Leiharbeitnehmers vor Überlassung sind in den Rechtsfolgen der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gleichgestellt. Ein Werk-/Dienstvertrag muss, um als solcher anerkannt zu werden, nicht nur eindeutig die Merkmale dieser Vertragsart aufweisen, sondern auch tatsächlich gemäß den vereinbarten Regeln durchgeführt werden.181 Ist der tatsächliche Einsatz der Fremdarbeitnehmer in Wirklichkeit als Arbeitnehmerüberlassung zu qualifizieren, ist trotz der anderslautenden Vereinbarung eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung mit allen rechtlichen Konsequenzen (siehe B. I. 1. c) anzunehmen.182 Widersprechen sich also Vertragsinhalt und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend.183 Klarstellend ergibt sich dies für den Überlassungsvertrag nun auch aus § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Insbesondere sollte bei der tatsächlichen Durchführung darauf geachtet werden, dass das tätigkeitsbezogene Weisungsrecht nicht von eigenen Mitarbeitern ausgeübt wird.184 In der betrieblichen Praxis empfehlen sich folgende Umsetzungsschritte: 180 BAG v. 09.07.1991 – 1 ABR 45/90. BAG v. 15.06.1983 – 5 AZR 112/81, BAG v. 18.01.2012 – 7 AZR 723/10. 182 BAG v. 18.01.2012 – 7 AZR 723/10; BAG v. 30.01.1991 – 7 AZR 497/89; BGH v. 21.01.2003 – X ZR 261/01, LAG Rheinland-Pfalz v. 03.02.2011 – 11 Sa 314/10. 183 BAG v. 18.01.2012 – 7 AZR 723/10. 184 LAG Hamburg v. 29.10.2010 – 6 Sa 62/10 u. 6 Sa 27/10. 181 63 1. Vertragsprüfung Bestehende Werk- und Dienstverträge sollten vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen am 1. April 2017 genau geprüft werden. Gegebenenfalls müssen die Verträge mit den Vertragspartnern angepasst werden. Alle Formulierungen, die auf eine Arbeitnehmerüberlassung hindeuten könnten, sollten geändert werden. Zukünftige Verträge sollten entsprechend sorgfältig gestaltet werden. 2. Interne Prozesse Für diese Aufgaben sollten im Unternehmen klare Prozessverantwortlichkeiten geschaffen werden. Die Kompetenzen insbesondere zwischen dem Einkauf, der Personalabteilung und den Fachabteilungen sollte geklärt werden. Die zuständigen Mitarbeiter sollten durch eine entsprechende Nähe zu den betrieblichen Umständen über Kenntnisse zu den jeweiligen Einsatzgebieten und Einsatzaufgaben haben. Für einen klaren Ablauf der Entscheidungsprozesse sollten eindeutige Anweisungs- und Entscheidungsbefugnisse festgelegt und kommuniziert werden. Ergänzend sollten dann fortlaufende Kontrollmechanismen für die Prozessverantwortung geschaffen werden. 3. Schulungskonzept Für eine rechtlich einwandfreie Durchführung der Werk-/Dienstverträge mit Fremdpersonal auf dem Betriebsgelände sind Kenntnisse der Führungskräfte über die rechtlichen Rahmenbedingungen unerlässlich. Es sollten daher der Schulungsbedarf ausgehend vom Umfang solcher Vertragskonstellationen und die notwendigen Schulungsebenen festgelegt werden. Inhaltlich sollten in den Schulungen auf folgende Punkte eingegangen werden: Ziel der Schulung benennen (Bewusstsein für die Rechtsrisiken schaffen) Gesetzliche Grundlagen Voraussetzungen eines rechtskonformen Einsatzes von Werk-/Dienstverträgen Rechtsfolgen für das Unternehmen bei rechtswidriger Handhabung ggf. arbeitsrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen Diese Schulungen sollten regelmäßig wiederholt werden. Interne Ansprechpartner für die Führungskräfte bei Fragen aus dem betrieblichen Alltag zum Umgang mit dem Fremdpersonal sollten etabliert und bekannt gemacht werden. Ein Merkblatt kann den alltäglichen Umgang mit dem Fremdpersonal ebenfalls erleichtern (Muster eines Merkblatts für betriebliche Vorgesetzte, Anlage 3) 4. Praktische Fehlerquellen vermeiden Besonders in Bezug auf die Ausübung des Weisungsrechts haben sich für die praktische Umsetzung sog. Repräsentantensysteme oder sog. Ticketsysteme bewährt. Bei einem Repräsentantensystem stellt der Werkunternehmer einen „Repräsentanten“ als direkten Ansprechpartner im Einsatzbetrieb zur Verfügung, der ständig anwesend ist und die arbeitsrechtlichen Weisungen gegenüber dem Fremdpersonal erteilt. Das Ticket-System ermöglicht es, dass einzelne Arbeitnehmer über eine IT-Plattform Arbeitsaufträge dem Werk-/Dienstleister übermitteln, dieser gibt diese anschließend an seine Arbeitnehmer weiter und übt sein arbeitsrechtliches Weisungsrecht aus. 64 Dem Fremdpersonal sollten – soweit sinnvoll und umsetzbar – separate Arbeitsräume zur Verfügung gestellt werden. Diesen fremden Arbeitnehmer sollten keine hausinternen EmailAdressen zugewiesen bekommen oder Telefonanschlüsse. Ferner sollten sie auf keinen Fall in das hausinterne Arbeitszeiterfassungs-, Fehlzeiten- und Urlaubsmanagement eingebunden werden. Praxishinweis: Ausführungen zum Thema Solo-Selbstständige, d.h. zu freien Mitarbeitern/ Freelancern u. ä., insbesondere zum neuen § 611a BGB finden Sie in unserem M+E Leitfaden „Übertragung von Tätigkeiten auf Selbstständige“ vom Juni 2016 (M+E Servicedatenbank). II. Sanktionen Sollte eine Überprüfung ergeben, dass anstatt eines Werk-/Dienstvertrags in Wirklichkeit doch eine (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, muss der „Entleiher“/ Einsatzbetrieb mit folgenden Sanktionen rechnen (siehe B. I. 1. c): Gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, 10 führt die fehlende Bezeichnung des Vertrages als Arbeitnehmerüberlassung und die fehlende Konkretisierung des Leiharbeitnehmers zur Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher unter gleichzeitiger Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher. Diese Rechtsfolge lässt sich bei sog. Scheinwerk- und -dienstverträgen nicht mehr verhindern. War die Tätigkeit des Arbeitnehmers bei dem Entleiher nicht befristet vorgesehen oder fehlt ein für die Befristung sachlich rechtfertigender Grund, läuft das Arbeitsverhältnis beim Entleiher unbefristet und kann nur durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet werden (§ 10 Abs. 1 S. 2 AÜG). Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den geltenden Vorschriften und sonstigen Regelungen für den Betrieb des Entleihers (siehe B. I. 1. c) ee)). Die Rechtsfolgen der Fiktion kann durch eine sog. Festhaltenserklärung des Arbeitnehmers verhindert werden (siehe B. I. 1 c) bb)). Praxishinweis: Da rückwirkend ein Arbeitsverhältnis mit dem „Entleiher“ fingiert wird (siehe B. I. 2. c) cc) (2) (b)), ist häufig bereits die sechsmonatige Wartezeit des § 1 KSchG abgelaufen, so dass eine Kündigung aus betriebs-, verhaltens- oder personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt sein muss. Aufgrund der allgemeinen Vertragsfreiheit kommt ein Aufhebungsvertrag in Betracht, wenn auch der „neue“ Arbeitnehmer kein Interesse an einem Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzbetrieb/Entleiher hat. Um wegen des formalen Verfahrens zur Festhaltenserklärung den Verdacht eines nach § 134 BGB unwirksamen Umgehungsgeschäftes zu vermeiden, sollte kein dreiseitiger Vertrag mit Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer geschlossen werden.185 Zusätzlich sollte das rechtliche Schicksal des Vertragsverhältnisses mit dem Werkunternehmer zwischen den Parteien geklärt werden. Gemäß §§ 16 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 i .V. m. §§ 9, 130 OWiG kann gegen den Entleiher ein Bußgeld bis zu 30.000 EUR verhängt werden. Gemäß § 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO sind Bußgelder über 200 EUR in das Gewerbezentralregister einzutragen. Gemäß 28e Abs. 2 S. 3 und 4 SGB IV haftet der Entleiher neben dem Verleiher für die Sozialversicherungsbeiträge als Gesamtschuldner. 185 BAG v. 18.08.2005 – 8 AZR 523/04 zu § 613a BGB. 65 Bei der Lohnsteuer trifft den Entleiher eine nachrangige Ausfallhaftung gemäß § 42d Abs. 6 EStG 186. Abschließend kommt nach § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB i. V. m. § 28e Abs. 2 S.4 SGB IV auch eine Strafbarkeit für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Betracht. III. Mitwirkungsrecht des Betriebsrats Die Tätigkeitsaufnahme von fremden Arbeitnehmern im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen im Betrieb ist grundsätzlich mitbestimmungsfrei.187 Betriebsverfassungsrechtlich sind diese Arbeitnehmer ausschließlich dem Betrieb ihres Arbeitgebers zugeordnet.188 Es bestehen jedoch Informationspflichten gegenüber dem Betriebsrat. 1. § 80 Abs. 2 BetrVG Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber ihn über alle Personen unterrichtet, die in irgendeiner Form im Betrieb beschäftigt sind, auch ohne betriebsangehöriger Arbeitnehmer zu sein. Die Unterrichtung umfasst entsprechend der Neufassung des § 80 Abs. 2 S. 1 2. Halbs. BetrVG „insbesondere den zeitlichen Umfang des Einsatzes, den Einsatzort und die Arbeitsaufgaben dieser Personen“. Ausgenommen sind hier aber nach der Gesetzesbegründung189 solche Personen, die nur kurzfristig im Betrieb beschäftigt sind (z. B. der Elektriker, der eine kaputte Lampe im Betrieb reparieren soll). Das ist auch konsequent, da § 80 BetrVG nur in Frage kommt, wenn Beteiligungsrechte des Betriebsrats möglich erscheinen.190 Durch die Ergänzungen im § 80 Abs. 2 S.1 2. Halbs. soll der Betriebsrat in eigener Verantwortung prüfen können, ob und inwieweit sich Aufgaben im Sinne des BetrVG ergeben und er zu ihrer Wahrnehmung tätig werden muss.191 Der Betriebsrat muss jedoch darlegen, dass er die begehrte Auskunft zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben benötigt.192 Missbräuchliche oder unbegründete Auskunftsverlangen sind daher ausgeschlossen.193 Mit Einführung des neuen § 80 Abs. 2 S. 3 BetrVG kann der Betriebsrat – unter Fortführung der schon bestehenden Rechtsprechung – auch die Vorlage des Vertrages mit dem Drittunternehmer verlangen, um überprüfen zu können, ob es sich nicht doch um Leiharbeit handelt und Beteiligungsrechte in Betracht kommen.194 186 § 42d Abs. 6 EStG spricht nur von Arbeitnehmerüberlassung „im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 26 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist“. Eine Anpassung des § 42d Abs. 6 EStG erfolgte im Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze nicht. 187 BAG v. 15.12.1998 – 1 ABR 9/98, BAG v. 01.12.1992 – 1 ABR 30/92. 188 Schüren, § 14 AÜG, Rn. 542. 189 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 32. 190 BAG v. 21.10.2003 – 1 ABR 39/02; Waskow in NK-ArbR, BetrVG, § 80, Rn. 19. 191 Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/9232 v. 20.07.2016, S. 32. 192 Waskow in NK-ArbR, BetrVG, § 80, Rn. 19. 193 Thüsing in Richardi, BetrVG § 80, Rn. 54. 194 BAG v. 31.01.1989 – 1 ABR 72/87; BAG v. 09.07.1991 – 1 ABR 45/90; BAG v. 15.12.1998 – 1 ABR 9/98. 66 Allerdings steht dem Arbeitgeber nach der Rechtsprechung ein Vorprüfungsrecht zu, da er Unterlagen/Informationen, die in keinem Zusammenhang mit der geltend gemachten Überwachungsaufgabe oder Betriebsratsaufgaben stehen, unkenntlich machen darf.195 Daraus lässt sich wohl auch schlussfolgern, dass die Höhe des an den Auftraggeber zu zahlenden Entgeltes nicht offen gelegt werden muss. Dem Betriebsrat müssen nur diejenigen Unterlagen vorgelegt werden, die der Arbeitgeber zur Zeit des Verlangens auch tatsächlich besitzt. Einen Anspruch, nicht vorhandene Unterlagen erst zu erstellen oder zu beschaffen, kennt das Gesetz nicht.196 Trotz der Gesetzesänderungen gilt weiterhin, dass diese Rechtsprechung des BAG Anwendung findet und den Einsatzbetrieb auch keine Beschaffungspflicht trifft. Das wird aus dem Protokoll197 der Beratungen des Gesetzes im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales deutlich. Dort wird betont, dass die Neuregelung „nicht bedeute, dass der Unternehmer seinem Betriebsrat auch die Arbeitsverträge vorlegen müsse. Informationsumfang in der Praxis über alle Fremdbeschäftigten JA198 Nach der Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber an den Werktoren geführte (d.h. bereits vorhandene) Kontrolllisten, aus denen sich die Einsatztage und die Einsatzzeiten der einzelnen Fremdarbeitnehmer ergeben, dem Betriebsrat auf Verlangen zur Verfügung stellen. Denn der Betriebsrat könne im Rahmen seiner Beteiligung bei der Personalplanung auch vorschlagen, gegenwärtig von Fremdfirmen verrichtete Arbeiten durch Arbeitnehmer des Betriebes, ggf. auch durch neu einzustellende Arbeitnehmer, verrichten zu lassen (§ 92a BetrVG). … nach Einsatzbereichen (Aufgabenbeschreibung) JA Allgemeine, personenunabhängige Benennung der Einsatzbereiche, da im Rahmen der Personalplanung der Betriebsrat auch vorschlagen kann, gegenwärtig von Fremdfirmen verrichtete Arbeiten durch Arbeitnehmer des Betriebes, ggf. auch durch neu einzustellende Arbeitnehmer, verrichten zu lassen (§ 92a BetrVG). … gegliedert nach der Häufigkeit des Einsatzes NEIN Auswertung bzw. Kategorisierung der Informationen sind Aufgabe des Betriebsrates. … unter Benennung des jeweiligen Vertragsverhältnisses NEIN Auswertung bzw. Kategorisierung der Informationen sind Aufgabe des Betriebsrates. … mit Auflistung der Einsatztage und der Einsatzzeiten 195 BAG v. 16.08.2011 – 1 ABR 22/10. BAG v. 30.09.2008 – 1 ABR 54/07. 197 Ausschussdokument vom 19.10.2016, BT-Drs. 18/10064, S. 14. 198 BAG v. 31.01.1989 – 1 ABR 72/87. 196 67 Vorlage der vertraglichen Vereinbarungen … mit Werkvertragsunternehmen (anderen Arbeitgebern) JA199 Nach der Rechtsprechung kann der Betriebsrat auch die Vorlage des Vertrages mit dem Drittunternehmer verlangen, um überprüfen zu können, ob es sich nicht doch um Arbeitnehmerüberlassung handelt und Beteiligungsrechte in Betracht kommen. … mit Auftragnehmern (Soloselbstständige) JA200 Ein Beteiligungsrecht nach § 99 BetrVG stünde dem Betriebsrat auch dann zu, wenn es sich um den Einsatz eines Scheinselbstständigen handelte. Das muss er prüfen können. … mit Subunternehmen NEIN Der Arbeitgeber muss nur vorhandene Unterlagen vorlegen; bei diesen Verträgen ist der Arbeitgeber gar nicht Vertragspartner. JA Ein pauschaler Hinweis auf das Weisungsrecht des Werkvertragunternehmens oder ggf. Verweis auf die vertragliche Regelung ist sinnvoll, da für die Frage, ob es sich um verdeckte Arbeitnehmerüberlassung oder Scheinselbstständigkeit handelt, die Frage des Weisungsrechts eine vorrangige Rolle spielt. … mit Hinweis, wem das Weisungsrecht zusteht Angabe über soziale Standards … Höhe des Entgelts des Fremdpersonals … die bei der Vergabe von Aufträgen gelten … und wie diese geprüft werden 199 NEIN 201 NEIN 202 NEIN 203 Die Höhe des an den Auftraggeber zu zahlenden Entgeltes braucht, auch wenn es bekannt sein sollte, nicht offen gelegt zu werden, da der Betriebsrat nur Auskunft über die im Zusammenhang mit der geltend gemachten Überwachungsaufgabe oder einer anderen Betriebsratsaufgabe verlangen kann. Arbeitsbedingungen in fremden Betrieben gehören nicht zum Aufgabengebiet eines Betriebsrates. Praxishinweis: Soweit solche aber beachtet werden, kann dies bei der Erörterung mit dem Betriebsrat vorteilhaft sein. Arbeitsbedingungen in fremden Betrieben gehören nicht zum Aufgabengebiet eines Betriebsrates. Praxishinweis: Soweit solche Prüfungen erfolgen, kann dies bei der Erörterung mit dem Betriebsrat vorteilhaft sein. BAG v. 31.01.1989 – 1 ABR 72/87; BAG v. 09.07.1991 – 1 ABR 45/90; BAG v. 15.12.1998 – 1 ABR 9/98 (Art der Entlohnung bei freien Mitarbeitern). 200 BAG v. 15.12.1998 – 1 ABR 9/98. 201 BAG v. 16.08.2011 – 1 ABR 22/10. 202 wird nicht einmal von Ulber in AiB 2013, 285 gefordert. 203 wird nicht einmal von Ulber in AiB 2013, 285 gefordert. 68 2. § 99 BetrVG Wird Fremdpersonal im Rahmen eines Werk- oder selbstständigen Dienstvertrages im Betrieb tätig, braucht der Betriebsrat nicht nach § 99 BetrVG beteiligt zu werden.204 In den Fällen, in denen die Rechtsprechung ausnahmsweise ein solches Mitbestimmungsrecht bejaht, weil der Betriebsinhaber die Weisungen über den Arbeitseinsatz trifft205, handelte es sich in Wirklichkeit um verdeckte Arbeitnehmerüberlassung. Bei einem Einsatz von Arbeitnehmern von Fremdfirmen auf der Grundlage echter Dienstoder Werkverträge ist § 14 AÜG für die Einbeziehung von Leiharbeitnehmern in betriebsverfassungsrechtliche Fragestellungen nicht anzuwenden. Voraussetzung für § 99 BetrVG ist eine Einstellung. Eine Einstellung liegt vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den im Betrieb schon beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebes durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen.206 Nach Auffassung des BAG207 kommt es auf die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit und deren Einbindung in die betriebliche Organisation des Einsatzbetriebes an. Von einer solchen Eingliederung kann aufgrund der Abgrenzungskriterien zur Arbeitnehmerüberlassung bei echten Werk- oder Dienstverträgen nicht ausgegangen werden. 3. § 92 BetrVG Auch in § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG wurde mit der Änderung ab dem 1. April 2017 aufgenommen, dass der Arbeitgeber die Unterrichtung des Betriebsrats über die Personalplanung auf die geplante Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, erstrecken muss. Der Arbeitgeber muss im Rahmen von § 92 BetrVG dem Betriebsrat nur Einblick in die Unterlagen gewähren. Weil § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG keine Anwendung findet, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem Betriebsrat die Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Weitere Informationspflichten können sich aus §§ 92a und 106 BetrVG ergeben. Mitbestimmungsrechte können sich aus § 111 BetrVG ergeben, wenn der Fremdpersonaleinsatz zu einem Abbau der Beschäftigung im Einsatzbetrieb führt. IV. Arbeitssicherheit 1. Verantwortlicher Die Verantwortung für die Arbeitssicherheit, insbesondere für die Durchführung der Arbeitsschutzbestimmungen und der Unfallverhütungsvorschriften, hat der Auftragnehmer als Arbeitgeber des Fremdpersonals. Der Auftraggeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, im Einzelnen zu überwachen, ob der Auftragnehmer die sich für ihn daraus ergebenden Verpflichtungen einhält und die sonstigen zum Schutz der Fremdarbeitnehmer geltenden Vorschriften (z. B. die des Arbeitszeitgesetzes) beachtet. Sind für ihn jedoch Verstöße erkennbar, sollte er, nicht zuletzt um eine Gefährdung auch der eigenen Arbeitnehmer zu verhindern, auf Abhilfe durch den Auftragnehmer hinwirken. 204 BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12; BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 57/14; LAG Hamm v. 26.11.2010 – 10 TaBV 67/10. 205 BAG v. 18.10.1994 – 1 ABR 9/94. 206 Erfurter Kommentar, § 99 BetrVG, Rn. 4; BAG v. 13.12.2005 – 1 ABR 51/04. 207 BAG v. 05.03.1991 – 1 ABR 39/90. 69 Er muss sich aber je nach Art der Tätigkeit vergewissern, dass die Fremdarbeitnehmer hinsichtlich der von der Arbeitsstätte und den vorhandenen Einrichtungen ausgehenden Gefahren für Sicherheit und Gesundheit während ihrer Tätigkeit in seinem Betrieb angemessene Anweisungen erhalten haben (§ 8 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz). 2. Verkehrssicherungspflichten Den Auftraggeber können darüber hinaus Verkehrssicherungspflichten gegenüber den fremden Arbeitnehmern treffen. Er muss die Arbeitnehmer der Fremdfirma durch geeignete Maßnahmen (z. B. durch Absperrungen, Sicherungsmaßnahmen, Einweisungen, Warnungen) vor Gefahren im Betrieb schützen. 3. Zusammenarbeit Werden Beschäftigte mehrerer Arbeitgeber an einem Arbeitsplatz tätig, sind die Arbeitgeber verpflichtet, bei der Durchführung der Sicherheits- und Gesundheitsbestimmungen zusammenzuarbeiten (§ 8 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz). Soweit erforderlich, haben sich die Arbeitgeber gegenseitig und ihre Beschäftigten über die mit den Arbeiten verbundenen Gefahren zu unterrichten und Maßnahmen zur Verhütung dieser Gefahren abzustimmen. Bei möglicher gegenseitiger Gefährdung muss der Auftraggeber einen Koordinator bestellen (§ 6 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1 – Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention), der die Arbeiten aufeinander abstimmt. Der Koordinator muss zur Durchführung seiner Aufgabe die hierfür erforderlichen übergreifenden Weisungsbefugnisse sowohl gegenüber den Arbeitnehmern des Auftraggebers als auch gegenüber den im Betrieb tätigen Arbeitnehmern der Fremdfirma haben. Insoweit tritt er an die Stelle der jeweiligen Vorgesetzten. Der Auftraggeber hat dafür zu sorgen, dass der Koordinator seine Aufgabe erfüllen kann. Ist der Koordinator ein Arbeitnehmer des Auftraggebers oder ein Dritter, sollte deshalb die Weisungsbefugnis gegenüber den Arbeitnehmern der Fremdfirma im Werkvertrag/ selbstständigen Dienstvertrag festgelegt werden. 4. Verpflichtungserklärung Ist Gegenstand des Werkvertrages die Planung, Herstellung, Änderung oder Instandsetzung von Einrichtungen, oder die Planung oder Gestaltung von Arbeitsverfahren, muss der Auftraggeber den Auftragnehmer schriftlich verpflichten, dass dabei die für den Auftraggeber geltenden staatlichen Arbeitsschutzvorschriften und die Unfallverhütungsvorschriften sowie die allgemeinen Grundsätze des Arbeitsschutzes i. S. v. § 4 Arbeitsschutzgesetz und insbesondere das staatliche und berufsgenossenschaftliche Regelwerk beachtet werden (§ 5 DGUV Vorschrift 1). 70 Kapitel D: Hinweise für den Fall von Ermittlungen wegen unerlaubter Beschäftigung von Leiharbeitnehmern Zuständig für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1c, 1d, 1f, 2, 2a und 7b sowie 11 bis 18 AÜG sind die Behörden der Zollverwaltung. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1b, 1e, 3 bis 7a sowie 8 bis 10 AÜG ist die Bundesagentur für Arbeit zuständig (gem. § 16 Abs. 3 AÜG). Anlass für Ermittlungen gegen Betriebe, die Arbeitnehmer fremder Firmen beschäftigen, ist häufig, dass sich gegen den Werkunternehmer in irgendeinem Zusammenhang der Verdacht des Verstoßes gegen das AÜG ergeben hat. Beispielsweise kann die Gewerbeaufsicht ohne Verdachtsmomente zu jeder Tages- und Nachtzeit unangekündigt Besichtigungen und Prüfungen während des Betriebs vornehmen (§ 139 b Abs. 4 GewO). Sie darf zwar nur kontrollieren, ob die Bestimmungen der Gewerbeordnung eingehalten werden; stößt sie dabei aber auf Anhaltspunkte für unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung, benachrichtigt sie die Arbeitsverwaltung bzw. die Finanzkotrolle Schwarzarbeit des Zolls, die dann die Ermittlungen aufnehmen. In solchen Fällen werden im Allgemeinen sämtliche Vertragsbeziehungen dieser Firma einer Überprüfung unterzogen. Auslöser für Ermittlungen können aber auch Anzeigen von Fremdarbeitnehmern oder bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber wegen des Einsatzes von Fremdarbeitnehmern Hinweise von Betriebsräten sowie Anzeigen oder Hinweise von anderen Behörden, etwa der Gewerbeaufsicht sein. Im Falle von Ermittlungen sollte unbedingt folgendes beachtet werden: Sofort Verband und einen strafrechtlich versierten Rechtsanwalt (wegen Akteneinsicht) einschalten; evtl. Stellungnahme gegenüber der Ermittlungsbehörde erst nach Beratung durch Verband oder Rechtsanwalt abgeben. Rechtzeitig (d.h. vor Abschluss der Ermittlungen, also vor Erlass eines Bußgeldbescheides) Kontakt mit der Ermittlungsstelle aufnehmen und an objektiver Aufklärung des Sachverhaltes mitwirken. So lassen sich die Interessen der Firma und der Betroffenen am besten vertreten. Einsatz der Fremdarbeitnehmer im Betrieb sofort beenden. Bis zur endgültigen Klärung der Vorwürfe auch keine anderen Arbeitnehmer der Fremdfirma im Betrieb tätig werden lassen. Ggf. Fremdfirma veranlassen, die Erlaubnis für Arbeitnehmerüberlassung zu beantragen. Dies ist jedoch nur noch dann erfolgsversprechend, wenn der Vertrag auf dem der Einsatz des Fremdarbeiters fußt, vor der Überlassung als Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bezeichnet worden ist. Bevor ein eventueller Bußgeldbescheid gerichtlich angefochten werden soll, sorgfältig prüfen, ob ausreichende Erfolgsaussichten bestehen. 71 Anlage 1 72 73 Anlage 2 Prüfbogen208 für Werkvertrag Prüffragen ja nein Aufgabe der Fremdfirma vor Auftragsvergabe klar definiert? Aufgabe der Fremdfirma: …………………………………………………………………………………………… Herstellung eines Werkes, d.h. Herbeiführung eines Erfolges (keine bloße Überlassung von Arbeitskräften)? Abrechnung nach Festpreis/Leistungsverzeichnis? Arbeitsorganisation ausschließlich Sache der Fremdfirma (Arbeitsablauf, Personaleinteilung, -überwachung?) Arbeitsanweisungen erteilt ausschließlich Fremdfirma? Eigene Fachkenntnis der Fremdfirma zur Erledigung der Aufgabe? Benötigtes Werkzeug und erforderliche Arbeitsmittel von Fremdfirma gestellt? Arbeit getrennt von eigenen Mitarbeitern (keine Teamarbeit)? Auftragsausführung ohne Bindung an Arbeitszeiten des Betriebs (Schicht- und Pausenzeiten)? Werden Gewährleistungsrechte bei Werkmängeln geltend gemacht? 208 Werden eine oder mehrere Fragen mit „nein“ beantwortet, so ist der Einsatz des Fremdpersonals auf Basis von Werk- oder Dienstverträgen nochmals genauer zu prüfen und ggf. davon Abstand zu nehmen. Soweit nicht alle Fragen positiv beantwortet werden können, bedarf es einer eingehenderen Prüfung gem. den oben genannten Abgrenzungskriterien. 74 Anlage 3 Einsatz von Arbeitnehmern fremder Firmen im Betrieb - Merkblatt für betriebliche Vorgesetzte Der Einsatz fremder Arbeitnehmer im Betrieb kann Leiharbeit (sogenannte Arbeitnehmerüberlassung) darstellen oder im Rahmen eines Werkvertrages oder Dienstvertrages erfolgen. Zwischen beiden Formen des Einsatzes muss sowohl bei der vertraglichen Gestaltung als auch bei der praktischen Durchführung sorgfältig unterschieden werden! Das gilt besonders, wenn mit der Fremdfirma ein Werk-/Dienstvertrag abgeschlossen wird. Werk- und Dienstverträge unterliegen gänzlich anderen rechtlichen Bedingungen als die Leiharbeit. Wenn diese Rahmenbedingungen nicht beachtet werden, kann es sich in Wirklichkeit um Leiharbeit handeln (sog. Scheinwerk-/dienstvertrag). Beim Werkvertrag wird eine andere Firma verpflichtet, mit Hilfe ihrer Arbeitnehmer selbstständig ein konkretes Arbeitsergebnis herbeizuführen („ein Werk herzustellen“); bei einem selbstständigen Dienstvertrag wird sie verpflichtet, eine Dienstleistung unter eigener Verantwortung und ohne Eingliederung ihrer Arbeitnehmer in die fremde Betriebsorganisation zu erbringen. Um Leiharbeit handelt es sich immer dann, wenn fremde Arbeitskräfte im Betrieb wie eigene Arbeitnehmer eingesetzt werden, sie dort insbesondere nach den Weisungen der betrieblichen Vorgesetzten arbeiten. Aufgrund neuer gesetzlicher Restriktionen ab dem 1. April 2017 drohen bei einem Scheinwerk-/ dienstvertrag folgende Sanktionen: Fiktion eines grundsätzlich unbefristeten Arbeitsverhältnisses zum Einsatzbetrieb Bußgeld von bis zu 30.000 EUR sowie ein Eintrag in das Gewerbezentralregister Haftung für Sozialversicherungsbeiträge sowie Ausfallhaftung für die Lohnsteuer Mögliche Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB Da ein Werkvertrag oder selbstständiger Dienstvertrag, um als solcher anerkannt zu werden, nicht nur eindeutig die Merkmale dieser Vertragsart aufweisen, sondern auch tatsächlich gemäß den vereinbarten Regeln durchgeführt werden müssen, sind hinsichtlich der im Betrieb tätigen fremden Arbeitnehmer, sofern sie nicht Leiharbeitnehmer sind, unbedingt die folgenden Regeln zu beachten: Die fremden Arbeitskräfte dürfen nicht in die Arbeitsabläufe oder in den Produktionsprozess eingegliedert werden (keine hausinterne Telefonnummer, Email-Adresse u. ä.). Ihnen dürfen keine Weisungen in Bezug auf die Art und Weise, wie sie arbeiten, sowie auf ihren Arbeitseinsatz (Arbeitszeit, Überstunden, Urlaub, Freizeit, Anwesenheitskontrolle) erteilt werden. Ausnahme: betriebsspezifische Hinweise (z. B. wegen besonderer Gefahrenquellen im Betrieb) und Hinweise zur Auftragsausführung (z. B. zum Umfang der vorzunehmenden Reparatur). Ergänzungen oder Änderungen des Auftrages oder etwaige Mängelrügen dürfen nur unmittelbar mit der Fremdfirma oder deren Bevollmächtigten im Betrieb abgestimmt werden. Die Fremdfirma muss das für die Ausführung des Auftrags typischerweise benötigte Werkzeug und die Arbeitsmaterialien selbst mitbringen. Ausnahmsweise können ihr für den Auftrag benötigtes Spezialwerkzeug zur Verfügung gestellt werden. Die fremden Arbeitskräfte dürfen nicht mit eigenen Arbeitnehmern zu gemeinsamen Arbeitsgruppen zusammengefasst werden. Soweit ihre Tätigkeiten mit denjenigen eigener Arbeitnehmer vergleichbar sind, sind sie räumlich getrennt unterzubringen.
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