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DIEZEIT
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17.02.17 12:14
WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R
Großangriff aus dem Netz
Titelillustration: Smetek für DIE ZEIT, verwendetes Foto: Iain Masterton/Alamy/Mauritius Images
Deutschland im Visier
Unbekannte Hacker versuchen jeden Tag, Unternehmen, Telefonnetze oder
Regierungsapparate lahmzulegen und die Öffentlichkeit aufzuhetzen. Vieles spricht dafür,
dass die Täter von Russland aus gesteuert werden POLITIK SEITE 2–4 UND DOSSIER
TRUMP UND LE PEN
PROFESSOREN
Nur mit Amerika
Krise der Klugen
Den Rechtspopulismus müssen liberale Demokraten auf beiden
Seiten des Atlantiks gemeinsam bekämpfen VON MATTHIAS NASS
S
eit im Weißen Haus der Wahnsinn
regiert, sind viele Europäer wieder
im Reinen mit sich und ihrem Bild
von Amerika: ein bisschen zum La‑
chen, ein bisschen zum Weinen; ein
wenig zum Fürchten und eigentlich
zum Weglaufen. Zeit, »erwachsen« zu werden und
sich auf die eigenen Kräfte zu besinnen – am
besten mit europäischen Atomwaffen.
Der Haken daran: Auch viele Amerikaner,
schätzungsweise die Hälfte, finden Donald
Trump zum Lachen und zum Weinen, zum
Fürchten und zum Weglaufen. Deshalb sei daran
erinnert: Europa gegen Amerika – das ist die­
falsche Frontstellung. Das liberale Amerika und
das liberale Europa müssen sich vielmehr ge‑
meinsam wehren gegen Trump und Le Pen,­
gegen Abschottung und Fremdenhass.
Freie Medien werden nämlich in New York
wie in Berlin mit dem Vorwurf in den Schmutz
gezogen, sie seien eine »Lügenpresse« und »Fein‑
de des Volkes«. Gerichte in Warschau wie in San
Francisco sehen sich gezwungen, die Regieren‑
den daran zu erinnern, dass sie nicht ihnen ver‑
pflichtet sind, sondern dem Gesetz.
Die Wut auf Trump darf nicht umschlagen
in eine Abkehr von den Vereinigten Staaten
Es geht wahrhaftig um mehr als das Bekenntnis
der Regierung Trump zur Nato und die Bereit‑
schaft der Europäer, zwei Prozent des BIP für das
Militär auszugeben. Es geht darum, dass die
gänzlich unverzichtbaren transatlantischen Be‑
ziehungen nicht vor die Hunde gehen.
Deshalb darf die Wut auf Trump nicht um‑
schlagen in eine Abkehr von Amerika. In den
Vereinigten Staaten mit ihren seit mehr als zwei‑
hundert Jahren gefestigten Institutionen funk‑
tionieren die Kontrollen. Trumps Muslim-Bann
haben die Gerichte umgehend kassiert. Zei‑
tungsverlage investieren in den investigativen
Journalismus, sie wollen Trump seine Lügen
nicht durchgehen lassen. Selbst bei den feigen
und opportunistischen Republikanern geht nun
mancher auf Distanz zur Trump-Kamarilla.
Ob die Europäer die Demokratie in der Stun‑
de der Not wohl genauso beherzt verteidigen?
Diese Stunde kann uns schon bald schlagen. Es
ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass Marine
Le Pen bei den französischen Präsidentschafts‑
wahlen im Mai siegt. Und dann steht mehr auf
dem Spiel als nur der Euro, nämlich die Euro‑
päische Union selbst.
In Österreich konnte ein FPÖ-Staatspräsi‑
dent nur um Haaresbreite verhindert werden,
weil sich alle gegen ihn stellten: Konservative,
Liberale, Grüne und Sozialdemokraten. In
Frankreich aber sind die Lager schärfer geteilt, so
schnell stimmt dort kein Konservativer für einen
linken Kandidaten. Und umgekehrt.
Wie stark also ist Europa? Auf der Münchner
Sicherheitskonferenz war kein Auftritt gespens‑
tischer als der des britischen Außenministers
Boris Johnson, eines Spielers, der sein Land erst
in den Brexit getrieben hat, dann die Ver­
antwortung nicht übernehmen wollte und jetzt
die »Befreiung« Großbritanniens von der EU
feiert. Eine armselige Figur. Der Wahnsinn re‑
giert auch in Whitehall.
Dann gerieten sich in München auf offener
Bühne EU-Vizepräsident Frans Timmermans
und der polnische Außenminister Witold Waszc‑
zykowski in die Haare, als Timmermans voll‑
kommen zu Recht auf der Unabhängigkeit von
Polens Verfassungsgericht insistierte.
Nein, dieses Europa ist nicht so stark, als dass
es beim Kampf gegen den Rechtspopulismus
nicht der Unterstützung bedürfte. Und von wem
sollte die kommen, wenn nicht vom liberalen,
demokratischen Amerika? Wir brauchen seine
wirtschaftliche Dynamik, seine Spitzenforschung
und seinen Qualitätsjournalismus. Und, ja, seine
militärische Stärke brauchen wir auch.
Dafür schulden wir den Amerikanern Hilfe
bei dem Versuch, im derzeitigen Re­
gie­
rungs­
chaos nicht den demokratischen Kompass zu
verlieren – durch Bürgerprotest und Parlaments‑
beschlüsse, durch kritische Berichterstattung,
durch den Schutz ausländischer Mitarbeiter in
europäischen Firmen. Und, ja, auch durch einen
fairen militärischen Beitrag.
Geprägt von der Aufklärung, haben beide,
Europäer und Amerikaner, Verfassungen ge‑
schrieben, Universitäten gegründet, Gesetz­
bücher verfasst und Zeitungshäuser aufgebaut.
Heute müssen wir dieses gemeinsame Erbe ver‑
teidigen – gegen die Trumps und Le Pens im
eigenen Haus und gegen die autoritären
Machthaber überall auf der Welt, denen nichts
lieber wäre, als wenn der Westen an sich selbst
verzweifelte.
www.zeit.de/audio
Wenn die Demokratie gefährdet ist, müssen die Universitäten
viel politischer werden VON MANUEL J. HARTUNG
I
n einer Zeit, da die Verachtung der Wissen‑
schaft in höchsten amerikanischen Re‑
gierungskreisen salonfähig wird, da mit
»alternativen Fakten« Stimmung und
Politik gemacht wird – wo bleibt da ei‑
gentlich der Aufschrei der Wissenschaft?
In Amerika gehen die Professoren auf die Straße;
ihre deutschen Kollegen hört man hierzulande
noch nicht. Dabei hätten auch sie allen Grund
zum unüberhörbaren Protest. Rechtspopulisten
machen sich über Experten lustig, in den sozialen
Medien werden Tatsachen verdreht. So politisch
wie heute war die Welt lange nicht.
Doch die deutschen Professoren fühlen sich
von der rasenden Wirklichkeit um sie herum vor
allem in ihrer Arbeit gestört. In diesen Wochen,
in denen die Deutungsbedürftigkeit der Welt
stündlich wächst, schreiben etwa Literaturprofes‑
soren Feuilletons und Blogs voll. Sie streiten mit
Wortgewalt, beschäftigen sich dabei aber nur mit
sich selbst: mit der Selbsterhaltung der Germanis‑
tik, eines riesigen Fachs, das in der Öffentlichkeit
seit Jahren keine große Rolle spielt. Als müssten
sich die Forscher nicht damit auseinandersetzen,
was die Welt wissen kann, tun soll, hoffen darf; als
sei es nicht eine Sache des Worts, wenn Populisten
die Freiheit beschädigen oder Forschungsergeb‑
nisse zu Glaubensfragen degradieren.
Wollen die Universitäten auf Dauer in ihrer
randständigen Echokammer bleiben?
Wenn Professoren in eigener Sache redselig sind,
in den großen Sachen aber sprechunfähig, ist das
dramatisch. Dieses Politikdefizit ist das Signum der
Krise, in der sich Teile der academia befinden: einer
Krise der Klugen. Sie entzündet sich an der Frage,
ob Universitäten in ihrer randständigen Echo‑
kammer bleiben oder Zentren gesellschaftlicher
Vergewisserung werden wollen.
Doch nicht allein die Germanisten bleiben am
liebsten unter sich. Der Chef der Gesellschaft für
Politikwissenschaft warf seinen Fachkollegen
vor, sie lehnten in ihrer Arbeit gesellschaftliche
Re­le­vanz ab. Der Präsident der Deutschen For­
schungs­­gemeinschaft attestierte Hochschulleitun‑
gen »schwa­ches konzeptionelles Selbstbewusstsein«.
Und auch die Studenten sind von der Krise
befallen; früher besetzten sie Hörsäle, um gegen
den Vietnamkrieg zu protestieren, heute geht es
oft um viel kleinere Fragen. Europa fällt auseinan‑
der? Is’ doch egal.
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23. Februar 2017 No 9
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17.02.17 12:14
Der Schulz-Test
Der Hoffnungsträger
der SPD beklagt
erschreckende
Zustände auf dem
Arbeitsmarkt. Aber
hat er recht?
Wirtschaft, Seite 19
64 Jahre Ehe
ohne Liebe
Ein altes Paar
spricht über die
ungewöhnliche
Grundlage einer
lebenslangen
Beziehung
Z, Seite 53
»Meine Mutter
fühlte sich von
Merkel verraten«
Walter Kohl über die
Kanzlerin und das
Drama seiner Familie
ZEITmagazin, Seite 14
PROMINENT IGNORIERT
Dabei ist die Krise der Klugen umso un­
begreiflicher, als die Universitäten eine größere
gesellschaftliche Rolle spielen könnten – und
auch müssten. Mit 2,8 Millionen Studenten bil‑
den sie heute so viele junge Menschen aus wie nie
zuvor. Hochschullehrer ist einer der wichtigsten
Berufe unserer Wissensgesellschaft. Viele Hoch‑
schulen haben es sogar zu ihrer nach Forschung
und Lehre »dritten Mission« gemacht, in die
Gesellschaft hineinzuwirken. Aber selbst wenn
bei Ringvorlesungen und Debatten in Seminaren
überall Wirklichkeit stattfindet, gelangt das doch
kaum an die Öffentlichkeit. Das große Potenzial
der Universitäten, wieder ein Zentrum der politi‑
schen Debatte zu werden, wird zu wenig genutzt.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die
Hochschulen gewaltig unter Druck stehen, und
zwar von zwei Seiten. Erstens dehnen sich die
Hochschulen durch inneren Druck aus. 18 000
Studiengänge gibt es nun, kaum einer weiß, wa‑
rum und zu welchem Zweck. Professoren spezia‑
lisieren sich immer weiter und machen dadurch
ihre Diskursräume enger. Und die, die über die
großen Dinge nachdenken – und die gibt es! –,
wagen sich nicht aus der Peripherie hervor; ein
Fernsehauftritt vor fünf Millionen Zuschauern
ist unter manchen Kollegen immer noch anrü‑
chiger als ein Fachaufsatz für fünf Leser.
Zweitens stellt die Beschleunigung der Welt
den Kanon der westlichen Universität infrage.
Wer bislang stolz war, die Generationenfolge
der Buddenbrooks auswendig zu können, muss
verunsichert sein, wenn sich Bildung dekano‑
nisiert und man ohne Kenntnis arabischer
Schriftsteller, asiatischer Philosophen und ame‑
rikanischer Programmiersprachen die Welt
nicht mehr versteht.
Die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen
sich entscheiden: Sie könnten es machen wie
diejenigen Kunsttheoretiker, die sich am Eigen‑
wert des Ästhetischen festklammern, Haupt­
sache, die Kunst ist schön, politisch muss sie
nicht sein. Sie könnten aber auch versuchen, sich
dem großen Wandel zu stellen: mit einer Uni­
versität, die sich vor der Politik nicht drückt, mit
Professoren und Studenten, die sich etwas t­rau­
en, die rausgehen, erklären, sich streiten. Dann
bilden sie nicht nur die Wirklichkeit ab. Sondern
werden zu Stimmen, die in einer Gesellschaft zu
Recht Gehör finden.
www.zeit.de/audio
Tierisch ernst
Die Schweden melden, zahllose
Elche hätten illegal die Grenze
überquert. Hat Donald Trump
das gemeint, als er sagte: »Schaut
euch an, was gestern in Schweden
passiert ist! Schweden – sie haben
ganz viele reingelassen, nun haben
sie Probleme, wie sie es nie für
möglich gehalten hätten«? Oder
gab es einen Anschlag? Niemand
wusste davon. – Der nächste Preis‑
träger des Ordens wider den tieri‑
schen Ernst steht damit fest. GRN
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