Dr. Andreas Püttmann, Bonn [email protected] Die Kirche: Populistische Radikalisierungstendenzen am rechten Rand? THESEN 1. Kirchenmitglieder beider großer Konfessionen in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Kirchennahen, sind unter Wählern radikaler linker und rechter Parteien regelmäßig unterrepräsentiert. Am Votum der Christen scheiterte etwa der Einzug der NPD in die Landtage von Sachsen (2014) und Sachsen-Anhalt (2011). Der rechtspopulistischen AfD stehen Christen ebenfalls deutlich distanzierter gegenüber als Konfessionslose/Andere (18%), insbesondere Protestanten mit der Kirchgangsfrequenz „selten/nie“ (4%) und Katholiken mit Kirchgang „(fast) jeden Sonntag/ab und zu“ (8%; IfD 6/2016). Bei der baden-württembergischen Landtagswahl zählte die Forschungsgruppe Wahlen 16 Prozent aller evangelischen und 13 Prozent aller katholischen AfD-Wähler, unter kirchennahen Katholiken jedoch auch hier nur 7 Prozent. Freikirchliche Protestanten entschieden sich laut INSA bundesweit mit 17 Prozent überdurchschnittlich für die Rechtspopulisten. AfD-nah zeigt sich auch ein kleines Segment ultrakonservativer Katholiken. 2. Parallelen und Verbindungen zum Rechtspopulismus zeigen sich thematisch (Familien-, Religions-, Flüchtlingspolitik), habituell (Simplifizierung, Dichotomisierung, Alarmismus, Emotionalisierung, Selbstreferenzialität, Selbstviktimisierung, Aggressivität gegenüber Kritikern bis hin zu Drohungen und Schikanen) sowie in der Verteidigung von bzw. Kooperation mit nationalistischen, autoritären Kräften (Medien der Neuen Rechten, Pegida, AfD, Putin-Russland, PiS). Oft äußert sich die Affinität nicht offen und direkt, sondern indirekt durch vermehrte Zitationen von AfD-Politikern oder Kritik an Kritikern („mediale Verleumdung gegen die Partei AfD“, „Effekthascherei-“ und „Anbiederungs“Vorwurf gegen „Kirchenfürsten“ und ihre „parteipolitischen Kampfspiele“; „rituelles Treten“ gegen Pegida-Demonstranten zeige „Gesinnung von HJ-Pöbeln“; „unsere Medien, die ihren Hass auf den Teufel Wladimir Putin kaum noch zügeln können“, polnisches Mediengesetz „mit an Hass grenzender Kritik in den deutschen Leitmedien kommentiert“, usw.). 3. Dabei wird ein Defizit in der Rezeption liberal-rechtsstaatlichen Demokratieverständnisses sichtbar, das mit der kirchlichen Hinwendung zur demokratischen Staatsform und der Anerkennung der „iusta autonomia“ der Kultursachbereiche in Gaudium et Spes überwunden schien. Das Politikverständnis rechtskatholischer und evangelikaler Kreise ist einseitig policy- und zu wenig polity-orientiert, die Legitimität des Staates wird nach seinem Output katholisch-naturrechts- bzw. bibel-konformer Gesetze bemessen – verengt auf Geschlechterordnung, Abtreibung und Religionspolitik. „Widerstands“Rhetorik breitet sich aus, wobei, je nach Opportunität, mit der Behauptung höherer Einsicht, einer „schweigenden Mehrheit“ oder unterdrückten Minderheit („Meinungsdiktatur“) argumentiert wird. 4. Päpstliche oder bischöfliche Autoritäten sind für die Positionierung rechtskatholischer MilieuMeinungsführer sekundär gegenüber dem selbstreferenziell gefestigten Lagerstandpunkt. Notfalls sucht man sich einen kasachischen Weihbischof oder guineischen Kardinal zur Bestätigung, die wahre Lehre zu vertreten. Ein Bewusstsein, dass die Kirche auch eine historisch und dialogisch Lernende ist, gibt es kaum; über frühere Lehrkorrekturen ist man i.d.R. nicht im Bilde, Korrekturversuche durch interne Kritiker werden als Nestbeschmutzung abgehandelt, das Pro und Kontra in den eigenen Medien nicht gepflegt, Vergehen von Helden des eigenen „Lagers“ relativistisch bagatellisiert („Limburg“). Die Rechtspopulismus-affine Kirchen-Szene weist typische Züge der „narzisstischen Kirche“ auf, die in „Evangelii Gaudium“ (93-97: „Nein zur spirituellen Weltlichkeit“) skizziert sind. 5. Ursachen der Radikalisierung: Dauerfrustration und Verhärtung infolge unaufhaltsam schwindenden Einflusses in Kirche, Gesellschaft und CDU/CSU; Generalisierung ungerechter Fremdabwertungen und kompensatorische Selbstaufwertung zum „heiligen Rest“ („Wagenburgsyndrom“, „Versektung“); Selbstbestätigungszirkel in den Parallelwelten des „Internet-Katholizismus“, wo ein hoch engagierter, aber oft halbgebildeter „harter Kern“ die Wortführung übernimmt (Kardinal Marx: „Verbloggung und Verblödung“), während moderate, differenziertere Vertreter sich zurückziehen („Siebungseffekt“); jahrzehntelang verfestigtes einseitiges Feindbild: linker Säkularismus/Laizismus; medial und politisch verlockende Avancen aus dem rechten Spektrum, mit dem man die Erfahrung der Ausgrenzung durch den „Mainstream“ teilt; Belohnung durch Fernseh-Talk-Einladungen („Krawall-Katholiken“ erhöhen Unterhaltungswert), dadurch Kreierung von Milieuhelden, deren TV-Präsenz fachliche Kompetenz und gesellschaftliche Relevanz zu belegen scheint; finanzielle und ideelle Unterstützung durch viele fromme Idealisten und unpolitische Mitläufer, die problematische Zusammenhänge nicht erkennen; sehr gute Vernetzung; Provokationen durch einen überdrehenden Liberalismus; Ignoranz, mangelnde Konflikt- und Integrationsbereitschaft des dominanten liberalen Katholizismus. 6. Handlungsoptionen: Information im höheren kirchlichen Bildungswesen (Akademien, Fakultäten, Studienförderung, Journalistenschule, Bildungswerke, Priesterfortbildung, Medien), inkl. historischer Aufarbeitung der Irrtümer des deutschen Rechtskatholizismus und -protestantismus in der Weimarer Republik; klare öffentliche Abgrenzung durch katholische Bischöfe, Verbände, Publizisten; auch durch Vermeidung von Zuwendungen oder affirmative Auftritte bei Veranstaltungen rechter Christen; Unterstützung von Gegengewichten; Offenheit für Aussteiger der Szene und Integration moderat Konservativer, um Fromme von Ideologen zu scheiden; politische Mäßigung als Ziel internationaler Kirchenkooperation und Finanzhilfe; Gesprächsbereitschaft gegenüber der AfD (seitens der Katholischen Büros), ohne ihr jedoch irgendwelche öffentlichen Podien zu bieten, solange sie sich nicht von rechtsradikalen Kräften trennt; Betonung der dem Grundgesetz affinen Imago-Dei-Lehre gegen autoritäres Ordnungsdenken; Herausarbeitung von Elementen einer „Theologie der Demokratie“; Scheidung der Geister: Aus einer wahrhaft christlichen Frömmigkeit wachsen vor allem Liebe, Demut und Gelassenheit, aus Rechtspopulismus das Gegenteil: Egoismus, Empathielosigkeit, Hybris, Wahrheitsmonopolismus, Daueraufgeregtheit.
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