Sodalitas LVDIS LATINIS faciundis e.V. Deklamation: Für und gegen „Holzbein“ nach Rhetorica ad Herennium 1,11,19 (status scriptum et sententia) 1. Das Gesetz: Si lex est quae iubeat eos qui propter tempestatem navem reliquerint omnia perdere, eorum navem ceteraque esse, si navis conservata sit, qui remanserunt in navi. Angenommen es gibt ein Gesetz, wonach diejenigen, die wegen eines Sturms ihr Schiff verlassen haben, alle Rechte daran verlieren, das Schiff aber samt Zubehör denjenigen gehört, die im Schiff geblieben sind. 2. Der Fall: Magnitudine tempestatis omnes perterriti navem reliquerunt, in scapham conscenderunt – prater unum aegrotum; is propter morbum exire et fugere non potuit. Casu et fortuitu navis in portum incolumis delata est; illam aegrotus possedit. Navem petit ille cuius fuerat. Aus Angst vor einem großen Sturm verließen alle ein Schiff und bestiegen ein Rettungsboot, ausgenommen ein Kranker: Er konnte wegen seiner Krankheit nicht fortgehen und fliehen. Zufälligerweise landete nun das Schiff unversehrt im Hafen. Der Kranke nahm es in Besitz. Der frühere Eigentümer fordert es zurück. I. a sententia (Verena Schulz): gegen Holzbein Prooemium: Dreistigkeit Holzbeins. Ausnutzen und Missbrauch des Gesetzestextes. Gegner vertraut auf mangelnde Einsicht der Richter. Narratio: Seereise. Holzbein einer unter vielen Passagieren. Unwetter: aussichtslose Situation. Alle steigen in das Rettungsboot. Nur Holzbein kann nicht. Argumentatio: 1. Allgemeines über Gesetzessinn und Wortlaut. Bedeutung eines Gesetzes ergibt sich durch Gedanken, nicht durch Buchstaben. Lob des Gesetzgebers. 2. Bedeutung der Richter: Begründung der Wahl der Richter. Lob und Ansporn für die Richter. 3. Was ist der Sinn dieses Gesetzes? Beschreibung des „Normalfalles“, auf den das Gesetz angewendet wird. Auslegung der Absicht dieses konkreten Gesetzes: Belohnung von Tapferkeit. 4. Anwendung auf den konkreten Fall: Hier wird nicht der Tapfere belohnt. 5. Was würde das Befolgen des Wortlautes bewirken? Es wäre gegen Ehrenhaftigkeit, Gerechtigkeit, Nutzen. Aufzählen von negativen Folgen bei einer Entscheidung pro scripto. Peroratio II. a scripto (Wilfried Stroh): für Holzbein Prooemium: (a) beneuolos, (b) attentos, (d) dociles reddere Narratio: Beschreibung der Seereise. Bei Ausbruch des Sturms: allgemeine Panik (Hypotyposis). Schiffseigentümer verlässt schimpflich sein Schiff. Holzbein betet gefasst zu den Göttern. Schiff gerettet. Nach gutem Recht von Holzbein in Besitz genommen. Eigentümer fordert zurück, was er selbst aufgegeben hat: indignatio Propositio: Alle Fakten vom Gegner zugestanden. Er klammert sich an angeblichen Willen des Gesetzgebers: Invaliden seien ausgeschlossen. Worum es geht: ob Gesetz von Menschen überhaupt spricht oder nur von Gesunden. Argumentatio: 1. scriptoris conlaudatio: Gesetz stammt von Vorfahren, deren Rechtsordnung sich bewährt hat, da Gesetze weise, gerecht und eindeutig formuliert 2. scripti recitatio: Verlesung. Punkt für Punkt passt auf den Fall. 3. percontatio: Oder anderer Text? 4. conlatio: Soll klarer Wortlaut gelten oder künstlich ausgeklügelte Interpretation? 5. infirmatio: Gelten sonstige Gesetze nicht für Invaliden? Gleiches Recht für alle. 6. refutatio: „Holzbein habe Rettungsboot nicht besteigen können.“ Behauptung schikanös – aber selbst wenn sie wahr wäre, Holzbein im Recht. Gesetzgeber hätte formulieren können, dass Gesetz nur für Gesunde gelte. Dies mit Absicht nicht getan. 7. Wo käme man hin, wenn man abweicht vom eindeutigen Wortlaut? Ende der Rechtssicherheit. Peroratio
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