Ski heil: Neue Höhepunkte der Kunst Umwelthistoriker Robert Groß über Schneekanonen in den Alpen ▶ Seite 4 AUSGABE BERLIN | NR. 11253 | 7. WOCHE | 39. JAHRGANG H EUTE I N DER TAZ DONNERSTAG, 16. FEBRUAR 2017 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND Die Münchner Unsicherheitskonferenz BERLINALE VERWIRRUNG Putin-freundlich? Oder Putin-feindlich? US-Präsident Trump und seine Leute steigern mit BERLINALE „Wäre ich in neuen Äußerungen zur Krim und zur Nato das Rätselraten über den Kurs der Weltmacht. Nun treffen sich Politiker und Diplomaten in Bayern, auch Merkel und US-Vize Pence. Bringt das Klarheit? ▶ SEITE 3 Deutschland geblieben, wäre ich nicht derselbe“: Regisseur Raoul Peck über seine Filme „I Am Not Your Negro“ und „Der junge Karl Marx“ ▶ SEITE 22-24 CETA EU-Parlament bil- ligt Freihandelspakt mit Kanada ▶ SEITE 2, 12 BERLIN Der Aufstand der Immobilienhaie gegen den Senat ▶ SEITE 21 Foto oben: dpa VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! Vielleicht ist verboten einfach zu alt. Zu naiv. Oder zu abgestumpft. Auf jeden Fall will sich trotz Trump, Putin und koreanischen Bruderkillern irgendwie keine rechte Angst einstellen, die jetzt so weit verbreitet wird. Und zum ersten Mal ist verboten ausnahmsweise froh, in den westdeutschen 80ern politisiert worden zu sein. Denn wer als Kind „The Day After“ gesehen, „Die letzten Kinder von Schewenborn“ von Gudrun Pausewang gelesen und Dr. Seltsam geliebt hat, den können ein paar Tweets von Donald Trump bestimmt Präsidentlein, Präsidentlein an der Wand, wer ist der Gefährlichste in welchem Land? Und mögen sich Trump und Putin? Nicht nur Wandmaler in Litauen treibt das um Foto: Gallup/Getty Images KOMMENTAR VON DOMINIC JOHNSON ÜBER DIE NEUE WELTUNORDNUNG nicht schocken TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.668 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 40607 4 190254 801600 S Ohne Spielregeln wird es brandgefährlich elten gab es so viel Verunsicherung in der internationalen Diplomatie. Niemand weiß, wohin die USA unter Donald Trump außenpolitisch steuern. Die neue Regierung in Washington kann unmöglich all die widersprüchlichen Dinge wörtlich meinen, die ihre Mitglieder vom Präsidenten abwärts dazu sagen und twittern. Ob Trump sich selber darüber überhaupt vertiefte Gedanken macht, ist genauso ein Rätsel wie die Frage, welche Gültigkeit Aussagen anderer US-Regierungsmitglieder eigentlich haben. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz werden die Teilnehmer bei jeder Rede nebenbei auf ihr Smartphone starren müssen, wo @realdonaldtrump den Weltgeist spielt. Vor diesem Hintergrund sehen sich auch alle jene in Moskau, Peking und sonst wo vorläufig düpiert, die dachten, mit einem Big Man im Weißen Haus könnte man endlich unbekümmert klare Verhältnisse auf dem Globus schaffen, von Mann zu Mann sozusagen. Es gibt einfach keine Klarheit. Genauer: Es gibt so viele vermeintliche Klarheiten, jeden Tag eine andere, dass niemand mehr weiß, woran die Welt ist. Das ist eine brandgefährliche Situation. Aber nicht, weil jetzt plötzlich jemand mit Säbeln rasseln würde. Sondern weil völlig unklar ist, welcher diplomatische, militärische oder politische Akt eigentlich einen Akt der Eskalation darstellt und welcher nicht. Im Kalten Krieg kannte jeder die Spielregeln. Sie waren nicht schön, aber nachvollziehbar. Heute scheint es Regeln gar nicht mehr zu geben. Das Spielbrett ist verschwunden. Mit Barack Obama war klar: Ein Regelbruch im internationalen System hat keine Folgen. Das ermutigte andere, aggressivere Player – eine unschöne Situation, wie man in Syrien und in der Ukraine sah, aber keine grundsätzlich unlösbare. Mit Donald Trump aber ist nicht einmal klar, ob ein Regelbruch Folgen nach sich ziehen könnte oder nicht, weil die Existenz von Regeln an sich infrage steht. Das verwirrt nur. Es ist kein Beitrag zum Weltfrieden, wenn Russen, Iraner, Nordkoreaner oder Chinesen nicht mehr wissen, ob sie diesen gerade tatsächlich gefährden. Bald wissen es vielleicht auch die US-Amerikaner nicht mehr. Das Risiko, aus Versehen eine globale Krise Es gibt keine Klarheit. Genauer: Es gibt so viele vermeintliche Klarheiten heraufzubeschwören, ist damit größer denn je. Nicht sehen zu können, welcher Weg zum Krieg führt, schafft mehr Unsicherheit, als sich am Scheideweg zwischen Krieg und Frieden entscheiden zu müssen. Die bestehenden internationalen Ordnungssysteme sind dieser Situation nicht gewachsen. Die Vereinten Nationen sind zu allen weltpolitischen Streitfragen strukturell gelähmt und befinden sich unter ihrem neuen Generalsekretär Guterres auf dem Weg zurück in alte Bequemlichkeiten. Die Europäische Union ist zwischen Brexit und Eurokrise in der eigenen Selbstfindung gefangen. Die Nato ist momentan mehr die Bühne der Verunsicherung als der Ort ihrer Überwindung. Vielleicht haben ja die Optimisten recht, die meinen, Trump interessiere sich für die Welt so wenig, dass er in der US-Außenpolitik alles weiterlaufen lässt wie bisher, nur bisweilen unsinnig kommentiert. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn eine solche Haltung als optimistisch gelten muss. Denn diejenigen, die noch skrupelloser regieren als der USPräsident – und dazu gehören die meisten Machthaber der Welt –, hätten gerade dann immer weniger Gründe, Zurückhaltung und Mäßigung walten zu lassen. 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT NACH RICHTEN TRUMP-GEGN ER ALLER LÄN DER, VEREI N IGT EUCH N ICARAGUA EU und China planen Sondergipfel Cardenal erwägt Asyl in Deutschland BRÜSSEL | Als Reaktion auf die Auf der US-Drogenliste: Venezuelas Vizepräsident El Aissami Foto: ap Dealer oder Antiimperialist V enezuelas Vizepräsident Tareck El Aissami steht im Fadenkreuz der USA. Am Dienstag setzte ihn das USFinanzministerium auf seine Liste der internationalen Drogenhändler. El Aissamis mutmaßliches Vermögen in den USA wurde eingefroren und niemand aus den USA darf mit ihm Handel treiben. Der Betroffene reagierte auf seine Weise. „Als Anerkennung meines antiimperialistisch-revolutionären Charakters nehme ich diese infame Aggression an.“ Im Januar hatte Präsident Nicolás Maduro den 42-Jährigen zu seinem Vize ernannt und ihm weniger später weitreichende Vollmachten übertragen. Offensichtlich soll Tareck El Aissami zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2018 aufgebaut werden. Zugleich war es ein Wink an die rechte Opposition, die von El Aissami schon zuvor als „rechte Terroristen und Kriminelle“ und „vaterlandslose Bourgeoisie“ beschimpft wurde. Legendär ist sein Tweet, in dem er Oppositionsführer Henrique Capriles einen „korrupten, unfähigen Feigling ohne Eier in der Hose“ nannte. Tareck El Aissamis Vater war aus Syrien nach Venezuela eingewandert, hatte sich in linken Gruppierungen politisch engagiert, war nach dem gescheiterten Putschversuch von Hugo Chávez am 4. Februar 1992 verhaftet worden. El Aissami selbst lernte während seines Kriminologiestudiums an der Universidad de Los Andes den Hochschullehrer und Chávez’ Bruder Adán Chávez kennen. All dies ließ ihn zu einem engen Vertrauten Hugo Chávez’ werden, der ihn 2008 als jungen Abgeordneten aus der Nationalversammlung auf den Posten des Innenministers beförderte. Bis 2012 war er für Polizei und Geheimdienst zuständig. Dann übernahm er als gewählter Gouverneur den Bundesstaat Aragua. Bei den aufrechten Chavistas genießt El Aissami den Ruf, hart gegen den Drogenhandel durchgegriffen zu haben. Erinnert wird an die großen Mengen Rauschgift, die er als Innenminister beschlagnahmen ließ, und die rund 70 Drogenchefs, die er festsetzen ließ. Dass nahezu alle Häfen und Routen vom Militär kontrolliert werden, nährte schon immer den Verdacht, der Staat beteilige sich am illegalen Transportgeschäft. JÜRGEN VOGT Der Tag DON N ERSTAG, 16. FEBRUAR 2017 Politik von US-Präsident Donald Trump wollen die Europäische Union und China Insidern zufolge bei einem Gipfeltreffen im Frühjahr Möglichkeiten einer engeren Kooperation ausloten. Das Treffen werde voraussichtlich für April oder Mai angesetzt, sagten drei EU-Vertreter am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Die chinesische Regierung habe sich ein Treffen so früh wie möglich gewünscht. Damit wolle die Volksrepublik die Botschaft zugunsten von Freihandel und globaler Märkte unterstreichen, die Prä- sident Xi Jingping beim Weltwirtschaftsforum in Davos ausgesandt habe. Das chinesische Außenministerium wollte sich nicht dazu äußern. Die EU liegt mit China in einer Reihe von Bereichen allerdings über Kreuz. So wurden kürzlich erst EU-Strafzölle auf Solarmodule und -zellen aus China verlängert. Zudem gibt es Handelshemmnisse gegen den Import chinesischer Stahlprodukte. Deutschland, Italien und Frankreich wollen darüber hinaus EU-Schutzmaßnahmen gegen chinesische Übernahmeund Handelspraktiken. (rtr) MANAGUA | Wegen politischer Verfolgung in seinem Heimatland könnte der nicaraguanische Dichter Ernesto Cardenal ins Asyl gehen. „In Mexiko, Chile, Deutschland und Spanien gibt es Gruppen, die Ernesto unterstützen und ihm raten, Asyl zu beantragen. Er erwägt diese Möglichkeit“, sagte Cardenals Vertrauter Bosco Centeno gestern. Einst Kulturminister, ist Cardenal heute ein scharfer Kritiker von Präsident Daniel Ortega. „Wir leben in einer Diktatur und ich bin ein politisch Verfolgter“, sagte der 92-Jährige. (dpa) TAZ-N EWSLET TER N EUE RAUMFAH RTPLÄN E Sie wollen heute schon wissen, was morgen in der taz steht? Dann ist unser täglicher News letter, der am frühen Abend einen ersten Ausblick liefert, genau das Richtige für Sie. Anmeldung unter taz.de/heute. Die taz von morgen www.taz.de Golfstaaten planen Marsbesiedelung DUBAI | Trotz schwindender Einnahmen durch Ölverkäufe denken die Vereinigten Arabischen Emirate in Superlativen: In 100 Jahren wolle man die erste menschliche Siedlung auf dem Mars fertiggestellt haben, verkündete Vizepräsident Mohammed bin Raschid al-Maktum am Dienstag. Ein Langzeitprojekt solle die Möglichkeiten untersuchen, wie Menschen auf dem Roten Planeten überleben können. Dabei sei unter anderem die Produktion von Nahrungsmitteln und Energie wichtig. (dpa) Abgeordnete handeln frei für Ceta EUROPA Das Straßburger Europa-Parlament stimmt mit großer Mehrheit dem Freihandelsabkommen mit Kanada zu. Jetzt sind die nationalen Parlamente dran. Wüste Polemiken und eine Blockade vor dem Eingang AUS STRASSBURG UND BRÜSSEL LINDA GERNER UND ERIC BONSE Der Freihandel ist tot, lange lebe der Freihandel! Mitten im transatlantischen Streit über Exportüberschüsse und Strafzölle hat das Europaparlament in Straßburg am Mittwoch das CetaAbkommen mit Kanada angenommen. Nach siebenjährigen Verhandlungen fallen damit ab April die letzten Handelsbarrie ren mit dem nordamerikanischen Land. Das Votum gilt als Signal an US-Präsident Donald Trump, der dem Freihandel den Garaus machen möchte. TTIP, das US-amerikanische Pendant zu Ceta, hat Trump bereits begraben. Auch das TPP-Abkommen mit den Pazifikstaaten hat der republikanische Präsident gekündigt. Seither geht in Europa die Angst vor einem neuen Protektionismus um. „Wer gegen Ceta ist, ist für Trump“, hieß es in der teilweise hitzigen Parlamentsdebatte vor der Abstimmung. „Ceta ist ein trojanisches Pferd der US- Multis“, hielten die Kritiker dagegen. Sie konnten sich nicht durchsetzen. Für den Vertrag votierten 408 Abgeordnete. 254 Parlamentarier – neben den Grünen Vertreter der Linken, Euroskeptiker und Rechtsextreme – votierten mit Nein, 33 enthielten sich. Obwohl die EU auf einige Bedenken eingegangen ist und vom „weltweit fortschrittlichsten Handelsvertrag“ spricht, waren die Gräben am Ende tiefer denn je. „Die Ceta-Gegner reden uns ein, Kanada sei eine existenzielle Bedrohung für Europa – was für Unsinn.“ So ereiferte sich nicht nur der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Sein CDU-Kollege Michael Gahler behauptete, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die AfD-Vorsitzende Frauke Petry säßen mit ihrer Ceta-Kritik im selben Boot. Schweres Geschütz fuhren aber auch die Gegner auf. Das Abkommen sei ein „Schlag gegen Frankreich und gegen Europa“, sagte der linke franzö- sische Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon. „Eine kluge Handelspolitik lehnt Privilegien für Großunternehmen ebenso ab wie Protektionismus“, betonte der Chef der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer. „Dieser Kampf geht weiter.“ Vor dem Parlamentsgebäude in Straßburg hatten sich schon seit dem frühen Morgen Demonstranten gegen Ceta eingefunden. Etwa 30 junge Men- „Wer gegen Ceta ist, ist für Donald Trump“ PAROLE DER BEFÜRWORTER Gegen das Ceta-Abkommen: Teilnehmer einer Demonstration in Straßburg an diesem Mittwoch Foto: Jean-François Badias/ap Anti-Ceta-Parolen für den Wahlkampf FRANKREICH schen in weißen Maleranzügen lagen in einer Reihe vor dem Eingang. Die Gruppe hatte sich eingehakt, teilweise steckten ihre Arme in Kunststoffrohren. Sie sangen, hielten Banner hoch und blockierten sitzend, liegend und stehend den Eingang zum EU-Parlament. Erst gegen zehn Uhr begannen französische Polizisten damit, die Demonstranten zurückdrängen. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Abgeordneten bereits über die Protestierenden gestiegen. Nach dem Ja der Europaabgeordneten müssen als Nächstes 38 nationale und regionale Parlamente in der EU dem Abkommen zustimmen. Erst danach kann es endgültig und vollständig umgesetzt werden. Ab April fallen zwar die meisten Handelsbarrieren. Die neuen, öffentlichen Schiedsgerichte für Investoren müssen jedoch noch auf die endgültige Ratifizierung warten. Die europaweite Bürgerinitiative gegen Ceta hat bereits Widerstand angekündigt. Sie hatte am Montag 3,5 Millionen Unterschriften in Straßburg abgeliefert und will nun auf die natio nalen und regionalen Parlamente Druck machen. Bis alle Kammern dem Abkommen zugestimmt haben, dürften noch Jahre vergehen. In den Niederlanden könnte es sogar eine Volksabstimmung geben. Die Niederländer haben bereits mehrfach gegen EUAbkommen gestimmt, zuletzt gegen die Assoziierung mit der Ukraine. Auch in Belgien zeichnen sich Probleme ab. So bekräftigte der Präsident der Region Wallonien, Paul Magnette, seine Bedenken gegen Ceta. Wenn sie nicht ausgeräumt werden, will er das Abkommen zu Fall bringen. THEMA DES TAGES Le Pens Front National macht im Wahlkampf um die Präsidentschaft gegen das Freihandelsabkommen mobil BRÜSSEL taz | Die französischen Nationalisten haben das Thema lange verschlafen. Doch pünktlich zur Entscheidung im Europaparlament ist auch der rechte Front National (FN) auf den Zug der Ceta-Gegner gesprungen. „Ceta ist ein sehr gefährliches Abkommen“, warnt FN-Anführerin Marine Le Pen ihre Anhänger per Videobotschaft. Die heimischen Viehzüchter würden benachteiligt, aus Kanada werde künftig Hormon- fleisch importiert, behauptet Le Pen. „Das werde ich nicht akzeptieren“, sagt sie in staatsmännischer Pose. Das Video ist Teil der Kampagne „Marine 2017“, mit der die FN-Chefin für die Präsidentschaftswahl im Frühjahr wirbt. Dabei verwendet Le Pen ähnliche Argumente wie die französische Linke, die sich ebenfalls gegen Ceta wendet. „Für Beschäftigung und Kaufkraft“ heißt der Slogan, mit dem sie um neue Mitglieder wirbt. Le Pens „Non“ zu Ceta hat sogar Eingang in ihr umfangreiches Wahlprogramm gefunden – allerdings nur unter „ferner liefen“, als Versprechen Nr. 127 von 144. Punkt 1 ist ein Referendum zum EU-Austritt. Nach dem Brexit in Großbritannien plant Le Pen nun den „Frexit“. Sollte es tatsächlich so weit kommen, so würde Paris sich jedoch – ähnlich wie derzeit London – um bilaterale Handelsabkommen bemühen. Dass dabei ein besserer „Deal“ herauskäme als mit der geballten Macht von 28 EU-Staaten, glaubt zumindest in Brüssel niemand ernsthaft. „Frankreich hat ein großes Defizit im Außenhandel, das Abkommen mit Kanada ist eine Chance für uns“, sagte die liberale Europaabgeordnete Sylvie Goulard bei der Schlussdebatte im Europaparlament. Die CetaGegner sollten nicht vergessen, dass Kanada zum Teil französisch spricht und Frankreich historisch verbunden sei. Doch beim Front National stoßen diese Argumente auf taube Ohren. Für sie ist alles, was aus Brüssel kommt, Teufelswerk. Nur ein einziger Präsidentschaftskandidat setzt sich offensiv für Ceta ein: Emmanuel Macron, der ehemalige Wirtschaftsminister. Er hat die größten Chancen, Le Pen bei der Wahl im April zu schlagen. ERIC BONSE Schwerpunkt 2017 DON N ERSTAG, 16. FEBRUAR 2017 TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Schon vor der Sicherheitskonferenz geht’s richtig los: US-Verteidigungsminister James Mattis richtet Ultimatum an die Nato-Partner VON TOBIAS SCHULZE BERLIN taz | Einerseits ist Wolf gang Ischinger Optimist: „Am Sonntagnachmittag“, sagt der Leiter der Münchner Sicher heitskonferenz, „könnte die weltpolitische Lage ein bisschen klarer sein.“ All die Befürchtun gen, heute noch riesig, könn ten bis dahin ein klein wenig schrumpfen. Von den vielen Fra gezeichen, zur Nato, zur UNO, zu Syrien, zur Ukraine, könnten bis dahin manche verschwinden. Nun, das wäre ja immerhin etwas. Seit 27 Tagen regieren Do nald Trump und sein Team nun in den USA. Was die neue Regie rung in Washington in der Au ßenpolitik plant, ist aber noch immer nicht klar: Der Präsident nannte die Nato zunächst obso let – sein Verteidigungsminister bezeichnete sie später als unver zichtbar. Im Kampf gegen den IS kann sich das Weiße Haus eine Allianz mit dem Kreml vor stellen – während das Außen ministerium die russische Un terstützung für Assad anpran gert. Als Kandidat zeigte Trump noch Verständnis für die An nexion der Krim – am Dienstag forderte er über seinen Sprecher die Rückgabe an die Ukraine. Für Regierungsvertreter in Europa sind diese Widersprü che ein Schlamassel; in Berli ner Ministerien rätselt man seit Wochen, wie die Signale aus Wa shington zu deuten sind. Die Un sicherheit sei groß, heißt es. In den nächsten Tagen könne es aber tatsächlich erste Antwor ten geben. Gleich drei Veranstaltungen führen in dieser Woche ame rikanische Regierungsvertre ter nach Europa: Seit Mittwoch tagen in Brüssel die Verteidi gungsminister der Nato-Staa ten, für die USA sitzt James Mat tis mit am Tisch. Ab Donnerstag treffen sich in Bonn die Außen minister der Nato-Staaten, dazu kommt aus Washington Rex Til lerson. Am Freitag beginnt in München dann schließlich die dreitägige Sicherheitskonfe renz. Stargast in diesem Jahr: der amerikanische Vizepräsi dent Mike Pence. Bei den Veranstaltern der Münchner Tagung im Hotel Bay erischer Hof ist die Stimmung dieses Mal ganz anders als in den Jahren zuvor. Konferenz leiter Ischinger zeigt in diesen Tagen daher auch seine andere, gnadenlos pessimistische Seite: In Berlin stellte er am Montag den neuen „Munich Security Re port“ seiner Mitarbeiter vor. Da Beinhart: US-Verteidigungsminister Mattis am Mittwoch beim Nato-Treffen in Brüssel Foto: Virginia Mayo/ap Fünf Tage im Februar US-AUSSENPOLITIK Gleich drei wichtige Konferenzen führen in dieser Woche ranghohe amerikanische Regierungsvertreter nach Europa. Alle Welt rätselt: Welche Botschaft bringen sie? Was haben sie vor? rin heißt es, die USA bewegten sich weg von einer multilatera len Außenpolitik – womöglich hin zu einer nationalistischen. „So viel Unsicherheit gab es lange nicht für Wahrheit, Werte, die internationale Ordnung“, sagt Ischinger selbst. Für die Konferenz immerhin lohnen sich die miesen Aus sichten. Das internationale In teresse ist in diesem Jahr riesig. Die Münchner Polizei musste mehr Beamte anfordern als üb lich – weil so viele Gäste aus Bundesregierung und Weltpo litik zugesagt haben. Aus Berlin kommen nicht nur vier Minis ter, sondern auch Kanzlerin An gela Merkel wird zugegen sein. Aus New York reist der neue UNGeneralsekretär António Guter res an, aus Russland Außenmi nister Sergei Lawrow. Insgesamt erwarten die Veranstalter nach letzten Angaben 15 Staatsober häupter, 8 Regierungschef und 47 Außenminister. Das hat zum großen Teil mit Mike Pence zu tun, der in seiner neuen Funktion als US-Vizeprä sident zum ersten Mal ins Aus land reist. Pence’ Zusage habe zu einem Run geführt, sagt Ischin ger. Halb Europa wolle ein „Bila teral“ mit ihm führen, ein bila terales Gespräch im Hotelzim mer also. Das Interesse kommt nicht von ungefähr. Gespräche mit Trumps Ministern sind schön und gut – offen ist aber, wie sehr deren Linie auch der des Präsidenten entspricht und ob sie sich in Streitfällen gegen Trump durchsetzen können. Der Schreibtisch von Pence da gegen steht direkt im Weißen Haus. Er ist nah dran am Präsi denten und schon deswegen in ternational begehrt. Auch für die Bundesregie rung: Außenminister Gabriel traf den Vize schon während sei ner US-Reise im Januar. Falls in München nicht auch Merkel zu einem Vieraugengespräch mit dem Amerikaner zusammen kommt, wäre das eine Überra schung. Zumal Pence bereits einen Be zug zu Deutschland hat: Der erz konservative Republikaner war bis vor Kurzem Gouverneur von Indiana, wo mehrere deutsche Unternehmen Fabriken betrei ben. Vor drei Jahren reiste Pence zur Wirtschaftsförderung sogar Ischinger: „So viel Unsicherheit gab es lange nicht für Wahrheit, Werte, die internationale Ordnung“ schon einmal nach Deutschland und besuchte Mittelständler im Ruhrgebiet. Das klingt zumin dest nach einem Thema für den Smalltalk mit Merkel. Welche politische Botschaft wird Pence aber mit nach Mün chen bringen? Was hat er zum Beispiel zur Nato zu sagen? Verteidigungsminister Mattis gab sich am Mittwoch in Brüs sel hart. Vor Beginn des zwei tägigen Arbeitstreffens mit seinen Amtskollegen sagte er zwar noch: „Das Bündnis bleibt für die Vereinigten Staaten und für die ganze transatlantische Gemeinschaft ein grundlegen des Fundament – so verbunden, wie wir sind.“ In der ersten Sitzung am Nach mittag forderte er die Nato-Part ner dann aber ultimativ auf, bis Ende des Jahres einen Plan für erhöhte Verteidigungsausgaben vorzulegen. Anderenfalls wür den die USA ihre Anstrengun gen im Bündnis zurückfahren. Trump fordert schon seit dem Wahlkampf, dass die übrigen Nato-Staaten eine alte Verein barung umsetzen, mindestens 2 Prozent ihres jeweiligen Brut toinlandsprodukts in die Vertei digung zu stecken. Donnerstagmittag endet das Treffen in Brüssel, fast zur glei chen Zeit beginnt der Termin in Bonn. Dort empfängt Sigmar Gabriel seine Außenminister kollegen aus den G-20-Staaten in eher informellem Rahmen. Ein Thema ist die Umsetzung der Agenda 2030, ein Programm der UNO zur Entwicklungspoli tik. Ein weiterer Tagesordnungs punkt dreht sich um Maßnah men zur Konfliktprävention. Mindestens so wichtig wie das offizielle Programm sind auch in Bonn die Gespräche am Rande. Mit vielen seiner Kollegen wird sich US-Außen minister Tillerson am Don nerstag zum ersten Mal tref fen, geplant ist unter anderem ein Gespräch mit dem Russen Lawrow. Gut möglich, dass da bei auch Trumps neueste Aus sage über die Krim zum Ge spräch kommt – als Vorberei tung auf einen Termin, der für Samstag in München geplant ist. Am Rande der Sicherheitskonfe renz lädt Gabriel seine Kollegen aus Frankreich, der Ukraine und Russland zu einem Gespräch im sogenannten Normandie-For mat. Das ist ausnahmsweise ein Format, an dem die USA über haupt nicht beteiligt sind. „Der russische Präsident wird geduldig die Gründe darlegen“ REAKTION Gar nicht erfreut zeigt man sich in Moskau über die jüngsten Töne aus Washington. Putin werde Trump schon beibiegen, wohin die Krim gehört BERLIN taz | Sieht so die erhoffte Annäherung zwischen Russland und den USA unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump aus? Das offizielle Moskau schäumt. Die Krim sei russi sches Territorium und werde nicht zurückgegeben, sagte die Sprecherin des Außenministeri ums Maria Sacharowa am Mitt woch. Und der Vorsitzende des Komitees für internationale An gelegenheiten, Leonid Sluzki, stellte fest: „Wir haben bei al ler Sympathie für Trumps kon struktive Rhetorik zu früh ent schieden, dass er prorussisch ist. Er ist proamerikanisch.“ Grund für die Erregung sind Äußerun gen von Trumps Sprecher Sean Spicer bei der täglichen Presse konferenz im Weißen Haus am Dienstag: „Präsident Trump hat klargemacht, dass er von der russischen Regierung erwarte, die Gewalt in der Ukraine zu de eskalieren und die Krim zurück zugeben“, sagte Spicer. Zur Erinnerung: Russland ist laut dem Budapester Memoran dum von 1994 Garantiemacht für die Souveränität und die be stehenden Grenzen der Ukraine. Dessen ungeachtet annektierte Moskau die Halbinsel im März 2014. Als Reaktion verhängten die Vereinigten Staaten und die Europäische Union Sank tionen, die bis heute in Kraft Die Krim – aus großer Ferne betrachtet Foto: Nasa/laif sind. Dasselbe gilt für westli che Strafmaßnahmen wegen des Kriegs zwischen prorussi schen Kämpfern und ukraini schen Re gierungstruppen in der Ostukraine. Dort sind die Kämpfe – trotz des Minsker Friedensabkommens vom Feb ruar 2015 – erst kürzlich wieder aufgeflammt. Empörung ist jedoch nicht die einzige Reaktion aus dem Kreml und dessen Umfeld. So betrieb der Vorsitzende des Verteidi gungskomitees der zweiten Par lamentskammer, Wiktor Ose row, Motivforschung: Der USPräsident wollte wohl die Kritik an seiner Person wegen der an geblichen Verbindungen sei ner Leute zu Russland entkräf ten. Auf die Frage, wie sich die jüngsten Äußerungen aus Wa shington auf die Beziehun gen zwischen beiden Ländern auswirken könnte, antwortete der Pressesprecher des Kreml, Dmitri Peskow, wie folgt: „Der russische Präsident wird seinen Partnern geduldig die Gründe darlegen, weshalb die Krimbe wohner sich dafür entschieden haben, bei Russland Schutz zu suchen und ein Teil dieses Lan des zu werden.“ Putin werde die Geschichte des Umsturzes in der Ukraine erzählen, der vor allem aus dem Ausland finanziert wor den sei. BARBARA OERTEL Ausland SEITE 10
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