PREIS DEUTSCHLAND 4,90 € DIEZEIT 102866_ANZ_10286600009389_12962230_X4_ONP26_02 2 17.02.17 12:14 WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R Großangriff aus dem Netz Titelillustration: Smetek für DIE ZEIT, verwendetes Foto: Iain Masterton/Alamy/Mauritius Images Deutschland im Visier Unbekannte Hacker versuchen jeden Tag, Unternehmen, Telefonnetze oder Regierungsapparate lahmzulegen und die Öffentlichkeit aufzuhetzen. Vieles spricht dafür, dass die Täter von Russland aus gesteuert werden POLITIK SEITE 2–4 UND DOSSIER TRUMP UND LE PEN PROFESSOREN Nur mit Amerika Krise der Klugen Den Rechtspopulismus müssen liberale Demokraten auf beiden Seiten des Atlantiks gemeinsam bekämpfen VON MATTHIAS NASS S eit im Weißen Haus der Wahnsinn regiert, sind viele Europäer wieder im Reinen mit sich und ihrem Bild von Amerika: ein bisschen zum La‑ chen, ein bisschen zum Weinen; ein wenig zum Fürchten und eigentlich zum Weglaufen. Zeit, »erwachsen« zu werden und sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen – am besten mit europäischen Atomwaffen. Der Haken daran: Auch viele Amerikaner, schätzungsweise die Hälfte, finden Donald Trump zum Lachen und zum Weinen, zum Fürchten und zum Weglaufen. Deshalb sei daran erinnert: Europa gegen Amerika – das ist die falsche Frontstellung. Das liberale Amerika und das liberale Europa müssen sich vielmehr ge‑ meinsam wehren gegen Trump und Le Pen, gegen Abschottung und Fremdenhass. Freie Medien werden nämlich in New York wie in Berlin mit dem Vorwurf in den Schmutz gezogen, sie seien eine »Lügenpresse« und »Fein‑ de des Volkes«. Gerichte in Warschau wie in San Francisco sehen sich gezwungen, die Regieren‑ den daran zu erinnern, dass sie nicht ihnen ver‑ pflichtet sind, sondern dem Gesetz. Die Wut auf Trump darf nicht umschlagen in eine Abkehr von den Vereinigten Staaten Es geht wahrhaftig um mehr als das Bekenntnis der Regierung Trump zur Nato und die Bereit‑ schaft der Europäer, zwei Prozent des BIP für das Militär auszugeben. Es geht darum, dass die gänzlich unverzichtbaren transatlantischen Be‑ ziehungen nicht vor die Hunde gehen. Deshalb darf die Wut auf Trump nicht um‑ schlagen in eine Abkehr von Amerika. In den Vereinigten Staaten mit ihren seit mehr als zwei‑ hundert Jahren gefestigten Institutionen funk‑ tionieren die Kontrollen. Trumps Muslim-Bann haben die Gerichte umgehend kassiert. Zei‑ tungsverlage investieren in den investigativen Journalismus, sie wollen Trump seine Lügen nicht durchgehen lassen. Selbst bei den feigen und opportunistischen Republikanern geht nun mancher auf Distanz zur Trump-Kamarilla. Ob die Europäer die Demokratie in der Stun‑ de der Not wohl genauso beherzt verteidigen? Diese Stunde kann uns schon bald schlagen. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschafts‑ wahlen im Mai siegt. Und dann steht mehr auf dem Spiel als nur der Euro, nämlich die Euro‑ päische Union selbst. In Österreich konnte ein FPÖ-Staatspräsi‑ dent nur um Haaresbreite verhindert werden, weil sich alle gegen ihn stellten: Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokraten. In Frankreich aber sind die Lager schärfer geteilt, so schnell stimmt dort kein Konservativer für einen linken Kandidaten. Und umgekehrt. Wie stark also ist Europa? Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war kein Auftritt gespens‑ tischer als der des britischen Außenministers Boris Johnson, eines Spielers, der sein Land erst in den Brexit getrieben hat, dann die Ver antwortung nicht übernehmen wollte und jetzt die »Befreiung« Großbritanniens von der EU feiert. Eine armselige Figur. Der Wahnsinn re‑ giert auch in Whitehall. Dann gerieten sich in München auf offener Bühne EU-Vizepräsident Frans Timmermans und der polnische Außenminister Witold Waszc‑ zykowski in die Haare, als Timmermans voll‑ kommen zu Recht auf der Unabhängigkeit von Polens Verfassungsgericht insistierte. Nein, dieses Europa ist nicht so stark, als dass es beim Kampf gegen den Rechtspopulismus nicht der Unterstützung bedürfte. Und von wem sollte die kommen, wenn nicht vom liberalen, demokratischen Amerika? Wir brauchen seine wirtschaftliche Dynamik, seine Spitzenforschung und seinen Qualitätsjournalismus. Und, ja, seine militärische Stärke brauchen wir auch. Dafür schulden wir den Amerikanern Hilfe bei dem Versuch, im derzeitigen Re gie rungs chaos nicht den demokratischen Kompass zu verlieren – durch Bürgerprotest und Parlaments‑ beschlüsse, durch kritische Berichterstattung, durch den Schutz ausländischer Mitarbeiter in europäischen Firmen. Und, ja, auch durch einen fairen militärischen Beitrag. Geprägt von der Aufklärung, haben beide, Europäer und Amerikaner, Verfassungen ge‑ schrieben, Universitäten gegründet, Gesetz bücher verfasst und Zeitungshäuser aufgebaut. Heute müssen wir dieses gemeinsame Erbe ver‑ teidigen – gegen die Trumps und Le Pens im eigenen Haus und gegen die autoritären Machthaber überall auf der Welt, denen nichts lieber wäre, als wenn der Westen an sich selbst verzweifelte. www.zeit.de/audio Wenn die Demokratie gefährdet ist, müssen die Universitäten viel politischer werden VON MANUEL J. HARTUNG I n einer Zeit, da die Verachtung der Wissen‑ schaft in höchsten amerikanischen Re‑ gierungskreisen salonfähig wird, da mit »alternativen Fakten« Stimmung und Politik gemacht wird – wo bleibt da ei‑ gentlich der Aufschrei der Wissenschaft? In Amerika gehen die Professoren auf die Straße; ihre deutschen Kollegen hört man hierzulande noch nicht. Dabei hätten auch sie allen Grund zum unüberhörbaren Protest. Rechtspopulisten machen sich über Experten lustig, in den sozialen Medien werden Tatsachen verdreht. So politisch wie heute war die Welt lange nicht. Doch die deutschen Professoren fühlen sich von der rasenden Wirklichkeit um sie herum vor allem in ihrer Arbeit gestört. In diesen Wochen, in denen die Deutungsbedürftigkeit der Welt stündlich wächst, schreiben etwa Literaturprofes‑ soren Feuilletons und Blogs voll. Sie streiten mit Wortgewalt, beschäftigen sich dabei aber nur mit sich selbst: mit der Selbsterhaltung der Germanis‑ tik, eines riesigen Fachs, das in der Öffentlichkeit seit Jahren keine große Rolle spielt. Als müssten sich die Forscher nicht damit auseinandersetzen, was die Welt wissen kann, tun soll, hoffen darf; als sei es nicht eine Sache des Worts, wenn Populisten die Freiheit beschädigen oder Forschungsergeb‑ nisse zu Glaubensfragen degradieren. Wollen die Universitäten auf Dauer in ihrer randständigen Echokammer bleiben? Wenn Professoren in eigener Sache redselig sind, in den großen Sachen aber sprechunfähig, ist das dramatisch. Dieses Politikdefizit ist das Signum der Krise, in der sich Teile der academia befinden: einer Krise der Klugen. Sie entzündet sich an der Frage, ob Universitäten in ihrer randständigen Echo‑ kammer bleiben oder Zentren gesellschaftlicher Vergewisserung werden wollen. Doch nicht allein die Germanisten bleiben am liebsten unter sich. Der Chef der Gesellschaft für Politikwissenschaft warf seinen Fachkollegen vor, sie lehnten in ihrer Arbeit gesellschaftliche Relevanz ab. Der Präsident der Deutschen For schungsgemeinschaft attestierte Hochschulleitun‑ gen »schwaches konzeptionelles Selbstbewusstsein«. Und auch die Studenten sind von der Krise befallen; früher besetzten sie Hörsäle, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren, heute geht es oft um viel kleinere Fragen. Europa fällt auseinan‑ der? Is’ doch egal. Das neue Heft. Jetzt im Handel! Weitere Informationen unter www.zeit.de/zw-aktuell 23. Februar 2017 No 9 102866_ANZ_10286600009389_12962230_X4_ONP26_03 3 17.02.17 12:14 Der Schulz-Test Der Hoffnungsträger der SPD beklagt erschreckende Zustände auf dem Arbeitsmarkt. Aber hat er recht? Wirtschaft, Seite 19 64 Jahre Ehe ohne Liebe Ein altes Paar spricht über die ungewöhnliche Grundlage einer lebenslangen Beziehung Z, Seite 53 »Meine Mutter fühlte sich von Merkel verraten« Walter Kohl über die Kanzlerin und das Drama seiner Familie ZEITmagazin, Seite 14 PROMINENT IGNORIERT Dabei ist die Krise der Klugen umso un begreiflicher, als die Universitäten eine größere gesellschaftliche Rolle spielen könnten – und auch müssten. Mit 2,8 Millionen Studenten bil‑ den sie heute so viele junge Menschen aus wie nie zuvor. Hochschullehrer ist einer der wichtigsten Berufe unserer Wissensgesellschaft. Viele Hoch‑ schulen haben es sogar zu ihrer nach Forschung und Lehre »dritten Mission« gemacht, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Aber selbst wenn bei Ringvorlesungen und Debatten in Seminaren überall Wirklichkeit stattfindet, gelangt das doch kaum an die Öffentlichkeit. Das große Potenzial der Universitäten, wieder ein Zentrum der politi‑ schen Debatte zu werden, wird zu wenig genutzt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Hochschulen gewaltig unter Druck stehen, und zwar von zwei Seiten. Erstens dehnen sich die Hochschulen durch inneren Druck aus. 18 000 Studiengänge gibt es nun, kaum einer weiß, wa‑ rum und zu welchem Zweck. Professoren spezia‑ lisieren sich immer weiter und machen dadurch ihre Diskursräume enger. Und die, die über die großen Dinge nachdenken – und die gibt es! –, wagen sich nicht aus der Peripherie hervor; ein Fernsehauftritt vor fünf Millionen Zuschauern ist unter manchen Kollegen immer noch anrü‑ chiger als ein Fachaufsatz für fünf Leser. Zweitens stellt die Beschleunigung der Welt den Kanon der westlichen Universität infrage. Wer bislang stolz war, die Generationenfolge der Buddenbrooks auswendig zu können, muss verunsichert sein, wenn sich Bildung dekano‑ nisiert und man ohne Kenntnis arabischer Schriftsteller, asiatischer Philosophen und ame‑ rikanischer Programmiersprachen die Welt nicht mehr versteht. Die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen sich entscheiden: Sie könnten es machen wie diejenigen Kunsttheoretiker, die sich am Eigen‑ wert des Ästhetischen festklammern, Haupt sache, die Kunst ist schön, politisch muss sie nicht sein. Sie könnten aber auch versuchen, sich dem großen Wandel zu stellen: mit einer Uni versität, die sich vor der Politik nicht drückt, mit Professoren und Studenten, die sich etwas trau en, die rausgehen, erklären, sich streiten. Dann bilden sie nicht nur die Wirklichkeit ab. Sondern werden zu Stimmen, die in einer Gesellschaft zu Recht Gehör finden. www.zeit.de/audio Tierisch ernst Die Schweden melden, zahllose Elche hätten illegal die Grenze überquert. Hat Donald Trump das gemeint, als er sagte: »Schaut euch an, was gestern in Schweden passiert ist! Schweden – sie haben ganz viele reingelassen, nun haben sie Probleme, wie sie es nie für möglich gehalten hätten«? Oder gab es einen Anschlag? Niemand wusste davon. – Der nächste Preis‑ träger des Ordens wider den tieri‑ schen Ernst steht damit fest. GRN Kleine Fotos (v. o.): C. Charisius/dpa Picture-Alliance; P. Charleville/Folio Images/Getty Images Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, 20079 Hamburg Telefon 040 / 32 80 ‑ 0; E-Mail: [email protected], [email protected] ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de ABONNENTENSERVICE: Tel. 040 / 42 23 70 70, Fax 040 / 42 23 70 90, E-Mail: [email protected] PREISE IM AUSLAND: DK 49,00/FIN 7,50/N 66,00/E 6,10/ CAN 6,30/F 6,10/NL 5,30/ A 5,00/CH 7.30/I 6,10/GR 6,70/ B 5,30/P 6,30/L 5,30/H 2090,00 o N9 7 2. J A H RG A N G C 7451 C 09 4 190745 104906
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