taz.die tageszeitung

Transgender-Gesetz: Trumps Griff ins Klo
US-Präsident verbietet Trans*Personen die freie Toilettenwahl ▶ Seite 2
AUSGABE BERLIN | NR. 11260 | 8. WOCHE | 39. JAHRGANG
FREITAG, 24. FEBRUAR 2017 | WWW.TAZ.DE
€ 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND
H EUTE I N DER TAZ
Jobkiller
Elektroauto
ANTIRASSISMUS
„Meine Wortwahl ist ein
Angebot“: Autor Mohamed Amjahid über People of Color, Biodeutsche
und sein Buch „Unter
Weißen“ ▶ SEITE 13
TÜRKEI Putschisten vor
Gericht ▶ SEITE 4
TUAREG Konfliktlösung
mit Gitarren ▶ SEITE 15
BERLIN Wer kandidiert
statt Ströbele? ▶ SEITE 21
Fotos (oben): K. Thielker; plainpicture
ZUKUNFT Diese Teile braucht bald
kein Mensch mehr: Warum die
Umstellung von Benzin- auf
Elektroautos Arbeitsplätze
kostet – aber nötig ist und neue
Chancen bietet ▶ SEITE 3
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
verboten gratuliert dem neuen Freitag-Chef und beglückwünscht die Herren Augstein
und Todenhöfer zu dieser allzeit spitzen Feder. Das kann
heiter werden! Denn im Vergleich zum Füller ist verboten
„Was is das? Gerd, nun sag was! Sag doch endlich was, du bist der Mechaniker!“ Jedenfalls kein E-Auto! Til Schweiger (rechts) in „Manta, Manta“ zu alten Benzinautozeiten Foto: picture alliance
KOMMENTAR VON BEATE WILLMS
E
ein Stift.
TAZ MUSS SEI N
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Zeit für einen neuen Exportschlager
s wird als Horrorszenario dargestellt:
100.000 Arbeitsplätze können in der
deutschen Automobilindustrie wegfallen, wenn statt Verbrennungsmotoren nur noch Elektroautos gebaut werden. Das klingt alarmierend. Tatsächlich
lenkt die Fixierung auf diese Zahl vom eigentlichen Thema ab. Denn hinter dem
erwarteten Siegeszug des Elektroautos
stehen ernsthafte Probleme: Mit Diesel
und Benziner lassen sich weder Luftreinhaltungs- noch Klimaziele erfüllen.
Die Krux ist aber: mit dem Elektroauto
allein auch nicht. Am umwelt- und klimaschädlichsten ist nicht die Fahrerei, sondern die Herstellung der Autos. Einfach
die Antriebe auszutauschen reicht also
nicht. Helfen kann nur eine echte Mobilitätswende, zu der deutlich weniger Privat- und Firmenautos gehören – weshalb
100.000 wegfallende Industriejobs sogar
eher zu niedrig geschätzt sind.
Aber: Zugleich werden Fahrradwege,
ÖPNV und Fernverkehr ausgebaut und
alle Verkehrsmittel aufeinander abgestimmt, inklusive geteilter Autos, Fernbusse, Kabinenbahnen und irgendwann
auch fliegender Taxis. Digitalisierung erleichtert die Vernetzung und sorgt für einen schnellen Zugriff auf Fahrpläne, den
nächsten Fahrradverleih oder das um die
Ecke stehende geteilte Auto.
Das wiederum eröffnet Chancen auf
ganz neue Arbeitsplätze. Neben mehr
Personal direkt beim ÖPNV auch bei dessen Zulieferern; bei Start-ups wie etwa
Anbietern von Apps, die die Verkehrsträger verknüpfen; für neue Services bei
Elektromobilität, Sharing und Lade-­In­
fra­struktur. In Berlin könnten allein damit bis 2030 rund 14.000 neue Jobs entstehen, hat die Unternehmensberatung
McKinsey ausgerechnet. Im Übrigen verschaffen Ausbau und Instandhaltung von
Auch für den Ausbau von
ÖPNV und Fernverkehr
braucht es Personal
Schieneninfrastruktur doppelt so viel Arbeit wie der Bau von Straßen.
Das sind natürlich andere Jobs als die
der Automobilarbeiter heute. Aber die
Wende passiert ja auch nicht von jetzt
auf gleich. Wenn man den Strukturwandel als Chance – nicht nur fürs Klima –
begreifen will, muss man ihn jetzt ernst
nehmen: mit strukturpolitischen Konzepten, der Förderung von ÖPNV und innovativen Start-ups, mit richtigen Ausbildungsangeboten für die grünen Jobs.
Wenn das mit der gleichen Energie verfolgt wird wie bisher der Schutz der Autoindustrie, dann kann Zukunftsmobilität vielleicht sogar der neue Exportschlager werden.
Unsicher gelandet
Zwei gegen Le Pen
AFGHANEN Einige Abgeschobene kommen aus eindeutig gefährlichen Regionen
FRANKREICH
MÜNCHEN/KABUL afp/taz | Un-
PARIS dpa | Zwei Monate vor
geachtet der Kritik von Menschenrechtlern sind 18 Afghanen von München aus in ihr
Heimatland abgeschoben worden. Vier Personen seien Straftäter, teilte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit
und erklärte: „Es gehört zu einem Rechtsstaat dazu, dass bestandskräftige Ablehnungsbescheide des Bundesamts auch
vollzogen werden.“ SchleswigHolsteins Innenminister Stefan
Studt (SPD) hingegen sagte, es
gebe derzeit keine Regionen im
Land, in die eine Rückkehr in Sicherheit und Würde möglich sei.
Wie taz-Autor Thomas Ruttig aus
Kabul berichtet, stammen sieben Abgeschobene aus Provinzen, die selbst die Bundesregierung nicht als sicher betrachtet.
▶ Ausland SEITE 11
Zentrist Bayrou unterstützt Macron
der französischen Präsidentschaftswahl hat der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron einen wichtigen Helfer gewonnen. Der Zentrumspolitiker
François Bayrou verzichtete auf
eine eigene Kandidatur und bot
Macron eine Allianz an. Dieser
nahm das Angebot an. Bayrou
begründete seine Entscheidung
mit der Gefahr eines Erfolgs von
Marine Le Pen, die in Umfragen
für den ersten Wahlgang führt.
▶ Ausland SEITE 10
▶ Meinung + Diskussion SEITE 12
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
NACH RICHTEN
BUN DESHAUSHALT
UNTERSCH LAGUNG
Überschuss im Jahr 2016 auf Rekordniveau
Haftstrafe für
Ex-IWF-Chef Rato
BERLIN | Mit fast 24 Milliarden
Gen Hongkong entschwunden:
Oh Myeong-se Foto: reuters
Der biedere
Millionendieb
N
ach außen hin wirkte Oh
Myeong-se wie der Prototyp eines vorbildlichen
Angestellten. Im koreanischen
Zweig des Züricher Technologieunternehmens ABB stieg der
58-Jährige bis zum Schatzmeister auf. Bei 800 Mitarbeitern
stand er nur eine Stufe unter
dem örtlichen Finanzchef. Mit
biederem Seitenscheitel, fliehendem Kinn und schwarz gedeckter Krawatte wird er im Mitarbeitermagazin auf einer ganzen Seite porträtiert – in seiner
zweiten Position als Ombudsmann. „Wem kann ich mich bei
Compliance-Angelegenheiten
anvertrauen?“, lautet die Überschrift des Artikels. Mittlerweile
liest sich das wie ein bitterböser
Scherz.
Denn am 7. Februar erschien
Herr Oh nicht mehr zur Arbeit.
Als er auch am Folgetag unentschuldigt fernblieb, begannen
Untersuchungen. Deren Ergebnis veröffentlichte ABB jetzt in
einer Pressemitteilung: Oh Myeong-se, seit über 20 Jahren
unbescholtener Angestellter,
hatte unbemerkt Firmengelder
im Wert von 30 Millionen Euro
in seine eigenen Taschen abgezweigt. Nun fahndet Interpol
nach dem biederen Herrn Oh.
„In den kommenden Wochen und Monaten müssen wir
mit kritischer Berichterstattung
rechnen“, schrieb ABB-Chef Ulrich Spiesshofer an seine Mitarbeiter. Wenn man bedenkt,
dass die südkoreanische Filiale
im 2015 rund eine halbe Mil­
liar­de Umsatz generiert hat, ist
es umso erstaunlicher, dass eine
derart hohe Summe einfach verschwinden konnte.
Fest steht: Oh Myeong-se hat
das Geld in 73 Transaktionen
beiseite geschafft. Dafür muss
der Schatzmeister nicht nur akribisch Bankbelege gefälscht,
sondern auch mit Komplizen zusammengearbeitet haben. Ob es
auch einen Maulwurf im Unternehmen gab, dazu ermittelt derzeit die koreanische Polizei.
Laut deren Angaben hat Herr
Oh seine Ehefrau und zwei Kinder im Stich gelassen und sich
nach Hongkong abgesetzt. Dass
er die Banknoten in Koffern außer Landes gebracht hat, gilt als
unwahrscheinlich, da zu riskant.
Der Fall von Oh Myeong-se
mag in seiner Dimension spektakulär anmuten. Dabei gibt es
auf unterster Ebene viele Herr
Ohs in koreanischen Unternehmen: Veruntreuungen sind weiter verbreitet als das Kimchi am
Mittagstisch.FABIAN KRETSCHMER
Der Tag
FREITAG, 24. FEBRUAR 2017
Euro hat der deutsche Staat
im vorigen Jahr den höchsten
Überschuss seit der Wiedervereinigung verbucht. Bund, Länder, Sozialversicherungen und
Kommunen hätten 23,7 Milliarden Euro mehr eingenommen
als ausgegeben, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag in Wiesbaden unter Verweis
auf aktualisierte Zahlen mit.
Alle vier Ebenen erwirtschafteten dabei auch jeweils für sich
einen Finanzüberschuss.
Am stärksten verbesserte
sich die Finanzlage der Sozialkassen, die im Jahr 2016 ein Plus
von 8,2 Milliarden vermeldeten. An zweiter Stelle folgte der
Bund mit 7,7 Milliarden Euro.
Im Vorjahr hatte dessen Fi­nanz­
überschuss allerdings noch bei
10 Milliarden Euro gelegen. Die
Länder schlossen mit einem positiven Saldo von 4,7 Milliarden
Euro ab, die Kommunen erwirtschafteten ein Plus von 3,1 Milliarden Euro. Das war etwas weniger als im Vorjahr.
Der hohe Gesamtüberschuss
kam durch stark steigende Steuereinnahmen sowie die gute Arbeitsmarktlage zusammen, die
zu höheren Sozialbeitragszahlungen führte. (afp)
MADRID | Der ehemalige Direk-
tor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Rodrigo
Rato, ist wegen Unterschlagung
zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Haftstrafe erhielt der 67-Jährige, weil
er als Chef zweier spanischer
Banken Kreditkarten nutzte, die
Ausgaben in unbegrenzter Höhe
und ohne jede Kontrolle erlaubten. Demnach gab er gut 99.000
Euro aus. Angeklagt wurden
weitere 64 Exbankmanager. Insgesamt sollen sie zwischen 2003
und 2012 rund 12 Millionen Euro
veruntreut haben. (afp)
TAZ LI EST DEN IZ
WARTEN AUF ASYL
Unser Exkollege Deniz Yücel sitzt in
Istanbul hinter Gittern. Solange er
nichts Neues veröffentlichen kann,
lesen wir einfach seine alten Texte
noch einmal. Und zwar jeden Tag.
Jede Menge davon finden Sie
unter www.taz.de/Deniz
Journalismus
ist kein
Verbrechen
www.taz.de
Verfahren dauern
wieder länger
BERLIN | Die Asylverfahren in
Deutschland dauern im Schnitt
wieder länger. Das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge
brauchte 2016 für die Bearbeitung eines Antrags im Schnitt
7,1 Monate. 2015 waren es nur
5,2 Monate. Das geht aus einer
Antwort des Innenministeriums auf eine Linken-Anfrage
hervor. Im vierten Quartal 2016
lag die durchschnittliche Bearbeitungszeit sogar bei 8,1 Monaten. Das Ministerium begründet
den Anstieg damit, dass nun vermehrt komplexe Altfälle abgearbeitet würden. (dap)
Die leidige Klo-Frage
USA Donald Trump hat die von seinem Vorgänger Barack Obama angeordnete freie Toilettenwahl
für Trans*Personen wieder rückgängig gemacht – ein Wunsch der radikalen rechten Basis
AUS NEW YORK DOROTHEA HAHN
Einen Monat nach Amtsantritt ist die Trump-Regierung
im Klo angekommen: In einem gemeinsamen Memorandum hoben das Justiz- und das
Erziehungsministerium
am
Mittwoch das Recht von Trans*Jugendlichen auf die Benutzung
einer Toilette ihrer Wahl wieder
auf. Die neue Regierung in Washington betrachtet das erst
2016 eingeführte Bundesrecht,
zum Schutz von TransgenderSchülerInnen und -StudentInnen als eine unzulässige Einmischung. Künftig sollen wie-
der die Schulbezirke und die
Bundesstaaten
entscheiden.
Letztere sind zu mehr als zwei
Dritteln republikanisch regiert.
Noch am Mittwochabend protestierten Jugendliche vor dem
Weißen Haus gegen die Wegnahme des bis dato konkretesten Schutzes für Trans*-Personen. Zahlreiche Hollywood- und
Justizminister Jeff
Sessions wollte das
Memorandum
unbedingt haben
Mediengrößen veröffentlichten ihre Empörung per Tweet.
Talkmasterin Ellen DeGeneres erklärte mit 140 Zeichen:
„Hier geht es nicht um Politik,
sondern um Menschenrechte.“
Am peinlichsten für Trump ist
ein Tweet von Jackie Evancho.
Die 16-Jährige hatte bei seiner
Inauguration am 20. Januar, als
zahlreiche andere Stars seine
Einladung abgelehnt hatten,
die Na­tio­nal­hymne am Fuß des
Capitols gesungen. Ihre ältere
Schwester, die vor zwei Jahren
ihr Coming-out als Transgender hatte, war der Zeremonie
fern geblieben. Am Mittwoch-
Aktivist*innen protestieren am Mittwochabend vor dem Weißen Haus Foto: Andrew Harnik/ap
Belästigt, attackiert, getötet
HASS
abend tweetete Evancho, sie sei
„enttäuscht“ und schlug Trump
ein Treffen mit ihr und ihrer
Schwester vor.
Die freie Toilettenwahl, je
nach
Geschlechteridentität,
war Ende des Jahres nach monatelanger Debatte auf Bundesebene eingeführt worden. Den
Anstoß gab der Bundesstaat
North Carolina, wo im März das
Parlament entschied, dass Jugendliche die Toilette ihres biologischen Geschlechts benutzen müssten. Die Entscheidung
führte zu Aufregung auf beiden
Seiten. Städte und Schulbezirke
stimmten über Resolutio­
nen
zur Klo-Frage ab. Die Progressiveren unter ihnen führten
die freie Toilettenwahl ein, die
Konservativen beschworen alle
möglichen erfundenen Gefahren herauf. Darunter angebliche Überfälle auf Mädchentoi­
let­ten durch Trans*-Personen.
Ein knappes Dutzend Bundesstaaten zog gegen das Bundesrecht vor Gericht.
Als Kandidat gab sich Trump
in der Toiletten-Frage noch liberal. Im April versicherte er auf
NBC, dass er für die freie Toi­
let­tenwahl eintrete. Die Demo­
kra­
tInnen stürzten sich in
der Hochphase des Präsidentschaftswahlkampfs mit so viel
Wucht in die Toilettenfrage, dass
es zeitweise schien, sie wäre das
wichtigste Thema – weit vor den
sozialen und ökonomischen Ungleichheiten im Lande. Die Genese des Memorandums vom
Mittwoch, das das kurzlebige
Bundesrecht wieder abschafft,
zeigt, dass sich in Trumps Regierung die gesellschaftlich
konservativsten Kräfte und die
Wünsche der radikalen rechten
Basis durchgesetzt haben.
Der Mann, der das Memorandum unbedingt haben wollte,
ist Justizminister Jeff Sessions.
Schon in seinen früheren Posi­
tio­
nen im Südstaat Alabama
war er durch besondere Intoleranz gegenüber Minderheiten,
damals insbesondere AfroamerikanerInnen aufgefallen. In der
neuen Regierung hat er die Bildungsministerin Betsy DeVos,
die sich nach Recherchen der
New York Times zunächst gegen das Memorandum gesperrt
hat, auf seine Seite gezwungen.
Trump persönlich soll DeVos
klargemacht haben, dass
sie keine andere Wahl
habe.
THEMA
DES
TAGES
Nicht nur in den Vereinigten Staaten werden Trans*Personen regelmäßig Opfer von Gewalttaten bis hin zum Mord
BERLIN taz | Es ist Dienstag kurz
nach sechs Uhr morgens, als
die 24-jährige Keke Collier im
Stadtteil Englewood in Chicago
auf offener Straße erschossen
wird. Die Polizei bezeichnet sie
zunächst als männliches Opfer.
Colliers Freunde stellen später
klar, dass sie sich als Transgender-Frau identifizierte. Sie hat
Schusswunden an Brust, Arm
und Hand. Sie wird ins Krankenhaus transportiert, wo sie später
stirbt. Der Täter ist flüchtig, die
Polizei ermittelt.
Keke Collier ist bereits die
vierte Trans*Person, die in die-
sem Jahr in den USA ermordet wurde. Die Bezeichnung
Trans*Person umfasst all jene
Menschen, die sich ihrem bei
der Geburt zugewiesenen Geschlecht, nicht, nicht vollständig oder zeitweise nicht zuordnen können oder wollen – eine
Zuordnung erfolgt grundsätzlich über Selbst- und nicht über
Fremd­definition.
Insgesamt identifizieren sich
etwa 1,4 Millionen Personen als
Trans*Menschen in den USA.
Und auch wenn ihre Präsenz
in der Öffentlichkeit heute zugenommen hat – etwa durch
die Schauspielerin Laverne Cox
oder die ehemalige Sportlerin
Caitlyn Jenner –, sinkt die Gewalt gegen Trans*Personen im
Alltag nicht.
Inoffiziellen Listen zufolge,
die sich meist auf Berichte lokaler Organisationen stützen,
wurden in den USA auch 2016 –
je nach Quelle – zwischen 21 und
27 Morde an Trans*Personen gezählt, die offenbar aufgrund ihrer Geschlechteridentität begangen wurden. Meist handelte
es sich dabei um Women of Color. Die Fälle, die in diesen Listen genau dokumentiert sind,
zeigen nicht selten ein hohes
Maß an Aggression, beinhalten
Folter oder Verstümmelung. Oft
wurden die Opfer schon zuvor
regelmäßig belästigt, bedroht
oder attackiert.
Doch das betrifft nicht nur die
USA. Laut den Zahlen des Trans
Murder Monitoring Projektes
(TMM) wurden 2016 weltweit
295 Trans*Personen aufgrund
ihrer Geschlechteridentität ermordet. Die meisten Opfer gab
es demnach in Brasilien, Mexiko
und den USA – aber auch in Italien und in der Türkei wurden
je fünf Trans*Personen getötet.
Viel mehr Trans*Menschen
werden freilich im Alltag regelmäßig belästigt. Die bisher
größte US-Studie mit 27.000
Trans*Personen stellte 2015
fest, dass 46 Prozent im Jahr zuvor verbal belästigt, 9 Prozent
körperlich attackiert und 10
Prozent Opfer sexueller Gewalt
wurden. Ganze 47 Prozent gaben
an, schon einmal Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden zu
sein. Von den Befragten waren 15
Prozent ohne Arbeit, ein Drittel
lebte in Armut und 40 Prozent
hatten schon einen Suizidversuch hinter sich. SASKIA HÖDL
Schwerpunkt
Elektroautos
FREITAG, 24. FEBRUAR 2017
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Wenn das E-Fahrzeug in Zukunft das Auto mit Verbrennungsmotor
ablöst, stehen massenweise Arbeitsplätze auf dem Spiel. Was tun?
VON RICHARD ROTHER
Öffnen Sie mal die Motorhaube
Ihres Autos. Schauen Sie nach,
was in Ihrem Fahrzeug nicht
mehr gebraucht würde, wäre es
ein E-Auto: der ganze Verbrennungsmotor mit Zylindern, Kolben und Einspritzsystem, dazu
Getriebe, Gangschaltung, Auspuff, Abgasreinigungsanlage,
Tank. All diese Teile braucht ein
Elektroauto nicht. Und wenn es
dereinst keine Fahrzeuge mit
Verbrennungsmotoren mehr
gibt, braucht auch niemand
mehr Fabriken und Arbeitskräfte, die diese Teile herstellen.
Die Automobilindustrie steht
vor einem Umbruch. Wie viele
Jobs in der Branche, eine Stütze
des Wohlstands in Deutschland, wegfallen werden, weiß
niemand. Denn noch ist unklar, wie schnell der Umbruch
stattfindet. Derzeit gibt es gerade mal 26.000 reine E-Autos
in Deutschland, während rund
45 Millionen Autos von Verbrennungsmotoren angetrieben werden.
Ein Verbrennungsmotor besteht
aus 1.000 Teilen,
ein E-Motor aus
weniger als 50
Fakt ist aber: Der Antriebsstrang eines Verbrenner-Autos
ist komplexer und in der Herstellung arbeitsintensiver als
der eines E-Autos. Die verbauten Teile im Motor sind keine
einfachen Lego-Klötzchen, sondern Ergebnis jahrzehntelanger
Forschung und Herstellungsoptimierung – sie müssen hohen
Druck, Temperaturen und Geschwindigkeiten aushalten. Verschwinden die Teile, verschwindet auch Know-how.
Einbußen wird es auch beim
Drumherum geben, das zum
Betrieb eines Benzin- oder Dieselautos notwendig ist: von der
Entwicklung der Motorsteuerungssoftware bis zu den Werkstätten, von den Raffinerien bis
zu den Tankstellen. Das bedeutet: Ohne Verbrenner wird die
Branche langfristig wohl weniger Menschen beschäftigen
– selbst wenn auch E-Autos Karosserien, Achsen, Bremsen, Räder, Reifen, Sitze, Scheiben und
Beleuchtung brauchen.
Links geht’s schneller, rechts ist’s grüner. Hier können E-Autos und Benziner friedlich nebeneinander tanken Foto: Gaetan Bally/Keystone/laif
Batterie voll, Tank leer
MOBILITÄT Die Umstellung auf elektrische Antriebe stellt die Autoindustrie vor Herausforderungen. Experten
halten Investitionen in neue Technologien für dringend nötig. Sonst blieben viele Betriebe auf der Strecke
„Wenn das Auto mit Verbrennungsmotor durch das Elektroauto ersetzt wird, fällt ein Großteil der Wertschöpfung weg“,
sagt Stefan Bratzel, Autoexperte
an der Fachhochschule Bergisch
Gladbach gegenüber der taz. 30
bis 40 Prozent der Wertschöpfung beim Verbrenner mache
der Antriebsstrang aus. Ein Verbrennungsmotor bestehe aus
1.000 Teilen, bei einem E-Motor seien es nur 50. „Das macht
Herstellung und Montage eines
Elektromotors wesentlich einfacher.“
Sollten die traditionellen Autos komplett durch E-Autos ersetzt werden, würden 20 bis
25 Prozent der Arbeitsplätze in
der Autoindustrie wegfallen,
schätzt Bratzel. Ob sie durch
die Batterieproduktion ersetzt
werden, ist fraglich. Manche
Hersteller haben schlicht nicht
vor, in diese Sparte zu investieren (siehe Interview unten).
Und selbst wenn die Fertigung
der Batteriezellen in Deutschland angesiedelt wird, werden
trotz hoher Wertschöpfung dafür wenige Arbeitskräfte benötigt. Bratzel: „Die Batteriefertigung ist hochautomatisiert.“
Dennoch sei es sinnvoll, Batterien auch in Deutschland herzustellen, schon um die Abhängigkeit von den Produzenten in
Fernost oder den USA zu verringern.
„Die Transformation der
Industrie wird aber nicht von
heute auf morgen stattfinden“,
ist sich Bratzel sicher. Mitte der
zwanziger Jahre werde es wohl
einen Umschwung geben, wenn
wegen der Nachfrage nach Elektroautos das absolute Volumen
bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren abnehme.
Dann könnten auch Zulieferer
Probleme bei der Finanzierung
von Innovationen bekommen.
Die Zulieferer müssten sich bis
dahin nach neuen Branchen
umschauen oder in der E-Mobilität Fuß fassen.
Das sehen die Insolvenzverwalter ähnlich. Allein in
der Zulieferindustrie könnten
100.000 Arbeitsplätze verloren gehen, sagt Insolvenzanwalt Martin Prager. Gerade hoch
spezialisierte Zulieferer stünden
vor existenziellen Herausforderungen. „Viele werden die Anpassung nicht schaffen.“
Auch die IG Metall warnt.
Mehr als jeder vierte Arbeit-
nehmer in der Autoindustrie und bei den Zulieferern in
Deutschland sei in der Fertigung
von Motoren und Getrieben tätig: 250.000 von rund 880.000
Menschen. Sie bräuchten langfristig eine Perspektive. Ein
Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren lehnt die Gewerkschaft jedoch ab. „Durch
Verbote bekommen wir den klimafreundlichen Umstieg nicht
hin, sondern gefährden nur Arbeitsplätze.“
Für Manfred Schoch, Arbeitnehmervertreter bei BMW, ist
denn auch klar. „Arbeitsplätze,
die wir in der Fertigung von Verbrennungsmotoren verlieren,
müssen wir anderswo schaffen.“
Sonst bleibe „uns nur noch das
Blechgehäuse, und dann Gnade
uns Gott.“
Allerdings: Wo Schatten ist,
da muss auch Licht sein. Denn
die E-Autos erfordern nicht
nur Investitionen in die Batterietechnik, Fahrzeugelektronik
und -vernetzung, sondern es
werden auch neue Herstellungsverfahren und Materialien benötigt. Wer da die Nase vor hat,
kann in Zukunft gute Geschäfte
machen.
Der Lackieranlagenspezialist
Dürr beispielsweise sieht viele
Wachstumschancen durch E-Autos. „Es gibt viele Projekte von
neuen Herstellern, die mit uns
sprechen über neue Fabriken“,
sagte Dürr-Chef Ralf Dieter am
Donnerstag. Neben Lackierrobotern in neuen Fabriken könnte
Dürr auch mit seiner Befülltechnik punkten, wenn vermehrt
Batterien hergestellt werden.
„Die Umstellung kommt nicht über Nacht“
GEMACH
Jörg Grotendorst, Chef-Ingenieur bei ZF Friedrichshafen für E-Mobilität, sieht dem Strukturwandel in der Autoindustrie gelassen entgegen
taz: Herr Grotendorst, Elek­
tro­autos werden für einen rie­
sigen Strukturwandel in der
Autoindustrie sorgen. Was ma­
chen Sie, wenn keiner mehr
Ihre Getriebe braucht?
Jörg Grotendorst: Auch in den
nächsten zehn, fünfzehn Jahren wird es noch Autos mit Verbrennungsmotor und Getriebe
geben. Die Zahl der Fahrzeuge
mit verschiedenen Hybridantrieben, die sowohl einen Verbrennungs- als auch einen Elektromotor haben, wird rasant zunehmen und dominieren. Sie
sorgen für einen Übergang in
die neue Zeit des autonomen,
elektrischen Fahrens. Wir haben damit genug Zeit, uns vorzubereiten. Natürlich wird es in
der Branche einen Wandel geben. Betriebe, die Kolben oder
Pleuel herstellen oder härten,
Auspuffe entwickeln, die also
vom Verbrennungsmotor abhängig sind, die haben mitunter
ein Problem. Das sind Teile der
Wertschöpfungskette, die nach
und nach wegfallen werden.
Die chinesische Regierung
macht Druck und schreibt den
Autobauern Quoten für Elek­
troautos vor. Bleibt wirklich
genug Zeit zur Umstellung?
Die Initiative aus China ist für
uns eine echte Chance, den Fahrzeugherstellern unsere Produkte anzubieten und unser
Angebot auszubauen. ZF ist in
Sachen Elektromobilität schon
seit Langem unterwegs und hat
erst im letzten Jahr die Aktivitäten in diesem Bereich in einer neu g
­ egründeten Division
mit Sitz in Schweinfurt gebündelt. Schon im vergangenen Jahr
haben wir in der Division E-Mo-
bility einen Jahresumsatz von
rund einer Milliarde Euro erzielt.
Recht wenig bei einem Kon­
zernumsatz von insgesamt
rund 30 Milliarden . . .
Das ist sicher richtig. Dabei haben wir eine ganze Menge von
Fahrzeugen in der Serienproduktion. Leider bleiben die Verkaufszahlen in den vergangenen Jahren jedoch deutlich
unter den ursprünglichen Prognosen der Hersteller. Wenn
diese ihre Autos nicht verkaufen, verkaufen wir leider auch
keinen Hybridantrieb. Mit der
neuen Abgasgesetzgebung ab
2021 steigt auch der Umsatz
mit Produkten für die Elektromobilität kontinuierlich und rasant. Dafür sind wir dann bestens vorbereitet, liefern Produkte zur Elektrifizierung des
Antriebs mit Verbrennungsmotor und vollelektrische Antriebe
für Batterie- und Brennstoffzellenfahrzeuge.
Aber auf den Verbrennungs­
motor ist auch ZF noch ange­
wiesen.
Ja, denn die Umstellung im
Markt kann nicht über Nacht
passieren. Wir haben die In­fra­
struktur zum Tanken, ein akzeptables Preisniveau und dadurch
eine hohe Akzeptanz der Endverbraucher. Jetzt gilt es den Verbrenner so zu ertüchtigen, dass
auch zukünftige Generatio­nen
einen lebenswerten Planeten
vorfinden. Wir sind also weniger
auf den Verbrenner angewiesen
als unsere Kunden auf hocheffiziente Getriebe zur Erreichung
der Verbrauchsziele, und da
kommt dann auch die Elektrifizierung ins Spiel. Das gilt natür-
lich umso mehr, je mehr wir uns
auf das autonome Fahren zubewegen. Studien haben gezeigt,
dass junge Menschen heute autonomes Fahren ausschließlich
mit einem Elektroantrieb verbinden und nicht mit einem
Verbrennungsmotor.
Entwickeln Sie Batterien?
Nein, aber wir verstehen die Anforderungen und Eigenschaften
– schließlich ist die Batterie als
Energiespeicher wesentlich für
die Leistungsfähigkeit eines
Elektroantriebs verantwortlich.
Daher verfügen wir auch über
die Fähigkeit, die Batterie in die
Simulation und Auslegung des
Antriebs mit einzubeziehen.
Zwar gibt es hierzulande Leute,
die warnend den Finger heben
und sagen, in der Elektromobilität kommen sie ohne Batterieproduktion in Deutschland
nicht aus. Andere wiederum
meinen, der Entwicklungsvorsprung von koreanischen und
japanischen Herstellern sei
nicht mehr aufzuholen, Batterien kaufe man also auch künftig lieber zu. Wir haben aktuell
keine Pläne, in die Produktion
von Zellen oder Batterien zu investieren.
INTERVIEW HEIKE HOLDINGHAUSEN
Jörg Grotendorst
■■47, ist
Leiter der
Division
E-Mobility
der Zahnradfabrik
(ZF) FriedFoto: ZF
richshafen
AG, des drittgrößten deutschen
Automobilzulieferers.