taz.die tageszeitung

Ski heil: Neue Höhepunkte der Kunst
Umwelthistoriker Robert Groß über Schneekanonen in den Alpen ▶ Seite 4
AUSGABE BERLIN | NR. 11253 | 7. WOCHE | 39. JAHRGANG
H EUTE I N DER TAZ
DONNERSTAG, 16. FEBRUAR 2017 | WWW.TAZ.DE
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Die Münchner
Unsicherheitskonferenz
BERLINALE
VERWIRRUNG Putin-freundlich? Oder Putin-feindlich? US-Präsident Trump und seine Leute steigern mit
BERLINALE „Wäre ich in
neuen Äußerungen zur Krim und zur Nato das Rätselraten über den Kurs der Weltmacht. Nun treffen
sich Politiker und Diplomaten in Bayern, auch Merkel und US-Vize Pence. Bringt das Klarheit? ▶ SEITE 3
Deutschland geblieben,
wäre ich nicht derselbe“:
Regisseur Raoul Peck
über seine Filme „I Am
Not Your Negro“ und
„Der junge Karl Marx“
▶ SEITE 22-24
CETA EU-Parlament bil-
ligt Freihandelspakt mit
Kanada ▶ SEITE 2, 12
BERLIN Der Aufstand
der Immobilienhaie gegen den Senat ▶ SEITE 21
Foto oben: dpa
VERBOTEN
Guten Tag,
meine Damen und Herren!
Vielleicht ist verboten einfach
zu alt. Zu naiv. Oder zu abgestumpft. Auf jeden Fall will sich
trotz Trump, Putin und koreanischen Bruderkillern irgendwie keine rechte Angst einstellen, die jetzt so weit verbreitet
wird. Und zum ersten Mal ist
verboten ausnahmsweise froh,
in den westdeutschen 80ern
politisiert worden zu sein.
Denn wer als Kind „The Day
After“ gesehen, „Die letzten
Kinder von Schewenborn“ von
Gudrun Pausewang gelesen
und Dr. Seltsam geliebt hat,
den können ein paar Tweets
von Donald Trump bestimmt
Präsidentlein, Präsidentlein an der Wand, wer ist der Gefährlichste in welchem Land? Und mögen sich Trump und Putin? Nicht nur Wandmaler in Litauen treibt das um Foto: Gallup/Getty Images
KOMMENTAR VON DOMINIC JOHNSON ÜBER DIE NEUE WELTUNORDNUNG
nicht schocken
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S
Ohne Spielregeln wird es brandgefährlich
elten gab es so viel Verunsicherung
in der internationalen Diplomatie.
Niemand weiß, wohin die USA unter
Donald Trump außenpolitisch steuern.
Die neue Regierung in Washington kann
unmöglich all die widersprüchlichen
Dinge wörtlich meinen, die ihre Mitglieder vom Präsidenten abwärts dazu
sagen und twittern. Ob Trump sich selber darüber überhaupt vertiefte Gedanken macht, ist genauso ein Rätsel wie die
Frage, welche Gültigkeit Aussagen anderer US-Regierungsmitglieder eigentlich
haben. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz werden die Teilnehmer bei jeder Rede nebenbei auf ihr Smartphone
starren müssen, wo @realdonaldtrump
den Weltgeist spielt.
Vor diesem Hintergrund sehen sich
auch alle jene in Moskau, Peking und
sonst wo vorläufig düpiert, die dachten,
mit einem Big Man im Weißen Haus
könnte man endlich unbekümmert klare
Verhältnisse auf dem Globus schaffen,
von Mann zu Mann sozusagen. Es gibt
einfach keine Klarheit. Genauer: Es gibt
so viele vermeintliche Klarheiten, jeden
Tag eine andere, dass niemand mehr
weiß, woran die Welt ist.
Das ist eine brandgefährliche Situation. Aber nicht, weil jetzt plötzlich jemand mit Säbeln rasseln würde. Sondern
weil völlig unklar ist, welcher diplomatische, militärische oder politische Akt
eigentlich einen Akt der Eskalation darstellt und welcher nicht. Im Kalten Krieg
kannte jeder die Spielregeln. Sie waren
nicht schön, aber nachvollziehbar. Heute
scheint es Regeln gar nicht mehr zu geben. Das Spielbrett ist verschwunden.
Mit Barack Obama war klar: Ein Regelbruch im internationalen System hat
keine Folgen. Das ermutigte andere, aggressivere Player – eine unschöne Situation, wie man in Syrien und in der Ukraine sah, aber keine grundsätzlich unlösbare. Mit Donald Trump aber ist nicht
einmal klar, ob ein Regelbruch Folgen
nach sich ziehen könnte oder nicht, weil
die Existenz von Regeln an sich infrage
steht. Das verwirrt nur. Es ist kein Beitrag
zum Weltfrieden, wenn Russen, Iraner,
Nordkoreaner oder Chinesen nicht mehr
wissen, ob sie diesen gerade tatsächlich
gefährden. Bald wissen es vielleicht auch
die US-Amerikaner nicht mehr. Das Risiko, aus Versehen eine globale Krise
Es gibt keine Klarheit.
Genauer: Es gibt so viele
vermeintliche Klarheiten
heraufzubeschwören, ist damit größer
denn je. Nicht sehen zu können, welcher
Weg zum Krieg führt, schafft mehr Unsicherheit, als sich am Scheideweg zwischen Krieg und Frieden entscheiden zu
müssen.
Die bestehenden internationalen
Ordnungssysteme sind dieser Situation
nicht gewachsen. Die Vereinten Nationen sind zu allen weltpolitischen Streitfragen strukturell gelähmt und befinden
sich unter ihrem neuen Generalsekretär
Guterres auf dem Weg zurück in alte Bequemlichkeiten. Die Europäische Union
ist zwischen Brexit und Eurokrise in der
eigenen Selbstfindung gefangen. Die
Nato ist momentan mehr die Bühne der
Verunsicherung als der Ort ihrer Überwindung.
Vielleicht haben ja die Optimisten
recht, die meinen, Trump interessiere
sich für die Welt so wenig, dass er in der
US-Außenpolitik alles weiterlaufen lässt
wie bisher, nur bisweilen unsinnig kommentiert. Es ist ein schlechtes Zeichen,
wenn eine solche Haltung als optimistisch gelten muss. Denn diejenigen, die
noch skrupelloser regieren als der USPräsident – und dazu gehören die meisten Machthaber der Welt –, hätten gerade
dann immer weniger Gründe, Zurückhaltung und Mäßigung walten zu lassen.
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
NACH RICHTEN
TRUMP-GEGN ER ALLER LÄN DER, VEREI N IGT EUCH
N ICARAGUA
EU und China planen Sondergipfel
Cardenal erwägt Asyl
in Deutschland
BRÜSSEL | Als Reaktion auf die
Auf der US-Drogenliste: Venezuelas
Vizepräsident El Aissami Foto: ap
Dealer oder
Antiimperialist
V
enezuelas Vizepräsident
Tareck El Aissami steht
im Fadenkreuz der USA.
Am Dienstag setzte ihn das USFinanzministerium auf seine
Liste der internationalen Drogenhändler. El Aissamis mutmaßliches Vermögen in den
USA wurde eingefroren und
niemand aus den USA darf mit
ihm Handel treiben. Der Betroffene reagierte auf seine Weise.
„Als Anerkennung meines antiimperialistisch-revolutionären
Charakters nehme ich diese infame Aggression an.“
Im Januar hatte Präsident Nicolás Maduro den 42-Jährigen zu
seinem Vize ernannt und ihm
weniger später weitreichende
Vollmachten übertragen. Offensichtlich soll Tareck El Aissami zum Kandidaten für die
Präsidentschaftswahl 2018 aufgebaut werden. Zugleich war es
ein Wink an die rechte Opposition, die von El Aissami schon
zuvor als „rechte Terroristen und
Kriminelle“ und „vaterlandslose
Bourgeoisie“ beschimpft wurde.
Legendär ist sein Tweet, in dem
er Oppositionsführer Henrique
Capriles einen „korrupten, unfähigen Feigling ohne Eier in der
Hose“ nannte.
Tareck El Aissamis Vater war
aus Syrien nach Venezuela eingewandert, hatte sich in linken
Gruppierungen politisch engagiert, war nach dem gescheiterten Putschversuch von Hugo
Chávez am 4. Februar 1992 verhaftet worden.
El Aissami selbst lernte während seines Kriminologiestudiums an der Universidad de Los
Andes den Hochschullehrer
und Chávez’ Bruder Adán Chávez kennen. All dies ließ ihn zu
einem engen Vertrauten Hugo
Chávez’ werden, der ihn 2008
als jungen Abgeordneten aus
der Nationalversammlung auf
den Posten des Innenministers
beförderte. Bis 2012 war er für
Polizei und Geheimdienst zuständig. Dann übernahm er als
gewählter Gouverneur den Bundesstaat Aragua.
Bei den aufrechten Chavistas genießt El Aissami den Ruf,
hart gegen den Drogenhandel
durchgegriffen zu haben. Erinnert wird an die großen Mengen
Rauschgift, die er als Innenminister beschlagnahmen ließ,
und die rund 70 Drogenchefs, die
er festsetzen ließ. Dass nahezu
alle Häfen und Routen vom Militär kontrolliert werden, nährte
schon immer den Verdacht, der
Staat beteilige sich am illegalen
Transportgeschäft. JÜRGEN VOGT
Der Tag
DON N ERSTAG, 16. FEBRUAR 2017
Politik von US-Präsident Donald Trump wollen die Europäische Union und China Insidern
zufolge bei einem Gipfeltreffen
im Frühjahr Möglichkeiten einer engeren Kooperation ausloten. Das Treffen werde voraussichtlich für April oder Mai angesetzt, sagten drei EU-Vertreter
am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Die chinesische Regierung habe sich ein
Treffen so früh wie möglich gewünscht. Damit wolle die Volksrepublik die Botschaft zugunsten von Freihandel und globaler
Märkte unterstreichen, die Prä-
sident Xi Jingping beim Weltwirtschaftsforum in Davos ausgesandt habe. Das chinesische
Außenministerium wollte sich
nicht dazu äußern.
Die EU liegt mit China in einer Reihe von Bereichen allerdings über Kreuz. So wurden
kürzlich erst EU-Strafzölle auf
Solarmodule und -zellen aus
China verlängert. Zudem gibt
es Handelshemmnisse gegen
den Import chinesischer Stahlprodukte. Deutschland, Italien
und Frankreich wollen darüber
hinaus EU-Schutzmaßnahmen
gegen chinesische Übernahmeund Handelspraktiken. (rtr)
MANAGUA | Wegen politischer
Verfolgung in seinem Heimatland könnte der nicaraguanische Dichter Ernesto Cardenal ins Asyl gehen. „In Mexiko,
Chile, Deutschland und Spanien
gibt es Gruppen, die Ernesto unterstützen und ihm raten, Asyl
zu beantragen. Er erwägt diese
Möglichkeit“, sagte Cardenals
Vertrauter Bosco Centeno gestern. Einst Kulturminister, ist
Cardenal heute ein scharfer Kritiker von Präsident Daniel Ortega. „Wir leben in einer Diktatur
und ich bin ein politisch Verfolgter“, sagte der 92-Jährige. (dpa)
TAZ-N EWSLET TER
N EUE RAUMFAH RTPLÄN E
Sie wol­len heute schon wis­sen,
was mor­gen in der taz steht?
Dann ist unser täg­li­cher News­
letter, der am frü­hen Abend einen
ers­ten Aus­blick lie­fert, genau das
Rich­ti­ge für Sie. An­mel­dung unter
taz.de/heute.
Die taz von
mor­gen
www.taz.de
Golfstaaten planen
Marsbesiedelung
DUBAI | Trotz schwindender
Einnahmen durch Ölverkäufe
denken die Vereinigten Arabischen Emirate in Superlativen:
In 100 Jahren wolle man die
erste menschliche Siedlung auf
dem Mars fertiggestellt haben,
verkündete Vizepräsident Mohammed bin Raschid al-Maktum am Dienstag. Ein Langzeitprojekt solle die Möglichkeiten
untersuchen, wie Menschen
auf dem Roten Planeten überleben können. Dabei sei unter
anderem die Produktion von
Nahrungsmitteln und Energie
­wichtig. (dpa)
Abgeordnete handeln frei für Ceta
EUROPA Das Straßburger Europa-Parlament stimmt mit großer Mehrheit dem Freihandelsabkommen mit
Kanada zu. Jetzt sind die nationalen Parlamente dran. Wüste Polemiken und eine Blockade vor dem Eingang
AUS STRASSBURG UND BRÜSSEL
LINDA GERNER UND ERIC BONSE
Der Freihandel ist tot, lange lebe
der Freihandel! Mitten im transatlantischen Streit über Exportüberschüsse und Strafzölle hat
das Europaparlament in Straßburg am Mittwoch das CetaAbkommen mit Kanada angenommen. Nach siebenjährigen
Verhandlungen fallen damit ab
April die letzten Handelsbarrie­
ren mit dem nordamerikanischen Land.
Das Votum gilt als Signal an
US-Präsident Donald Trump, der
dem Freihandel den Garaus machen möchte. TTIP, das US-amerikanische Pendant zu Ceta, hat
Trump bereits begraben. Auch
das TPP-Abkommen mit den Pazifikstaaten hat der republikanische Präsident gekündigt. Seither geht in Europa die Angst
vor einem neuen Protektionismus um.
„Wer gegen Ceta ist, ist für
Trump“, hieß es in der teilweise
hitzigen
Parlamentsdebatte
vor der Abstimmung. „Ceta ist
ein trojanisches Pferd der US-­
Multis“, hielten die Kritiker dagegen. Sie konnten sich nicht
durchsetzen.
Für den Vertrag votierten 408
Abgeordnete. 254 Parlamentarier – neben den Grünen Vertreter der Linken, Euroskeptiker
und Rechtsextreme – votierten
mit Nein, 33 enthielten sich. Obwohl die EU auf einige Bedenken
eingegangen ist und vom „weltweit fortschrittlichsten Handelsvertrag“ spricht, waren die
Gräben am Ende tiefer denn je.
„Die Ceta-Gegner reden uns
ein, Kanada sei eine existenzielle Bedrohung für Europa –
was für Unsinn.“ So ereiferte
sich nicht nur der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff.
Sein CDU-Kollege Michael Gahler behauptete, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und
die AfD-Vorsitzende Frauke Petry säßen mit ihrer Ceta-Kritik
im selben Boot.
Schweres Geschütz fuhren
aber auch die Gegner auf. Das
Abkommen sei ein „Schlag
gegen Frankreich und gegen
­
Europa“, sagte der linke franzö-
sische Präsidentschaftskandidat
Jean-Luc Mélenchon. „Eine kluge
Handelspolitik lehnt Privilegien
für Großunternehmen ebenso
ab wie Protektionismus“, betonte der Chef der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer. „Dieser
Kampf geht weiter.“
Vor dem Parlamentsgebäude
in Straßburg hatten sich schon
seit dem frühen Morgen Demonstranten gegen Ceta eingefunden. Etwa 30 junge Men-
„Wer gegen Ceta
ist, ist für
Donald Trump“
PAROLE DER BEFÜRWORTER
Gegen das Ceta-Abkommen: Teilnehmer einer Demonstration in Straßburg an diesem Mittwoch Foto: Jean-François Badias/ap
Anti-Ceta-Parolen für den Wahlkampf
FRANKREICH
schen in weißen Maleranzügen
lagen in einer Reihe vor dem
Eingang. Die Gruppe hatte sich
eingehakt, teilweise steckten
ihre Arme in Kunststoffrohren.
Sie sangen, hielten Banner hoch
und blockierten sitzend, liegend
und stehend den Eingang zum
EU-Parlament.
Erst gegen zehn Uhr begannen französische Polizisten damit, die Demonstranten zurückdrängen. Zu diesem Zeitpunkt
waren die meisten Abgeordneten bereits über die Protestierenden gestiegen.
Nach dem Ja der Europaabgeordneten müssen als Nächstes 38 nationale und regionale
Parlamente in der EU dem Abkommen zustimmen. Erst danach kann es endgültig und
vollständig umgesetzt werden.
Ab April fallen zwar die meisten
Handelsbarrieren. Die neuen,
öffentlichen Schiedsgerichte
für Investoren müssen jedoch
noch auf die endgültige Ratifizierung warten.
Die europaweite Bürgerinitiative gegen Ceta hat bereits Widerstand angekündigt. Sie hatte
am Montag 3,5 Millionen Unterschriften in Straßburg abgeliefert und will nun auf die natio­
nalen und regionalen Parlamente Druck machen. Bis alle
Kammern dem Abkommen zugestimmt haben, dürften noch
Jahre vergehen.
In den Niederlanden könnte
es sogar eine Volksabstimmung
geben. Die Niederländer haben
bereits mehrfach gegen EUAbkommen gestimmt, zuletzt
­gegen die Assoziierung mit der
Ukraine. Auch in Belgien zeichnen sich Probleme ab. So bekräftigte der Präsident der Region
Wallonien, Paul Magnette, seine
Bedenken gegen Ceta. Wenn sie
nicht ausgeräumt werden,
will er das Abkommen
zu Fall bringen.
THEMA
DES
TAGES
Le Pens Front National macht im Wahlkampf um die Präsidentschaft gegen das Freihandelsabkommen mobil
BRÜSSEL taz | Die französischen
Nationalisten haben das Thema
lange verschlafen. Doch pünktlich zur Entscheidung im Europaparlament ist auch der rechte
Front National (FN) auf den Zug
der Ceta-Gegner gesprungen.
„Ceta ist ein sehr gefährliches
Abkommen“, warnt FN-Anführerin Marine Le Pen ihre Anhänger per Videobotschaft.
Die heimischen Viehzüchter
würden benachteiligt, aus Kanada werde künftig Hormon-
fleisch importiert, behauptet
Le Pen. „Das werde ich nicht akzeptieren“, sagt sie in staatsmännischer Pose. Das Video ist Teil
der Kampagne „Marine 2017“,
mit der die FN-Chefin für die
Präsidentschaftswahl im Frühjahr wirbt.
Dabei verwendet Le Pen ähnliche Argumente wie die französische Linke, die sich ebenfalls gegen Ceta wendet. „Für
Beschäftigung und Kaufkraft“
heißt der Slogan, mit dem sie
um neue Mitglieder wirbt. Le
Pens „Non“ zu Ceta hat sogar
Eingang in ihr umfangreiches
Wahlprogramm gefunden – allerdings nur unter „ferner liefen“, als Versprechen Nr. 127 von
144. Punkt 1 ist ein Referendum
zum EU-Austritt.
Nach dem Brexit in Großbritannien plant Le Pen nun
den „Frexit“. Sollte es tatsächlich so weit kommen, so würde
Paris sich jedoch – ähnlich wie
derzeit London – um bilaterale
Handelsabkommen bemühen.
Dass dabei ein besserer „Deal“
herauskäme als mit der geballten Macht von 28 EU-Staaten,
glaubt zumindest in Brüssel niemand ernsthaft.
„Frankreich hat ein großes
Defizit im Außenhandel, das
Abkommen mit Kanada ist eine
Chance für uns“, sagte die liberale Europaabgeordnete Sylvie
Goulard bei der Schlussdebatte
im Europaparlament. Die CetaGegner sollten nicht vergessen,
dass Kanada zum Teil französisch spricht und Frankreich
historisch verbunden sei.
Doch beim Front National
stoßen diese Argumente auf
taube Ohren. Für sie ist alles,
was aus Brüssel kommt, Teufelswerk. Nur ein einziger Präsidentschaftskandidat setzt sich
offensiv für Ceta ein: Emmanuel
Macron, der ehemalige Wirtschaftsminister. Er hat die größten Chancen, Le Pen bei der Wahl
im April zu schlagen. ERIC BONSE
Schwerpunkt
2017
DON N ERSTAG, 16. FEBRUAR 2017
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Schon vor der Sicherheitskonferenz geht’s richtig los: US-Verteidigungsminister James Mattis richtet Ultimatum an die Nato-Partner
VON TOBIAS SCHULZE
BERLIN taz | Einerseits ist Wolf­
gang Ischinger Optimist: „Am
Sonntagnachmittag“, sagt der
Leiter der Münchner Sicher­
heitskonferenz, „könnte die
weltpolitische Lage ein bisschen
klarer sein.“ All die Befürchtun­
gen, heute noch riesig, könn­
ten bis dahin ein klein wenig
schrumpfen. Von den vielen Fra­
gezeichen, zur Nato, zur UNO, zu
Syrien, zur Ukraine, könnten bis
dahin manche verschwinden.
Nun, das wäre ja immerhin
etwas.
Seit 27 Tagen regieren Do­
nald Trump und sein Team nun
in den USA. Was die neue Regie­
rung in Washington in der Au­
ßenpolitik plant, ist aber noch
immer nicht klar: Der Präsident
nannte die Nato zunächst obso­
let – sein Verteidigungsminister
bezeichnete sie später als unver­
zichtbar. Im Kampf gegen den IS
kann sich das Weiße Haus eine
Allianz mit dem Kreml vor­
stellen – während das Außen­
ministerium die russische Un­
terstützung für Assad anpran­
gert. Als Kandidat zeigte Trump
noch Verständnis für die An­
nexion der Krim – am Dienstag
­forderte er über seinen Sprecher
die Rückgabe an die Ukraine.
Für Regierungsvertreter in
Europa sind diese Widersprü­
che ein Schlamassel; in Berli­
ner Ministerien rätselt man seit
Wochen, wie die Signale aus Wa­
shington zu deuten sind. Die Un­
sicherheit sei groß, heißt es. In
den nächsten Tagen könne es
aber tatsächlich erste Antwor­
ten geben.
Gleich drei Veranstaltungen
führen in dieser Woche ame­
rikanische Regierungsvertre­
ter nach Europa: Seit Mittwoch
tagen in Brüssel die Verteidi­
gungsminister der Nato-Staa­
ten, für die USA sitzt James Mat­
tis mit am Tisch. Ab Donnerstag
treffen sich in Bonn die Außen­
minister der Nato-Staaten, dazu
kommt aus Washington Rex Til­
lerson. Am Freitag beginnt in
München dann schließlich die
dreitägige
Sicherheitskonfe­
renz. Stargast in diesem Jahr:
der amerikanische Vizepräsi­
dent Mike Pence.
Bei den Veranstaltern der
Münchner Tagung im Hotel Bay­
erischer Hof ist die Stimmung
dieses Mal ganz anders als in
den Jahren zuvor. Konferenz­
leiter Ischinger zeigt in diesen
Tagen daher auch seine andere,
gnadenlos pessimistische Seite:
In Berlin stellte er am Montag
den neuen „Munich Security Re­
port“ seiner Mitarbeiter vor. Da­
Beinhart: US-Verteidigungsminister Mattis am Mittwoch beim Nato-Treffen in Brüssel Foto: Virginia Mayo/ap
Fünf Tage im Februar
US-AUSSENPOLITIK Gleich drei wichtige Konferenzen führen in dieser Woche ranghohe amerikanische
Regierungsvertreter nach Europa. Alle Welt rätselt: Welche Botschaft bringen sie? Was haben sie vor?
rin heißt es, die USA bewegten
sich weg von einer multilatera­
len Außenpolitik – womöglich
hin zu einer nationalistischen.
„So viel Unsicherheit gab es
lange nicht für Wahrheit, Werte,
die internationale Ordnung“,
sagt Ischinger selbst.
Für die Konferenz immerhin
lohnen sich die miesen Aus­
sichten. Das internationale In­
teresse ist in diesem Jahr riesig.
Die Münchner Polizei musste
mehr Beamte anfordern als üb­
lich – weil so viele Gäste aus
Bundesregierung und Weltpo­
litik zugesagt haben. Aus Berlin
kommen nicht nur vier Minis­
ter, sondern auch Kanzlerin An­
gela Merkel wird zugegen sein.
Aus New York reist der neue UNGeneralsekretär António Guter­
res an, aus Russland Außenmi­
nister Sergei Lawrow. Insgesamt
erwarten die Veranstalter nach
letzten Angaben 15 Staatsober­
häupter, 8 Regierungschef und
47 Außenminister.
Das hat zum großen Teil mit
Mike Pence zu tun, der in seiner
neuen Funktion als US-Vizeprä­
sident zum ersten Mal ins Aus­
land reist. Pence’ Zusage habe zu
einem Run geführt, sagt Ischin­
ger. Halb Europa wolle ein „Bila­
teral“ mit ihm führen, ein bila­
terales Gespräch im Hotelzim­
mer also.
Das Interesse kommt nicht
von ungefähr. Gespräche mit
Trumps Ministern sind schön
und gut – offen ist aber, wie
sehr deren Linie auch der des
Präsidenten entspricht und ob
sie sich in Streitfällen gegen
Trump durchsetzen können.
Der Schreibtisch von Pence da­
gegen steht direkt im Weißen
Haus. Er ist nah dran am Präsi­
denten und schon deswegen in­
ternational begehrt.
Auch für die Bundesregie­
rung: Außenminister Gabriel
traf den Vize schon während sei­
ner US-Reise im Januar. Falls in
München nicht auch Merkel zu
einem Vieraugengespräch mit
dem Amerikaner zusammen­
kommt, wäre das eine Überra­
schung.
Zumal Pence bereits einen Be­
zug zu Deutschland hat: Der erz­
konservative Republikaner war
bis vor Kurzem Gouverneur von
Indiana, wo mehrere deutsche
Unternehmen Fabriken betrei­
ben. Vor drei Jahren reiste Pence
zur Wirtschaftsförderung sogar
Ischinger: „So viel
Unsicherheit gab es
lange nicht für Wahrheit, Werte, die internationale Ordnung“
schon einmal nach Deutschland
und besuchte Mittelständler im
Ruhrgebiet. Das klingt zumin­
dest nach einem Thema für den
Smalltalk mit Merkel.
Welche politische Botschaft
wird Pence aber mit nach Mün­
chen bringen? Was hat er zum
Beispiel zur Nato zu sagen?
Verteidigungsminister Mattis
gab sich am Mittwoch in Brüs­
sel hart. Vor Beginn des zwei­
tägigen Arbeitstreffens mit
seinen Amtskollegen sagte er
zwar noch: „Das Bündnis bleibt
für die Vereinigten Staaten und
für die ganze transatlantische
Gemeinschaft ein grundlegen­
des Fundament – so verbunden,
wie wir sind.“
In der ersten Sitzung am Nach­
mittag forderte er die Nato-Part­
ner dann aber ultimativ auf, bis
Ende des Jahres einen Plan für
erhöhte Verteidigungsausgaben
vorzulegen. Anderenfalls wür­
den die USA ihre Anstrengun­
gen im Bündnis zurückfahren.
Trump fordert schon seit dem
Wahlkampf, dass die übrigen
Nato-Staaten eine alte Verein­
barung umsetzen, mindestens
2 Prozent ihres jeweiligen Brut­
toinlandsprodukts in die Vertei­
digung zu stecken.
Donnerstagmittag endet das
Treffen in Brüssel, fast zur glei­
chen Zeit beginnt der Termin
in Bonn. Dort empfängt Sigmar
Gabriel seine Außenminister­
kollegen aus den G-20-Staaten
in eher informellem Rahmen.
Ein Thema ist die Umsetzung
der Agenda 2030, ein Programm
der UNO zur Entwicklungspoli­
tik. Ein weiterer Tagesordnungs­
punkt dreht sich um Maßnah­
men zur Konfliktprävention.
Mindestens so wichtig wie
das offizielle Programm sind
auch in Bonn die Gespräche
am Rande. Mit vielen seiner
Kollegen wird sich US-Außen­
minister Tillerson am Don­
nerstag zum ersten Mal tref­
fen, geplant ist unter anderem
ein Gespräch mit dem Russen
Lawrow. Gut möglich, dass da­
bei auch Trumps neueste Aus­
sage über die Krim zum Ge­
spräch kommt – als Vorberei­
tung auf einen Termin, der für
Samstag in München geplant ist.
Am Rande der Sicherheitskonfe­
renz lädt Gabriel seine Kollegen
aus Frankreich, der Ukraine und
Russland zu einem Gespräch im
sogenannten Normandie-For­
mat. Das ist ausnahmsweise ein
Format, an dem die USA über­
haupt nicht beteiligt sind.
„Der russische Präsident wird geduldig die Gründe darlegen“
REAKTION
Gar nicht erfreut zeigt man sich in Moskau über die jüngsten Töne aus Washington. Putin werde Trump schon beibiegen, wohin die Krim gehört
BERLIN taz | Sieht so die erhoffte
Annäherung zwischen Russland
und den USA unter dem neuen
US-Präsidenten Donald Trump
aus?
Das
offizielle
Moskau
schäumt. Die Krim sei russi­
sches Territorium und werde
nicht zurückgegeben, sagte die
Sprecherin des Außenministeri­
ums Maria Sacharowa am Mitt­
woch. Und der Vorsitzende des
Komitees für internationale An­
gelegenheiten, Leonid Sluzki,
stellte fest: „Wir haben bei al­
ler Sympathie für Trumps kon­
struktive Rhetorik zu früh ent­
schieden, dass er prorussisch ist.
Er ist proamerikanisch.“ Grund
für die Erregung sind Äußerun­
gen von Trumps Sprecher Sean
Spicer bei der täglichen Presse­
konferenz im Weißen Haus am
Dienstag: „Präsident Trump hat
klargemacht, dass er von der
russischen Regierung erwarte,
die Gewalt in der Ukraine zu de­
eskalieren und die Krim zurück­
zugeben“, sagte Spicer.
Zur Erinnerung: Russland ist
laut dem Budapester Memoran­
dum von 1994 Garantiemacht
für die Souveränität und die be­
stehenden Grenzen der Ukraine.
Dessen ungeachtet annektierte
Moskau die Halbinsel im März
2014. Als Reaktion verhängten
die Vereinigten Staaten und
die Europäische Union Sank­
tionen, die bis heute in Kraft
Die Krim – aus großer Ferne betrachtet Foto: Nasa/laif
sind. Dasselbe gilt für westli­
che Strafmaßnahmen wegen
des Kriegs zwischen prorussi­
schen Kämpfern und ukraini­
schen Re­
gierungstruppen in
der Ostukraine. Dort sind die
Kämpfe – trotz des Minsker
Friedensabkommens vom Feb­
ruar 2015 – erst kürzlich wieder
aufgeflammt.
Empörung ist jedoch nicht die
einzige Reaktion aus dem Kreml
und dessen Umfeld. So betrieb
der Vorsitzende des Verteidi­
gungskomitees der zweiten Par­
lamentskammer, Wiktor Ose­
row, Motivforschung: Der USPräsident wollte wohl die Kritik
an seiner Person wegen der an­
geblichen Verbindungen sei­
ner Leute zu Russland entkräf­
ten. Auf die Frage, wie sich die
jüngsten Äußerungen aus Wa­
shington auf die Beziehun­
gen zwischen beiden Ländern
auswirken könnte, antwortete
der Pressesprecher des Kreml,
Dmitri Peskow, wie folgt: „Der
russische Präsident wird seinen
Partnern geduldig die Gründe
darlegen, weshalb die Krimbe­
wohner sich dafür entschieden
haben, bei Russland Schutz zu
suchen und ein Teil dieses Lan­
des zu werden.“ Putin werde die
Geschichte des Umsturzes in der
Ukraine erzählen, der vor allem
aus dem Ausland finanziert wor­
den sei. BARBARA OERTEL
Ausland SEITE 10